Geschrieben von Montag, 03 Mai 2004 23:45

Fear My Thoughts - Interview mit Gitarrist Markus zu "The Great Collapse"


Der Labelwechsel zu Lifeforce ist Fear My Thoughts bestens bekommen: Mit "The Great Collapse" haben die fünf Baden-Würtemberger ein Album geschaffen, das im Metalcore sicherlich mit zur Spitze zu zählen ist. Zur Vergangenheit und Zukunft, der Szene im Allgemeinen sowie der Platte im Speziellen stand Gitarrist Markus am Telefon ausführlich, freundlich, selbstbewußt und noch ein wenig müde Rede und Antwort.

Was war Euch wichtig beim neuen Album? Gab es etwas, was Ihr anders machen wolltet als bisher?
Wir sind anders an das Songwriting herangegangen. Wir hatten früher ziemlich chaotische Einflüsse mit ziemlich viel Technik und turbulenten Breaks und allem Möglichen. Wir wollten es einfach fließender angehen. Es gibt flüchtigere Songstrukturen, wie man merkt, Wiederholungen, Refrains … das war uns ziemlich wichtig. Wir brauchten auch ziemlich lange, bis wir die Liedreihenfolge für die Platte drauf hatten. Es gab auch Lieder, die mit Absicht geschrieben wurden, die so ein bisschen auflockern oder einfach mal eine andere Seite von der Band zeigen. Wir wollen das machen, was wir privat hören und worauf wir Bock haben, wir schließen einfach nichts aus. Bei uns ist eben dieses Progressive mit drin, und das werden wir auch nicht verdrängen. Das haben wir eben wieder ganz klar in den Vordergrund gestellt; ein homogenes Album zu schaffen, das sowohl Höhen als auch Tiefen hat. - Nicht im Sinne von interessant und langweilig, sondern das einen Bogen spannt.

Welche Songs habt Ihr für das neue Album, wie Du sagst, "bewusst" geschrieben?
Ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist, den ich da verwende, aber zum Beispiel "Hollow Inside" und "Mission Immortality". Das sind halt so Songs, die emotionaler sind, weil sie offener sind und mehr Raum für Kreativität geben. Das dauert dann auch ziemlich lang mit dem Songwriting. Bei "Hollow Inside", der ja so ein bisschen in die Tool-Richtung geht und auch mit Effekten arbeitet, war die Frage, wie man die Stimme da richtig einsetzt. Einfach, um einen Kontrast zu bieten, weil die Stimme da nicht im Vordergrund stehen sollte. Wir haben ja auf allen Platten bisher immer ein Instrumentalstück drauf gehabt, die mit dem anderen in keinem Zusammenhang standen und doch irgendwie gepasst haben. Das wollten wir auf der neuen Platte einfach nicht machen, weil viele Menschen auch gesagt haben, "Baut das doch mal in Lieder ein". Das haben wir jetzt einfach versucht, umzusetzen.

Lasst Ihr Euch von anderer Musik inspirieren?
Ja, wir lassen uns sicherlich inspirieren, auch von aktuellen Bands. Auf der letzten Platte sind ja ziemlich viele auch progressive Elemente enthalten. Wir hören halt auch ziemlich viel Progressiv-Rock, King Crimson oder Devin Townsend-Band, Porcupine Tree, Yes und so Zeug halt. Bei uns kann man nie sagen, wie sich eine Platte anhören wird.

Ihr habt einige Samples auf dem Album. Warum?
Wir haben auf jeder Platte Samples, da haben wir uns schon immer viele Gedanken drüber gemacht. Aus unserer Sicht eignet sich Musik einfach ideal dafür, Botschaften zu verbreiten oder auch Meinungen und Ideen. Ich find`s immer ganz interessant, Samples zu hören auf CDs. Wir hatten früher von Blair Witch Projekt ein Sample, wobei es rein darum ging, einen Effekt zu schaffen. Das sind so Sachen, die zum Nachdenken anregen. Auch die auf dem neuen Album, die schleppt halt immer unser Sänger an. Es sind nicht mehr so viele wie früher, aber die Samples auf der Platte haben eine sehr eigene Stimmung, und das finde ich interessant.

Euch sind Texte sehr wichtig, leider versteht man die meisten nicht richtig. Kannst Du etwas zum Inhalt sagen?
Ich finde Texte persönlich so wichtig, dass es am besten wäre, wenn unser Sänger dazu etwas sagt. Der kann das auch am besten. Wir sind keine rein politische Band, aber auf unseren Konzerten wird immer viel geredet und die Sache einfach auch sehr ernst genommen.
[Statement von Sänger Markus, nachträglich per E-Mail:]
Für mich als Sänger haben natürlich die Texte eine nicht unerhebliche Rolle (da ich zum Musikalischen relativ wenig beitragen kann, aufgrund meiner Unfähigkeit, ein Instrument zu spielen...).Mir ist auch klar, dass sie bei Konzerten aufgrund meiner „Gesangsart“ nicht oder nur schwer verstanden werden. Allerdings empfinde ich das als eine Art Vorteil: Wenn man sich wirklich dafür interessiert, muß man sich bewusst damit auseinandersetzen (sprich sie lesen). Auf dieser Platte (und allen anderen bisher auch) haben meine Texte, grob gesagt, meistens entweder mit dem, was in mir stattfindet, oder mit dem politischen Geschehen rund um mich/uns herum zu tun. Selbstverständlich möchte ich hiermit nicht zum Ausdruck bringen, dass die Texte das wichtigste überhaupt sind. Die musikalische „Verpackung“ ist natürlich auch immens wichtig und fällt zuerst auf. Jedoch höre ich beispielweise ungern oder gar keine Bands, die zwar gute Mucke machen, aber absolut dumme oder echt blöde Texte haben... um diesen ganzen Absatz in einem Satz zusammen zu fassen: Eine gute Mischung aus Text und Musik ist für mich sehr wichtig.

[Zu den Songs:]
"The Great Collapse": Das Lied handelt eigentlich davon, das jeder neue Tag eigentlich ein „great collapse“ ist: Ich habe durch Beobachtungen an mir selber und in meiner Umgebung den Eindruck, dass Menschen sehr gerne in vertrauten Umgebungen unterwegs sind, bzw sich gerne vor Veränderung drücken würden (allerdings ist das Leben halt eine ständige Veränderung). Ob das nun einfach nur das Älterwerden ist, oder z.B. die sich verändernden Umwelteinflüsse usw. Was es auch ist, die Welt, wie wir sie gestern kannten, wird morgen so nicht mehr sein. Deswegen versuchen wir uns an Vertrautes zu klammern oder Dinge so zu gestalten, dass sie uns bekannt erscheinen... wie auch immer. Die Welt, die wir uns erschließen, verändert sich trotzdem weiter... the great collapse.

„Rituals“: Die Welt, in der wir leben, baut nur auf Hierachien. Daran hat sich, wenn wir die Geschichte beobachten, auch noch nie wirklich was geändert. Das einzige Ziel, das viele Menschen in ihrem Leben zu haben scheinen, ist, in der gesellschaftlichen Struktur aufzusteigen. Gegen diesen Zustand zu protestieren, würde bedeuten, seinen Status zu verlieren. Deshalb sind viele einfach ruhig und halten weiterhin an diesen Ritualen fest...

„Sirens Singing“: Mir ist durch mein eigenes Konsumverhalten aufgefallen, wie sehr man (ich formuliere das hier mal allgemeiner, da ich sicher bin, dass es vielen so geht) der Werbung glauben schenkt, wenn sie Glück und Zufriedenheit durch Konsum verspricht. Allerdings ist ja genau das Gegenteil der Fall. Nur fällt es uns schwer, das zu sehen/ zu akzeptieren, da das Singen der „Werbe-Sirenen“ uns von der eigenen Stimme in uns ablenkt, die uns zur Umkehr bewegen möchte.( Wären wir doch nur wie Odysseus an einen Mast gefesselt!)

„Hollow Inside“: Das unangenehme Gefühl, das einen ausfüllt (oder doch eher entleert), wenn man von Selbstzweifeln zerfressen wird.

„Challenge“: Wenn man sich ein wenig mit dem politischen Geschehen rund um einen herum befasst, wir man ziemlich schnell gewahr, dass Einiges abgeht, das alles andere als nachahmenswert ist. Ergo tut jeder sein Bestes, um es zu bekämpfen, bzw. zumindest darauf hinzuweisen. Wenn jedoch etwas Ehrlichkeit in diese Überlegungen mit einbezogen wird, sollte man schnell zu dem Schluss kommen, dass wir immer ein Stück weit selber Verantwortung für Dinge tragen, die geschehen. Das ist sicher stark übertrieben. Allerdings möchte ich hiermit auch ein wenig darauf hinweisen, dass viele Dinge geschehen, ohne dass wir uns dessen überhaupt bewusst sind. Sicher ist das in einer so zusammenwachsenden Welt wie der unseren schwer, die immer komplexer werdenden Vorgänge zu überblicken. Viele jedoch versuchen es nicht einmal mehr, da sie keine Kraft darauf verwenden möchten. Beispiele aus dem Text, um das Gesagte ein wenig zu konkretisieren: Jeder Autobesitzer/-benützer sollte sich bewusst machen, dass er/sie ein bisschen Verantwortung für den Krieg für Öl trägt, da wir oft Wege fahren, die man z.B. besser zu Fuß gehen könnte o.ä. (Ihr wisst ja, was ich meine, oder?)

„Mission Immortality“: Wenn man sich das menschliche Bestreben, etwas zu tun, das einzigartig ist, und das von niemand anders übertroffen werden kann, ansieht, dann lässt das nur einen Schluss zu: Wir versuchen uns durch derartiges Verhalten unsterblich zu machen. Egal, ob das nun der Versuch ist, einen Weltrekord aufzustellen, eine Spezies zu entdecken, die nach einem benannt wird, oder was auch immer. (Ja sogar wenn ich hier versuche, so philosophisch wie möglich zu klingen, hat es nur diesen einen niederen Grund: Ich möchte nicht vergessen werden.) Vielleicht wäre unser Leben dann doch einfacher, wenn wir einfach einsehen würden, dass es sich nicht lohnt, sich dermaßen anzustrengen. Irgendwann werden wir doch vergessen... also was soll es?

„Norm AD“: Wir kommen auf die Welt und sind eigentlich frei von Furcht oder Ängsten (na gut, bis auf den Kälteschock, den die Geburt auslöst...). Durch Erziehung, bzw. das Verhaltend der Eltern (sagen wir Erziehung im Allgemeinen) werden wir mit verschieden Ängsten konfrontiert/genormt. Menschen, die Furcht haben (was ja meistens aus Unwissen resultiert), sind leichter lenkbar. Sei es durch Religion oder politische Führer...

„Reign“: Wenn man unsere westliche Gesellschaft genauer anschaut, wird man schnell feststellen, dass enorme Parallelen zu historischen Gesellschaftssystemen bestehen. Die Unterschiede bestehen lediglich darin, dass wir unsere Sklaven nicht mehr vor dem Haus anbinden, sondern sie in Swaetshops schuften lassen, und unsere Gladiatoren nicht mehr in Arenen kämpfen, sondern bei Big Brother o.ä. um unsere Gunst buhlen. Diese Dekadenz führte über früher oder später immer zum Fall der „Kultur“.

[Ab hier wieder O-Ton Markus:]
Hast Du einen Lieblingssong auf "The Great Collapse"?
Ich hatte einen, den ich aber mittlerweile mega hasse [lacht]. Wir haben letztes Wochenende das Video zu "Reign" gedreht und mussten uns den Song ungefähr 450 Mal reinpfeifen. Ein Song, der mir sehr wichtig ist, ist auf jeden Fall "Hollow Inside" und "The Great Collapse", weil es meine Gefühlswelt sehr trifft.

War das Video Euer Wunsch oder kam die Idee vom Label?
Das war die Plattenfirma. Der Dreh war eins meiner heftigsten Erlebnisse in Bezug auf die Band, weil`s einfach super strange war. Das wurde vor so einer Greenscreen gedreht, wir standen also in einem grünen Raum und mussten da abposen wie sonstwas. Von null auf hundert, also ich hab mich danach gefühlt, als ob ich gerade ne riesen Bong geraucht hätte. Du kommst da rein, ziehst dich kurz um, ziehst deine Gitarre an und spielst zu deinem Song und musst abposen. Danach war ich wie betrunken. Wir haben dann auch ziemlich viel getrunken, weil es einfach sehr schwer gefallen ist, eben zu posen. Das war witzig, und das Video wird auf jeden Fall sehr interessant werden.

Glaubst Du, dass es auch gespielt werden wird?
Denke schon, ja. Unser Label hat wohl auch gute Kontakte mittlerweile, in den USA läuft die Promotion ja erst nächsten Monat an. Ich denke, dass es da noch mehr gespielt wird. Ich bin auch nicht todtraurig, wenn es nicht jeden Tag läuft. Aber für mich ist es ein Stück weiter, dass wir es geschafft haben, ein Video zu drehen. Das ist, denke ich, ein gutes Aushängeschild. Es wird ein sehr stylisches Video sein. Du hast ja gemerkt, dass unsere Platte nicht viel Blut draufhat und keine Totenschädel, was ja typisch ist für die Hardcore-Szene. Wir hatten von Anfang an ein sehr eigenes Artwork, und so wird auch das Video sein. Wir werden nicht zu fünft in einem Raum stehen, wo die Kameras draufhalten, sondern es wird vom Look her, ohne jetzt zu viel zu verraten, diesen russischen Propagandaplakaten ähneln. So ein bisschen in die Radiohead-Richtung.

Ungefähr wie das aktuelle Incubus-Video?
Genau, ja. Jetzt nicht unbedingt eine Kopie davon, aber davon haben die sich ein bisschen inspirieren lassen. Oder wie dieses Franz Ferdinand-Video.

Was bedeutet der Albumtitel?
"The Great Collapse" heißt soviel wie "der große Kollaps". Wir haben da ewig dran `rumgedoktert, auch bei den letzten Alben immer, und hatten ungefähr 400 Vorschläge. Es war aber einfach kein richtiger dabei. Wir waren auf der Suche nach etwas Mächtigem, was sich halt richtig schwer und groß und majestätisch anhört. Ich hab' dann irgendwann in der Wohnung gehockt und nachgedacht über verschiedene Sachen, und dann kam mir "The Great Collapse" in den Sinn. Wir haben alle mittlerweile einen eigenen Bezug zu dem Titel, aber die Grundidee ist eigentlich dieses Gefühl, was man hat, wenn sich alles in einem staut und man merkt, dass es bald zu diesem "great collapse" kommen könnte. Einfach weil zuviel mitschwingt und gerade dein Leben dominiert.

Die See auf dem Cover spricht ja auch dafür …
… genau, praktisch die Ruhe vor dem Sturm. Der Titelsong ist entstanden, nachdem der Albumtitel schon im Raum stand.

Wie lang hat das Songwriting gedauert?
Eine schwere Frage. Ich würde sagen, von letztem Jahr März bis hin zu November. So, dass wir ein ungefähres Konstrukt hatten, was das für Songs sein sollen. Wir hatten auch so einen absoluten Stoner-Song, so richtig tiefe Gitarren und asozial halt, und haben dann im Oktober gemerkt, dass der gar nicht aufs Album passt. Dann haben wir so ein bisschen Bammel gekriegt und innerhalb einer Probe noch einen oder zwei Songs geschrieben. Das ist dieser "Sirens Singing", und ich find den eigentlich ziemlich gut dafür, dass der in einer Probe entstanden ist. Der hat einfach raus müssen. Es gibt so Songs, die stehen einfach, da passen die Riffs zueinander und so weiter. Und es gibt Songs wie "The Great Collapse", wo man zwei Monate mit beschäftigt ist. Wo wir auch teilweise verzweifelt sind und gedacht haben, "Jetzt leckt's uns doch am Arsch" [lacht]. "The Great Collapse" war mal ganz anders, so etwa 20 Prozent von dem, wie er jetzt ist.

Vor dem Split-Album mit Fear Is The Path To The Dark Side hattet Ihr auf "Vitriol" noch eine Violinistin (Lisa) mit dabei. Warum nicht mehr auf der aktuellen Platte?
Bei Vitriol ging es bei uns eigentlich schon vorwärts, mit Konzerten und so. Es gab einfach das Problem, dass sie in St. Gallen wohnt, in der Schweiz, 150km weg von uns. Sie war vielleicht einmal bei der Probe mit dabei. Die ganzen Melodien für alles habe ich geschrieben und der Patrick. Lisa kam dann mal ins Studio und wir haben ihr gezeigt, was sie spielen soll, und dann hat sie`s gespielt. Das war wirklich nie ein Verhältnis. Sie kam auch nie regelmäßig mit auf die Konzerte, weil sie noch zur Schule ging, glaube ich. Uns war es ein bisschen unangenehm, den Leuten dann zu sagen:"Wir spielen heute mal wieder ohne Violine", und sie hat dann irgendwie einen Freund kennen gelernt, dem das dann auch zuviel war.

Besteht denn eine Diskussion, in Zukunft wieder jemanden mit dazu zu nehmen?
Nein, wir haben uns jetzt auf das Keyboard konzentriert. Ich hab' einen Nachbarn, der studiert an einer Jazz- und Rock-Schule, und der hat die Tasten geschwungen für die letzten Platten. Violine ist, glaub ich, abgehakt, und ich würde auch nicht sagen, dass das wirklich auf die Great Collapse gepasst hätte. Die Lisa haben wir nie mehr gesehen, ich zumindest nicht, aber wir haben uns auf jeden Fall in Freundschaft getrennt, denn es war eine sehr witzige Zeit mit ihr.

Euer Album kann man sich bereits aus dem Internet ziehen. Wie steht ihr zu so was generell?
Ach, ich weiß nicht, ich bin ein alter CD-Sammler. Ich hab hier vor mir über 1000 CDs und bin ein absoluter Verfechter davon, dass Künstler bezahlt werden dafür, was sie machen. Wenn ich im Studio sitze, dann weiß ich, wie viel ich da reinstecke und wie viel das von meinem Privatleben einnimmt. Ich hab absolut null Probleme, jemandem 16,99 dafür zu zahlen, wenn ich mir eine CD kaufe. Wenn ich mit unserem Label telefoniere, sagen die auch, dass immer weniger CDs verkauft werden, und dass es immer schwerer wird, am Leben zu bleiben für Liveforce, und auch für Bands. Mich ärgert das auf jeden Fall. Aber es hat auch eine positive Seite, weil so natürlich mehr Leute Zugang zu unserer Musik haben. Bei mir überwiegt aber auf jeden Fall die negative Seite.

Wie war die Live-Resonanz auf das neue Material?
Sehr gut, würde ich sagen. Bei uns ist live immer so ne Sache. Wir spielen heute Abend mit Heaven Shall Burn und Caliban. Und wir sind halt ein bisschen anders als die. Ich will das jetzt nicht unbedingt als Kritikpunkt anbringen, aber die sind ziemlich eingängig, und vielen Leuten geht es halt einfach ums Abgehen, ums Tanzen und ums Umsichschlagen und sonstwiewas. Wir sind ne Band, bei der man sich auch mal reinhören muss und zuhören. Wir sind nicht so eingängig, dass man da unbedingt drauf tanzen könnte, und es ist schon so, dass wir unseren Hörern abverlangen, dass sie auch ein bisschen Intelligenz mitbringen. Es gibt wirkliche Fans von uns, die in der ersten Reihe stehen und ihre Augen zu haben und jeden Break auswendig kennen. Solche Leute sind mir persönlich wichtiger. Natürlich ist es super, wenn getanzt wird und es abgeht, das motiviert einen selbst auch immer. Aber mir ist einfach wichtig, auch solche anderen Leute zu sehen.

Dann habt ihr den ziemlich hohen Anspruch an Euch selbst, dass ihr dieses Gefühl auch vermittelt.
Ja, na klar. Aber das ist auch der Grund, warum ich diese Musik mache. Ich muss es einfach sagen: Wir sind einfach auf einem sehr hohen technischen Standard, der immer weiter zurückgeschraubt wird. Früher ging es darum, dieses chaotische Ding auch in Deutschland zu machen, das vor allem in den USA sehr groß war. Da wurde halt gefrickelt und "Mathematik" und keine Ahnung was … Das ist jetzt immer weniger. Die Technik geht sicher nicht verloren, aber wir setzen sie anders um. Das ist einfach eine Kunst, ein gutes Riff zu schreiben, meiner Meinung nach.

Manche Leute halten Metalcore mittlerweile für ausgelutscht und tot. Was denkst du darüber?
Da kann ich durchaus zustimmen. Es hört sich komisch an, weil ich ja selber auch - ich weiß nicht, ob man so sagen kann - Metalcore-Band spiele. Wir hören privat ziemlich viel Metal; also ich hab hier, wenn's hoch kommt, zehn Metalcore-CDs, weil`s mich einfach nicht interessiert. Ich höre halt ziemlich viel Schwedenmetal und kaufe auch eigentlich nur Metal. Ich denke, wir sind nicht so eine typische Metalcoreband: so irgendwie Gegenschlag vom Schlagzeug, dann Mosch und wieder das gleiche und wieder das gleiche… bei uns hört es sich nicht so nach Metalcore an, finde ich. - Wie jetzt zum Beispiel bei Caliban oder Heaven Shall Burn.

Klar, es gibt da Unterschiede, aber ich würde Euch dennoch zur großen Bandbreite des Metalcore zuordnen.
Klar, ja, das finde ich auch nicht schlimm. Aber es gibt viele Bands im Metalcore, die mir nicht unbedingt gefallen. Ich will da jetzt nicht abwertend sein, aber was mir immer aufstößt, ist, wenn irgendwelche Leute da ein mega Brett fahren, heftige Gitarren und Geschrei, und dann auf einmal so "Tralala", rosa Kleidchen an und dann wird rumgeschleimt. Das ist mir zu viel, persönlich. Weißt Du, so Emo-Rock und Metalcore, das passt meiner Meinung nach einfach nicht. Wir hatten das früher auch, uns war das auch wichtig, so ein bisschen zu vereinbaren, aber es wurde immer weniger.

Ich kenne nur gute Rezensionen und Konzertberichte von Euch, ihr habt einen guten Ruf in der Szene. Sehr Ihr Euch überhaupt als Teil von dieser?"
[Die Antwort auf diese Frage kam wiederum nachträglich per E-Mail, da das Diktiergerät die erste Antwort am Telefon schlicht ignoriert hat]
Ich denke, dass wir einen sehr guten und individuellen Ruf in der Szene haben. Ich glaube, dass wir uns aufgrund unserer Musik von vielen anderen Bands unterscheiden, die meiner Meinung nach oft eine gleiche Schiene fahren. Daher denke ich auch, dass viele Leute sich in unserer Musik finden, weil sie für verschiedene Geschmäcker etwas mit sich bringt. Ich muss dich leider enttäuschen ... auch wir haben schon schlechte Rezensionen bekommen. Je weiter eine Platte rumkommt, umso mehr Menschen geben ihre Kommentare dazu ab. Gerade im Metalbereich ist es oft so, dass der Gesang nicht ganz so gut ankommt, da er zu abwechslungsreich und zu wenig stumpf kommt. Geschmäcker sind verschieden, das ist klar... Man muss einfach lernen, Kritik, falls sie konstruktiv ist, auch ernst zu nehmen und sie vielleicht sogar als Hilfe anzunehmen. Das ist nicht immer ganz leicht aber bringt einen weiter. Jedoch ist klar zu sagen, dass weniger gute oder sogar schlechte Reviews eher selten sind.
Hmmm… fühlen wir uns der Szene zugehörig. Schwere Frage ... Auf Grund der Tatsache, dass wir immer noch auf HC-Shows sehr gerne spielen, denke ich, dass wir unseren Beitrag zur Szene auf jeden Fall beisteuern. Was sich vielleicht verändert hat, ist der eigene Bezug zu der Szene. Im Laufe der Jahre hat sich bei uns einiges verändert und das ist auch gut so! Da ich viele Inhalte, die durch diese Szene nach außen transportiert werden, nicht mehr nachvollziehen kann, und mich auch nicht in eine Reihe stellen will, habe ich mich davon distanziert. Jeder soll machen, was er will, meine Reaktion war es, mich davon eher zurückzuziehen. Und trotzdem ist es noch möglich, enorm viel Spaß zu haben. Ich denke, dass sich hier auch die anderen einreihen können.

Steht bei Euch demnächst eine Tour ins Haus?
Am 14. Mai geht's auf Tour mit Herod, die ich [live] auch nicht kenne. Ich hab die noch nie gehört, aber ich mag, wie die Musik schreiben. Die machen, was sie wollen und sind sehr eigen. Von daher denke ich, passen sie gut zu uns. Und sind wohl auch Sozialpädagogen, wie ich mir hab sagen lassen, von daher treffen die richtigen Hippies aufeinander.

Was hat bei Euch Priorität - der Job, die Band …?
Das wichtigste ist die Beziehung, Job kommt ganz hinten. Die Arbeit hat bei vielen von uns einen sehr geringen Stellenwert. Das mach ich halt, um mein Brot zu verdienen.

Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft?
Wir haben uns fest vorgenommen, einmal ein Hotelzimmer zu zerlegen, in einem Nightliner auf Tour zu gehen, und alles zu verwüsten, und einen Fan zu verprügeln [lacht]. Also das mit dem Hotelzimmer wollen wir echt mal machen. Mein Ziel ist es einfach, die Situation gebacken zu kriegen und mit wachem Geist zu meistern. Ich finde, es geht im Musikbusiness so schnell, das man seinen Kopf verliert oder sich selbst untreu wird. Es ist wahnsinnig viel, was wir momentan so an Interviews machen müssen, also richtig machen müssen. Wir hatten jetzt gerade in den letzten zwei, drei Wochen 20 Interviews, und das finde ich schon viel. Darum freue ich mich auch, dass ich jetzt mit dir telefonieren kann und nicht wieder vor der Kiste sitze und schreib. Wir nehmen uns halt ziemlich viel Zeit dafür, weil ich denke, dass das einfach wichtig ist. Wenn wir das vernachlässigen, dann scheißt es uns einfach an, irgendwann. Das ist unser Ziel, den Kopf zu bewahren und das zu machen, was wir wollen. Die Unabhängigkeit schwindet immer mehr, weil man auch Verträge unterschreibt.

Und erfolgsmäßig, wollt ihr da noch einen draufsetzen?
Ich glaub, die nächste Scheibe wird richtig dick. Wir haben schon zwei fertige Songs wieder, und ich vermute, die wird richtig, richtig gut. Klar, es sind viele Leute auch enttäuscht, dass wir manche Sachen vernachlässigen, die wir früher gemacht haben. Dieses Chaotische oder das Verspielte, aber wir haben auch schon viele neue Freunde dazu gewonnen.

Abschließend hast Du noch ein "F*** Off" und ein "Love You" zu verteilen …
Ich würde erstmal gern ein "Love You" verteilen. Und zwar ein absolutes "Love You" geht an Devil Ate My Son raus, die coolste Band neben uns [lacht], nein Scherz, aber das sind einfach gute Freunde von uns, die jetzt gerade ihre neue Platte aufnehmen, und mit denen wir gerade auf Tour waren. Das sind halt die coolsten Typen überhaupt, die sind genau so durchgeknallt wie wir, haben den gleichen Humor und sind saugute Musiker.
Und das F*** Off an ...[überlegt länger] … ach ja, dieser Fernsehsehsendung "Die Abschlussklasse". Oaaah, das geht mir so auf den Sack. Aber vielleicht besser so ein persönliches F*** Off… schwer zu sagen gerade… ach, ne, nimm "Die Abschlussklasse".