Geschrieben von Freitag, 26 Juni 2009 19:06

Ausgepoppt

Es ist erst einige Tage her, daß die Popkomm, die große deutsche Messe der Musikindustrie, für dieses Jahr abgesagt wurde. Die Lage der Branche wäre schwierig, lässt man verlauten, und das Interesse der großen Aussteller in diesem Jahr zu gering. Und irgendwie wird der schwarze Peter wieder dem Kunden zugeschoben, der einfach nicht genug kaufen will oder Musik gleich illegal herunter lädt. Das zeigt vor allem eines: Die Musikindustrie ist immer noch weit davon entfernt, sich mit ihren eigenen Fehler aus Vergangenheit und Gegenwart zu beschäftigen und sucht lieber außerhalb der eigenen Kreise Schuldige, statt Lösungen.

Keine Frage, das illegale Herunterladen von Musik ist ein Problem. Und auch ich bin der Meinung, dass ich entweder für das geistige Eigentum eines anderen (finanzielle Aufwendungen wie Aufnahmestudio inklusive Tontechniker, Mastering, Pressen des Tonträgers usw.  sind natürlich auch zu bedenken) eine Gegenleistung zu erbringen habe, also mir den Tonträger kaufe. Alles andere entspricht einfach nicht meinem Rechtsempfinden.
Gleichzeitig sind die tatsächlichen Auswirkungen von Tauschbörsen und Co auf die Verkäufe von Tonträgern sehr umstritten. Von der Musikbranche in Auftrag gegebene Untersuchungen widersprechen sich vollkommen mit denen einiger anderer Institute, die abgesehen von Single-Verkäufen sogar Steigerungen feststellen. Fakt ist, die Einnahmesituation der Musikindustrie hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Dazu hat sie aber auch nicht unwesentlich selbst beigetragen.

1. Die Preise für Tonträger
Die Produktion von CDs waren nach Einführung des neuen Mediums zunächst sehr viel teurer, als das Pressen von LPs. Entsprechend stieg der Preis, der mit der verbesserten Klangqualität gerechtfertigt wurde (was heute auch durchaus umstritten ist). Als die Produktionskosten im Laufe der Zeit durch verbesserte Fertigungsmethoden und vor allem die Kosten pro Stück durch die explosionsartig ansteigenden Mengen deutlich geringer wurden, die Produktionskosten von LPs schließlich unterschritten, wurde die Ersparnis nicht an den Kunden weitergeben.
Mit der Umstellung auf den Euro wurden dann auch noch in vielen Fällen nur die Währungssymbole ausgetauscht und die allgemeine Teuerungswelle mitgetragen. Also sollte man sich nicht wundern, dass die Kunden weniger Einheiten kaufen können. Man kann schließlich den Euro nur einmal ausgeben.

2. Die Veröffentlichungspolitik
In den Onlinemedien, die noch keine so lange Tradition haben, ist es in dem Umfang noch nicht zu sehen, aber wer den Rezensionsteil einer Ausgabe eines beliebigen Printmagazins von vor etwa zehn Jahren mit einer aktuellen Ausgabe vergleicht wird feststellen, dass der Rezensionsteil deutlich dicker geworden sein wird. Manches Magazin musste sich zwischenzeitlich auf eine bestimmte Anzahl zu besprechender Neuerscheinungen beschränken, um nicht in der Veröffentlichungsflut unter zu gehen.
Klar, Musik machen und Musik aufnehmen ist heute so billig wie noch nie. Mit wenig Technik und etwas Sachkenntnis lässt sich heute ein Sound schaffen, der noch vor wenigen Jahren einen professionellen Studio Lob eingebracht hätte. Das macht zwar einerseits den Weg für Talente frei, die früher nie das Licht der Öffentlichkeit gefunden hätten, beschert uns andererseits aber auch Veröffentlichungen von „Künstlern", die früher aus gutem Grund nie einen Plattenvertrag bekommen hätten.
Hier wäre die Industrie gefragt, eine art Prüfungsinstanz zu bilden. Stattdessen verlegt sie sich darauf, wie es ein Vertreter einer mittelgroßen Plattenfirma mal im kleinen Kreis formulierte: „...so lange Scheiße an die Wand zu schmeißen, bis etwas kleben bleibt." Mit anderen Worten: Es wird so gut wie alles Produziert, weil es (zumindest unterhalb eines gewissen Anspruchs) kaum noch etwas kostet und dann wird am Kunden getestet.
Gleichzeitig wundert sich die Industrie, dass die Wertschätzung des durchschnittlichen Kunden für Musik sinkt und er sich, wenn er nicht gleich dazu übergeht die Musik aus dem netz zu laden, die sowieso in wenigen Wochen wieder außer Mode ist, so zumindest im Internet anzutesten, für was er sein Geld ausgeben soll.

3. Die Angst vor dem Internet
Viele Bands erkannten die Möglichkeiten des Internets schnell und spätestens seit Beginn des Myspace-Zeitalters kommt eigentlich keine Band um eine Präsentation im World Wide Web herum. Die Industrie dagegen ließ die Möglichkeiten lange außen vor und lamentierte lieber über die Gefahren. Statt schnell mit neuen Vertriebswegen für digitale Musik, für die man im Gegensatz zu vielen viel zu spät geschaffenen Plattformen keine speziellen Programme oder sogar spezielle Hardware braucht (wie etwas bei I-Tunes), zu liefern, erging man sich in langwierigen Prozessen gegen Tauschbörsen und vor gar nicht all zu langer Zeit bewies man, dass man immer noch nichts verstanden hatte, als man versuchte, gegen die Verwendung von Musik auf Youtube vorzugehen. Den Gedanke, dass solche Plattformen auch Werbung sein können, haben bisher nur wenige Plattenfirmen verinnerlicht.
Daß ein Markt besteht, sollte spätestens mit den grauenhaften Klingeltönen bewiesen sein. Wenn die Menschen bereit sind, für fast bis zur Unkenntlichkeit komprimierte Dateien viel Geld zu zahlen, warum sollten sie das nicht auch für Musik in guter Klangqualität tun?

Was ist der Weg aus der Krise? Das ist schwer zu sagen. In der Phase der Milliardengewinne hat sich ein gigantischer Aperrat aus Plattenfirmen, Vertrieben, Promoagenturen, Aufnahmestudios usw. aufgebläht, in dem Tausende an der Musik verdienen und das betrifft bei weitem nicht nur die großen Marktführer. Schon jetzt erleben wir, wie auch traditionelle Label der mittleren Ebene in den Strudel der Talfahrt gerissen werden, von kleinen, oft nicht mal auf Gewinn arbeitenden, Firmen gar nicht zu reden.
Und doch wird an einem Gesundschrumpfungsprozess vermutlich kein Weg vorbei führen. Wenn Musik an sich wieder geschätzt werden soll, muß zumindest eine Mehrzahl der Veröffentlichungen die entsprechende Qualität aufweisen. Und sollten sich nicht unerwartet tausende unentdeckter musikalischer Genies auftreiben lassen heißt das vor allem Eines: Die Gesamtzahl der Veröffentlichungen muss drastisch reduziert werden, mit allen Konsequenzen. Denn ein Abbau des Volumens wird Arbeitsplätze kosten, vermutlich sogar diverse Firmen ihre Existenz.
Natürlich gibt es auf der anderen Seite auch die, die sich am liebsten ganz von der Musikindustrie lösen würden. Bands wie RADIOHEAD, COLDPLAY oder NINE INCH NAILS werden als Beispiele herangezogen, die sich zumindest teilweise selbst vermarktet oder gleich kostenlos ganze Alben zum Herunterladen freigegeben haben. In meinen Augen liegen hier aber gleich mehrere Denkfehler. Zum einen haben alle drei Bands langjährige und treue Fans, die auch bereit sind selbst dann Geld für die Musik ihrer Lieblinge zu zahlen, wenn sie es nicht müssen. Im Chart-Bereich sicher undenkbar. Vor allem aber handelt es sich um drei etablierte Bands. Auch in Zeiten des Internets ist es für eine unbekannte Band praktisch unmöglich, sich ohne die Maschinerie aus Plattenfirma und Promotion einen Namen zu machen, gerade weil es so schwer ist aus der Flut von Veröffentlichungen heraus zu stecken oder gar aus der Masse an Bandpräsenzen im Internet. Auch wenn die Idee, dass man den Zwischenhändler austauscht und die Musiker direkt und ohne den Löwenanteil abgeben zu müssen für ihre Arbeit bezahlt werden verlockend scheint, würde es ohne die Aufbauarbeit der Industrie gar keine großen Bands mehr geben und kaum ein Künstler könnte überhaupt noch von seiner Musik leben.

Die Situation ist schwierig und die Zukunft sieht nicht eben rosig aus, denn diejenigen, die sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen müssten, suchen überall nach Schuldigen, nur nicht bei sich. Während wir also auf Einsicht warten, lasst euch von denen keinen Müll andrehen und dreht die Regler auf Elf.