Geschrieben von Mittwoch, 08 Dezember 2010 00:00

AS I LAY DYING: (Video-) Interview mit Sänger Tim Lambesis zu 'The Powerless Rise'

jana3kl

AS I LAY DYING aus San Diego, Kalifornien gehören spätestens seit ihrem letzten Release "An Ocean Between Us" (Platz 8 der amerikanischen Charts), zu den ganz Großen der Metalcore Szene. Auch der bei uns im Mai 2010 erschienene Nachfolger "The Powerless Rise", der seinen Vorgänger in Sachen Brutalität aber auch Melodie noch toppen konnte, verkaufte sich ähnlich gut. Wir trafen uns vor der Show in Hamburg mit Sänger Tim Lambesis im Kaiserkeller und sprachen mit ihm über das aktuelle Album, seine zahlreichen Projekte – wie beispielsweise die kürzlich ins Leben gerufene Modelinie Modern Rebellion – und auch etwas über sein Privatleben.

 

Tim Lambesis - As I Lay Dying from ironhan on Vimeo.

Schön Dich kennenzulernen, Tim! Ich habe gehört, dass Du gestern 30 geworden bist – daher erstmal alles Liebe nachträglich zum Geburtstag. Wir haben Dir auch eine Kleinigkeit mitgebracht.

Oh vielen Dank!

Es ist ein Mexikaner – kennst Du dieses Getränk? Hier in Hamburg auf dem Kiez gibt es den in ganz vielen kleinen Bars.

Ja, das ist doch sehr würzig, oder?

Genau – sehr scharf und würzig. Du musst die Flasche schütteln, bevor Du ihn trinkst. Ich hoffe, er schmeckt Dir.

Ich denke schon. Weißt Du, ich bin ja aus Südkalifornien – und daher scharfes Essen gewöhnt! Vielen Dank!

Wie läuft die Europatournee mit HEAVEN SHALL BURN und SUICIDE SILENCE denn so bisher?

Super gut – wir sind bereits seit drei Wochen gemeinsam auf Tour und alle sehr gute Freunde geworden. Wir haben total viel Spaß zusammen!

Sehr schön! Ich habe auf Deinem persönlichen Twitter-Account gelesen, dass Du Deutschland als Dein Zuhause außerhalb von Kalifornien betrachtest. Was gefällt Dir denn an Deutschland besser als an anderen europäischen Ländern?

Naja – das liegt wohl hauptsächlich daran, dass wir immer die meisten Tourdates hier in Deutschland haben. Außerdem haben wir hier auch die größte Fanbase – vom Erfolgslevel her kann man Deutschland also am ehesten mit unserer Heimat vergleichen. Hinzu kommt, dass wir hier tolle Freunde wie HEAVEN SHALL BURN oder die Leute unserer Plattenfirma haben. Daher fühlen wir uns hier total wohl!

Schön zu hören! Seit dem Release Eures letzten Albums „An Ocean Between Us“, welches Platz 8 der amerikanischen und Position 24 der deutschen Charts erreicht hat, läuft alles ziemlich gut für Euch. Für den Song „Nothing Left“ gab's sogar eine Grammy Nominierung und Euer neuester Streich „The Powerless Rise“ verkauft sich ebenfalls super. Wieso ist es Euch trotz dieses großen Erfolges immer noch so wichtig, permanent zu touren?

Jedes Mal, wenn wir eine neue Scheibe auf dem Markt haben, freuen wir uns natürlich darauf, die neuen Songs live zu spielen. Außerdem haben wir sehr treue Fans, die uns teilweise bereits vier oder fünf Mal live erlebt haben. Daher ist es uns sehr wichtig, die Setlist abwechslungsreich zu gestalten und auch neue Songs zu präsentieren, denn das ist es, was letztendlich den Unterschied von einer Tournee zur anderen ausmacht.

Bleiben wir noch ein wenig bei Eurem neuen Album „The Powerless Rise“. Für Euren Bassisten Josh Gilbert war es das erste Mal, dass er am Aufnahmeprozess eines Albums beteiligt war. Wie ist es, mit ihm zu arbeiten, und was konnte er persönlich zur neuen Scheibe beitragen?

Josh überrascht mich immer wieder mit seinen Ideen! Mit der Zeit war es einfach so, dass unsere Alben immer gleich klangen, da es immer derselbe Input war, und das hat uns ganz schön unter Druck gesetzt. Ich finde, durch Josh haben wir zwar immer noch den typischen AS I LAY DYING Sound, aber das neue Album ist ein wenig vielschichtiger als unsere vorherigen Releases. Gerade bei einigen härteren Songs, die ich am besten finde, hat Josh wesentlich zum schnelleren und härteren Sound beigetragen.

Ihr habt „The Powerless Rise“ in Deinem eigenen Studio aufgenommen, und Du hast auch schon Alben für andere Bands wie beispielsweise SWORN ENEMY oder WAR OF AGES produziert. Warum habt Ihr für die Produktion Adam D. von KILLSWITCH ENGAGE herangezogen und nicht einfach alles in Eigenregie aufgenommen?

Ich finde es sehr schwer, ein Album selber zu produzieren, bei dem ich mich auf meine eigene Performance konzentrieren muss. Wenn ich Alben für andere Bands produziere, kann ich das komplette Bild von außen betrachten und auch den Instrumenten mehr Aufmerksamkeit schenken. In der Vergangenheit habe ich ja auch bereits AILD Alben selbst produziert, bei denen ich meiner Meinung nach, durch meine Funktion als Produzent, den Focus nicht ausreichend auf meine Stimme und die Lyrics gelegt habe. Das hat Adam D. mir dieses Mal abgenommen und ich finde, wir alle performen auf diese Art besser.

Ich habe gelesen, dass Du einen Jungen aus Äthiopien adoptiert hast. Mich würde sehr interessieren, ob Du persönlich da gewesen bist, um ihn abzuholen? Du musst diese Frage allerdings nicht beantworten, falls sie Dir zu persönlich ist.

Das ist ok – ja, ich bin persönlich in Äthiopien gewesen und das bereits zwei Mal für jeweils zwei Wochen. Das Ganze hat mein Leben komplett verändert und ich habe dadurch erst richtig erkannt, wie glücklich ich mich schätzen kann, mein Leben so zu führen, wie ich es tue. Außerdem war es natürlich toll zu sehen, wo Biruk herkommt, und ich bin total dankbar für diese Erfahrung.

Du vermisst ihn sicherlich sehr, wenn Du auf Tournee bist…

Oh, ja – ich vermisse ihn sehr! Er war die erste Zeit sogar mit auf der Europatour. Ich versuche das immer so zu machen, damit ich ihn möglichst oft bei mir habe und es ihm auch nicht so vorkommt, als wäre ich so lange weg. Er ist nur leider vor einer Woche wieder nach Hause gereist.

Wie schaffst Du es denn generell, Dein Familienleben auf Deine ganzen Projekte wie AS I LAY DYING, AUSTRIAN DEATH MACHINE, MODERN REBELLION oder Dein Produzentendasein abzustimmen?

Das hört sich vielleicht verrückt an, aber so schwierig ist es gar nicht, da ich ja wie gesagt häufig die Gelegenheit nutze, meine Familie mit auf Tour zu nehmen. Die Europatournee ist insgesamt vier Wochen lang und die ersten zwei Wochen war meine Familie bei mir. Das heißt, ich sehen sie jetzt zwei Wochen nicht, und wir versuchen jedes Mal, die Trennung in diesem Rahmen zu halten.

Stimmt es, dass viele der Lyrics auf „The Powerless Rise“ von Deinen Erfahrungen mit der Dritten Welt beeinflusst sind – wie beispielsweise die Lyrics von „Upside Down Kingdom“, „Beyond The Suffering“ und „Condemned“?

Ja, da hast Du vollkommen recht!

Da ich ein sehr großer Fan Deiner Lyrics bin, würde ich gerne wissen, was Du mit dem Satz „There Is Only Groth Or Decay“ von "The Only Constant Is Change" meinst.

Also, ich empfinde es so, dass der Charakter eines Menschen oder auch aller anderer Lebewesen nicht gefestigt ist. Wenn wir nicht ständig Dinge dazu lernen, vergessen wir einfach alles oder wir werden mit der Zeit einfach apathisch und faul. Ich persönlich finde, dass jeder Mensch danach streben sollte, charakterlich zu wachsen oder Dinge dazuzulernen. Der Satz lässt sich aber auch auf andere Dinge beziehen – wie beispielsweise den Club, in dem wir uns jetzt gerade befinden. Wenn wir alle jetzt dieses Gebäude verlassen würden und dann drei Jahre später wiederkämen, wäre es nicht mehr dasselbe. Er würde langsam aber sicher verfallen.

Was meinst Du mit „Conformity Is Betrayal“ von The Blinding Of False Light – ist das eventuell religiös gemeint?

Nicht zwangsläufig. Also – sowie Kalifornien als auch Deutschland sind ja relativ reiche Gegenden und den meisten Menschen hier wird suggeriert, dass ein gewisser materieller Reichtum wichtig ist. Fast alle Menschen beugen sich diesem Idealbild, denken nur an sich und verschließen ihre Augen gegenüber den sozial Schwächeren. Vielen Menschen fällt einfach nicht auf, wie verschwenderisch sie leben, da sie nur nach dieser Idealvorstellung streben und an sich selber denken.

AS I LAY DYING ist ja bekanntermaßen eine christliche Band, daher haben viele Deiner Lyrics neben dem sozialkritischen Aspekt auch einen religiösen Hintergrund. Was hälst Du davon, wenn ich Dir zu zwei Songs sage, was ich darüber denke, und Du sagst mir dann, ob ich damit richtig liege?

Oh – ok, gerne! (lacht)

Der erste Song ist „The Plague“: Ich denke, dass Du in diesem Song Menschen kritisierst, die zwar regelmäßig zur Beichte gehen, danach allerdings trotzdem so weiter machen wie bisher.

Ja – die Richtung stimmt. Mit diesem Song kritisiere ich alles, was ich persönlich als tote Religion betrachte. Es gibt viele Glaubensgemeinschaften, bei denen die Leute die Message, die ihnen vermittelt wird, gar nicht interessiert. Diese Menschen sitzen einfach da und starren vor sich hin, nehmen aber gar nichts auf. Es ist eher ein Sozialclub, der aus Menschen besteht, die innerlich eigentlich bereits „tot“ sind.

Der nächste Song ist „Condemned“: Ich denke, neben der besagten Dritte-Welt-Thematik willst Du außerdem darauf hinweisen, dass es nicht in Ordnung ist, Frauen zu verurteilen, die ein Kind abtreiben lassen. Ich weiß, dass Du das nicht direkt ansprichst, aber das war der erste Gedanke, den ich hatte, als ich die Lyrics zum ersten Mal gelesen habe.

Ich verstehe Deinen Gedankengang, aber dieser Song handelt tatsächlich von Waisenkindern. Es geht wieder darum, dass fast alle Menschen die Augen verschließen, wodurch die Waisenkinder sozusagen zu dem Leben, welches sie führen müssen, „verdammt“ werden.

Bist Du eigentlich katholisch?

Nein, wenn ich mir ein Label verpassen müsste, würde ich einfach sagen, dass ich an die Bibel glaube. Ich wurde auch nicht katholisch erzogen.

Was hältst Du von der Kirche im Allgemeinen? Denkst Du, dass die Kirche als Institution notwendig ist, wenn man an Gott glaubt?

Wie meinst Du das genau?

Naja, in Deutschland haben viele Menschen ihren Glauben an die Kirche verloren, da es in letzter Zeit viele Horrormeldungen bezüglich Kindesmißbrauch durch Priester und Ähnliches gab. Ich persönlich glaube beispielsweise auch an Gott, gehe aber kaum in die Kirche.

Ja, für mich sind Gott und die Kirche auch zwei verschiedene Dinge. Das Idealbild der meisten Menschen ist, dass die Kirche Gott repräsentiert, und daher glauben viele Menschen eher an die Kirche, als an Gott. Das heißt dann auch automatisch, dass viele Menschen Gott aufgeben, sobald die Kirche mal versagt. Die Leute vergessen dabei aber leider viel zu häufig, dass der Glaube und das Herz des Christentums Gott selbst ist. Es gibt viel zu viele schlechte Kirchenmodelle da draußen, und ich persönlich wurde auch schon von Pseudo-Christen enttäuscht. Aber man sollte nicht vergessen, dass es da draußen immer noch Hoffnung gibt.

Gehst Du denn ab und zu in die Kirche?

Nicht unbedingt in die Kirche – ich treffe mich eher mit einer Gruppe Christen zu Hause, wo wir dann gemeinsam über Gott sprechen oder diskutieren. Für mich ist so etwas wesentlich bedeutender, als zur Predigt zu gehen und sich anzuhören, was eine einzelne Person zu sagen hat.

Auf der Bühne sprichst Du persönlich ja auch nicht über Gott, dabei sehen das viele andere Christenbands als ihre Mission für Gott. Warum versuchst Du, das zu vermeiden?

Ich vermeide es nicht wirklich, sondern denke, wenn jemand an unserer Meinung interessiert ist, kann er uns entweder persönlich darauf ansprechen oder unsere Lyrics oder meinen Blog lesen – ich muss meine Meinung nicht auf der Bühne hinausposaunen. Die meisten Leute, die zu unseren Konzerten kommen, tun das wegen der Musik und nicht aufgrund der Texte. Außerdem ist es unmöglich, den kompletten Gospel in 30 Sekunden zwischen zwei Songs zu erklären.

Bei dem Artwork zu Eurem neuen Album habt Ihr Euch erneut für einen Schädel entschieden. Warum wählt Ihr immer wieder Schädel für Eurer Albumartwork oder fürs Cover?

Jacob Bannon (CONVERGE) war von Anfang an für unser Artwork zuständig, und wir finden, dass Schädel passend sind, da wir alle irgendwann sterben, was ja auch zu unserem Bandnamen passt. Der Tod ist ein wichtiger Teil des Lebens und natürlich auch des Christentums. Wir müssen lernen, uns selbst Gott hinzugeben und unseren Egoismus abzulegen. Besonders im Christentum spielt der „Tod“ eine sehr wichtige Rolle.

Warum trägt dieser Schädel eine Art Kopfschmuck?

Es ist kein Kopfschmuck, sondern eine umgekehrte Krone, auf der der Schädel sozusagen sitzt – passend zum Song „Upside Down Kingdom“.

Würdest Du Dich eigentlich freuen, wenn Arnold Schwarzenegger wieder Filme drehen würde, nachdem er nicht mehr Gouverneur von Kalifornien ist?

Yeah – das hoffe ich! Weißt Du, ich erhoffe mir nämlich nicht allzu viel von Politik. Ich denke, der Unterschied Leute durch Filme zu entertainen oder sie dagegen durch Politik zu verändern, ist ziemlich gravierend.

Ich habe dieses YouTube Video von Euch gesehen, in dem Ihr mit einigen Fans eine Kartbahn besucht. Wie wichtig ist es Euch, immer noch persönlichen Kontakt zu Euren Fans zu haben und sie vor oder nach Euren Shows zu treffen, da AS I LAY DYING mittlerweile ja schon ziemlich groß sind?

Uns persönlich ist es wesentlich wichtiger, ab und zu auch mal richtige Gespräche mit unseren Fans zu führen, statt sie nur oberflächlich mit einem "Hi!" bei einem Meet & Greet zu treffen, daher sind uns solche Events wie das mit der Kartbahn sehr wichtig, und ich weiß sie sehr zu schätzen.

Was sind Eure nächsten Pläne mit der Band oder auch anderen Projekten wie Deiner Klamottenmarke Modern Rebellion?

Wir haben mit AS I LAY DYING nächstes Jahr zehnjähriges Jubiläum, und daher werden wir dafür auf alle Fälle etwas Besonderes für unsere Fans zusammenstellen. Es wird sicherlich auch ein paar neue Songs geben, aber ansonsten auch einige unveröffentlichte ältere Songs. Dann werden wir natürlich weiterhin touren…

Auch hier bei uns in Deutschland?

Nach Deutschland kommen wir auf alle Fälle im Sommer zurück. Aber erst geht es im Februar auf US-Tour, dann im April nach Australien – wir bleiben also sehr beschäftigt.

Spielt Ihr Festivals hier im Sommer?

Ja – einige auf alle Fälle. Wir haben dieses Jahr ja auch auf einigen Festivals in Deutschland gespielt und die, die wir ausgelassen haben, spielen wir dann nächstes Jahr.

Und Modern Rebellion?

Wir haben ja gerade die erste Kollektion an Shirts veröffentlicht und arbeiten momentan bereits an der zweiten Auflage. Außerdem wollen wir eventuell unser Angebot etwas erweitern und auch Kindershirts anbieten. Ich bin sehr stolz auf dieses Projekt, da es sich bei Modern Rebellion nicht um eine egoistische Eigenpromotion handelt, denn mein Anteil der Erlöse wird für gute Zwecke gespendet.

Verkaufst Du die Modern Rebellion T-Shirts auch auf Tour?

Bisher nicht – vielleicht werde ich das in Zukunft machen, aber es kommt auf alle Fälle darauf an, ob wir headlinen oder nicht. Diese Tournee ist ja beispielsweise eine Co-Headlining Tour mit HEAVEN SHALL BURN, und für mich hätte es sich komisch angefühlt, wenn ich zusätzlich noch meine eigenen Shirts auf der Tour verkauft hätte.

Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für unser Interview genommen hast, Tim. Eine letzte Frage habe ich noch - passend zur Weihnachtszeit. Wie verbringst Du Weihnachten dieses Jahr? Gibt es bei Euch in der Familie eine Art Tradition?

Wir kommen ja aus San Diego, und dort ist es eigentlich immer warm. Allerdings versuchen wir Weihnachten trotzdem jedes Jahr irgendwo zu verbringen, wo es noch wärmer ist als bei uns in San Diego. Daher werden wir wohl in Mexiko sein. Aber eigentlich ist mir egal, wo wir feiern – Hauptsache, die Familie ist zusammen.

Vielen Dank an dieser Stelle auch nochmal an Andreas von Metal Blade für die tolle Organisation und natürlich Levent Demirhan/ABI TV für den Videoschnitt und an Dennis Tesch für die Fotos während des Interviews!


jana0kl

Levo_Tim

jana1kl