Seit gestern Abend verhalte ich mich irgendwie merkwürdig. Ich fange scheinbar grundlos an zu lachen, pfeife vor mich hin und habe das dringende Bedürfnis, mir einen Hut aus Zeitungspapier auf den Kopf zu setzen und Konfetti in die Luft zu werfen.
Der Grund dafür: Die Premiere von Richard o’ Brians extravaganter Rocky Horror Show im Hamburger Schauspielhaus.
In der knallbunten, lauten und skurrilen Neuinszenierung des Kult Musicals bleibt kein Auge trocken. Und das ist ausnahmsweise wörtlich zu nehmen, denn ein Großteils des Publikums hat seine Hausaufgaben gemacht und ist mit Säckeweise Requisiten angerückt. Wasserpistolen sorgen immer wieder für mehr oder weniger freiwillige Duscheinlagen, Konfetti und Klopapierrollen wirbeln zusammen mit Spielkarten durch die Luft und Feuerzeuge erleuchten den Raum.
Für diejenigen unter euch, die innerhalb der letzten 28 Jahre nicht dem Kult um die transsexuellen Außerirdischen verfallen sind, einige Worte zum Stück. Im Grunde geht es um folgendes: Ein frisch verlobtes Paar hat in einer regnerischen Nacht eine Reifenpanne und ist auf der Suche nach einem Telefon. Durch Zufall gelangen Sie zu einem Schloss, welches von einer „Familie“ Außerirdischer vom Planeten Transsexual bewohnt wird. Schlossherr ist der schillernde Wissenschaftler Dr. Frank N. Further, der stark an einen gewissen Dr. Frankenstein auf dem Christopher Street Day erinnert.
Further präsentiert just in dieser Nacht seine neueste Kreatur: Den blonden, muskelbepackten Jüngling Rocky, der mehr durch körperliche als geistige Fähigkeiten überzeugen kann und zum Vergnügen des Wissenschaftlers kreiert wurde. Zusammen mit seiner Schöpfung führt er das prüde Pärchen in Versuchung, legt sich mit dem im Rollstuhl sitzenden Dr. Scott „HU!“ an und bringt seinen früheren Toy-Boy Eddy „Shhht!“ um.
Klingt komisch? Ist es auch, und zwar saukomisch. Aber nicht nur das Stück und die tolle Besetzung laden dazu ein, sich grandios zu amüsieren. Die Besonderheit ist das Zusammenspiel mit dem Publikum. Innerhalb der letzten Jahrzehnte haben sich immer mehr Bräuche entwickelt, die von den Zuschauern geradezu zelebriert werden. Dazu gehören unter anderem laute "Boring!"-Rufe, sobald der Erzähler (in Hamburg von Sky Du Mont gespielt) die Bühne betritt, das Nachstellen der Regennacht durch den Inhalt unzähliger Wasserpistolen, das Mittanzen zum Megahit "Time Warp" und natürlich das Verkleiden als Transvestit oder Dienstmädchen.
Nach viel zu kurzen 1,5 Stunden schließt sich der Vorhang nach einer Zugabe zum letzten Mal, und eine Horde von nassen, mit Strapsen bekleideten Männern und zylindertragenden Frauen, die versuchen, sich Reis aus den Haaren zu pulen, machen sich wieder auf den Weg nach Hause. So wie die Aliens im Stück.
Fazit: Zwar nicht ganz günstig, aber in jedem Fall ein tolles Erlebnis, welches ich euch als Kulturbotschafterin *hüstel* unbedingt empfehlen möchte.
Weitere Termine in 2011:
26.07. – 21.08.2011 Hamburg – Schauspielhaus
23.08. – 31.08.2011 Frankfurt – Alte Oper
02.09. – 11.09.2011 Stuttgart – Liederhalle Hegelsaal
13.09. – 18.09.2011 Basel – Musical Theater
20.09. – 02.10.2011 Düsseldorf – Capitol Theater
04.10. – 09.10.2011 Essen – Colosseum
11.10. – 23.10.2011 München – Deutsches Theater
01.11. – 13.11.2011 Berlin – Admiralspalast
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