Geschrieben von Sonntag, 30 Juni 2024 17:09

Selbst ist die Frontfrau

Auf den ersten Blick scheint die Metal-Welt ziemlich überdurchschnittlich von Männern besiedelt. Auf den zweiten Blick eigentlich auch, und zwar im Publikum, wie auch auf der Bühne. Doch auch diese Welt dreht sich, und mit ihr kommen Veränderungen ...

Wenn Musikerinnen in vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Bühnen der großen Festivals betraten, dann meist in der Position der Frontfrau. "Female-Fronted-Bands" waren und sind zwar deutlich in der Minderheit, doch einige von ihnen wurden zu Weltstars – man denke nur an ARCH ENEMY und HALESTORM, oder in jüngerer Zeit an BABYMETAL, SPIRITBOX und JINJER. Dabei ist es auch kein Geheimnis, dass die weibliche Komponente zumeist die Hauptzutat des Erfolgsrezepts war. 

Dass sich beispielsweise ARCH ENEMY zum Millionenunternehmen mauserten, kann (bei aller Liebe zur kompositorischen Qualität der Band) getrost vor allem einem Faktor zugeschrieben werden: der gutaussehenden growlenden Frontfrau, die der Band über Jahre ein Quasi-Monopol auf allen größeren Festivalbühnen der Welt einbrachte. Den Erfolg wusste das Management so geschickt auszuspielen, dass die wenige vorhandene Konkurrenz schlichtweg überstrahlt wurde. Ist das eigentlich feministisch, wenn die Frau der Schlüssel zum Erfolg ist, oder sexistisch, da Weiblichkeit als Vehikel zum Erfolg ausgenutzt wird?

Jedenfalls wird die Hegemonie der Lizzys und Alissas, Courtneys und Tatianas brüchig. Was im Metal grade der heiße Scheiß ist, wird, wie in allen Genres längst üblich, nicht mehr anhand von Plattenverkäufen ermittelt, sondern vom obersten Kammerdiener der Musikindustrie bestimmt: Spotify! Oder besser gesagt: den Kuratoren der Kickass-Metal Playlist. Und wer ein offenes Auge auf die einflussreichste Metal-Playlist der Welt hat, dem fällt eines schnell auf: der Anteil an Künstlerinnen ist in letzter Zeit beeindruckend hoch. Seien es Features aus der Popszene wie AURORA mit BRING ME THE HORIZON, durch Features etablierte und nun erfolgreiche Solokünstlerinnen wie POPPY, die provokante, aber humorvolle Feministin SCENE QUEEN, Bands mit selbstverständlicher Frauenquote wie MAKE THEM SUFFER, oder auch rein weibliche Bands wie KITTIE oder CONQUER DIVIDE – sie alle stehen oder standen an der Spitze der wichtigsten Metal-Playlist der Welt. 

Und das auch nicht ohne Grund, sind sie doch allesamt herausragende Künstlerinnen. Doch es scheint auch, als hätte sich unter den Kuratoren der großen Playlists ein Wille zur Frauenquote eingeschlichen. Das wäre gewiss ein Wettbewerbsvorteil für weiblich besetzte Bands, doch dieser Vorteil ist längst überfällig. Die zunehmende Aufmerksamkeit, die nichtmännliche Kunstschaffende im Metal erfahren, ist schlichtweg notwendig, wenn das Genre und die Kultur mit den Entwicklungen der modernen Gesellschaft mithalten und langfristig bestehen bleiben möchte.

Spotify und die Labels ...

Das sonst wegen horrender Lizenzgebühren so gebeutelte Spotify wird hier zum entscheidenden Treiber der weiteren Emanzipation nichtmännlicher Kunstschaffender speziell im Metal, wo es alle Geschlechter jenseits des männlichen bekanntlich besonders schwer haben. Denn die Plattform hat durch seine Oberhoheit über den Streaming-Markt einen gesellschaftlich einflussreichen Hebel in der Hand, der auf die Musikwirtschaft zurückwirkt. Eine Frauenquote in Playlists und individuell durch Algorithmen zusammengestellten Spotify-Radios könnte die Mächtigen der Branche – im Metal wären das beispielsweise Sony Music und Century Media, Sumerian, Fearless und Atlanta Records – weiter in Zugzwang bringen zugunsten von Künstlerinnen, deren Position auf dem männerdominierten Metal-Markt bisher vergleichsweise schwach war.

Wirtschaftlich wäre das ein Gewinn, denn eine solche Entwicklung geht nicht nur mit der Zeit, sondern stellt auch eine Investition in die Zukunft dar, die endlich auf langjährige und berechtige Kritik an zu geringer Diversifizierung des Marktes und der überwiegenden Vermarktung der männlichen Masse reagiert.

Die Entwicklung ist also in vollem Gange, und eigentlich ist es schade, dass dies so subtil passiert und gering kommuniziert wird. Denn endlich hätten die ironischerweise wegen ihrer Marktmacht kritisierten Labels nun sogar ein Argument, mit welchem sie sich von dieser Kritik ein Stück weit befreien könnten, wenn sie ihre Macht bewusst im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen im Rock- und Metal-Business ausspielen.

So mancher mag dieses Spiel vielleicht als aufdringlich empfinden, denn was man(n) hören möchte, will man(n) sich schließlich selbst aussuchen und nicht von einer Playlist diktieren lassen! Doch man(n) könnte sich gelegentlich der Moderne und sich verändernden Geschlechterbildern öffnen – so wie Spotify. Die Plattform scheint subtil, aber bestimmend den Zeitgeist wahrgenommen und darauf reagiert zu haben. Und das ist auch gut so. 

Jakob

Ende der 90er war ich auf einmal da und entdeckte bald die Genesis- und Rolling-Stones-Platten meines Vaters.  Mit 11 fand ich entdeckte ich Metal, seitdem halten meine Eltern das für eine Phase, sind aber trotzdem stolz. 

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