Geschrieben von Dienstag, 16 Juli 2024 16:47

Wenn Künstler den Diskurs verschärfen

Wenn Künstler den Diskurs verschärfen Bild: Gage Skidmore / Petty Officer 1st Class Chad J. McNeeley

Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons / English: Petty Officer 1st Class Chad J. McNeeley, Public domain, via Wikimedia Commons

Das Attentat auf Ex-US-Präsident Trump am vergangenen Wochenende lässt auch die Musikwelt nicht kalt. So mancher Künstler wird hier zum Träger von Ideologie, Hass und der Zerstörung des politischen Diskurses – gefährliches Terrain in einem von vergifteter Debattenkultur geprägten Land. 

Wer sich als Künstler zwischen Rechts oder Links, Republikanern oder Demokraten, Trump oder Biden, Wahnsinn oder Senilität positioniert, erntet gleichsam lauten Zuspruch und heftigen Widerspruch, und schnell beginnen die Mühlen der Cancel Culture auf beiden Seiten zu mahlen. Musik ist zwar seit jeher gern gesehenes Mittelchen im US-Wahlkampf, doch nicht selten stellt das die Bindung zwischen Künstler und so manchem Fan auf die Probe. Tut man als Musiker also gut daran, sich seiner politischen Position zu enthalten, um die eigene Karriere nicht zu gefährden? Nicht unbedingt, denn im Zusammenspiel von Politik und Musik wäscht allzu oft eine Hand die andere.

Wenn sich beispielsweise ein Kid Rock als glühender Trump-Verehrer herausputzt, kann dieser in republikanischen Gefilden seine Hörerschaft ausbauen und die Partei wiederum in dessen Fangemeinde neue Anhänger finden. Wenn sich ein Kid Rock allerdings nach dem Attentat auf den Ex-Präsidenten und republikanischen Präsidentschaftskandidaten grimmig dreinblickend mit "White-Boy-of-the-year"-Kappe auf seiner Yacht filmt und dabei die Worte "You fuck with Trump, you fuck with me!" in seine Selfie-Kamera rotzt, entblößt dies eine gewisse Komik mit Beigeschmack. Hier gehen gefährliche politische Wut und tiefer Hass einher mit kindischem Trotz und kleinlichem Politikverständnis.

Mit Blick auf das Beispiel von Kids Gesinnungsgenossen John Schaeffer, seines Zeichens ehemaliger Gitarrist und Mastermind von ICED EARTH, wäre er gut beraten, seine Wut in Zaum zu halten, denn letzterer ist seit seiner Verhaftung nach der Beteiligung am Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 in ernsthaften Schwierigkeiten und muss mit mehreren Jahrzehnten hinter Gittern rechnen. Die US-Justiz mag umstritten sein, doch auch ihre Mühlen mahlen unermüdlich.

Kid Rocks politische Macht beschränkt sich allerdings neben Trump-treuer Rhetorik ohnehin eher auf mittelgroße Spenden an die Republikaner, während seine seichten Rock-Hymnen mit nationalistisch-romantischem Einschlag die musikalische Untermalung republikanischer Veranstaltungen bilden. Seine Drohung "You fuck with Trump, You fuck with me" wird daher wohl leer bleiben und nur auf weitere musikalische Zumutungen herauslaufen; schnöde Country- und Classic-Rock-Standardrezepte mit lyrischen Verklärungen einer ewiggestrigen Südstaaten-Romantik. Sie verdeutlicht allerdings auch nur allzu gut ein fehlendes Verständnis von Politik und absolute Unfähigkeit zum politischen Diskurs, und damit macht sich der Herr Superstar nicht gerade zum Vorbild.

Groß ist das Echo dieser Tage auch, nachdem MÖTLEY-CRÜE-Drummer und Dauer-Skandalfee Tommy Lee in das wohl wahlkampfentscheidende Foto eines blutverschmierten Donald Trump kurzerhand einen ejakulierenden Pimmel in dessen hochgesteckte Hand zeichnete. Irgendwo zwischen fragwürdigem Teenager-Humor eines 61-Jährigen und extrem makaberer Situationskomik ist das allerdings auch eine deutliche Karikatur der politischen Kultur der USA, denn leider zeigt sich hier das Niveau, auf dem der gesellschaftliche Diskurs in den Vereinigten Staaten derzeit ausgetragen wird. 

Dabei ist es auch nicht hilfreich, wenn ein Kyle Gass bei einem Konzert seiner Band TENACIOUS D vor tausenden Fans seine Hoffnung zum Ausdruck bringt, dass das Projektil Trump "nächstes Mal bitte nicht verfehlen" möge. Das mag in etwa dem Humor dieser Gruppe entsprechen, ist aber ebenso daneben wie Kid Rocks Verhalten, zumal die Kugel Trump nur um ein Haar nicht tötete, ein weiterer Schuss hingegen einen Familienvater das Leben kostete. Und die meisten Anhänger Trumps werden bei der Intensität des aktuellen Wahlkampfes wohl kaum das geistige Vermögen aufbringen, humoristische von ernsten Aussagen zu trennen oder die Provokation Gass' zu ignorieren, und damit treibt er die Spaltung der Gesellschaft letztlich nur weiter. Zwar hat sich Gass inzwischen entschuldigt und von seiner Äußerung distanziert, doch den Schaden wird das nur bedingt rückgängig machen.

Das politische Klima der USA ist schon länger durch die realitätsverweigernde Polemik Trumps vergiftet. Die Äußerungen gewisser Künstler infolge des Attentats wirken dabei kaum lindernd, und anstatt die amerikanische Demokratie zu bewahren, auf die sie alle so stolz sind, erhöhen sie allesamt eher die Gift-Dosis. Sie schüren eine gefährliche Atmosphäre, die die Stimmung im Lande nur weiter zerstört, denn jeder Hass und jede Destabilisierung der Gesellschaft spielt in letzter Konsequenz dem wandelnden Wahnsinn in Gestalt von Trump in die Karten. Eine weitere Präsidentschaft des Republikaners wäre desaströs für die USA und die Welt, wird so aber von Tag zu Tag wahrscheinlicher. 

Die künstlerischen Reaktionen dieser Tage sind Zeugnis einer völlig kaputten Debattenkultur und eines gestörten Verhältnisses zwischen Politik und Kultur. Den USA sollte an einem bewussteren Umgang mit politischem Engagement gelegen sein, doch das bleibt bei diesem Niveau wohl Utopie. 

Man möchte hoffen, dass Politik und Musik wieder harmonisch zusammenfinden, wie einst im Wahlkampf 2008, als mit Barack Obama und Bruce Springsteen zwei ganz und gar verschiedene Biographien ein selbstkritisches und doch positives Bild der USA zeichneten, das versöhnlich, weltoffen und zukunftsgerichtet war. Musik und Kunst sind Brückenbauer, und Politik ist in gewisser Hinsicht auf sie angewiesen, denn Musik hat die Macht, politische Botschaften auch in unpolitischere Kreise zu tragen und daran zu erinnern, dass es trotz aller Unterschiede möglich ist, gemeinsam an einer besseren Zukunft zu arbeiten. 
Das sollte im Interesse aller sein, doch nicht alle scheinen verstanden zu haben, wie das funktioniert. Vor allem nicht Kid Rock.

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Jakob

Ende der 90er war ich auf einmal da und entdeckte bald die Genesis- und Rolling-Stones-Platten meines Vaters.  Mit 11 fand ich entdeckte ich Metal, seitdem halten meine Eltern das für eine Phase, sind aber trotzdem stolz. 

Anmerkungen und Empfehlungen, Lob und Drohbriefe, Kochrezepte und Sonstiges: gerne per Instagram an jackl_p ;-)