Geschrieben von Kai Freitag, 22 Oktober 2010 00:00
Escapado - Interview mit Sänger Felix zum Album "Montgomery Mundtot"
Im Hause ESCAPADO hat sich einiges getan: Seit der letzten Platte („Initiale" auf Grand Hotel Van Cleef) sind Sänger und Bassist ausgestiegen (und damit 50 Prozent der gesamten Band) und man musste erstmal umbesetzen. Jetzt steht mit „Montgomery Mundtot" eine neues Album der deutschsprachigen Hardcore/Posthardcore/Screamo-Fraktion in den Startlöchern. Mehr als Grund genug also, uns den neuen Sänger Felix mal für ein paar Aufklärungsversuche zu greifen.
Bitte stell dich und deine Band unseren Lesern vor.
Ich bin Felix, Sänger von Escapado. Wer diese Band ist oder wie sie klingt, können andere besser beurteilen. Da mache ich mir auch keine Gedanken drüber. Für mich ist es einfach energiegeladene Musik einer Band, die was zu sagen hat. Aber vor allem die Musik, die ich selbst mache und auch am liebsten höre.
Wie kam es zu den Umbesetzungen in der Band?
Da ich zu denjenigen gehöre, die neu in die Band kamen, kann ich nicht sehr viel dazu sagen. Das, was ich aber weiß, ist, dass der damalige Ausstieg von Helge und Gunnar relativ unspektakuläre Gründe hatte. Nicht jedes Gefüge ist nun mal dafür bestimmt, auf ewig füreinander geschaffen zu sein. Je älter man wird, desto mehr Entscheidungen hat man zu treffen, besonders was persönliche und berufliche Perspektiven betrifft. Und wenn man sich für einen Weg entschieden hat, muss man abwägen, ob man für eine Band wie Escapado überhaupt noch die nötige Leidenschaft und Energie aufbringen kann. Und das funktionierte wohl nicht mehr und war nach meinem Verständnis bei den beiden der Hauptgrund. Für Sebastian und Christoph war Escapado aber noch lange nicht gestorben, schließlich waren sie mitten in den Vorbereitungen zum dritten Album. Also hat man ausnahmsweise nicht den Kopf in den Sand gesteckt, sondern von vorn begonnen. Johannes und ich waren in diesem Fall die glücklichen Nutznießer.
Kam jemals die Frage auf, ob ihr auch mal Stücke in englischer Sprache auf der neuen Platte probieren würdet?
Nein, Deutsch ist die Sprache, in der wir uns am besten ausdrücken können und wollen. Ich selbst habe auch schon vorher ausschließlich auf Deutsch getextet, deshalb kam diese Frage auch nie auf. Ich glaube auch nicht, dass Sebastian darüber nachgedacht hat - und wenn, dann hätten wir niemals den Namen Escapado behalten. Dann hätten wir wohl eine komplett neue Band gestartet.
War es schwierig den Ersatz zu finden, der a) musikalisch wunderbar ins „gewohnte Bild" von ESCAPADO passt und b) dann auch dem Lebensstil der Band folgen kann?
Klar. Es musste in erster Linie menschlich passen. Außerdem darf man Musik nicht nur als Hobby nebenbei betrachten. Die Leidenschaft muss einfach da sein. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, stellt sich die Frage nach dem Lebensstil auch nicht mehr, das passiert automatisch. Und so was merkst du auch schon in den ersten Minuten, wenn du einem Menschen begegnest. Als ich auf Christoph und Sebastian traf, war recht schnell klar, dass es „funkte". Bei Johannes genauso. Er hat so eine gelassene, angenehme Art, die wir sehr schätzen und die für Bassisten merkwürdigerweise typisch ist. Gerade beim Posten des Bassisten ist es wichtig, jemanden zu haben, der in seinem Instrument aufgeht. In vielen Bands übernehmen ja Gitarristen notgedrungen diesen Job, fühlen sich aber schnell unwohl. Wir haben uns bei der Suche aber keine engen Grenzen abgesteckt. Wir wussten höchstens, dass es mit einem 50jährigen, übergewichtigen Hippie auch keinen Sinn hätte, selbst wenn er noch so leidenschaftlich Musik macht.
Wo wir grade dabei sind – wie viel Zeit beansprucht die Band bei euch und was macht ihr neben der Band?
Wenn ein neues Album in den Startlöchern steht, geht natürlich eine Menge Zeit dafür drauf. Ich glaube, so richtig Luft holen kann man erst wieder nach der Tour. Aber es bringt ja tierischen Spaß, und ich kann mir einfach nichts Besseres vorstellen. Wir alle müssen sehen, dass wir finanziell nicht auf der Strecke bleiben und die Miete weiterhin rein kommt. Es scheint ja immer noch eine Menge Leute zu geben, die glauben, dass wir von der Musik leben können. Selbst weit bekanntere Bands als Escapado müssen sich mehrmals im Jahr den Arsch abtouren, um überhaupt über die Runden zu kommen. Ich arbeite immer noch in der Firma, in der ich auch meine Ausbildung gemacht habe. Da mache ich jetzt Anwendungsbetreuung für ein bestimmtes Computersystem. Nicht gerade „Rock'n'Roll", aber wenigstens kommt man mir dort ganz gut entgegen, was mein „zweites Leben" bei Escapado betrifft. Johannes steckt mitten im Maschinenbau-Studium, Christoph hält sich nebenbei als Raumfahrer über Wasser, glaub ich. Nein, im Ernst: Chris kloppt auch gerade die letzten Examensarbeiten für sein Lehramts-Studium durch, und Sebastian ist mit seinem Lehramts-Studium bereits fertig. Er arbeitet erst mal als Aushilfslehrer, bevor er sein Refendariat beginnt.
Habt ihr eigentlich auch Songs geschrieben, die den ESCAPADO-Kosmos zu weit verlassen hätten? War es euch wichtig, trotz des Line-Up-Wechsels Kontinuität im Sound zu haben?
Es war auf jeden Fall das erste Mal, dass wir mit mehr Songmaterial ins Studio gegangen sind, als wir eigentlich brauchten. Seb und Chris erzählten mir, dass bei den beiden Vorgängeralben immer noch ein bis zwei Songs kurzfristig im Studio entstanden sind. Nun konnte man viel mehr ausprobieren und mit den Ideen rumspielen. Grundsätzlich gab es aber keinen Song, der nicht in den „Kosmos" passte. Sie passten nur einfach nicht auf das Album. Naja, allein Sebastians Gitarrensound sowie seine Art, Gitarre zu spielen, sind eigentlich schon so unverkennbar und eigenständig, dass man sich nie krampfhaft bemühen musste, eine Kontinuität zu bewahren. Am Ende muss man natürlich schon darauf achten, dass die Beibehaltung des Namens nicht völlig unangemessen ist, klar. Man kann mit dem Namen ja nicht auf einmal Hip-Hop machen. Aber dass der typische „Vibe" oder Sound mit neuer Stimme und neuem Bassisten trotzdem da war, haben wir ja schon lange vor dem Studio gemerkt. Wir mussten über sowas also zum Glück nicht mehr nachdenken, als wir mit den Aufnahmen begonnen haben.
Die Band hat klassisch mit Samplerbeiträgen und Singles begonnen. Ist es schwieriger, in ganzen Alben zu denken und zu planen? Wie lange hat es euch gebraucht, „Montgomery Mundtot" zu schreiben, vorzubereiten und aufzunehmen?
An einem Album als „Gesamtkunstwerk" zu arbeiten, ist auf jeden Fall sehr viel schwieriger und arbeitsintensiver. Man muss so viele Dinge beachten, die vielen Leuten aber nur auffallen, wenn man sie als Band eben NICHT beachtet hat. Die Reihenfolge der Songs zum Beispiel, unglaublich wichtig. Die muss einfach stimmen, sonst behagt dem Hörer irgendwas nicht und er weiß noch nicht mal genau, was es ist. Ich könnte so viele Dinge aufzählen. Aber mit einem Album kannst du natürliches etwas sehr viel Größeres mit viel mehr Substanz und Tiefe erreichen, als nur mit einem Song. Das Album soll ja die Band auch größtenteils repräsentieren. Wenn Songs, Sound, Texte, Artwork, Farben usw. ineinander greifen, erschafft man quasi eine kleine Welt für sich. Also viel Arbeit, ja. Die sich aber lohnt, wenn man es dann irgendwann in den Händen hält. Kurz nach dem Split vor über 1 ½ Jahren stieß ich schon dazu und es ging los. Natürlich hat man nicht sofort konkret am Album gefeilt, man hat erst einfach nur Musik gemacht, viel gesprochen und sich aneinander gewöhnt. Wir haben „Montgomery Mundtot" in weniger als vier Wochen aufgenommen. Erst instrumental, den Gesang ein paar Monate später.
Kannst du mir das Cover erklären?
Wenn man das Thema und Grundgefühl des Albums in einer Farbe darstellen sollte, dann trifft es dieses Bild wohl am besten. Das Foto wurde von Chris Strong gemacht, der auch für das Coverfoto der letzten Russian Circles-Platte verantwortlich ist, und wir waren alle sofort begeistert. Für mich erzeugt es die richtige Stimmung, der Staudamm hat etwas Unüberwindbares, Manifestiertes. Als ob er da schon seit Menschengedenken steht und quasi unsprengbar ist. Und das passt einfach genau zur Platte. Da gibt es nicht viel zu erklären, man spürt einfach, ob es das richtige Cover ist oder nicht.
Viele der Norddeutschen Bands haben einen sehr eigenen Sound. Was prägt euch Nordlichter?
Keine Ahnung. Ich gebe dir sogar Recht, wenn du sagst, dass da irgendwas Subtiles im Sound von norddeutschen Bands immer mitschwingt, das sie irgendwie verbindet. Und wenn sie noch so unterschiedliche Musik machen. Aber wieso? Liegt es am Meer? Oder am Wetter? An den Illuminaten? Kann ich dir nicht sagen, aber ist doch auch ganz nett, wenn das ein kleines Mysterium bleibt.
GHvC sind ja nicht unbedingt für Hardcore-Platten berüchtigt. Hat das irgendwann mal eine Bedeutung für euch gehabt? Im Positiven oder Negativen?
Ich weiß, dass es ein paar wenige Leute gab, die Escapado ab der "Initiale" aufgrund des Labelwechsels kritisierten: „Passt nicht zusammen", „das ist doch nicht mehr HC" usw. Aber selbst das ist nicht negativ, denn solchen Leuten kann man es doch eh nur recht machen, wenn man sich immer nur in eine Richtung entwickelt bzw. einfach stehen bleibt. Ich selbst war nie in irgendwelchen Szenen verwurzelt und habe mich auch nie besonders mit den Ideologien solcher auseinander gesetzt. Mir ist es also egal, wie ein Label heißt oder was für Bands sonst dort rausgebracht werden. Wir machen ja Musik und schwenken nicht irgendwelche Fahnen.
In diesem Sinne war es für diese Band nur positiv, denn GHvC ist ein unglaublich engagiertes Label, dem wir sehr viel verdanken und das uns trotz Line-Up-Wechsel weiter unterstützt hat. Das ist heutzutage alles andere als selbstverständlich! Außerdem hatte Escapado bis heute alle musikalischen Freiheiten und konnte durch das Grand Hotel auch ganz andere Menschen erreichen, die sich für harte Musik vielleicht sonst nie interessiert haben.
Famous Last Words?
Marcus, falls du das liest: Ich nehm dir die Spermbirds-CD spätestens nächste Woche wieder mit, sorry!
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