Geschrieben von Donnerstag, 15 August 2024 09:17

Let's talk about Falling In Reverse!

Let's talk about Falling In Reverse! J. Pflüger

Ronnie Radke ist und bleibt wohl eine der schönsten Wundertüten im Hartwurst-Segment. Unendlich kreativ, notorisch kontrovers und irgendwie drollig. Ein neues Album von FALLING IN REVERSE steht in den Startlöchern und eine gigantische Tournee ist im Anmarsch – Zeit für eine kurze, liebevolle und kritische Abrechnung mit der herrlichsten Skandalnudel der Metalszene!

Das Quintett aus Nevada kann man getrost als Allegorie auf die screamende Rap-Maschine, Marketing-Koryphäe und Labertasche Ronnie Radke verstehen. Er ist weit mehr als Frontsänger und Gesicht seiner Band. Er ist die Band, und daraus macht niemand ein Geheimnis. So konnte sich in den vergangenen 13 Jahren in beispielloser Manier ein Ex-Knasti zum schwerreichen Superstar mausern, und das Resultat ist großartige Musik mit Blockbuster-Stimmung, andauernden Kontroversen und wunderbar unterhaltsamen Star-Allüren.

Ronnies Persönlichkeit ist der personifizierte Amerikanische Traum mit juristischen Startschwierigkeiten und zieht damit Bewunderer, Neider und Hater gleichermaßen an. Das Echo zu seiner Person ist riesig und trägt seit Jahren zum Aufstieg von FALLING IN REVERSE bei, die Ronnie längst zur genreübergreifenden One-Man-Show ausgebaut hat und bei der er selbst Millionen scheffelt, milliardenweise Streams sammelt und weltweit durch die größten Arenen tourt. 

Sein Erfolg wurzelt jedoch auch in einem Geschäftssinn, der irgendwo zwischen Forrest-Gump-Essenz und Hip-Hop-Marketing liegt: stilistische Unvorhersehbarkeit in jeder Veröffentlichung bei voller Konzentration auf Singles mit spektakulärsten Musikvideos, garniert mit beispielloser Selbstinszenierung. Und das ist schlichtweg genial.

Man denke nur an das grandiose "Watch the World Burn", das 2022 Metal- und HipHop-Sensation zugleich war und Ronnie schnell zu einer Art headbangendem Eminem, einem Rap-God der Metal-Welt aufsteigen ließ. Die Nummer war das perfekte Zusammenspiel von Hiphop und Metal, musikalisch brillant, das Video glich einem Marvel-Epos mit Ronnie als nächstem Endgegner von Iron Man, Captain America und Thor. 



Die Fortsetzung kam dann vor einigen Monaten in Form eines Songs namens "Ronald" und ist in Punkto Spektakel und Absurdität seither unübertroffen. Im Video sehen wir Rap-Legende Tech N9ne als gottgleichen Herr des Universums, bevor Ronnie in höchster cinematischer Auflösung gegen eine Art 200 Meter hohen Balrog mit der Stimme von Alex Terrible kämpft. Großartiges Happening, alles mindestens so hochwertig produziert wie die meisten Marvel- oder DC-Filme und es wirkt, als wäre die Welt von Ronnie endgültig zum Fantasy-Metaversum mutiert.



Doch der Erfolg der vergangenen Jahre und Monate konnte die Kritik an seiner Person und Vergangenheit nicht überdecken, und da Ronnie grundsätzlich macht, was er will, kehrte er im Zuge ausufernden Hasses in Sozialen Medien zuletzt der Metal-Szene demonstrativ den Rücken. 

Ronnie goes Wildwest

Mit der letzten Single "All My Life" driftete der Bezwinger des Balrogs in die Country-Szene ab, und wenn man seinen (teils berechtigten) Hasstiraden auf den Umgangston in der Rock- und Metalszene auf Social Media glaubt, fühlt er sich in der High-Society der Country-Welt grade ziemlich wohl. So wohl, dass er neuerdings am Liebsten mit Cowboy-Hut auftritt, seine Freundschaft zu US-Megastar Jerry Roll und dessen Fans himmelhoch lobt und seine Socials komplett auf modernen Wildwest umfrisiert sind, während das Management in seinem Namen einen Sportwagen im astreinen Südstaaten-Look verlost (Liefer- und Versicherungskosten möge aber bitte der Gewinner selbst übernehmen).

Die Country-Phase scheint sich auszuzahlen – seit einem Monat steht die Single stabil an der Spitze der Billboard Mainstream Rock Airplay Charts. Ronnie, aktuell die Dolly Parton der Metal-Szene. Zumindest so lange, bis er mit dem nächsten Genre um die Ecke kommt: So twitterte Ronnie erst neulich, dass er jetzt versuche, herauszufinden, welche Musikrichtung er wohl als nächstes abgrasen soll. 

Und weil die finanzielle Ausbeute bisher wohl noch nicht genug ist, kann man Ronnie neuerdings auch als Fan ins Privatleben folgen, wenn man sich gegen einen Obolus auf Patreon als Ronnie-Fan registriert. Und weil keine große Ankündigung ohne große Ironie und Komik geht, sieht man Ronnie in der Videoankündigung mit Riesenpapagei vor dem Swimmingpool seiner Luxusvilla in die Kamera labern, während im Hintergrund ein Schwimmer absäuft und anschließend als Wasserleiche durch die Gegend treibt.

Man mag sich über all das amüsieren, doch der Megamind von FALLING IN REVERSE hat die Klänge des in den meisten Musikszenen so stigmatisierten Metals weiter in andere Genres hineingestreut als die meisten seiner Kollegen, und dabei umgekehrt auch HipHop-Elemente im Metal salonfähig gemacht. Das macht Ronnie gewissermaßen zum Botschafter gleich mehrerer Stilrichtungen und vielleicht zur derzeit einflussreichsten Persönlichkeit über die Genregrenzen des Metal hinaus.

Wer dieser Tage eine gewisse kreative Stagnation in neuen Veröffentlichungen härterer Musikrichtungen verspürt, mag die stilistischen Experimente und Ausflüge von FALLING IN REVERSE daher als erfrischend empfinden.

Popular Monster

Paradoxerweise gehören jedoch auch Ronnies Vergangenheit und die nicht ablassende Kontroverse um seine juristischen Fehltritte zu seiner Erfolgsgeschichte. Wenn sich Ronnie ständig zu seinen Konflikten mit Gesetz und Moral äußert, auf kritische Stimmen gerne persönlich antwortet und dabei teils ausfallend wird, hält das die Debatte um seine Persönlichkeit auch künstlich am Leben, und Ronnie versteht sich wie kaum jemand darauf, daraus Kapital zu schlagen. Provokation schafft Aufmerksamkeit, und die ist gut für's Geschäft. Pöbelst du gegen Ronnie, pöbelt er zurück und erhält so auch in Kreisen der Hater Aufmerksamkeit. Das ist die subtile, aber sehr lukrative und perfektionierte Kunst des Drauf-und-Zurück-Scheißens, und in letzter Konsequenz scheißt Ronnie damit vor allem Geld. 

Seine Kommentare gegenüber Kritikern im Internet werden dabei oft vom fröhlichen Gezwitscher eines kleinen Papageien namens Sunny begleitet, der sich immerzu an Ronnies Oberkörper klammert oder auf ihm herumspaziert und damit recht deutlich signalisiert, wie ernst Ronnie sich selbst und seine Hater nimmt.

Und wer als Hater bisher nur zu gerne auf Ronnies krimineller Vergangenheit herumritt, wird sich in Zukunft wohl des Windes in den Segeln beraubt fühlen. Die umstrittene Biographie des Sängers machte dieser in letzter Zeit kurzerhand zum Trademark, die andauernde Kritik wird zum Mittel der Wertschöpfung: Bereits das Cover des lang erwarteten neuen Albums "Popular Monster", das morgen erscheint, ziert ein Mugshot aus Ronnies Tagen als Kleinkrimineller auf den Straßen von Las Vegas. Wir sehen Ronnie mit verwuscheltem Haar, halb freundlich, halb verplant in die Kamera dreinblickend. Wie ein Monster wirkt das allerdings nicht – eher wie ein knuffig-halbstarker Schwiegermutter-Alptraum. Die One-Man-Show geht jedenfalls in die nächste Runde, und Ronnie spinnt fleißig weiter an seiner Legende. 

Vielleicht ist ein solcher Emporkömmling und Self-Made-Man mit Hang zur Selbstinszenierung und stilistischen Experimenten, der weit über die Grenzen des Metal hinaus gefeierter Künstler ist, trotz aller Kontroversen genau der frische Wind, den die Musikwelt in Zeiten ausufernder Homogenisierung braucht. 
Und vielleicht kommt er bei aller Exzentrik und Kritik der Berufsbezeichnung des Rockstars in 2024 näher als die meisten seiner Branche. Star-Allüren hin oder her – blickt man in die Lyrics seines Songs "Drugs", sieht sich Ronnie allem Ruhm und Reichtum zum Trotz jedoch nicht als Celebrity, " ... but I'll be doing this shit till I'm seventy". Bitte, gerne.

Jakob

Ende der 90er war ich auf einmal da und entdeckte bald die Genesis- und Rolling-Stones-Platten meines Vaters.  Mit 11 fand ich entdeckte ich Metal, seitdem halten meine Eltern das für eine Phase, sind aber trotzdem stolz. 

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