"Clean Your Clock", aufgenommen auf der Tour zu "Bad Magic" am 20. und 21. November 2015 im Zenith in München, ist das Live-Vermächtnis von MOTÖRHEAD. Dass eine der größten und bedeutendsten Rock-Ikonen unserer Zeit nur einen Monat später, kurz nach ihrem 70. Geburtstag, von uns gehen würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand.
Zum Glück war die Band so geistesgegenwärtig, die Tour zum 40. Jubiläum MOTÖRHEADs festzuhalten. Das Livematerial erscheint in verschiedenen Formaten (DVD und Blu-ray, jeweils separat oder mit CD, separate CD, Vinyl, Boxset). Und obwohl es zwischendrin wirklich weh tut, die ausgezehrte Rock-Ikone, die mit zusammengepressten Augen ihren Hals empor reckt, um teils sehr undeutliche Vocals ins Mikro keucht, auf der Bühne zu sehen, ist es eine wichtige Veröffentlichung. Einige Fans meinen, dass Lemmy solch einen Mitschnitt nicht gewollt hätte. Ich glaube, unter diesen Umständen hätte er eine Ausnahme gemacht, zumal MOTÖRHEAD auch aus Phil Campbell und Mikkey Dee bestanden, die hinter "Clean Your Clock" stehen.
Zum Glück bessert sich der Eindruck von Lemmy nach den ersten zwei, drei Nummern, auch wenn er die ganze Zeit wie festgenagelt an seinem Platz steht. Selbst in seinem mitgenommenen Zustand und mit wenigen Ansagen schafft Lemmy es, einen zum Grinsen zu bringen – etwa wenn er "Rock It" von "Another Perfect Day" ankündigt und zustimmenden Rufen süffisant und mit überraschtem Blick "Oh! Didn't buy it then, did you?" entgegnet. Oder wenn er dem Publikum mit Wasser zuprostet und ein gut vernehmliches, sarkastisches "Ahhhh!" hören lässt.
Die Setlist der "Bad Magic"-Tour umfasste die gleichen Standards wie die Gigs der letzten Jahre ("Bomber", "Stay Clean", "Metropolis", "Over The Top", "The Chase Is Better Then The Catch", "Ace Of Spades", "Doctor Rock", "Just Cos' You Got The Power", ...), inklusive Gitarrensolo von Campbell und Drumsolo von Dee, die seit gefühlten fünf Jahren gleich klingen. Zusätzlich wurde mit "When The Sky Comes Looking For You" immerhin eine Nummer des aktuellen Studioalbums performt, "Lost Woman Blues" von "Aftershock" hätte man nicht unbedingt erwartet, und überraschend kamen das drückende, fiese "Orgasmatron" sowie der punkige Kracher "No Class" nach etlichen Jahren mal wieder live zum Zuge. Mit dem "Whorehouse Blues" wird's am Ende für ein paar Minuten gemütlich, bevor als allerletzte Zugabe "Overkill" nach 80 Minuten die Aufnahme beschließt.
Wie bereits angesprochen, ist die Performance von Lemmy krankheitsbedingt ziemlich mäßig. Der knarzige Bass passt, wenn auch das Solo in "Stay Clean" ziemlich schludrig ist. Die Vocals klingen oft dünn und kraftlos, gut hörbar vor allem in "Doctor Rock", das extrem gepresst wirkt. Dass Lemmy die Tour überhaupt durchziehen konnte und alles, was in seinem Rahmen möglich war, auf der Bühne gab, nötigt einem jedoch allergrößten Respekt ab. Campbell und Dee machen ihren Job wie immer gut, selbst wenn sich hier und da mal ein kleiner Spielfehler einschleicht.
Das Bild setzt seinen Fokus auf Lemmy, zeigt aber auch Phil und Mikkey ausreichend oft und glücklicherweise nicht nur den Bruchteil von Sekunden. Der Schnitt ist allgemein zwar recht schnell, aber richtig hetkisch wird's eigentlich nicht. Auffällig sind die zahlreichen Aufnahmen vom Publikum und die Totalen der Bühne, die die Lightshow und den Bomber gut in Szene setzen. Besonders zu Beginn des Konzerts ist das sehr beeindruckend. Der Sound ist pur, unverfälscht und laut – zumindest auf der CD und der Stereo-Spur der DVD. Der 5.1-Spur fehlt vor allem bei den Drums leider ein wenig der Wumms, auch werden die hinteren Speaker kaum bedient. Es mag nicht jedem schmecken, dass so viele, teils echt fiese Feedbacks zu hören sind; ich persönlich finde es klasse, weil die unglaublich laute und intensive Bühnenpräsenz des Trios hier voll zur Geltung kommt. Dieser Sound ist wirklich live!
Neben dem Konzert enthält die DVD/Blu-ray ein 20-minütiges Bonusfeature, das hauptsächlich aus einem Interview mit Lemmy (vermutlich ebenfalls aus München) und lobenden Worten seiner Kollegen Campbel (was für ein hibbeliger Typ) und Dee sowie der Vorbands SAXON und GIRLSCHOOL besteht. Schade, dass keine englischen Untertitel vorhanden sind, denn Lemmys genuschelte Ausführungen sind oft auch durch mehrmaliges konzentriertes Zuhören kaum nachzuvollziehen. Es reicht aber immerhin, um ein paar nette Anekdoten des knarzigen Rockidols zu hören (Aliens!).
Ein Wort noch zum Package der DVD/CD-Version: Hier hat sich Universal bei der Aufmachung richtig viel Mühe gegeben. In einem Schuber stecken ein dickes Booklet mit vielen Fotos während, vor und nach der Show, CD und DVD (jeweils in separaten, bedruckten Papphüllen) befinden sich in einer aufklabbparen Hülle mit einem Popup der Bühne. Ich nehme an, dass die BD/CD-Version genauso aufgemacht ist. Richtig gut zur Geltung kommt die aufklappbare Bühne aber erst mit der Vinyl-Version. Papierqualität und Druck sind erste Sahne. Wirklich sehr schön umgesetzt!
Ja, es gibt stärkere Live-Dokumente der Briten. Aber auch deutlich schwächere. "Clean Your Clock" zeigt eines der letzten MOTÖRHEAD-Konzerte und ist deshalb wertvoll. Selbst, wenn man das Bild des hageren, angestrengten Frontmanns nicht mehr so schnell los wird, sollte man eins bedenken: Diese DVD/Blu-ray soll nicht zeigen, wie krank Lemmy bei seinen letzten Auftritten war. Sie soll zeigen, dass er trotz seiner gesundheitlichen Probleme nicht daran dachte, sich von der Bühne fern zu halten, sich aufrappelte, um seine Fans zu beglücken, die ihn auf einer Welle der Euphorie durch die Gigs trugen.
Wer sich das nicht antun kann oder will, sollte zu "Stage Fright" greifen oder sich den Rockpalast-Mitschnitt aus Düsseldorf 2014 ansehen. Wer erleben möchte, wie Lemmy trotz allem ein letztes Mal mit Leib und Seele rockt, muss sich "Clean Your Clock" zulegen.
"The Chase Is Better Than The Catch":
"Bomber":
"When The Sky Comes Looking For You":
"Overkill":
Chrischi
Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten
Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...