Avantasia - The Mystery Of Time Tipp

Avantasia - The Mystery Of Time
Manchmal bewahrheitet sich der Spruch, dass Totgesagte länger leben. Eigentlich wollte Tobias Sammet sein im Jahr 2000 gestartetes Projekt AVANTASIA nach drei Millionen verkauften Tonträgern, einer halben Million Zuschauer auf der Tour 2008 und einem Headliner-Auftritt auf dem Wacken Open Air 2011 aufgeben, doch die Ideen sprudelten immer weiter aus dem Fuldaer heraus. So beschert uns eine glückliche Fügung das bereits sechste AVANTASIA-Studioalbum mit dem Titel "The Mystery Of Time", auf dem sich mit seinen Gastmusikern und Sängern selbst übertroffen hat.

"Angel Of Babylon" und "The Wicked Symphony" besaßen trotz ihrer Klasse im Rückblick ein paar Längen, die man auf "The Mystery Of Time" nicht mal mit der größten Lupe finden kann. Die Produktion, das Artwork, die Texte, die Leistung sämtlicher Musiker und Sänger und vor allem der durchdachte, immer noch frische Mix aus Power Metal, Melodic Metal, Melodic Rock und einer ordentlichen Portion Bombast und Epik nehmen es problemlos mit den besten Momenten der bisherigen AVANTASIA-Geschichte auf. Neu dabei sind als Vokalisten Joe Lynn Turner, Biff Byford (SAXON), Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) und Eric Martin (MR. BIG), die Instrumentalfraktion wurde um Bruce Kulick (Gitarre), Arjen Lucassen (ebenfalls Gitarre), Ferdy Doernberg (Hammond) und Russel Gilbrook (Drums) ergänzt. Nach wie vor an Bord sind Sascha Paeth, Oliver Hartmann, Cloudy Yang und Bob Catley, die dafür sorgen, dass man sich als AVANTASIA-Fan auch auf "The Mystery Of Time" sofort wie zu Hause fühlt. Durch die Verpflichtung des renommierten Babelsberger Filmorchesters ist der Titelzusatz "A Rock Epic" übrigens wörtlich zu nehmen. Im nachhinein verwundert es, dass Sammet nicht schon viel früher über ein komplettes Album mit einem vollständigen, echten Orchester zusammengearbeitet hat. Tobi Sammet ist dadurch der beste Streich seit den beiden "The Metal Opera"-Teilen gelungen. Es ist wichtig, "The Mystery Of Time" in seiner Gesamtheit zu betrachten und nicht von einzelnen Songs auf das komplette Album zu schließen. Ansonsten würden sich einige Fans nach der Single-Auskopplung "Sleepwalking" wohl nicht weiter mit dem Rest des Outputs beschäftigen wollen. Das leidenschaftliche Duett mit Cloudy Yang (was für eine Stimme!) ist der mit Abstand poppigste Song, den Tobi jemals geschrieben und aufgenommen hat. Ich finde ihn auch dank seines Gänsehaut-Refrains einfach fantastisch; viele, die bereits "Lost In Space" verfluchten, könnten mit "Sleepwalking" allerdings große Probleme bekommen. Die restlichen Tracks kann man mehr oder weniger schnell als typische AVANTASIA-Nummern erkennen, wobei der Fokus an einigen Stellen mehr auf eine bombastische, rockige Richtung als auf den letzten beiden Alben gelegt wird. "Black Orchid" zum Beispiel ist eine solche Nummer, bei der das Filmorchester einiges zu tun hat und der Chorus epische Ausmaße annimmt. Dabei ist das Verhältnis von Band und Orchester immer sehr ausgewogen; ein solch symphonisches Bombast-Feuerwerk wie auf den letzten beiden NIGHTWISH-Alben würde auch gar nicht zu Tobi passen. Der Opener "Spectres" hingegen bietet vom Intro über die zurückhaltenden Elemente bis hin zum explodierenden Chorus und einer gewissen Dramatik einfach alles, was man so an AVANTASIA liebt.

Das flotte, positive "The Watchmakers Dream" mit seinem hochmelodischen Beginn, die beiden Zehnminüter "Savior In The Clockwork" (diese Gänsehaut-Stelle nach acht Minuten!) und "The Great Mystery", der schnelle Kiske-Hammer "Where Clock Hands Freeze" in feinster "Metal Opera"-Tradition oder der Doublebass-Ohrwurm "Invoke The Machine" mit einem Ronnie Atkins in Bestform – Tobi Sammet zieht alle Register seines Könnens und sorgt mit Elementen aus allen AVANTASIA-Phasen dafür, dass "The Mystery Of Time" ein abwechslungsreiches, eingängiges und episches Rock/Metal-Album allerhöchster Güte geworden ist. Nur zwei Dinge muss sich Sammet als Kritik gefallen lassen: Einmal das Fehlen der bezaubernden Amanda Somerville, und schließlich der viel zu schnelle Fade-Out bei "Sleepwalking", bei dem ich gerne noch mehr von Cloudy Yang gehört hätte. Bleibt am Ende die Frage: Wer war noch mal EDGUY?