Geschrieben von Chrischi Freitag, 13 Januar 2012 13:36
Musik - Wollt ihr Fortschritt oder Stagnation?
Veränderungen müssen nicht immer gut sein. Oft genug findet man in der Musikwelt Beispiele an Brüchen, die dem Hörer als bahnbrechende Weiterentwicklung verkauft werden. Band xy ist jetzt noch viel besser und ganz anders, und das muss auch so sein, und sie hat natürlich das beste Album aufgenommen, das die Menschheit jemals gehört hat - so oder ähnlich argumentieren Infozettel zu neuen CDs gerne, und nicht selten bezieht man sich dabei auf famose Veränderungen und ganz neue Sounds.
Jaja, ist klar. Was dann auf CD gepresst wird, ist entweder der verzweifelte Versuch einer erfolglosen oder abgeschriebenen Band, in einem anderen Genre mit neuer Fanbasis Fuß zu fassen, oder glatt gelogen. Fortschritt? Nein danke, sollen die Musiker lieber das machen, was sie seit Jahren machen und behrerrschen.
Garant für gleichklingende Sounds: AC/DC
Aber: So einfach ist es nicht. Denn ohne Veränderungen, so klein sie auch sein mögen, herrscht Stagnation. Und die bedeutet den Tod für jede Art von Kreativität. Zugegeben, es ist alles andere als einfach, es den Fans speziell im Rock- und Metalbereich recht zu machen. Es klappt ganz einfach nicht. Ähneln sich die Alben einer Truppe zu sehr, gähnt die eine Seite - alles schon gehört, nix neues, doof. Entwickelt sich eine Band weiter und probiert neue Dinge aus, heißt es, dass sie sich viel zu weit von ihren Wurzeln entfernt - hach, wie schön doch damals alles war, als Band X noch straighten Rumpel-Death gespielt hat, bevor sie mit den Frickeleien und unnötigen Melodien angefangen hat. Veränderungen sind immer gewagt und haben zwei Seiten. Doch sie sind bitter nötig, sofern sie sich je nach Band in einem überschaubaren Rahmen halten und der Bandsound sie zulässt.
Ich greife mal ein paar prominente Beispiele auf, die mir gerade in den Sinn kommen. Da wären zum Beispiel MOTÖRHEAD und AC/DC. Von beiden Rocklegenden erwartet man seit vielen Jahren den gleichen Klang. Sie stehen für ihren ganz eigenen Sound, böse Zungen behaupten, dass sie immer dieselben Alben einspielen oder sich derselben Riffs bedienen. Über die Jahre hinweg hat sich aber der Sound beider Kapellen mal mehr, mal weniger verändert. Das wird jedem klar, der einem jüngeren MOTÖRHEAD-Album Klassiker wie "Bomber", "Ace Of Spades" oder "Iron Fist" gegenüber stellt. Natürlich bewegt sich das Trio schon alleine wegen des charakteristischen Gesang von Frontsau Lemmy in seinem ganz eigenen Mikrokosmos und besitzt einen extrem hohen Wiedererkennungswert. Doch selbst auf den letzten Alben gab es neue oder ungewöhnliche Details zu entdecken, während der Grundsound sehr ähnlich blieb.
Ähnlich sieht's bei AC/DC aus: Wer die ersten Alben mit Bon Scott mit dem heutigen Material mit Brian Johnson vergleicht, muss schon taub sein, um die Unterschiede nicht zu bemerken. Ein Song wie "The Razor's Edge" ist fast schon Metal (und die Nummer hat auch schon 21 Jahre auf dem Buckel), und Angus Young greift auf "Black Ice" sogar zur Slidegitarre, während sich mit "Anything Goes" eine weitere untypische, hochmelodische AC/DC-Nummer auf dem letzten Studioalbum der Australier befindet. Selbst Bands, die dem oberflächlichen Anschein nach also ihren Stil kaum weiter entwickeln und - flapsig gesagt - immer dasselbe machen, entwickeln sich weiter oder lassen fremde Einflüsse zu, auch wenn große Veränderungen ausbleiben. Spontan in den Sinn kommen mir noch Power Metal-Bands wie AXEL RUDI PELL oder PRIMAL FEAR, die irgendwie immer dasselbe machen und trotzdem immer wieder mit neuen, kleinen Details überraschen.
Trieben es ein bisschen zu bunt: METALLICA
Dass man es auch übertreiben kann, mussten in den Neunzigern METALLICA erfahren. Einst die Vorreiter des Thrash Metal, wandten sich schon mit dem vorrangig im Midtempo gehaltenen, groovigen und melodischen schwarzen Album viele Altfans von der Band ab. Als dann "Load" und "Reload" erschienen, war das Entsetzen groß: Weichgespülte Riffs, mehr Rock als Metal, eine waschechte Country-Ballade, Marianne Faithful als Gastsängerin - sowas hätte man von der Band niemals erwartet, ein solches Machwerk wie "St. Anger" mit einem geläuterten James Hetfield und üblem Klang erst recht nicht. Verrat am Metal, aufgenommene Grütze, aus die Maus. Und doch gab es eine Vielzahl an Menschen, die METALLICA erst mit diesen Alben kennenlernten und danach entdeckten, dass die Band früher ganz anders klang. Nebenbei erwähnt: "Ride The Lightning" und "Master Of Puppets" waren kompositorische Quantensprünge im Vergleich zum Debüt und ebenfalls mit einem stark veränderten Sound versehen, stellten allerdings keinen so großen Bruch wie "Load"/"Reload" dar. Dass in den letzten Jahren vermehrt Songs der ungeliebten Alben in der Setlist gelandet sind und von der Fanschar nicht nur akzeptiert, sondern gewünscht werden, macht deutlich, dass man mit einigem zeitlichen Abstand gewisse Entwicklungen besser nachvollziehen kann. Verschissen hat es sich die erfolgreichste Metalband der Welt dank ihres Stilbruchs trotzdem mit vielen, sehr vielen Fans, auch so kann Weiterentwicklung aussehen. Gleichzeitig verkauft das Quartett nach wie vor riesige Stadien aus und mischt munter-fröhlich neuere und seltener gespielte Songs mit Klassikern der ersten Stunde.
Aber ist ein Stilbruch oder ein Genrewechsel, ob gewollt oder ungewollt, so ungeheuer schlimm? Natürlich wird es zum einen immer die Altfans der ersten Stunde geben, die heulen könnten, wenn sie hören, in welche Richtung sich "ihre" Band bewegt. Und selbstverständlich liegt es immer an der ganz persönlichen Sicht eines jeden einzelnen Fans, ob er offen für Weiterentwicklungen im Bandsound ist. Doch ohne Neuorientierungen und Veränderungen hätten PARADISE LOST kein "Icon" oder "Draconian Times" aufgenommen. Und ohne "One Second" und das vielgehasste "Host" wär' die Band vielleicht nie auf ihren aktuellen, der Vergangenheit angenährten Kurs gelangt. THE GATHERING wären ohne Anneke van Giersbergen und ein Album wie "Nighttime Birds" immer noch eine mittelmäßige Death Metal-Band, die niemand so wirklich braucht. Oder würden gar nicht mehr existieren.
ANATHEMA, MOONSPELL, LACUNA COIL, DREAM THEATER, BLIND GUARDIAN, RHAPSODY OF FIRE, NIGHTWISH, EDGUY oder IRON MAIDEN, die mit der progressiven Ausrichtung ihrer letzten Alben nicht nur für Verzückung sorgten. All diese und noch viele weitere Bands haben sich in einem gewissen Maße verändert, neue Dinge ausprobiert und sich teils wieder auf ihren ursprünglichen Sound besonnen, alte Fans verloren, neue hinzu gewonnen. Und es war richtig so! Ich will gar kein zweites "Master Of Puppets" hören, wenn ich ein "Death Magnetic" bekommen kann. Ich will keine Stagnation, kein bloßes Wiederholen alter Glanztaten. Ich will neue Impulse, frische Ideen, eine Erweiterung des Horizonts, hörbaren Spaß an den Songs. Trotzdem will ich nicht, dass AC/DC plötzlich Death Metal spielen oder MOTÖRHEAD nur mit Akustikgitarren ins Studio gehen - wobei... Da haben wir's: "Whorehouse Blues" oder "I Ain't No Nice Guy" sind keine Songs, die das britische Trio standardmäßig komponieren würde. Aber gerade solch ungewöhnlichen Aufnahmen machen die Sache doch umso spannender.
Ich will neue Sprenkler, will Bands, die auch mal über den Tellerrand blicken, ohne sich komplett selbst zu verleugnen. Und wenn es eine Band doch mal für nötig hält, etwas komplett Neues auszuprobieren: Es ist ok! Ich muss es nicht mögen, dann ist es vielleicht Zeit, mich von der liebgewonnen Kapelle zu verabschieden. Selbst, wenn das aus Erfahrung nicht hundertprozentig klappt, irgendwann interessiert es einen ja doch wieder, was eine Band mittlerweile so fabriziert.
Insofern: Danke QUEENSRYCHE und MANOWAR für geniale Alben in der Vergangenheit und Respekt für euren Mut, euren Sound zu verändern (oder eben auch nicht...) und euer Ding durchzuziehen. Ich bin mir sicher, auch in neue Alben reinzuhören, selbst wenn die Vorgänger grottig waren. Es könnte ja sein, dass ihr euch verändert habt...
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