Geschrieben von Freitag, 13 Oktober 2017 21:25

Alestorm im Interview - "Was wäre das absolut Dümmste, was wir machen könnten?"

Christopher Bowes ist ein viel beschäftigter Mann – nach der US-Tour im Sommer ist er aktuell mit seiner Band ALESTORM in Europa unterwegs, bevor es dann im Januar mit GLORYHAMMER weitergeht, nur um danach wieder mit ALESTORM auf hoher See erst die Karibik unsicher zu machen und danach mit der bandeigenen Piratefest-Tour unter anderem in seine schottische Heimat zurückzukehren. Umso schöner, dass der Sänger beim Auftakt der Europa-Tour in der Bochumer Zeche ein paar Minuten Zeit gefunden hat, um über ALESTORMs aktuelles Album "No Grave But The Sea", bellende Hunde und epische Kämpfe mit Wikingern, großen Musikmagazinen und GRAVE DIGGERs Chris Boltendahl zu plaudern.

Ihr seid zuletzt in den USA unterwegs gewesen …

Ja genau, die VANS Warped Tour. Das ist diese große Punk-Festivaltour, die schon seit 20 Jahren läuft – total verrückt mit Pop-Punk, Alternative Metal, Rock … einfach ein riesiges Alternative Festival. Und aus irgendeinem Grund sind ALESTORM auch dabei, eine Piraten-Metal-Band inmitten von all diesen Punkbands und es war einfach nur cool … eine komplett andere Welt. 20.000 Leute, die uns alle nicht kannten und uns total gefeiert haben. Das war alles einfach eine total neue und unglaubliche Erfahrung.

Und jetzt seid Ihr wieder in Europa und spielt in den kleineren, gemütlicheren Hallen.

Klein? Ich finde das hier immer noch ziemlich groß, eigentlich …

Ok, Korrektur: Kleiner als auf der VANS Warped Tour und den anderen Festivals, auf denen Ihr spielt. Was magst Du lieber von beidem? Gemütlicher Club oder große Festival-Bühne? 

Ganz ehrlich, die größte Show, die wir dieses Jahr gespielt haben, war auf dem Graspop vor scheinbar 50.000 Leuten – das war einfach verrückt. Ich habe in meinem Leben noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen und das war einfach nur cool, aber weißt du, das hier ist trotzdem einfach das Beste. Wir haben einfach so viel in die gesamte Produktion investiert, das Bühnenbild mit unserer riesigen aufblasbaren Ente und dem ganzen anderen coolen Equipment, das wir dabei haben. Die Show wird einfach nur gigantisch.

Und normalerweise ist es so, dass man, wenn man auf einem Festival unterwegs ist, zwar vor vielen Menschen spielt, aber man eben – wenn man nicht gerade der Headliner ist – trotzdem nicht seine Show machen kann, in dem Fall kann man sich das einfach nicht leisten … aber hier können wir, was diese ganzen verrückten Sachen angeht, einfach durchdrehen und das macht unglaublich viel Spaß.

Ich würde gerne ein bisschen über euer aktuelles Album "No Grave But The Sea" sprechen – Ihr habt ja verschiedene Special Editions gemacht, die quasi alle direkt ausverkauft waren.

Yeah, unsere Plattenfirma liebt es, diese ganzen verrückten Special Editions zu machen, von daher haben wir gesagt: "Na klar, warum nicht?"

Unter anderem gibt es ja die "For Dogs" Edition, da drängt sich natürlich die Frage auf: Warum Hunde? Warum kein anderes Tier und welche anderen Tiere stehen für die kommenden Alben auf der Liste?

Ok, mal vorab: Wir werden etwas Derartiges nie wieder tun – es macht keinen Spaß, den gleichen Witz zweimal zu machen. Aber weißt Du, unsere Plattenfirma ... also Plattenfirmen lieben diese Art von Material, weil Bonusmaterial immer auch bedeutet, dass man mehr Sachen hat, die man verkaufen kann – und Plattenfirmen lieben es, Dinge zu verkaufen.

Ich persönlich bin kein großer Fan von derartigem Bonusmaterial. Normalerweise nimmt man bei sowas ein Akustikalbum auf oder macht ein paar Coverversionen, irgendwie sowas halt, und wir haben uns gedacht: "Was wäre das absolut Dümmste, was wir machen könnten? Lass uns das Album nehmen, die Gesangsparts rausschneiden und dann ein Keyboard nehmen, das "Wuff-Wuff"-Sounds machen kann und damit den Gesang ersetzen!" – Das waren vielleicht fünf Minuten Arbeit …

Also war es im Wesentlichen einfach ein Akt der Rebellion?

Ja genau, aber der Schuss ist einfach mal voll nach hinten losgegangen, denn verdammt noch mal jeder liebt es und spricht ununterbrochen nur darüber …

Wobei so eine Reaktion ja nicht ganz unerwartet kommt ...

Ja, das stimmt. Wir werden heute auch keinen kompletten Song, aber zumindest einen halben Song "for dogs" machen.

Aber dabei bellt ihr nicht selbst, sondern lasst auch das Keyboard bellen, oder?

Oh doch, wir werden bellen. Es werden vier Männer auf der Bühne stehen mit "Wuff-Wuff-Wuff"!

christopher bowes alestormChristopher Bowes von Alestorm

"No Grave But The Sea" ist Euer fünftes Album und endlich gibt es den gleichnamigen Song "Alestorm" – gibt es einen Grund dafür, dass Ihr damit so lange gewartet habt?

Yeah, normalerweise nimmt man sein Debütalbum auf und hat darauf den Song "Alestorm" als ersten Track. Ich weiß nicht, ich habe einfach an diesem Song gearbeitet, die Lyrics geschrieben und gedacht: "Wow, das klingt alles so ein bisschen wie ... fast wie unsere persönliche Hymne – da ist alles drin, wofür wir als Band stehen", und habe mich dann gefragt: "Können wir das bringen? Oder ist das schlecht? Können wir tatsächlich einen Song "Alestorm" haben?"

Und weißt du was – scheiß drauf, lass es uns tun! Wir alle lieben den Song und er macht uns einfach Spaß. Die Sache ist die, es ist nicht einmal ein wirklich typischer ALESTORM-Song, weil er eben auch relativ viel Screaming enthält und generell so viel abgedrehtes Zeug passiert … aber irgendwie funktioniert es einfach – und so haben wir jetzt eben unseren eigenen Themesong.

Du hast bereits erwänht, dass ihr gern mit ungewohnten musikalischen Einflüssen experimentiert – Screaming, Black Metal, etc. Generell sind viele Deiner Kompositionen ziemlich komplex, im Gegensatz zu den oft eher spaßig-simplen Texten. Fühlt Ihr Euch manchmal deswegen nicht ganz ernst genommen bzw. nur auf diesen Spaß-Part reduziert?

Ich schreibe diese lustigen Partysongs einfach gerne. Wir haben in der Vergangenheit zwar auch einige Songs mit komplexeren Texten und seltsamen Themen dabei gehabt, aber die besten Songs, das sind und bleiben einfach die Partysongs – ich hab' beim Schreiben am meisten Spaß und das merkt man auch bei der Reaktion des Publikums: Die Leute drehen einfach durch!

Und genau das ist für uns eigentlich die Hauptsache – man könnte fast sagen, dass wir versuchen, zwei Bands zur gleichen Zeit zu sein. Ich mag es, die doofen, aber lustigen Partysongs zu spielen, aber gleichzeitig haben wir eben auch diese eher ernsten und komplexen Songs mit dichten Arrangements und allen möglichen verschiedenen Einflüssen – und manchmal kann man genau erkennen, wer im Publikum den eher ernsten Kram bevorzugt und wer das andere Zeug ... es ist schon irgendwie schwierig, das alles unter einen Hut zu bekommen, aber wir versuchen unser Bestes!

Als ich mich auf das Interview vorbereitet hab, bin ich über die Ursprungsgeschichte eures Songs "Rumpelkombo" gestoßen. Bitte sag mir, dass die Gerüchte dazu stimmen!

Wir spielen den Song heute sogar – und ja, die Gerüchte stimmen: Wir waren 2009 mit GRAVE DIGGER auf Tour und haben dabei sogar unter anderem auch in dieser Location gespielt. Und naja, GRAVE DIGGER mochten uns nicht … unsere Persönlichkeiten sind, untertrieben gesagt, ziemlich miteinander kollidiert, denn GRAVE DIGGER sind sehr streng und kontrolliert und ernst und wir sind … naja, wir sind halt ALESTORM.

Gerade zu dieser Zeit waren wir einfach absolute Idioten, die dümmsten und verrücktesten partywütigen Kids auf dem Planeten, die sich für nichts interessiert haben, außer ihren Spaß zu haben – und das kam nicht wirklich gut an und wir hatten ziemlich viel Stress miteinander. Sie wurden nicht müde, uns immer wieder zu sagen, "Ihr könnt dies nicht machen, ihr könnt das nicht machen", und dann haben wir schließlich nach der Tour ein Interview mit Chris Boltendahl gesehen, dem Sänger von GRAVE DIGGER, in dem er meinte: "Ja, ALESTORM, das war so eine furchtbare Rumpelkombo", und wir dachten nur: "Was ist das bitte für ein cooles Wort?" – und haben dementsprechend den Song geschrieben.

Eigentlich ist also Chris Boltendahl der offizielle Autor des Songs – und so bekommt er jetzt jedes Mal, wenn der Song gespielt wird oder jemand das Album kauft, einen winzigen Scheck über ein paar Cent von ALESTORM, und das finde ich einfach wundervoll. So wird er uns niemals vergessen. (lächelt selig) Also, die Story ist wahr, das hat sich niemand ausgedacht, man kann sogar im Booklet nachlesen, dass er der offizielle Songwriter ist!

Was für erzählenswerte Interaktionen mit Fans oder anderen Musikern gibt es denn sonst noch?

Ich würde sagen, wir kommen mit den meisten Leuten ziemlich gut klar – wir gehen gerne raus und unterhalten uns mit unseren Fans. Natürlich gibt es da immer ein paar Verrückte, die uns darum bitten, ihre inneren Organe oder so zu signieren, aber niemand ist wirklich furchtbar zu uns. Ich bin mir sicher, dass wir am Ende der Tour wieder einige abgedrehte Stories zu erzählen haben, aber meistens …

Die meisten Fans sind halt ziemlich betrunken, und wenn wir sie dann nach der Show treffen, heißt es oft: "Oh mein Gott, ALESTORM, ihr wart fantastisch – hier, nehmt diese Flasche Rum", und ich denke mir nur, "Verdammt, wenn ich die jetzt trinken würde … ich werde alt … ich bin doch keine 21 mehr … ich kann keine komplette Flasche Rum mehr trinken!"

Du könntest schon – allerdings würdest du bei dem Versuch eventuell sterben …

Ja, und die morgige Show würde darunter leiden … Wir versuchen halt einfach, eine gute Show abzuliefern, denn darum geht es den Leuten ja vordergründig.

Ihr habt einige Songs darüber geschrieben, wer in einem Kampf "Piraten vs. Wikinger" bzw. "Piraten vs. Ninjas" gewinnen würde – natürlich die Piraten. Aber wie sähe das in einem Kampf zwischen Dir, Johan Hegg (AMON AMARTH) und den Mädchen von BABYMETAL aus?

Ach komm, echt jetzt? Johan Hegg ist ein riesiger Kerl und ich … ich wiege vielleicht 70 Kilo und nichts davon sind Muskeln – selbst diese kleinen Mädchen würden mich vermutlich verprügeln und mir einfach die Augen auskratzen oder so. Also ich würde definitiv verlieren – tot auf dem letzten Platz.

Ok, und wer würde gewinnen?

Hegg würde die Mädels vermutlich einfach in der Mitte durchbrechen.

Ihr habt einige Songs über verschiedene Arten von Flüchen geschrieben – "Captain Morgan's Revenge", "Of Treasure" und natürlich "Fucked With An Anchor" – wenn Du die entsprechenden Fähigkeiten hättest: Wen würdest Du verfluchen und wie? Und natürlich warum?

Weißt Du, ich bin ein netter Mensch, ich denke, alle Menschen sind wirklich gut ...

 ... ok, wen würdest du segnen (engl. to bless) ...

Oh, segnen, das ist so ein schönes Wort ... hach ... "Gesegnet seiest du"… Nunja, ich mag eigentlich alle Menschen bzw. versuche, alle Menschen zu mögen, aber manche Leute mögen uns einfach nicht und das macht mich traurig. Vor allem Leute von diversen großen Musikmagazinen – die hassen uns einfach und schreiben teilweise furchtbare Dinge über uns. Die Leute, die dort arbeiten, machen das schon ihr halbes Leben lang und sind so eingefahren und oldschool – und wir sind einfach genau das Gegenteil.

Sie hassen uns einfach. Von daher würde ich jetzt nicht unbedingt weinen, wenn die Bremsen an ihren Autos plötzlich nicht mehr funktionieren und sie eine Klippe herunterfahren würden … sie sind manchmal einfach so gemein zu uns – das macht mich einfach traurig. Wir sind eigentlich wirklich nett und lustig – ich meine, ich wünsche Ihnen jetzt nicht den Tod oder so, aber …

... nur ein paar kleine Verletzungen?

Wir versuchen halt, nett zu sein …

Kommen wir zur letzten Frage: Ich habe bei der Vorbereitung auf das Interview auf einer Seite zu diversen TV Tropes ziemlich viel über Euch gefunden, unter anderem, dass Ihr gerne das so genannte "Downer Ending" verwendet: Man begibt sich auf eine Reise oder Mission, erlebt viele Abenteuer, aber dann stirbt man einen grausamen Tod. Was für eine Lektion wollt Ihr Euren Zuhörern damit mitgeben?

Nunja, ich schreibe wie gesagt gerne diese fröhlichen und positiven Songs, denn weiß Du, ich finde, man muss das bisschen Leben, das man hat, einfach entsprechend ausnutzen, denn am Ende stirbt man ja doch. Von daher kann ich jetzt auch nicht zu fröhlich sein – jeder fröhliche Song endet halt nunmal mit dem Tod, das hat für mich einfach was mit Karma bzw. ausgleichender Gerechtigkeit zu tun.