Geschrieben von Sonntag, 14 Juni 2009 20:47

Lieber die FALCONS unter`m Dach, als taub und ohne Hände

BYE goes Block und damit goes ich Richtung erster Versuch.
Ich hatte eigentlich mal vor, eine Art „Story" über diverse Erlebnisse mit Bands zu machen, aber auch ich habe (vermutlich TV - und internetinduziert) immer weniger Aufmerksamkeitsspanne und so kommt mir die Blogform eigentlich ganz recht: Rock N Roll in Häppchenform.

Wenn man sich für Musik interessiert und auch als recht aktives Hobby betreibt, lernt man vermutlich irgendwann zwangsläufig jede menge schräger Vögel kennen. Bei mir waren das unter anderem die Jungs von Cityrat Records, die mittlerweile eigentlich eher Cityrat Booking heißen müssten. Naja, jedenfalls organisieren die Vögel Konzerte und Tourneen und eine der ersten Tourneen war mit den HUDSON FALCONS aus New Jersey. Mir sagte das zwar nicht viel, aber laut Aussage der Stadtratten handelt es sich mit ihrem Frontman Mark Linsky so ziemlich um Mr. Rock N Roll höchstpersönlich - das Rückrad der amerikanischen Rock N Roll-, Working Class- und Punkbewegung und vermutlich auch der Erfinder des Feuers, des Wortes „Fuck" und der griechischen Demokratie und ähnlichem.

Zu dieser Zeit bewohnte ich mit einem der Typen, der sich auch noch mein bester Freund schimpfen kann, eine WG. Schön im vierten Stock und mit (mehr oder weniger ausgebauten) Dachboden, den wir Vorsorglich im Farbton „Leidenschaft" gestrichen hatten - was für eine große Spielwiese! Und diese Spielwiese bot sich nun mal mehr als einfach nur an, um dort Leute zu beherbergen. Und da uns normale Leute zu langweilig waren, haben wir direkt mal sechs Amis, von denen ich nicht mal die Namen kannte für mehrere Wochen bestellt. Nämlich immer, wenn die HUDSON FALCONS einen Offday in der Nähe hatten oder Abends nach der Show wieder zurück nach Dülmen fuhren, schlief die ganze Bagage bei uns im Wohnzimmer und auf dem Dachboden.- wie im Ferienlager nur mit Erwachsenen und mit weniger Disziplin.

Die Falcons sind mittlerweile Teil der Familie, bzw. gehören wir alle nun zur La Familia und zur Rock N Roll Cosanostra (ich selber höre auf den Namen Euro-Kai) - das Abenteuer haben wir uns nämlich direkt mehrer Jahre nacheinander angetan. Und das bei jährlich wechselndem Linup. Die einzige Konstante sind eben Mark und seine Frau gewesen, die jedes Jahr wieder da waren. Ansonsten haben wir bereits einen netten Querschnitt amerikanischer Musikerklischees mitbekommen. Den halbirischen Gang-Bassisten, den chaotischen Wohnungslosen auf der Suche nach Uppern und Downern, die Slacker im Flanellhemd, das Tier aus der Muppetshow am Schlagzeug (ich habe seitdem zwei Becken seines Drumsets in meinem Besitz, die er auf der Tour beinahe bis aufs letzte zertrümmert hat - ich habe so was noch nie gesehen...), den typischen Übergwichtler und einen Ex-Schlagzeuger von KILL YOUR IDOLS, der Heino für Extrem-Punk hält und tatsächlich Platten von ihm besitzt.

Für die Jungs selber ist das ganze immer wie Urlaub (mit weniger Taschengeld allerdings) und für uns auch - aber aus Sicht der Hotelleitung. Man stelle sich da Menschen vor, denen man in seinem Wohnzimmer begegnet, die sich morgens noch mal ein Bier aufmachen, während man selber zur Arbeit geht und die dann mitten in der Nacht wieder angetrunken von einer Show zurückkommen und dich wecken, um noch ein wenig in deinem Wohnzimmer zu feiern, während du wieder zur Arbeit musst. Klasse sind die Wochenenden und die Urlaubstage, die man zusammen mit den ständig fluchenden Amis verbringt (das zieht sich durch jedes Linup und jede Band und führt dazu, dass man selber auch im Deutschen auf einmal Sätze wie „Kann ich mal das Scheiß-Brot haben?" von sich gibt): die sind ja grundsätzlich immer schwer begeistert vom deutschen Bier und zum Frühstück gibt es dann immer Reggae, weil alles andere zu „hektisch" und „krachig" für den dicken Kopp wäre. Ich empfehele. THE AGGROLITES!

Am meisten beeindruckt hat mich aber immer, was man alles so erträgt, um Musik machen zu können. Damit meine ich nicht mal nur die Tatsache, dass die Jungs meist von weniger als 10 Euro am Tag leben müssen (davon werden Essen, Kippen und alles weitere bezahlt), sondern auch die Bereitschaft, die eigene Gesundheit unterzuordnen. Als Mark Linsky zum ersten Mal vor meiner Türschwelle stand, war ich wie vom Blitz getroffen: da stand kein Johnny Depp mit wallendem Haar von mir, sondern ein Kerl in den 30igern, in Jogginghosen, mit recht wenigen Haaren und auf einen Stock gestützt! Der Stock war auf seinen Rücken zurückzuführen, der ihm mehr als nur ernste Probleme bereitete. Und so war er auch der einzige, für den wir so etwas wie ein richtiges Bett auf unseren Dachboden gestellt haben. Im zweiten Jahr wurde das sogar noch getoppt: meine Freundin und ich bekamen einen sehr spontanen Anruf, ob wir nicht „genau jetzt" nach Amsterdam fahren wollten, um die Falcons vom Flughafen abholen wollten. Der eigentliche Fahrer hatte kurz vor Amsterdam Bekanntschaft mit einem italienischen LKW-Fahrer gemacht, der seinerseits die Bedeutung des Wortes „Toter Winkel" seit diesem Tag ganz anders gewichten wird. Glücklicherweise war der einzige Totalschaden am Auto zu vermelden und so waren wir auch schon unterwegs zum Flughafen.

Aber wo findet man 6 Amis auf einem niederländischen Flughafen? Richtig - bei Burger King! Aber diesmal reicht der Stock nicht mehr aus: geplagt durch den langen Flug saß Mark im Rollstuhl und wirkte nicht wie jemand, der auch nur einen einzigen Gig spielen würde. Aber da kommt eben die Kraft der Musik ins Spiel, denn auf der Bühne verwandelt er sich zum absoluten Energiebündel dessen Körper aus Gummi zu bestehen scheint. Außerdem habe ich noch nie jemanden gesehen, der seinen Kopf sehr dermaßen von links nach rechts werfen kann wie Mark. Nach der Show ist er zwar absolut fertig, aber für die beiden Stunden hält ihn einfach nichts. Oder wie er selber sagen würde: Another life saved by Rock n Roll!

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Kai