Jahre später bei „Gehn wie ein Ägypter" war ich schon etwas besser informiert. Wenn die Sphynx dem guten Farin einen Zungenkuss gab, dann war das eigentlich nicht für meine Ohren bestimmt. Aber damals fand ich mich extrem provokant und diese rebellische (dürfen die das?) Attitüde fand ich von Anfang an ganz toll. Vor "Debil" hatten sich die DIE ÄRZTE erstmals 1984 mit einer kleinen EP names "Uns geht's prima" vorgestellt, und wenn man bedenkt, dass von den fünf Songs sage und schreibe vier noch heute live gespielt werden, dann weiß man, welche Qualität die Band von Anfang an vorgab.
Mein richtiges eigenes Tape, damals auch liebvoll einfach Kassette genannt, war dann 1985 „Im Schatten der Ärzte". „Du willst mich küssen" (..."doch das geht mir zu schnell, du solltest wissen, ich bin interlektuell...") war mein erster Lieblingssong von DIE ÄRZTE und zudem sehr lehrreich für mich. Ich lernte die Worte „Diskussion", „interlektuell" und „Stadtbibliothek". Auch ansonsten war diese Veröffentlichung für mich voller Schlüsselerlebnisse. Ein „Vampir" war mir dahin nicht untergekommen und auch von „Buddy Holly" geschweige denn seiner dicken Brille hatte ich bis dahin nichts gehört. Als ich dann anfing, inspiriert von DIE ÄRZTE, das Buch „Der kleine Vampir" von Angela Sommer-Bodenburg zu lesen, war ich noch mehr begeistert. Begeistert im Speziellen von Bela, der mich damals extrem an eben den kleinen Vampir aus dem Buch erinnerte. Das faszinierte mich als Kind sehr, da ich in meinem direkten Umfeld keinen Menschen sah, der sich auffällig kleidete. Ich komme aus Ludwigshafen, Stichwort Katzenberger, muss ich noch mehr sagen?
Das nächste Album „Die Ärzte" erschien 1986 enthielt den ersten kleinen Skandal der Band, nämlich den Track „Geschwisterliebe". Damals ein auf Scheibe gepresstes Stück pure Provokation, während heute Sprüche wie „Deine Mutter und dein Vater sind Geschwister" auf vielen Schulhöfen Standard sind und die neuerdings best friends SIDO und BUSHIDO deutlich härtere Texte am Start haben, die noch dazu gewaltverherrlichend sind. Das Urteil lautet damals „„Der Text dieses Liedes ist geeignet, in sexueller Hinsicht das Scham- und Sittlichkeitsgefühl gröblich zu verletzten. Auch der künstlerische Ausdruck trägt nicht dazu bei, die Aussagen des Textes zu relativieren." Heute kann man darüber nur müde lachen, und natürlich hatte mein Bruder, wie alle seine Kumpels, genau diesen Song – und schon allein, weil er verboten war, wurde dieser Song dauernd gehört. Wobei die Kläger da auch nicht die ganze Platte richtig gehört haben... Auszug aus „Sweet Gwendoline" :"...man könnte sie jetzt wunderbar als Postpaket verschicken, man könnte sie auch ideal in dieser Stellung....". Wer die Lösung weiß... Entsprechend zu diesem Song entstand dann auch eines der Markenzeichen der DIE ÄRZTE, die gefesselte Gwendonline. Mein Hit der Platte war „Ich bin reich" , bis heute ist das Lied eines meiner Highlights bei jedem DIE ÄRZTE Konzert.
Mit dem nächsten Album ließen sich die DIE ÄRZTE etwas Zeit, und 1987 bei „Das ist nicht die ganze Wahrheit" waren sie eigentlich nur zu dritt. Der eigentliche, ursprüngliche Bassist Hagen wurde von Farin vertreten. Auch zu zweit brachten Bela und Farin eine ihrer besten Platten zustande. Die beiden konnten damals wohl aus einem schier unerschöpflichen Topf aus genialen Albernheiten schöpfen und schrieben, wie man heute hören und auf den Konzerten an der Reaktion des Publikum sehen kann, einige Songs für die Ewigkeit. Damals war ich dann auch schon weiter entwickelt und der Humor von „Ohne Dich" und „Elke" erschloss sich mir vollkommen, so dass ich die Ironie in den Songs auch endlich verstand. „Elke" ist bis heute einer der Klassiker der Band, und ich würde viel dafür geben, die besagte Elke mal zu sehen bzw. zu wissen, wie sie sich mit ihrem eigenen Song fühlt. Wenn sie das liest: ELKE MELDE DICH! Die Legende sagt, dass Elke damals wohl ein Megafan der DIE ÄRZTE und denselbigen damals mit Anrufen extrem auf deren Sack gegangen ist. Irgendwie kam es dann wohl dazu, dass Elke mal einen Brief inklusive Foto schickte. Mit ihrem Aussehen, heute ist sie bestimmt eine engelsgleiche Prinzessin, inspirierte sie die Band zum Song „Elke". Kann auch sein, dass Elke kein Foto schickte und die beiden sie nur so als fett bezeichneten, wen würde es wundern? Wer sieht, genau wie ich, gerade das breite Grinsen von Farin?
Schon damals bezeichnete ich mich als eindeutiger und vor allem bedingungsloser Fan der Band und erst Recht, nachdem ich die Band live gesehen hatte. Mit DIE ÄRZTE ist es irgendwie wie damals bei den BEATLES (der Vergleich wird Farin als Die Hard BEATLES Fan sicher freuen): Es ist unglaublich, welche Energie die Fans auf einem Konzert von DIE ÄRZTE entfesseln und was für eine abartig geile Stimmung herrscht, sobald die Band die Bühnen entert. Und das Schönste ist, wenn es einen einmal gepackt hat, dann kann man nicht genug davon kriegen. Mit dem Erwerb eines Tickets erkauft man sich die Garantie für drei Stunden puren Spaß. Außer man wohnt in Zwickau und geht... ach ne, das waren ja LATERNEN JOE, aber dazu später mehr.
"Nach uns die Sinflut" war 1988 das erste Livealbum von DIE ÄRZTE und für mich damals eine Offenbarung. Zwei Scheiben, damals hörte man Langspielplatten, vollgepackt mit Songs von DIE ÄRZTE – und vorne auf dem Cover die DIE ÄRZTE als Kinder und auch noch nackt. Ich war damals der festen Überzeugung, dass das wirklich die DIE ÄRZTE sind. Selbst heute, wenn ich mir das Medley mit den geilen 80er-Songs im Ärztesound anhöre oder den Song „Radio Rap" (Ene mene mopel, wer frisst Popel?), dann bin ich noch immer bestens unterhalten und finde Musik und Texte der ganzen Veröffentlichung noch immer grandios. Stundenlang habe ich damals das Booklet studiert und jedes der zahlreichen Bilder genauestens betrachtet. Wenn ich das Booklet heute anschaue, geht es mir genauso, nur kommt dann etwas Nostalgie ins Spiel: "Ui, Müller Milch Vanille gab es damals nur im Becher, guck mal, wie das da noch aussah"!
Dass sich die Band danach auflöste, nahm ich in dem Alter noch gar nicht wahr. Leider war es aber so, und Gott sei Dank war es nur von kurzer Dauer. 1989-1993 waren die DIE ÄRZTE keine Band und veröffentlichten mit „Die Ärzte früher" doch eine Platte, die neben Songs aus den ersten beiden Veröffentlichungen sogar zwei neue Songs enthielt. „Tittenmaus" und „Wilde Mädchen" sind keine Meilensteine der Bandgeschichte, trotzdem noch heute manchmal in der Setlist vertreten, und dann werden sie auch von den Fans dankend angenommen.
Mit der nächsten Veröffentlichung „Die Bestie in Menschengestalt" erspielten sich die DIE ÄRZTE 1993 eine breitere Fanmasse, da sie abgesehen von den Scherzen auch deutlich politische Stellung bezogen. „Schrei Nach Liebe" hat eine klare Aussage gegen Nazis, und Farin und Bela, die den Song gemeinsam schrieben, legten einen Spagat zwischen Humor und Aussage hin, den ihnen bis heute keine Band nachmacht. Ohne erhobenen Zeigerfinger zeigt die Band immer wieder, dass sie etwas zu sagen hat und von ihrem Recht der freien Meinungsäußerung Gebrauch macht. Zusätzlich dazu ermutigen sie ihre Fans zum Mitwirken und zur aktiven Teilnahme an der Gesellschaft, die ja nun mal durch das Tun und Handeln jedes Einzelnen geprägt wird. Was mir immer besonders gut gefällt, ist, dass inhaltvolle Songs auf sinnfreie Texte wie „Die Allerschürfste" folgen. „Die Allerschürfste" gehört ebenfalls in meine Top 10 der besten DIE ÄRZTE Songs ever:
Du denkst, Du bist die Allerschürfste für mich,
biste aber nich. Ick fin dir widerlich.
Du denkst, Dich findet wirklich jeder hier geil,
is aber nich so, janz im Jejenteil.
Du kommst hier reien als jehört Dir die Welt,
als wär jeder Tisch nur für Dir bestellt.
Du glotzt ma an, hau ab Du machst mir noch krank.
Du willst all'n jefallen. Du hast nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Du nervst, Du nervst.
Ick würd Dir so jern eine hauen.
Du bist völlich behämmert.
Du hast nicht mehr alle Latten am Zauen.
Is doch wahr...
Du denkst, Du bist die Allerschürfste für mich,
biste aber nich. Ick fin dir widerlich.
Du denkst Du bist wirklich unwiderstehlich,
biste aber ebend jerade nich.
Leider können viele Menschen nur feiern ohne zu denken, oder denken und nicht hemmungslos feiern. DIE ÄRZTE vereinen beides. Was dem Album besonders gut tat und die DIE ÄRZTE generell einen großen Schritt nach vorne gebracht hat, ist die Tatsache, dass Rod ab da die Band zum festen Trio aufstockte. Das musikalische Talent von Rod ist unglaublich, und hätte er die entsprechende Anzahl an Armen und Beinen, er könnte DIE ÄRZTE Songs alle alleine spielen, ohne qualitative Einbußen hinnehmen zu müssen.
1994 wurde die damalige Plattenfirma der ÄRZTE, CBS, von Sony übernommen. Allerdings hatten sie noch einen Anspruch auf ein „Best Of" Album, so dass die DIE ÄRZTE mit „Das Beste von kurz nach früher bis jetze" genau dieses ablieferten. Für die Fans hatte das keine Nachteile, wobei ein Best Of Album von DIE ÄRZTE deutlich länger sein müsste und könnte. Mit dem Kauf dieses Albums kann man zwar nichts falsch machen, aber einen perfekt zusammengestellten Querschnitt der Bandgeschichte erhält man auch nicht.
Die nächste Scheibe kam 1995 und nannte sich „Planet Punk", vollgepackt mit vielen Hits, die bis heute fast in jedem Liveset gespielt werden: „Super Drei", „Schunder-Song" (Fresse... mitten in die Fresse...), „Hurra" und „Langweilig". Allerdings ist es seltsamerweise die Platte, bei der viele ehemalige Fans ausstiegen und die DIE ÄRZTE ab da nur noch sporadisch verfolgten. Aber was sind schon 1 Million weniger Fans, wenn man noch 149 Millionen Fans hat? (Maßlosübertreibmodus aus.) Bis heute hatte „Planet Punk" den ersten Platz für das hässlichste DIE ÄRZTE Cover sicher, wird aber bald abgelöst von „auch".
Mit „Le Frisur" lieferte die Band 1996 ein Konzeptalbum zum Thema Haare ab. Ein lustiges Werk, bei dem jeder Song ein eigenes Genre bedient, aber trotzdem jeder Song nach DIE ÄRZTE klingt. Besonders der Song „Mein Baby war beim Frisör" traf den Nerv der Masse und ist auch vielen Nicht-DIE ÄRZTE-Fans bekannt, zumal diese Situation (man selbst oder jemand anders kommt vom Frisör und sieht richtig unterirdisch aus...) jedem bekannt sein dürfte und absolut zeitlos ist. „Dauerwelle vs. Minipli" ist der geheime Hit der Platte – wenn Bela Farin Rod diesen Grindcoresong live zum Besten geben, dann knallt aber die Bude und die Masse legt eine Wall of Death hin, wie sie sich viele Extrem Metal Bands in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Damals auch in den Charts war unter anderem der Song „3 Tage Bart" für den sich die DIE ÄRZTE videomäßig richtig ins Zeug legten. Damals überrollte uns alle die Boygroup-Welle und in den dazugehörigen Videos wurde ordentlich abgespackt. Die DIE ÄRZTE trainierten stylischeTänze (man kann es auch Fickbewegungen nennen...) ein und lieferten eine 1a Boygroup Persiflage ab.
Gleich zwei Jahre später, also 1998, kam schon der nächste Knaller in Form des Albums „13", welches auch die dreizehnte Albumveröffentlichung von DIE ÄRZTE darstellte. Mit „Männer sind Schweine" landeten DIE ÄRZTE einen weiteren Hit und trafen mit dem Text genau in die Herzen der älteren, leidgeplagten Frauenriege, und mit Lara Croft im Video ließen sie die Herzen von Kiddies und Teenagern höher schlagen. „13" hat für mich eine enorme Hitdichte, wie es sie selten bei Bands gibt, die schon soviel Musik veröffentlicht haben. Provokante Glanzstücke wie „Meine Freunde" wechseln sich ab mit Partysongs wie „Nie mehr Krieg, nie mehr Las Vegas" und traurige Songs wie „Der Graf" werden auch oft von Nicht- DIE ÄRZTE Fans genannt, frei nach dem Motto „Die DIE ÄRZTE mag ich nicht, aber das eine Lied „Der Graf", das ist geil!". Rod wurde auch mit „1 ½ Lovesongs" in den Vordergrund gerückt, und ständig wartet man auf den witzigen Moment, der aber nicht kommt, und der das Lied zu einem Liebeslied macht, einfach mal so, ohne „Haha" Effekt. Eine weitere Stärke von den DIE ÄRZTE ist nämlich, Gefühle zu zeigen, ohne in den Schmalztiegel zu packen.
Mit „Wir wollen nur deine Seele" erschien dann 1999 das zweite Livealbum der Band, für mich bis heute die beste Liveplatte die ich besitze, jemals gehört habe, kenne und überhaupt. Die Atmosphäre eines Konzertes von DIE ÄRZTE, die Spielfreude, die variantenreiche Darbietung, alles wird eins zu eins mit Topsound wiedergegeben. Einfach nur ein Fest, jedes Mal wenn diese Scheibe läuft! Außerdem kann man die Pimmel (!) von Bela und Farin im Cover sehen, damals in der Pubertät war das schon interessant zu wissen, und heute kann man darüber lachen, dass die beiden so einen Scheiß überhaupt gemacht haben. Wer wissen will, was bei den DIE ÄRZTE live abgeht, der kann sich die beiden CDs „Nö Sleep 'til Viehauktiönshalle Öldenbürg" und „Halt's Maul und spiel" gerne mal anhören. Legendär auch die dritte Mini CD, die auf Mono und Stereo vollgepackt ist mit Sprüchen vom Konzert, wahlweise kann man auch beide Seiten zusammen hören. Denn auch die Schlagfertigkeit und der Wortwitz zwischen den Songs machen die Band zur Besten Band der Welt.
1999 kam auch „Satanische Pferde" raus, ein Livealbum, welches nur über den damals noch DÄOF (Die Ärzte Offizieller Fanclub) benannten Fanclub zu beziehen ist, und zwar kostenlos. Das Album enthielt nur einen neuen Song, „Dos Corazones" , komplett von Rod erschaffen, sonst hat das Album für mich keine nennenswerten Spitzen, war aber natürlich eine sehr nette Aktion von der Band.
Danach machte die Band wieder keine große Schaffenspause und 2000 erschien das nächste Album „Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer". Ein plüschiges, blaues Ding mit den meisten Lückenfüllern, die ich bei DIE ÄRZTE je auf einem Album erlebt habe. Lediglich „Yoko Ono" konnte mich begeistern, während die anderen Songs irgendwie nicht mehr „meine" DIE ÄRZTE waren. Sicherlich lag das auch daran, dass ich mich mitten in der Pubertät befand und somit auch musikalisch in andere Richtungen tendierte, härtere und extremere Sounds ausprobieren wollte.
"Geräusch" 2003 fiel ebenso meinen pubertären Auswüchsen zum Opfer, auch wenn die DIE ÄRZTE damit ihren ersten Doppel-Longplayer veröffentlichten. Abgefeiert habe ich die Scheibe damals zwar nicht, lediglich „Unrockbar" und das dazugehörige Video nahm ich wahr, finde aber auch beides bis heute gut. Allerdings überzeugt mich das Album bis heute nicht.
Was man den Jungs hoch anrechnen muss, ist der Push, den sie mit ihrem Satz „Wie kannst du bei den BEATSTEAKS ruhig sitzen bleiben?" eben diesen BEATSTEAKS gaben. Damals gaben sie den Startschuss für diese Band, die es sicher auch so geschafft hätte aber einen deutlich steinigeren Weg gehabt hätte, und somit auch für viele tolle Erlebnisse mit den BEATSTEAKS und deren Musik. Von daher hat „Geräusch" irgendwie wieder eine Verknüpfung zu meinem musikalischen Lebenslauf. Und auch wenn mir eine Veröffentlichung von DIE ÄRZTE mal nicht so gut gefallen hat, ich habe immer an den Typen gehangen und meine Sympathie zu den Dreien seltsamerweise nie wirklich von den Platten abhängig gemacht.
Nach „Geräusch" lösten sich die DIE ÄRZTE nicht auf, gingen aber ihren Soloaktivitäten nach und ließen mir somit musikalischen Entwicklungsfreiraum in alle Richtungen. Natürlich stand ich aber 2007 sofort wieder parat, um meine Pflicht als Fan zu erfüllen und das neue Album „Jazz ist anders" mit offenen Armen zu empfangen. Der erste Song „Junge" war vielversprechend, und das Video in der zensierten und unzensierten Version zeigte sofort, dass die DIE ÄRZTE immer noch den Schalk im Nacken haben. Die Trackfolge von „Jazz ist anders" aktivierte dann sofort wieder meine Liebe zur Band. Farin eröffnet mit „Himmelblau", gefolgt von Bela mit „Lied Vom Scheitern" und als Schlusslicht Rod mit „Breit". Songs wie „Lasse redn" und „Junge" wurden von den Radiosendern hoch und runter- bzw. regelrecht totgespielt. Da sich die Medien entsprechend weiterentwickelt hatten, waren die DIE ÄRZTE plötzlich irgendwie überall präsent, ohne den Stempel „Ausverkauf" zu bekommen. Die Idee, die CD im Pizzakarton zu „liefern" und eine kleine CD in Form einer „Tomate" als Bonus beizulegen, fand ich super. Die gesamte Veröffentlichung hatte etwas Liebevolles, Detailverliebtes und hinterließ bei mir einen sehr guten Eindruck, auch wenn die Bissigkeit und der Punkeinschlag nicht mehr so markant waren.
Letztes Jahr, im März 2011, erfuhr ich dann durch meine Fanclubzugehörigkeit von der LATERNEN JOE Geheimtour der ÄRZTE, geplant für den April 2011. Die Band tourte schon mehrfach unter falschem Namen, aber damals war noch keine Rede von „auch" und ich befürchtete wirklich eine letzte Tour und eventuelle Auflösung. Sie sind halt auch nicht mehr die Jüngsten... Nach sage und schreibe vier Stunden (in Worten v-i-e-r!) am PC, während meiner Arbeitszeit, hatte ich endlich zwei Tickets, fixiert mit meinem Namen, Personalausweisnummer und allem drum und dran. Blöd nur, wenn man ungefähr drei Tage vorher erst aus Malta zurückkommt und eine richtig fiese Durchfallerkrankung im (Körper-) Gepäck hat. Es ging gar nichts, und so musste ich die Karten zurückschicken und mir die Tour entgehen lassen...
Weiter oben im Text, falls jemand tatsächlich die ganze Sülze liest, spiele ich auf Zwickau an. Das war die erste Station im Rahmen der LATERNEN JOE Tour. Die DIE ÄRZTE erdreisteten sich doch tatsächlich, weniger als drei Stunden zu spielen, wie sie es sonst immer tun, mit der Rechtfertigung, dass sie ja LATERNEN JOE seien und nicht die DIE ÄRZTE. Das Publikum nahm das gar nicht witzig auf, schaukelte sich gegenseitig hoch und protestierte lautstark. Während die Crew schon abbaute, kam Farin nochmals auf die Bühne und grinste sich eins, was ebenfalls nicht so super aufgenommen wurde. Zwickau (auch gerne mal Zwick-au genannt), wurde im Zusammenhang mit die DIE ÄRZTE zu einem geflügelten Wort und der Vorfall wurde auch in der Presse entsprechend aufgebauscht und kommentiert.
Ebenfalls kommentiert wurde die Tatsache, dass der DÄOF nun unbenannt wurde in DÄFC, was somit das Wort „offiziell" nicht mehr beinhaltet, sondern lediglich DIE ÄRZTE FANCLUB heißt. Der Manager der Band bat brieflich darum, damit der Fanclub nicht mehr direkt mit die DIE ÄRZTE in Verbindung gebracht würde. In der Fanzeitung PRAWDA wurden häufiger Interviews mit anderen Bands gedruckt und der Manager bezog sich auf ein Interview mit Sebastian Krumbiegel (DIE PRINZEN) und die Gefahr, dass man diese Bands mit den musikalischen Vorlieben von DIE ÄRZTE verwechseln könnte. So richtig verstanden habe ich das nicht, muss ich aber auch nicht. Zumindest wird sich auch die Vereinigung DÄFC bald verabschieden und die Fans von DIE ÄRZTE sind damit leitlos und frei.
Nun schneit uns also bald „auch" in Haus, die EP „ZeiDverschwÄndung" und der Song mit der Hook „Hast du nichts Besseres zu tun, als die DIE ÄRZTE zu hör'n...?" hinterlässt angesichts der Ereignisse einen faden Beigeschmack bei mir. Zu Anfang... wenn man genau hinhört, kann man wieder darüber schmunzeln. "Aber es gibt doch nichts Besseres zu tun?!?". Außerdem haben DIE ÄRZTE bei mir so viele Credits erspielt, dass sie eigentlich kaum was zu tun könnten, um meinen Respekt für die Band zu verlieren. Wenn ich so überlege, dann sind die DIE ÄRZTE mein ganzes Leben lang irgendwie an meiner Seite gewesen, haben mich zum Lachen, zum Nachdenken, zum Weinen und vor allem zum Feiern gebracht. Obwohl ich jetzt so viel gesabbelt habe, habe ich mindestens 75 Prozent meiner ÄRZTE-Erlebnisse, Lieblingssongs und Assoziationen nicht erwähnt.
Zum Beispiel die „Ärzte statt Böller"-Aktion, ein Livekonzert von DIE ÄRZTE 2006 in Köln, direkt am Silvesterabend. Oder die „Rock'N'Roll Realschule", bei der die DIE ÄRZTE 2002 in der Aula des Hamburger Albert-Schweitzer Gymnasiums, unterstützt von Schulorchester und Schulchor, eine Unplugged DVD produzierten. Damals war ich richtiggehend erschlagen von der musikalischen Genialität, die die Band offen legte. Nix hier mit Drei-Akkorde-Punk-Rock-Scheiße! Die DIE ÄRZTE sind geniale Musiker und begnadete Songwriter.
Oder die DIE ÄRZTE Comics, das DIE ÄRZTE Bio Buch „Ein überdimensionales Meerschwein frisst die Erde auf", die Synchronsprecheraktivitäten von Bela (jüngst geglänzt als Paul im Film „Paul – Ein Alien auf der Flucht"), die Zweitband von FARIN (FARIN URLAUB RACING TEAM), die exzellenten Fotobücher von Farin, oder Rod mit seiner Band MAS SHAKE, nicht zu vergessen BELA B. Y LOS HELMSTEDT mit ihrer Cowboyshow und dem genialen Song „Tag mit Schutzumschlag". Man könnte ein ganzes Buch über die Band schreiben, nur um zur eigentlichen Frage zurückzukommen:
"Hast du nichts Besseres zu tun, als die Ärzte zu hören?"
Jepp, solange die Ärzte auch nichts Besseres zu tun haben, als Musik zu machen.
Danke für 30 Jahre Wahnsinn, Punk und Rückgrat, ihr habt mein Leben wertvoll bereichert!