Es wäre nicht verwunderlich, wenn so mancher denkt, dass die Theatergruppe aus Wuppertal eigentlich "DAS VOLLPLAYBACKTHEATER – ausverkauft!" heißt. Wer sich nach Ankündigung eines neuen Programms nämlich nicht direkt um Karten kümmert, wird schon seit Jahren ziemlich oft mit genau diesem Status konfrontiert. Es ist kein Stück untertrieben, dem VOLLPLAYBACKTHEATER einen großen Anteil an der Entstehung und dem weiterhin andauernden Hörspiel-Hype zuzusprechen, denn dieser schlug erst nach der Gründung und der wahnwitzigen Idee von Ensemble-Mitglied Supaknut um sich.
Liebes Vollplaybacktheater, ganz schön irre ihr seid!
Die Vorgehensweise des VOLLPLAYBACKTHEATERs ist schnell erklärt: Die Darsteller schnappen sich eine Geschichte – in diesem Fall "Die drei ??? und der grüne Geist" – und verändern diese inhaltlich, indem sie Szenen ad absurdum führen, weglassen oder neue hinzufügen. Das Ergebnis lassen sie über Lautsprecher laufen und bewegen synchron dazu die Lippen. Sie sprechen also kein einziges Wort selbst. Kann man sich sofort etwas darunter vorstellen – und kommt dabei ganz sicher nicht annähernd heran an das, was DAS VOLLPLAYBACKTHEATER daraus macht.
Eine gewisse Grundverrücktheit ist sicherlich nicht hinderlich, um Teil des VOLLPLAYBACKTHEATERs zu sein, ebenso wie überdurchschnittliches Timing. Alle Darsteller verkörpern komplett ihre Rolle, sobald sie die Bühne betreten. Jede Reaktion erfolgt punktgenau, ganz gleich ob kollektiv oder als Einzelleistung. Auch abseits der Haupthandlung gibt es urkomische Details zu entdecken und zu beobachten. Chapeau vor dieser Leistung, denn die offensichtliche Spritzigkeit kann nur aus disziplinierter Vorarbeit und einem enorm stabilen Team resultieren. Perfektionisten-Alarm? Aber sicherlich! Und genau deshalb freut sich DAS VOLLPLAYBACKTHEATER schon seit 20 Jahren über regen Zulauf und wird euch hier als Veranstaltungstipp vorgestellt.
Die drei Fragezeichen haben Polizei
Die Alte Feuerwache ist bis auf den letzten Platz gefüllt und es ist jedes Mal spannend zu sehen, wer denn alles eine (heimliche) Leidenschaft zu Hörspielen und Albernheit pflegt. Endlich darf man als Erwachsener öffentlich Kinderhörspiele hören, nerdig sein und ein Theaterstück genießen, das gleichermaßen clever und doch irgendwie auch anachronistisch arrangiert ist.
Ob das VOLLPLAYBACKTHEATER rockt oder nicht, ist schnell geklärt. Schon in der ersten Szene fällt ein Schuss, RAGE AGAINST THE MACHINEs "Killing In The Name Of" schallt plötzlich durch die Alte Feuerwache und was eben noch "Die drei ??? und der grüne Geist" war, nimmt eine Kurve zu einem in bester Matrix-Manier um sich schlagenden, fliegenden Justus Jonas. Als Hauptkommissar Reynolds die Szenerie spielt, großartig verkörpert von Christoph Landwehr, kommt der natürlich auch nicht mit einer 08/15-Vorstellung davon. Diskolicht, fette Bässe und "Ich habe Polizei" von Jan Böhmermann erscheint dann doch etwas standesgemäßer. Zwei von vielen Musik- und Tanzeinlagen, mit denen man im Verlauf des Stückes noch öfter überrascht wird.
Die Starrköpfigkeit der Hörspiel-Fans ist sympathisch-nerdig. Es wäre ein Leichtes gewesen, wenn findige Marketingsprofis zu Beginn des Hypes eine neue Serie, zugeschnitten auf die frisch gebildete Zielgruppe, erfunden hätten. Aber nein, die alten Folgen mit den inhaltlichen Sonderbarkeiten, die müssen es sein.
Seltsam sind die Dialoge schon manchmal und DAS VOLLPLAYBACKTHEATER greift genau diese schrulligen Momente auf und treibt sie im Sinne von Monty Python auf die Spitze und darüber hinaus. Der Zuschauer wechselt zwischen Tränen lachen und Staunen darüber, wie punktgenau DAS VOLLPLAYBACKTHEATER die Dialoge verinnerlicht hat, die sich teilweise aus einzelnen Sätzen aus wiederum unterschiedlichen Jahrzehnten zusammensetzen.
Die VPTler sind schnell, sehr schnell. Es gibt zahlreiche wechselnde Bühnenbilder, passende Videoanimationen, unerwartete Wendungen und die bereits erwähnten Musik- und Tanzeinlagen. Alles kann passieren, nichts ist vorhersehbar, obwohl man doch meint, alles schon zu kennen.
Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen
Schnell sind nicht nur die Wechsel der phantasievollen Szenenbilder, sondern auch die augenblickliche Annahme von unterschiedlichen Charakteren und Stimmungen im Minutentakt. So wird aus Bob Andrews in der nächsten Szene der schon legendäre John Singlair – Szenenapplaus für "Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen" – und aus Peter Shaw wird im Handumdrehen Hannibal Lector aus "Das Schweigen der Lämmer" oder Yoda aus "Star Wars".
Die schrägsten Grimassen zieht Doktor Thomas, der u.a. Justus Jonas spielt. Er und das Publikum staunen nicht schlecht, als das Hörspiel plötzlich gestoppt wird und seine Ensemble-Kollegen ein "Happy Birthday" für ihn anstimmen. "Danke, wollen wir jetzt weitermachen?" ist seine etwas verlegene Antwort. Man erschrickt fast, ihn plötzlich sprechen zu hören. Die imposanteste Erscheinung ist sicherlich Sven Blievernicht. Der Hüne zwingt die Anwesenden mit seiner Darstellung des hundert Jahre alten, zweitausend Jahre alten, zwölftausend Jahre alten ... ach egal, des sehr alten Chinesen Wong, zu lautstarkem Jubel. Das komplette Ensemble begeistert durch seine intensive Ausstrahlung und Wandelbarkeit. Und so endet auch der Abend in der Alten Feuerwache nach über zwei Stunden vollkommen verdient wieder mit stehenden Ovationen und einem würdigen Abgang des Ensembles.
Es ist nicht hinderlich, die Hörspielfolge zu kennen, letztendlich hilft das aber auch nicht weiter. Denn ohne das Erbe zu schänden, lässt DAS VOLLPLAYBACKTHEATER nicht viel davon übrig. Macht aber nichts, denn beim nächsten Mal hören kann man sich an die lustigen Einfälle erinnern und darüber schmunzeln. Die besten Empfehlungen sind die, bei denen sich der Empfehlende verzettelt und nicht konkret in Worte fassen kann, was denn genau so unbedingt angeschaut oder angehört werden sollte. Meistens enden solche Versuche mit "Das kann man nicht erklären. Muss man selbst erleben." DAS VOLLPLAYBACKTHEATER fällt definitiv in diese Kategorie, mit Betonung auf "muss".
Liebes Vollplaybacktheater, bitte vergreift euch weiterhin mutwillig an unseren Kindheitserinnerung, zerreißt sie in der Luft, nur um sie dann auf eure ganz eigene kreative und sehr verrückte Art und Weise wieder ganz neu zusammenzusetzen. Auf die nächsten 20 Jahre, das Publikum ist bereit.