Geschrieben von Nadine Dienstag, 22 November 2011 00:00
Metsatöll - Interview mit Lauri zum Album 'Ulg'
"Ulg" ist – neben diversen EPs und DVDs – mittlerweile der sechste Longplayer der estnischen Folk Metal Band METSATÖLL. Wird also Zeit, dass wir etwas mehr über die "Wölfe aus Estland" erfahren. Lauri „Varulven" Õunapuu übernimmt bei METSATÖLL Gesangparts, spielt Gitarre, Flöte, estnische Sackflöte, Kannel und andere traditionelle Instrumente, die er teilweise sogar selbst baut. Stellvertretend für seine Bandkumpels Markus „Rabapagan" Teeäär, Raivo „KuriRaivo" Piirsalu und Marko Atso, steht er uns Rede und Antwort über "Ulg" und erzählt bereitwillig über sein Heimatland.
Woher nehmt ihr die Ideen für eure Musik und die Texte?
Die Inspirationen kommen aus unserem täglichen Leben in Estland, von der Natur, Städte, Dörfer, Rhythmen innerhalb dieser Mikro- und Makrosysteme, aus unserer Geschichte und dem Verständnis unserer Vergangenheit und Vorfahren. Die Texte für „Ulg" habe ich mit unserem Bassisten Raivo zusammen geschrieben.
Ich mag es sehr, dass Ihr in Eurer Muttersprache singt. Leider kann ich absolut nichts davon verstehen, worum geht es in den Songs?
Vielen Dank. Ich denke, in der eigenen Sprache singen ist eine gute Sache. Die meisten meiner Lieblingsmusiker, aus verschiedenen Teilen der Erde, haben den Mut in ihrer eigenen Sprache zu singen und ich bewundere das. Man kann sich in seiner eigenen Sprache am besten ausdrücken und die Botschaft formulieren, die man eigentlich rüberbringen will.
Es gibt so viele Ausdrücke, die in jeder Sprache oder Kultur eine vollkommen andere Bedeutung haben. Selbst innerhalb Estlands hat ein Wort viele verschiedene Bedeutungen. Wir können mit einem estnischen Wort mehr sagen, als mit einem ganzen Gedicht in einer fremden Sprache.
Ich verwende viele verschiedene estnische Dialekte auch aus alten Zeiten, selbst ein durchschnittlicher Städter aus Estland versteht nicht immer alles, was wir so erzählen. Das ist eigentlich eine Schande, aber gleichzeitig eine Chance, an die vielen poetischen Feinheiten unserer Sprache zu erinnern.
Der Anreiz und ein Ziel für mich ist es, schöne anspruchsvolle Texte zu machen, unsere musikalische Ausdrucksform zu wahren und zu verbessern. Unsere Lieder erzählen viele Geschichten, die vielfältig interpretiert werden können.
"Küü" zum Beispiel handelt von einer Schlange, die nach alter estnischer Bedeutung magische und nützliche Fähigkeiten hatte. Über sogenannte Schlangensteine gelangten Krieger angeblich zu Stärke und Wissen. Der Preis dafür war aber, dass sie die Sklaven dieser Schlange wurden.
„Ulg" erzählt die Geschichte über eine Schlacht von 1210, als die Esten die Burg Võnnu eroberten. Als kleinen Tipp kann ich schon mal verraten, dass bald zu jedem „Ulg" Song ein Kommentar auf unserer Homepage veröffentlicht wird, und all unsere Texte sind auch in unserem Booklet übersetzt.
Euer Album klingt für meine Ohren ernster als andere Bands in diesem Genre. Ist das beabsichtigt?
Vielleicht sind wir auch ein bisschen selbstironisch? Das hängt auch davon ab, welchem Genre du uns zuordnest! Schwarzer Humor und schräge Ansichten gehören auf jeden Fall zu unserer Ausdrucksweise.
Wie habt ihr euch als Band zusammengefunden?
Markus startete 1999 mit zwei Freunden als eine Art Heavy- Metal Band. Er lebte in meiner Nachbarschaft und erst spielten wir nur ein bisschen Black Metal zusammen, wir hatten wirklich wilde Partys mit akustischen Instrumenten und billigem Bier. Irgendwann fingen wir an, den METSATÖLL Sound zu entwickeln und verschmolzen die akustischen Klänge mit dem Metal. Und später, als wir einen neuen Bassisten und einen neuen Schlagzeuger suchten, stolperten wir über Raivo und Atso. Atsos erste große Tat war, dass er dafür sorgte, dass wir eine CD aufnahmen, mit dem vielen Material welches wir in den vorherigen fünf Jahren gesammelt hatten. Heraus kam unser Erstwerk „Hiiekoda". Ich denke, damit hat 2004 die ganze Sache angefangen, mehr oder weniger ernst zu werden.
Auf den Pressefotos steht ihr im Wasser. Auf dem Cover von „Ulg" ist das Element Wasser zu sehen, und „Ulg" bedeutet soviel wie heulen, also Tränen... auch wieder Wasser. Gibt es da einen Zusammenhang?
Tränen? Wo siehst du da Tränen? „Ulg" bedeutet nicht nur „heulen", sondern auch „Schrei", aber es gibt auch das Wort „ulgumeri", das soviel bedeutet wie „Offenes Meer". Wasser ist in verschiedenen, auch in der estnischen Mythologie, ein Symbol für die „andere Seite". Wasser ist die Linie zwischen den Toten und den Lebenden, ebenso wie die Milchstraße. Wasser ist auch ein Wissen, das man erst zu schätzen weiß, wenn es weg ist.
Das Cover von „Ulg" sieht mysthisch aus, wer hat es gemacht und hat es eine Bedeutung?
Die meisten Cover unserer Alben zieren Bilder eines außergewöhnlichen estnischen Künstler, Jüri Arrak (geb. 1936). Seine Malerei hat immer einen großen philosophischen Kontext. Im Gespräch mit Jüri haben wir festgestellt, dass wir bei vielem gleicher Meinung sind. Obwohl wir aus unterschiedlichen Generationen kommen, haben wir wir das gleiche Verständnis von vielen Dingen, was den Planeten am Leben erhält und das Feuer in unseren Augen brennen lässt. Der Name des „Ulg" Bildes lautet „Mythologische Komposition" und stammt aus der Zeit, als wir unsere erste richtige CD „Terast mis hangund me hinge" aufnahmen. Das Bild kann vielseitig gedeutet werden.
"Mutter", also das Weibliche, ist diejenige die das Leben bringt, damit die Welt sich weiterentwickelt. Estland hatte schon immer eine sehr weiblich geprägte Gesellschaft. Der Gott aller, „Taara" oder „Tooru" genannt, ist die Mutter des Landes. Was die Skandinavier natürlich nicht wussten, weshalb sie einen Hammer und einen Bart hinzufügten...Der Mann auf der linken Seite entspricht unserer Vorstellung vom ältesten Estländer. Davon geht man aus, weil man dieses Abbild am See Tamula, das ist ganz in der Nähe von der Stadt in der ich wohne, in einen 4000 Jahre alten Stein gehauen fand.
Über den Rest auf dem Cover von "Ulg": Männer, phallusartige Objekte und das Meer... na, da kannst du jetzt selbst darüber urteilen.... ist aber natürlich alles nur Spekulation und Auslegungssache.
Gibt es jemanden, der dich dazu inspiriert hat, Musik zu machen ist? Eine Person aus dem Musikbusiness oder aus deinem privaten Umfeld?
Alle Musiker, die mich begeistert haben, sind schon Jahrzehnte tot, denn es sind ausschließlich estnische Volkslieder und Sänger, die über die Geschichte unseres Landes erzählt haben. Alte knisternde Platten mit Liedern aus alten, vergangenen Tagen inspirieren mich am meisten.
Moderne Musik? Ich habe kein TV und kein Radio... Ich kenne moderne Bands von unserer Zeit auf Tour, da waren einige interessante Persönlichkeiten und Typen mit einem Ziel und einer guten Einstellung, das war auch eine Art Inspiration. Der Rest von METSATÖLL mag Bands wie SLAYER, OPETH und CELTIC FROST, die kommen bei den anderen gut an.
Was ist deiner Meinung nach nötig für eine „richtige „Band?
Das hängt davon ab, was man erreichen will. Man braucht gute Leute und eine gute Idee. Obwohl schlechte Leute ohne Ideen es genauso schaffen können! Der erste Schritt ist sich einfach, sich die Instrumente zu schnappen und anfangen zu spielen.
Was war die erste Musik, der erste Künstler, oder die erste CD, LP oder MC, die dich begeistert hat?
Die Platte "The lute-tunes from XVI century", von verschiedenen Künstlern gespielt.
Was ist die peinlichste CD in deiner Musiksammlung?
„Die besten schottischen Dudelsackmelodien auf Panflöte gespielt"
Gibt es eine deutsche Band, die du kennst und magst?
Eine Platte von Günter Gall "Ich bin ein freier Mann und singe", das macht mir gute Laune!
Könnt ihr von eurer Musik leben oder habt ihr auch „normale" Jobs?
Was ist schon ein „normaler" Job? Heutzutage ist nichts normal. Im Supermarkt arbeiten? Als Sicherheitsmann arbeiten? Versicherungen verkaufen?
Ich unterrichte traditionellen Gesang, Forschung, Volksbräuche und Kultur an der „Tartu Universität für Kultur" und an der „Estnischen Akademie für Musik und Theater". Ich baue Volksinstrumente und außerdem baue ich auch noch Gemüse bei mir im Garten an. Raivo ist Elektriker, Asto verwaltet Gebäude und Markus ist arbeitslos. Wie es in der Zukunft aussieht, ob METSATÖLL etwas an der Art und Weise verändert, wie wir unsere Wurst auf die Brote kriegen, ob sich unsere Visionen erfüllen? Wir wissen es nicht. Aber wir arbeiten hart daran, unsere Vision zu konkretisieren und am Ende einer breiten Masse zugänglich zu machen.
Welche Band aus Estland kannst du den deutschen Lesern dieses Interviews empfehlen?
Wenn es eine Rock oder Metal Band sein müsste, dann würde ich vorschlagen, einen Blick auf www.estonianmetal.com zu werfen. Es gibt viele talentierte Musiker in Estland und es ist schade, dass nicht jeder die Chance hat, eine Platte aufzunehmen und vor Fans zu spielen.
Kannst du dir vorstellen, Estland für die Karriere zu verlassen?
Nein.
Was ist das nächste Ziel für euch als Band?
Arbeiten, arbeiten, arbeiten. Für jeden zu spielen, der an gutem, estnischen Metal interessiert ist. Und anderen guten estnischen Musikern dabei zu helfen, mehr Aufmerksamkeit zu kriegen. Gute Kunst verdient auch immer Beachtung.
Wo würdet ihr gerne spielen? Wäre Wacken ein Ziel, oder für eine bestimmte Band zu eröffnen?
Nochmal in Wacken zu spielen, wäre gut und das Spielen mit verschiedenen guten Künstlern aus anderen Ländern ist immer inspirierend. Wir haben keinen Traum, aber in den abgelegensten Orten der Welt spielen, mit unseren Hörern ins Gespräch kommen, Einheimische kennenlernen... das macht unsere Reisen unvergesslich.
Also wenn ihr uns irgendwo seht, traut euch! Kommt zu uns, teilt uns eure Ansichten mit. Wir spielen für euch, egal wo.
Ihr schwingt auf euren Promofotos die Mistgabel. Gibt es eine spezielle Message, die ihr damit zum Ausdruck bringen wollt?
Na klar, wir haben soviel Fisch, dass wir mit unseren Heugabeln auf die Boote müssen. Was denkst du denn?
"Soo sibulat ja kala
Siis seisab nagu tala"
Iss Zwiebel und Fisch
Dann steht er wie ein Balken.
(Altes, estnisches Sprichwort.)
Vielen Dank für deine Zeit! Alles Gute und vor allem wünschen wir euch viel Glück mit eurem neusten Werk „Ulg".
Danke, wir sehen uns auf dem Schlachtfeld! Natürlich in Deutschland.
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