Geschrieben von Samstag, 19 März 2011 00:00

The Ocean - Interview mit Robin Staps zu 'Helioncentric / Anthropocentric'

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Mittlerweile zu einer "normal" großen Band geschrumpft, veröffentlichte das ehemalige Kollektiv THE OCEAN Ende nach "Heliocentric"den zweiten Teil ihres Gesamtwerkes, der auf den Namen "Anthropocentric" hört. Und wieder einmal wurden einige Grenzen gesprengt, wofür THE OCEAN mittlerweile bekannt sind. Wir baten Mastermind Robin Staps zum Interview.


Mit „Anthropocentric“ erschien im November 2010 der zweite Teil eures Konzept-Albums. Erzählt doch bitte ein wenig über den inhaltlichen Hintergrund.
"Anthropocentric" setzt die Kritik am Christentum fort, die wir mit "Heliocentric" begonnen haben. Der Mensch im Zentrum des Universums, wie es viele Hardcore-Christen heute noch sehen wollen, ist das übergeordnete Thema, was sich auch im Artwork widerspiegelt. Bei "Heliocentric" stand die Sonne im Mittelpunkt, die Planeten auf Drehscheiben orbitierten drum herum, und nun ist es der Mensch, um den Sonne und Planteten kreisen. Wir sind bei den beiden Alben gewissermaßen anti-chronologisch vorgegangen: Eigentlich hätte ja "Anthropocentric" das erste Album sein müssen, gefolgt von der aufgeklärten heliozentrischen Sichtweise. Wir haben es umgekehrt gemacht, weil wir mit "Anthropocentric" darauf anspielen, dass es heute, über 400 Jahre nach der heliozentrischen Wende, immer noch weit verbreitete Glaubensströmungen gibt, die den Menschen im Zentrum des Universums sehen wollen und sich auch dementsprechend verhalten – bzw. daraus die Rechtfertigung ableiten, mit der Erde umzugehen wie mit einem Wegwerfartikel. Ich sehe im Christentum die ursprüngliche und noch heute fortwirkende Ursache für diesen Anthropozentrismus. Das Christentum ist eine Handlungsanweisung zur Selbstzerstörung.


Inwiefern unterscheidet sich der musikalischen Hintergrund vom ersten Teil?


Gitarre, Bass und Schlagzeug der meisten Songs von "Anthropocentric" haben wir auch schon in derselben Session aufgenommen wie "Heliocentric". Dieses Jahr haben wir nur noch den Gesang aufgenommen und abgemischt. Insofern ist der Sound beider Alben ziemlich homogen, wobei wir mit "Anthropocentric" beim Mix einen etwas anderen Weg gegangen sind, weil wir einen etwas raueren, direkteren Sound haben wollten. Das hat gut funktioniert, der Sound des Albums steht den Stücken sehr gut, wie ich meine. Musikalisch deckt das Album wieder die volle dynamische Bandbreite unseres Sounds ab, es fehlen aber weitgehend die klassischen Instrumentierungen, und alles in allem fühlt sich das Album ein Stück härter an. Es gibt aber auch wieder ruhige Parts, die überwiegend durch akustische Gitarren getragen werden.


Wie zufrieden wart ihr mit "Heliocentric"?


Ich liebe das Album, vom ersten bis zum letzten Track, inklusive der ruhigen Klaviernummern wie "Ptolemy Was Wrong", die für viele offenbar zu krass waren... ich stehe hundertprozentig dahinter. Soundmäßig ist es mir im Nachhinein etwas zu Tiefe-Mitten-lastig gewesen, das dröhnt so ein bisschen, und aus dem Gitarrensound hätte man noch mehr rausholen können. Aber man findet im Nachhinein immer was zu meckern.


Und was denkt ihr über "Anthropocentric"?


"Anthropocentric" zeigt, wo The Ocean aktuell stehen. Es ist ein Album der Kernband, erstmalig haben sich alle Mitglieder auch ins Songwriting eingebracht, ich mache nicht mehr alles selber. Das ist eine Herausforderung für mich gewesen, aber letztendlich ein Reifeprozess. Die Musik klingt organischer und es ist auch psychologisch ungeheuer wichtig, dass sich jeder ein Stück weit einbringt, denn nur so können sich Musiker mit dem großen Ganzen einer Band identifizieren und hundert Prozent geben. Das jetzige Line-up ist das Beste, was ich je hatte, und hoffentlich wird es mir - uns - noch lange erhalten bleiben.


Jetzt, wo sich beide Puzzelteile ineinander fügen, wie zufrieden seid ihr da mit dem gesamt Werk?


Ist ne runde Sache. Ich habe mir beide Alben allerdings noch nie zusammen hintereinander angehört, muss ich gestehen. Ich hab die Songs einfach zu oft gehört die letzten paar Monate, haha ...

Warum gibt es die beiden aktuellen Werke, die ja eine zusammen hängende Geschichte erzählten, nicht als Doppel-Album, so wie euer Vorgängeralbum?

Als ich das "Heliocentric"-Material schrieb, zeichnete sich schon ab, dass es einen zweiten Teil geben würde, da Jona parallel auch Songs schrieb, die nicht auf "Heliocentric" gepasst hätten, aber trotzdem nach The Ocean klangen. Wir wollten die Leute diesmal nicht überfordern mit einem Riesenepos von über 100 Minuten Musik. Die Aufmerksamkeitsspanne der meisten Hörer ist heutzutage einfach nicht groß genug, um damit fertig zu werden, das wäre schade gewesen. Deshalb haben wir uns früh dafür entschieden, zwei getrennte Alben zu machen, die inhaltlich und konzeptuell zwar zusammengehören aber doch zu unterschiedlichen Zeitpunkten veröffentlicht werden, so dass man zwischendrin mal durchatmen kann.


Kann man sich in Zukunft immer auf zwei zusammenhängende Alben einstellen oder wird sich das wieder ändern?


Das kann ich jetzt noch nicht sagen, ich denke noch nicht ans nächste Album.


Und wie wird sich das bei euch mit Konzeptalben fortsetzen?


Ich kann über die Zukunft prinzipiell nichts sagen. Ich bin ein Mensch, der sich bemüht, in der Gegenwart zu leben, das ist wichtig für die geistige Gesundheit.


Ihr seid mittlerweile zu einem Quintett "geschrumpft". Wenn man das überhaupt so sagen kann. Verhielt sich da das Songwriting anders als in einem großen Kollektiv?


Ja, sicher. Allerdings eher umgekehrt zu dem, was man vermuten mag: Das Kollektiv bezog sich bei uns ja nie auf den kreativen Prozess, sondern eher auf unsere Organisationsstruktur. Wir hatten lange Zeit kein festes Line-up und haben Wechsel und Veränderung irgendwann zum Prinzip erklärt. Gleichzeitig war ich aber als einzige Konstante im Line-up auch immer der Einzige, der überhaupt Songs geschrieben hat. Das ist jetzt anders, Jona hat vier Songs beigesteuert und Louis einen. Loic hat viele Gesangslinien selber geschrieben und Luc spielt schon seit langem nicht mehr das nach, was ich in den Vorproduktionen programmiere, sondern verändert meine Ideen und spielt alles eben auf seine Art und Weise.


Dennoch sind ja einige Gastauftritte vertreten. Wer ist denn alles dabei? Und wird sich das in Zukunft weiter reduzieren ?


Wir wollten ein Album machen, bei dem die Kern-Band im Vordergrund steht. "Heliocentric" war sehr ausufernd und orchestral, diesmal wollten wir darauf verzichten und sehen, wie The Ocean ohne all dies klingt, einfach als Rockband mit Schlagzeug, Bass, Gitarre und Gesang. Das lag auch daran, dass die Songs auf "Anthropocentric" nicht nach großen Instrumentierungen verlangten, das hätte aufgesetzt gewirkt. Ich habe das anfangs durchaus probiert und dann aber wieder weitgehend verworfen. Das heißt nicht, dass wir uns von unserer orchestralen Seite künftig abwenden wollen, es ist einfach ein anderer Ansatz, und man muss es für sich selbst und seine Fans spannend halten und immer mal was anderes machen. Im Prinzip ist das, was wir jetzt gemacht haben, derselbe Ansatz, den wir schon mit "Aeolian" verfolgt haben: Reduktion aufs Wesentlichste. Dass "Anthropocetric" trotzdem völlig anders klingt als "Aeolian" zeigt, wie sehr sich diese Band in den letzten vier Jahren entwickelt hat.


Kann man von The Ocean dann noch als Kollektiv sprechen, oder muss man euch mittlerweile mehr als Band sehen?


Wir sind eine Band. Das Kollektiv gibt es trotzdem noch, das besteht quasi "außen drum herum". Wir haben eine Menge klassischer Musiker, auf die wir immer wieder zurückgreifen, für Studio-Aufnahmen und auch für gelegentliche Live-Auftritte. Für die Anathema-Tour werden wir z.B. eine Cellistin dabeihaben. Aber ein Album wie "Aeolian" oder "Precambrian", wo auf fast jedem Song ein anderer Sänger zu hören ist, wird es nicht mehr geben. Das war ein interessantes Experiment, aber längerfristig braucht eine Band eine charakteristische Stimme mit hohem Wiedererkennungswert. Für The Ocean ist das Loic Rossetti. Er deckt mit seinem breiten Vokal-Spektrum so ziemlich alles ab, was man mit dem Instrument Stimme überhaupt machen kann.


Gerüchten zu Folge wurde euer Auftritt auf dem Berliner „Friction Fest“ aufgenommen. Wann wird man davon etwas zu hören oder sogar zu sehen bekommen?


Das wird noch eine ganze Weile dauern. Wir sammeln derzeit erstmal Material, haben dieses Jahr auch streckenweise einen Dokufilmer mit dabei und wollen noch eine zweite Show filmen, da das mit der ‚Friction Fest‘-Show nicht geklappt hat. Das war einfach zu stressig, in so einem Festival-Umfeld noch eine DVD-Produktion durchzuführen. Unsere "Heliocentric" Record-Release-Show in der Schweiz haben wir allerdings in voller Länge und mit acht Kameras gefilmt. Da standen wir mit ziemlich großer Besetzung auf der Bühne, mit drei Streichern, Kontrabass, zwei Saxophonisten und Pianist. Das wird auf jeden Fall auf der DVD zu sehen sein.


Between The Buried And Me haben ihr „Colors“-Album komplett live gespielt und als DVD aufgenommen. Könnt ihr euch vorstellen, das Material von „Heliocentric“ und „Anthropocentric“ an einem Abend als Gesamtwerk live zu präsentieren?


Das wäre ein ziemlich langwieriges Set und ein sehr aufwändiges und probeintensives Unterfangen, ist aber eine schöne Idee. Wir haben das ganze (fast) mit "Heliocentric" gemacht, für die Record-Release-Show in La Chaux-de-Fonds mit 12 Musikern auf der Bühne, und im Nachhinein ärgere ich mich, dass wir zwei Songs des Albums dort nicht gespielt haben.


Wie sieht es mit den Zukunftsplänen bei The Ocean aus? Oder wird jetzt erst einmal "entspannt", wo beide Alben auf dem Markt sind?


Wir sind jetzt mit Dillinger Escape Plan eurpaweit unterwegs, gleich danach machen wir Support für Anathema, und dann ist erstmal Pause bis zur "Anthropocentric"-Headlining Tour im Februar / März. Im Dezember und Januar will ich mich auf ein paar andere Projekte konzentrieren. Anfang nächsten Jahres erscheint das Earthship-Album auf Pelagic, das ist ein Seitenprojekt, wo ich Gitarre spiele... das liegt irgendwo im Dreieck Crowbar, Baroness, Iron Monkey, und der erste The Ocean-Schlagzeuger ist da auch mit dabei. Es gibt noch zwei weitere Nebenprojekte, die ich gerne in diesen zwei Monaten fertigstellen würde, und es stehen insgesamt vier weitere Veröffentlichungen auf meinem Label Pelagic Records an, all das wird mich beschäftigt halten.


Ich finde es immer spannend, was Musiker neben ihren Haupteinflüssen so an Musik hören. Was rotiert bei euch momentan neben Metalzeugs im Player?


Die letzte Massive Attack, Air, Get Well Soon, Foals, Grupo Niche, die letzte Khoma, Beirut, Jeff Buckley und immer noch die letzte Thrice ...


Was würdest Du im Moment empfehlen, egal aus welchem musikalischen Bereich?


Dillinger Escape Plan - "Option Paralysis". Das ist ein unglaubliches Album einer unglaublichen Band. Und die Tatsache, dass ich mir die jetzt an 33 aufeinanderfolgenden Abenden live anschauen darf, ist das Beste überhaupt. Da kommt einfach nichts ran an diese Band. Ansonsten höre ich gerade die neue Oceansize, und nach dem genialen Moderat-Gig in der Volksbühne läuft auch dieses schon etwas ältere Album bei mir derzeit rauf und runter. Die letzte Massive Attack und die neue Khoma, vor allem der erste Track, sind ebenfalls hoch oben in der Tourbus-Playlist.


Danke für das Interview.


Peace!
Arne

Stile: Postcore, Deathmetal, Sludge, Hardcore

Bands: Machine Head, Kylesa, Ryker's, Lionheart, Johnny Cash, Cult of Luna, The Ocean, Deserted Fear, TLUF