Geschrieben von Sonntag, 19 Dezember 2010 11:04

Noch schneller, noch höher, noch mehr Weidner?

Der W AutonomieSeit Anfang Dezember ist es draußen, das neue Album von DER W, seines Zeichens ex-Bandleader und -Bassist der 2005 aufgelösten BÖHSEN ONKELZ. Sein Solodebüt "Schneller, höher, Weidner" wurde 2008 mit Spannung erwartet und stellte sich schnell als großer Erfolg mit einer ausverkauften Tour und einem Support-Slot für MOTÖRHEAD heraus. Das Album erinnerte durchaus an die Spätphase der ONKELZ ("Dopamin", "Adios"), klang dabei allerdings auch deutlich anders und vielschichtiger. Vor allem musste sich erst einmal zeigen, wie Weidner seine neue Position als alleiniger Sänger ausfüllen konnte, was sowohl auf dem Album als auch live der Fall war.


Nun also "Autonomie", von dem nichts weiter erwartet wurde, als dass es das sehr hohe Niveau des ersten DER W-Albums halten könne - am besten aber noch schneller, noch höher, eben noch mehr Weidner. Nach dem Ausstieg Rupert Keplingers ist Dirk Czuya der einzige Gitarrist, der zudem an einem Großteil des neuen Songmaterials mitgearbeitet hat. Obwohl Weidner bezweifelt, dass sich dies auf das Songwriting ausgewirkt hat, wird dem Hörer schon beim ersten Durchgang bewusst, dass "Autonomie" deutlich experimenteller, variabler und irgendwie anders ist als "Schneller, höher, Weidner". Auf dem Debüt gab es mit "Schatten", "Angst" oder "Liebesbrief" zwei, drei Nummern, mit denen ich mich auch heute noch schwer tue (obwohl sie live prächtig funktionieren, wie die DVD "Von A nach W" zeigt). Die extrem starken Momente wie die Single "Geschichtenhasser", das grandiose "Tränenmeer" oder das balladeske Trio "Zwischen Traum und Paralyse" (emotionaler Höhepunkt), "Asche zu Asche" und "Ein Lied für meinen Sohn" überwogen und zeigten einen Stephan Weidner, der genau wusste, was er tat.

Auf "Autonomie" zeigt sich Weidner textlich gereift, kreiert wunderbare Texte und wirft mit Wortspielereien um sich, dass es eine wahre Freude ist. Eine Textzeile wie "Endlich allein, nicht mal mein Schwanz will bei dir sein / Lieber Urlaub mit Stalin als dich zur Gemahlin" ist unerreicht. Die Lyrics sind ehrlich, verspielt, klangstark und besitzen nicht mehr ganz dieses Pathos, das sich wie ein roter Faden durch die ONKELZ-Texte zog und auch auf dem W-Debüt noch teilweise zu hören war.
Musikalisch allerdings tue ich mich nach wie vor schwer mit "Autonomie". Es gibt einige tolle Songs wie den flotten Opener "Nein, nein, nein", das dreckige "Machsmaulauf" mit Mikkey Dee (MOTÖRHEAD) an den Drums, "Sekte oder Selters", "Schlag mich" (wieder eine Nummer, in der Weidner das Thema Vergewaltigung/Missbrauch perfekt beschreibt) oder das todtraurige "Der Hafen" und überraschend hörenswerte Momente wie den überdrehten, an Nina Hagen erinnernden Gesang in "Mamas kleines Monster" und den Background-Gesang von Sängerin Yen in "Niemand hier" sowie Bläser und Ska, Swing, Funk, Rock, Metal und Elektro. Die stilistische Vielfalt ist aber Fluch und Segen zugleich, da die CD einige Zeit lang überbordend, zu umfangreich und zu verspielt klingt, um wie das Debüt vom ersten Moment an richtig zu zünden. Mit "Sterne" findet sich auch hier wieder eine wunderschöne Ballade, leider ist sie aber auch die einzige, die zudem nicht ganz an die ruhigen Songs von "Schneller, höher, Weidner" heran reicht. "Fleisch" ist zwar mit einem mutigen Text versehen, bedient sich aber zu sehr bei RAMMSTEIN und ESCHENBACH, dem Projekt, das Weidner produziert hat. "Kleine weiße Lügen" schließlich pendelt ständig zwischen einer absolut fürchterlichen Nummer (die verfremdeten Vocals klingen wie Jan Delay) und beachtlich grenzdebilem Antikoks-Song – je nach Tagesstimmung und Gefühl.

Irgendwie werde ich auch nach dem 10. und 15. Durchgang und trotz der zahlreichen guten Momente nicht hundertprozentig glücklich mit "Autonomie". Das auf weniger Stile reduzierte (aber auch schon mit Elektroparts versehene) "Schneller, höher, Weidner" klang einfach rockiger, hatte mehr Eier, die besseren Hits und die etwas bessere Verpackung (schickes Digipack mit schwarzer CD und gleich zwei Booklets), obwohl sich DER W auch beim Äußeren seines zweiten Albums (erneut ein Digipack inkl. Sticker und fettem Booklet mit Linernotes zu jedem Song) nicht hat lumpen lassen.

Ich freue mich auf das Konzert in Dortmund (wer sich ernsthaft darüber beschwert, dass es die Konzertkarten nur exklusiv bei EMP mit der neuen CD zum selben Preis der Einzeltickets für andere Shows zu kaufen gibt, ist eh nicht mehr ganz frisch), bin aber ein bisschen skeptisch, wie die Setliste ausfallen wird. Vielleicht braucht "Autonomie" einfach mehr Zeit, vielleicht zündet es irgendwann mit diesem "Aha!"-Effekt – aber noch bin ich ein wenig enttäuscht und ziehe "Schneller, höher, Weidner" der neuen Scheibe vor...
Chrischi

Stile: Metal und (Hard) Rock in fast allen Facetten

Bands: Metallica, Pearl Jam, Dream Theater, Iron Maiden, Nightwish ...