Geschrieben von Freitag, 08 März 2019 11:00

70000 Tons Of Metal - Der Bericht zur Heavy-Metal-Kreuzfahrt 2019

Mit 70000 Tons of Metal stach auch in diesem Jahr wieder die größte und älteste Heavy-Metal-Kreuzfahrt in See. Das schwimmende Festival mit 60 Bands und etwa 3.000 Besuchern startete 2019 wieder von Ft. Lauderdale in Florida – aber schon vorher war ordentlich Partystimmung angesagt.

Alle Jahre gesellen sich in Miami Beach – zu in aktuellster Ausgehmode gekleideten Strömen von Partyvolk – Horden Langhaariger in alten, schwarzen T-Shirts mit mehr oder weniger leserlichen Aufschriften. Während die unabhängig von der eigentlichen Kreuzfahrt organierten Pre-Parties im Clevelander jedes Jahr professioneller werden – in diesem Jahr mit eigenem (oder zumindest eingens ettiketierten) Bier einer lokalen Brauerei –, bleiben sie doch gemütlicher und familiärer Anlaufpunkt für frische und nicht mehr ganz so frische Kreuzfahrer, um im Kreise neuer und alter Freunde ein paar Bier zu genießen.

Zwar ist das Wetter in diesem Jahr wieder vergleichsweise frisch, aber wenn man beim Frühstück im Hotel dazu beglückwünscht wird, den Regen der letzen Wochen verpasst zu haben, kann man mit Knapp-an-der-Grenze-zu-T-Shirt-Wetter sehr gut leben. Vor allem wenn der Mittwoch, an dem traditionell ab Mittag am Strand gefeiert wird, etwas freigiebiger mit Sonne ist.

Eine Seefahrt

Donnerstags geht es dann endlich Richtung Schiff und dann in See. Die MS Independenc of the Seas, seit 2016 die extrem übergewichtige Heimat der 70000 Tons of Metal, wurde im letzten Jahr modernisiert und hat in diesem Jahr neben Wasserutschen, Trampolin Park und Escape Room auch einen neuen Barbereich unter Deck, der das allnächtliche Karaoke etwas aus seinem Schattendasein holt, ein Sushi Restaurant und mehr Kabinen zu bieten. Insgesamt hat das Schiff dadurch für die täglichen fünf Stunden ohne Konzert deutlich an Unterhaltungswert gewonnen. Andererseits dauert es enttäuschend lang, den neuen Minigolfkurs zu finden.

Nach den in jedem Jahr flüssiger wirkenden Check-In- und Boarding-Prozeduren wird der fast 400 Meter lange Koloss dann auch ausgiebig erkundent, bevor es – nach dem obligatorischen Sicherheitsdrill – in See und für MORS PRINCIPIUM EST und DRAGONY auf die Bühnen geht. Letzteres, um Studio B und die in Star Lounge umbenannte Pyramid Lounge (mit weiterhin recht hyroglyphischem Türsturz) zu eröffnen.

Bei beiden gleichen sich anfängliche Orientierungslosigkeit und Eröffnungseuphorie im Publikum gut aus, sodass sowohl finnischer Melodic Death als auch österreichischer Symphonic Metal vor gefüllten Publikumsräumen stattfinden. Und auch der erste Eindruck beim Ton klingt vielversprechend, vor allem die Pyramid Lounge war in den letzten Jahren etwas schwach. Die Star Lounge scheint sich da, wenn schon nicht in der Deko, zumindest akustisch etwas distanzieren zu wollen.

Die letzte Bühne im Bauch des Schiffes dürfen im Anschluss DELAIN eröffnen. Die immer gut gelaunt wirkenden Niederländer bekommen zu ihrem Symponic Metal auch das neue, etwas größer als das Alhambra wirkende Royal Theater gefüllt. 

Nach den ersten drei Bands verläuft sich das Publikum etwas, nachdem alle mit den Bühnen vertraut sind und es schon fast wieder Zeit für ein Abendessen wird. TÝR im Studio B und DARK FUNERAL im Royal Theather freuen sich trotzdem über volle Hallen und der Eindruck besserer Akustik als im vergangenen Jahr erhärtet sich langsam.

Mit TWILIGHT FORCE kommen dann alte Bekannte in die neue Star Lounge und haben keine Mühe, den kleinen Raum bis zum Ausgang zu füllen. Festhalten lässt sich, dass Alessandro Conti definitiv eine Bereicherung für die Band ist. Nicht nur steht die Band damit gesanglich deutlich solider da, auch die Bühnenroutine, gepaart mit offensichtlicher Begeisterung für das Material der Schweden, reißt das Publikum spürbar mit.

Mit SOULFLY drängen sich Vergleiche zu SEPULTURA auf, die im letzten Jahr zur See gefahren sind. Leider muss man sagen, dass es zwar gerade noch das gleiche Spiel ist, SOULFLY aber in einer deutlich anderen Liga spielen. Muskelkater bekommt man allein vom zusehen, Respekt allen denen, die den Pit überlebt haben und danach noch feiern waren. Leider ist es die einzige Show von SOULFLY auf dem Schiff, der andere Slot wird mit MAX & IGOR CAVALERA RETURN TO ROOTS gefüllt.

Nach einer Umbaupause im Royal Theater, die man bei Bedarf mit BLOODBATH im Studio B füllen kann, geht es dann zum ersten Headliner-Slot der Cruise. Mit ACCEPT gibt es klassischen Heavy Metal aus Deutschland. Gefühlt ist das Royal etwas leerer, als zu SOULFLY – man hätte es für den Headliner aber deutlich schlechter treffen können.

Weiter machen SODOM, die mit der Line-Up-Umstellung zwar nicht unbedingt sympathischer, aber musikalisch – zugegeben – deutlich stärker geworden sind. Dank der seltenen Überseeauftritte der Ruhrpottler sind SODOM so oder so immer Magnet für amerikanisches Publikum, mit dem starken Auftritt sollten sie diesen Status nicht verloren haben.

Währen mich Jetlag und Schlafmangel langsam Richtung Koje ziehen, wird auf der Kommandobrücke Ungewöhnliches entschieden: Um die Poolstage trotz des starken Gegenwindes pünktlich hochzuziehen, gibt es eine Richtungsänderung – und statt gegen den Wind fahren 3.000 Metalheads für vier (?) Stunden dem Rückenwind davon.

Video-Slideshow vom ersten und zweiten Tag (31. Januar – 1. Februar 2019):

Stürmisches auf der Poolstage

Freitag steht dann, trotz ungünstigem Wetter und dank Umweg, die größte seefahrende Open-Air Bühne überraschend pünktlich. Lediglich bei der Höhe hat man sich noch nicht ganz getraut und die Deko-Segel bleiben aus gutem Grund ebenfalls eingepackt.

Eröffnen dürfen GLORYHAMMER, die sich als solider Partymetallieferant etabliert haben. Früh morgens noch nicht ganz das Richtige für jeden, aber mit mittlerweile gut eingespielter Routine, schafft die Band es trotzdem, bei Fans und Neulingen auf die Gute-Laune-Knöpfe zu hämmern. Nach einem späten zweiten Frühstück (oder frühen ersten Mittagessen) geht es dann zu UNLEASH THE ARCHERS im Royal Theather. Die Kanadier sind noch kein Haushaltsname, aber auch kein Geheimtipp mehr und die Show lässt wenig zu wünschen zu übrig.

Den ersten Schock des Tages gibt es auf dem Weg zu ARKONA auf dem Pooldeck. Es fälllt unerklärlicherweise Wasser vom Himmel, was den Auftritt der Russen deutlich verzögert. Ein Blick gen Steurbord zeigt dann aber, dass man es deutlich ungemütlicher hätte treffen können. Ein weiterer Umweg für einen halbwegs trockenen Nachmittag ... 

Weil es auf dem Pooldeck noch Regen statt ARKONA gibt, geht der Weg in das gemütliche Royal Theater, um PESTILENCE beizuwohnen. Die alteingesessene niederländische Death-Truppe hat nicht nachgelassen und bringt ordentlich Bewegung ins sowieso schon leicht schaukelnde Publikum.

Nachdem sich die Poolstage mit etwa 20 Minuten Verspätung eingependelt hat, geht es an SUBWAY TO SALLY vorbei zu einem späten zweiten Mittagessen – oder frühen ersten Nachmittagssnack. Positiv fallen die englischen Ansagen vor internationalem Publikum auf, eine Verbesserung zum letzen Besuch der Potsdammer auf der Independence of the Seas.

VAN CANTO scheinen zu Anfang eher als Kuriosität wahrgenommen zu werden, die man sich wie das Dreiköpfige Kalb im Einmachglas einmal im Vorbeigehen angesehen haben muss, um zu Hause etwas Gruseliges zu Erzählen zu haben. Live und in kleinen Dosen ist der (mit ein paar Änderungen im Line-Up seit meinem letzten Live-Ausflug etwas runder gewordene) A-Capella-Metal aber dann doch irgenwie noch mitreißend und es dauert nicht lange, bis sich das Publikum mitreißen lässt.

Mit KALMAH geht es mit mehr oder weniger ungewöhnlichen Dingen weiter. Die Finnen, die es aufgrund sparsamer Livetermine auf den Zeitplan vieler Melo-Death-Fans geschafft haben, können die Vorfreude in einem vollen Royal Theather umsetzen und dabei zeigen, was für eine Verschwengung es ist, dass sie nicht öfter auf der Bühne stehen.

Nach einer Verschnaufpause – während der ENSIFERUM den allgemeinen Berichten anderer Kreuzfahrer nach eine überraschend gute und motivierte Show abgeliefert haben – geht es auf dem Pool Deck weiter mit KAMELOT. Die Amerikaner sind immer eine solide Empfehlung für zwischendurch, allerdings fehlt mir auf Dauer ein bisschen das gewisse Extra.

Als erster Healiner des Abends gehen ELUVEITIE auf die Pool Bühne und haben als Überraschung direkt einige Titel des kommenden (?) Albums ins Set gemischt. Es mag am sich ändernden Geschmack liegen, aber gefühlt habe ich die Schweizer schon deutlich stärker gesehen und auch die Vorschau überzeugt mich auf den ersten Blick nicht wirklich. Die allgemeine Stimmung ist trotzdem extrem ausgelassen, vor allem zu den alten Titeln.

Danach geht es direkt weiter mit dem dritten Headliner der Kreuzfahrt. RAGE & THE LINGUA MORTIS ORCHESTRA spielen das komplette titelgebende Album – und das in beeindruckender Qualität. Und wie immer in den letzten Jahren ist es neben der Musik fast noch das schönere Erlebnis zu sehen, wie wohl sich die Band zusammen auf der Bühne fühlt. Definitiv eine Show, die man gesehen haben sollte.

Sonne, Sand und Meer

Der Samstag – der Tag zum Entspannen am Strand, bevor es an die zweite Show pro Band geht – findet in diesem Jahr wieder an einem Privatstrand von Royal Caribbean auf Haiti statt. Glücklicherweise ist es der erste Tag ohne Wolken und Wind. Und so wird, während fröhliche Metalheads den Strand und die Bars stürmen, die Open Air Bühne zu ihrer vollen Pracht ausgefahren. Eröffnen dürfen DELAIN, während sich die 70000 Tons of Metal langsam, aber ohne Umwege zurück Richtung Florida machen.

Deutlich düsterer wird es mit DARK FUNERAL und nach einem Abendessen gestärkt dürfen SODOM das Pool Deck verwüsten, bevor es mit RAGE und dem LINGUA MORTIS ORCHESTER wieder etwas gemütlicher wird.
Unter Deck wird derweil die große Bühne des Royal Theater voll ausgenutzt, während "Barney" Greenway von NAPALM DEATH versucht, einen Martathon in unter einer Stunde zu laufen und zu hüpfen. Parallel entpuppen sich im Studio B die Dänen von SVARTSOT als persönliche Folk-Metal-Neuentdeckung.

Auf dem Polldeck laden danach TIAMAT zur "Wildhoney Show" und lassen das gleichnamige Album aufleben.

Wenn die Leute sich verändern, ist es fast schon wieder vorbei

Der letzte Tag beginnt mit VISIONS OF ATLANTIS bei strahlendem Sonnenschein. Michele Guaitoli macht seinen Job als neue männliche Stimme wie erwartet routiniert gut und beim ersten Kaffee kann man es deutlich schlechter treffen, als mit dem glatten, symphonischen Metal der Österreicher. Mit TRISTANIA geht es dann in die gleiche Richtung weiter, bevor es zum traditionellen Wettkampf der dicken Bäuche kommt:

Der Bellyflop Contest ist der alljährliche Wettkampf, bei dem Wasserverdrängung und ästhetische Schmerzlosigkeit belohnt werden. Als besonders motivierter Richter tut sich in diesem Jahr Sean Tibbetts von KAMELOT hervor, der mit Robe, Allongeperücke, Hammer und Steampunkbrille als einziger in einem der Situation angemessenen Ornat erschienen ist. Die Siegermedallie für den spektakulärsten Bauchplatscher geht in diesem Jahr nach Deutschland, eine späte, aber wohlverdiente Entschädigung für das Fußballdebakel in Russland.

Mit dem Bellyflop Contest wird dann auch langsam die Zeit für das traditionelle Kostümschaulaufen eingeleutet und so findet man sich in Buffetschlangen oder im Publikum immer häufiger neben Wikingern, Zombies, Meerungfrauen und Jesus wieder. Wer nicht aufpasst, wird von einer Horde riesiger Pikachus umgerannt.

Ebenfalls alt eingesessen ist der All Star Jam, bei dem bunt gemischte Haufen Musiker sich an Klassikern aus Rock und Metal vergehen. Die Moderation übernehmen in diesem Jahr Charlotte Wessels (DELAIN) und Alex Krull (ATROCITY) für den verhinderten Jeff Waters (ANNIHILATOR), dem die Ehre üblicherweise gebührt. Allerdings muss man feststellen, dass es in diesem Jahr etwas weniger interessierte Zuschauer gibt. Das muss aber nicht zwangsläufig an der Moderation liegen, für mich persönlich ist die Songauswahl in diesem Jahr deutlich schwächer als in der Vergangenheit.

Weiter geht es im Anschluss mit NEKROGOBLIKON, die zwar ganz unterhaltsam sind und auch Stimmung verbreiten, von dem namengebenden und viel beworbenen Goblin bin ich allerdings etwas enttäucht. Ein bisschen musikalische Beteiligung hätte man dem grünen Cheerleader durchaus zumuten können.

Positiv überrascht haben mich hingegen ARKONA. Nach der letzten Live-Begegnung mit den russischen Folk-Metallern habe ich viel Zeit erfolglos damit verbracht, die Truppe auch auf Band zu mögen. Der Live-Vergleich zeigt, dass auf Band einfach die unbändige Energie fehlt, die Frontfrau Maria Archipowa auf der Bühne ausstrahlt. Ein fesselndes Erlebnis, mit dem Aufnahmen leider nicht mithalten können.

Mit MAX & IGOR CAVALERA RETURN TO ROOTS gibt es an der frischen Luft dann die Entschädigung für den fehlenden zweiten SOULFLY-Auftritt: Auf dem vollen Oberdeck wird nochmal ordentlich abgeräumt vom Cavalera Familienzirkus, und auch hier muss man leider sagen, dass es eine Nummer über den schon großartigen SEPULTURA vom letzten Jahr steht.

Mit einer soliden Darbietung von ACCEPT klingt die Kreuzfahrt dann langsam aus, übrig bleiben danach nur die alljährliche Ansprache des Skippers und 45 Minuten FLESHGOD APOCALYPSE, bevor es mit viel Karaoke zurück in den Hafen und die harte Realität geht.

Video-Slideshow vom zweiten und dritten Tag (2. – 3. Februar 2019):

Ausblick aufs nächste Jahr

Die schlechte Nachricht ist, dass die 70000 Tons of Metal wieder vorbei sind. Die gute, dass es diese Runde einen Monat weniger zu warten gibt. Vermutlich, um dem Superbowl (der im nächsten Jahr am gewohnten Kreuzfahrtwochenende in Miami stattfinden wird) aus dem Weg zu gehen, wird 70000 Tons of Metal vom 7. bis 11. Januar 2020 stattfinden. Ziel wird, wie bei der ersten Ausgabe der 70000 Tons im Jahr 2011, Cozumel in Mexico sein. Mein Urlaub ist schon eingereicht.

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