Im Gegensatz zur 2020 in der aktuellen Bandbesetzung (vom Original-Line-up ist nur noch Gitarrist Brian Tatler übrig) neu eingespielten Version zeigt die Neuauflage der originalen Aufnahmen nicht das weiße Cover, das der Scheibe den Beinamen "The White Album" gab, sondern ein neues, recht buntes und modernes Artwork, das Tatlers Vorstellung des "The Lightning God" aufgreifen soll. Das ist Geschmackssache – auffällig ist es allemal.
Im Booklet finden sich viele Bilder, alle Songtexte und interessante, mal sehr nüchterne, mal mit typisch britischem Humor versehene Liner Notes von Brian Tatler, der die Entstehung des Albums zu rekapitulieren versucht. Dabei spielt auch METALLICA-Drummer und bekennender NWOBHM-Fan Lars Ulrich eine Rolle, der seinerzeit dabei geholfen hat, die originalen Master Tapes wiederzubeschaffen.
Rohe, pure NWOBHM-Power mit gehörigem Einfluss
Überhaupt, METALLICA: Welchen Einfluss alleine "Lightning To The Nations" auf die Metal-Giganten hatte, wird bei einem Blick auf die Trackliste der fantastischen Cover-Compilation "Garage, Inc." deutlich. Mit "The Prince", "Helpless", "It's Electric" und natürlich "Am I Evil?" wurde einst mehr als die Hälfte (!) des DIAMOND-HEAD-Debüts von den Thrashern aus San Francisco neu interpretiert.
Das alleine ist kein Qualitätsmerkmal. Gerade Lars Ulrich ist bekannt dafür, Fan recht obskurer Underground-Kapellen gewesen zu sein. In diesem Fall ist es aber wohl eines der größten Komplimente, die man bekommen kann. Wenn die bekannteste Metal-Band der Welt deine Songs spielt und dich als Einfluss angibt, musst du etwas richtig gemacht haben.
Ob sich der von den originalen Tapes aufpolierte Sound merklich von dem des Originals unterscheidet, kann ich nicht beurteilen. Das Material klingt auch mehr als 40 Jahre nach den Aufnahmen, die innerhalb von einer Woche abgeschlossen waren, roh, pur und unverfälscht. Die Neueinspielung der Klassiker wirkt deutlich fetter und bissiger.
Das Songmaterial selbst spiegelt die ungezügelte Spielfreude, Leidenschaft und Kreativität der Band, die schon in frühen Jahren fleißig an eigenen Nummern werkelte, wider. Beeinflusst vom harten Rock der Siebziger und der aufkommenden Punk-Szene hatten DIAMOND HEAD 1980 ihren ganz eigenen Stil gefunden, der wiederum die größte Metalband der Welt nachhaltig beeinflusste.
Die Songs von "Lightning To The Nations": Immer noch eine Klasse für sich
"Am I Evil?" kennt jeder Metalfan. Der diabolische Einstieg mit seinen Stakkato-Gitarren, das folgende unverkennbare Riff, der simple, dennoch ausladende Refrain und das temporeiche, von zig Soli durchbrochene Ende sind legendär. Das hektische "Helpless" zeigt den größten Punk-Einfluss, "The Prince" geht einfach nur geil nach vorne, und auch "It's Electric" rockt schwer auf ganz unnachahmliche Weise.
Der Titeltrack "Lightning To The Nations" geht trotz ungewöhnlicher Struktur schon nach wenigen Durchläufen ins Ohr, "Sweet And Innocent" ist nicht minder hörenswert. "Sucking My Love" ist die opulente Spielzeit von mehr als neun Minuten nicht anzumerken, denn DIAMOND HEAD machen hier, was sie sowieso das ganze Album über tun: sich selbst mit grandiosen Riffs, Soli, Bassgetöse und donnernden Drums, gekrönt von Seah Harris' schneidenden Vocals, ein Denkmal zu setzen. "Lightning To The Nations" ist spontan, kreativ und stürmisch, melodisch, denkwürdig und professionell – und sollte deshalb jedem Metalfan, der etwas mit den Anfängen der Metal-Szene in Großbritannien zu tun haben will, bekannt sein.
Die alternativen, "Lost Original Mix" getauften Abmischungen von einigen der Songs sind bislang unveröffentlicht und für Hardcore-Fans definitiv interessant, für mich aber eher eine nette Beigabe als Haupt-Kaufgrund. Die auf der zweiten CD ausgelagerten sieben Singles, die als B-Seiten oder separate Releases mit direktem Kontext zu "Lightning To The Nations" stehen, sind hinlänglich bekannt. Dass sie inkludiert wurden, ist konsequent. Absolut essentiell sind sie hingegen nicht.
Unveröffentlichte Mixe als Haupt-Kaufgrund?
Wer bereits einen der Re-Releases mit den bekannten Boni der zweiten CD sein Eigen nennt und auf die Aufmachung pfeift, kann guten Gewissens einen Bogen um diesen Re-Release machen. Wen die bisher unveröffentlichten alternativen Mixe reizen, erhält mit "Lightning To The Nations (Remastered 2021)" ein umfangreiches Paket, das sein Geld definitiv wert ist. Das gilt erst recht für diejenigen, die DIAMOND HEAD bislang nur aus dem METALLICA-Kontext kennen und die NWOBHM-Legende jetzt (neu) entdecken möchten. Es lohnt sich!
"Lightning To The Nations (Remastered 2021)" Trackliste:
CD 1
Lightning To The Nations
The Prince
Sucking My Love
Am I Evil?
Sweet And Innocent
It’s Electric
Helpless
Lightning To The Nations (Lost Original Mix)
The Prince (Lost Original Mix)
Sucking My Love (Lost Original Mix)
Am I Evil? (Lost Original Mix)
Sweet And Innocent (Lost Original Mix)
CD 2
Shoot Out The Lights
Streets Of Gold
Play It Loud
Waited Too long
Diamond Lights
We Won’t Be Back
I Don’t Got
DIAMOND HEAD Line-up 1980:
Sean Harris: Vocals
Brian Tatler: Guitar
Duncan Scott: Drums
Colin Kimberley: Bass