Geschrieben von Dienstag, 03 August 2004 00:02

The Dillinger Escape Plan - Interview mit Bassist Liam Wilson zu "Miss Machine"

The Dillinger Escape Plan haben durch ihre noisig-technische Spielweise Maßstäbe im modernen Extrem-Metal gesetzt. Fünf Jahre nach ihrem letzten regulären Studioalbum "Calculating Infinity" meldet sich das Quintett aus New Jersey mit "Miss Machine" zurück. Einem Album, das weit weniger als seine Vorgänger Extreme auslotet und schon fast im umgekehrten Sinne außergewöhnlich ist – nämlich auffallend zugänglich.

Am Telefon beantwortet Liam Wilson, Bassist der Band, gut gelaunt und offen meine Fragen nach der neuen Ausrichtung, oftmals selbst nach passenden Worten ringend, welche die Intention hinter "Miss Machine" einem Außenstehenden halbwegs vermitteln können.

Als erstes würde ich gerne wissen, ob Ihr Spaß beim Rock-Im-Park-Festival in Deutschland hattet?

Definitiv. Wir sind spät angekommen und waren ziemlich in Eile, aber wir hatten auf jeden Fall eine gute Zeit. Es ist ziemlich cool, mit den Red Hot Chili Peppers zu spielen.

Ok, lass uns zum neuen Album kommen. Warum heißt es „Miss Machine“?

Der Titel bezieht sich auf die Unschärfe zwischen ähmm…. Wie soll ich das erklären. Es ist, als wenn Du vor Deinem Laptop sitzt und im Internet surfst. Du weißt nicht genau, wo etwas beginnt und wo es endet und wer da eigentlich wen benutzt. Also diese Art Antriebsdynamik oder auch Beziehung zwischen Mensch und Maschine, wenn Du verstehst …

Wird diese Beziehung auch in den Texten aufgegriffen?

Ja, die Texte haben etwas zu tun mit Beziehungen. Das Beste im Leben kann sich zum Schlechtesten wenden und diejenigen, die man am meisten liebt, können einen am stärksten verletzen.

Was denkst Du hat sich im Vergleich zu Eurem letzten Album „Calculating Infinity“ oder der Mini-CD mit Mike Patton verändert?

Die Band hat sich entwickelt, wir schreiben andere Songs. Beispielsweise die jazzigen Breaks oder die dynamischeren Parts oder epischen Teile der Titel. Wir haben einfach versucht, bessere Songs zu schreiben, die nicht nach musikalischer Masturbation klingen.

Eure älteren Alben hat man in die relativ neue Schublade „Math-Metal“ gepackt, „Miss Machine“ könnte man da ja schon fast als Mainstream bezeichnen…?

Nene, wir machen Adjective-Rock.

Adjective-Rock? Ok …

(Lacht) Nein, bitte nimm das nicht ernst, sonst muss ich jede Menge Interviews deswegen geben … Dieses ganze Math-Metal-Ding ist nichts, was wir unterschrieben hätten. In der Schule ist Mathe doch verhasst, also…wie auch immer, was soll man machen.

Was war der Grund dafür, auf dem neuen Album sehr ruhige, melodische und harmonische Teile und sogar klaren Gesang einzubringen? Teilweise erinnert mich die Musik auch an Faith No More …

Wir wollten nicht vorhersehbar sein. Wenn wir uns von Bands wie Faith No More beeinflussen lassen, hat das vielmehr mit ihrer künstlerischen Einstellung und Herangehensweise zu tun, als mit der Musik oder mit Harmonien selbst. Wenn Du Dir ein Album wie „Angel Dust“ (Faith No More) anhörst, sind da so viele unterschiedliche Sachen, die aber doch alle irgendwie zusammenpassen. Wir wollten mit der gleichen Einstellung an unser Album herangehen: Erwartet alles von uns. Und erwartet nichts mehr, als das Unerwartete. Bands wie Slayer sind offensichtlich die Chefs in dem, was sie tun, und haben auch Einfluss auf uns, aber sie sind festgefahren und können nichts anderes mehr machen, als sie die letzten zwanzig Jahre gemacht haben. Das haben wir nicht vor. Zudem war es eine recht natürliche Entwicklung, nichts geschah zu sehr in der Absicht, gezielt etwas anders machen zu wollen. Wir haben versucht, eine Platte zu machen, die auch als Ganzes einen gewissen Fluss und eine bestimmte Dynamik besitzt, nicht nur die Songs einzeln für sich.

Wie waren die Reaktionen auf „Miss Machine“? Ich kann mir gut vorstellen, dass die eingefleischten Fans ziemlich verwirrt waren von der neuen Mixtur.

Das war für uns wirklich komisch, denn die Reaktionen waren ziemlich phantastisch. Wir hatten durchaus Zweifel, bevor das Album erschienen ist, denn es gibt immer eine gewisse Unsicherheit, wie es aufgenommen wird, wenn Du ein Stück Kunst oder ein Album oder etwas in der Hinsicht veröffentlichst. Vor dem Release waren wir alle schon fast nervös, aber als wir feststellten, wie leicht die Leute ihren Zugang finden, das war schon klasse. Das Album kann ich meiner Mutter vorspielen und den Fans, und beide Seiten können etwas damit anfangen. Diese Scheibe hat einen Groove und ist nicht lediglich, wie bereits erwähnt, musikalische Masturbation. Wir wollen erreichen, dass die Leute wirklich das Unerwartete erwarten und kämpfen als Band und Künstler für mehr Freiheit. Ich denke, wir haben das geschafft, und dabei ist das Album erst seit etwa einer Woche draußen.

Es gibt genügend Bands, die sich genau andersherum entwickelt haben: Vom eher Gefälligen weg hin zum Aggressiven, Komplizierteren und Rohen.

Stimmt (lacht). Wir hatten aber auch eine Experimentierphase in dieser Hinsicht, also mehr standartorientiert. Aber mit der Zeit entwickelt man einen persönlichen Sound an seinem Instrument oder eine persönlicheren Zugang generell zu seiner Musik. Als das bei uns so war, ist es eine zeitlang in diese Richtung gegangen; nicht ganz so weit, wie wir hätten gehen können, aber eben so weit, wie wir gehen wollten. Wir haben uns gesagt, ok, lasst es uns jetzt mehr songorientiert machen. Lasst uns den technischen Aspekt behalten, lasst uns weiter als Musiker wachsen. Und ehrlich, manche Songs auf diesem Album sind schwieriger als das, was wir vorher geschrieben haben. Zudem denke ich, die neuen Sachen haben mehr Flow und mehr Groove.

Euer Song „Phone Home“ klingt extrem nach Nine Inch Nails. War das Absicht?

Ähmm… Ich denke, er zeigt unsere Einflüsse ein wenig mehr, als das zuvor geschehen ist. Aber wir haben nie versucht, so wie Nine Inch Nails zu klingen. Sie sind ein Einfluss auf unsere Musik, wir haben vor einiger Zeit auch ein NIN-Cover gemacht. Aber das war einfach der Prozess innerhalb unserer Band, Technik anders einzusetzen. - Und in dieser Hinsicht mehr Begleiterscheinung als Produkt oder beabsichtigtes Ergebnis.

Nebenbei, kann man Eure Coversongs irgendwo auf Platte kaufen? Ihr habt ja noch mehr gute Cover gemacht, wie z.B. „Rebell Yell“ von Billy Idol.

Ich glaube, der einzige Ort, an dem Du eventuell fündig wirst, ist das Internet. Wir haben das einmal live bei BBC aufgenommen und auch einige male live gespielt, ich bin sicher, dass einige das mitgeschnitten haben.

Ein weiterer ungewöhnlicher Song ist „Unretrofied“. Der könnte mit seinem catchy Refrain glatt von einer Nu-Metal-Band eingespielt worden sein.

Wir haben kein Problem mit dem Etikett; es geht in eine andere Richtung und wir werden definitiv solcherlei Songs näher „erkunden“. Wir hatten Spaß dabei, solche Sachen zu schreiben, denn wir können's– und wir können es sogar besser als eine ganze Menge Leute, die das machen. Das soll kein Wettbewerb sein oder so, aber wir wollten einfach belegen, dass wir diese Songs schreiben können. Wenn Du Dir diesen Song anhörst und dazu Zugang findest, wirst Du Dir die anderen vielleicht einige Male öfter anhören, bis es „Klick“ macht. Vielleicht ist „Retrofied“ so etwas wie der Schlüssel zum Rest des Albums.

Eure Cover-Collage passt sehr gut zur Musik des Albums.

Der Typ, der das Cover gestaltet hat, ist ein alter Freund von uns, der oft mit uns getourt ist und uns wirklich von Anfang an kennt. Er versteht uns besser als jeder andere Künstler und konnte deshalb ein Artwork entwerfen, das so aussieht, wie wir klingen. Wir wollten etwas Sinnüberladendes, Deformiertes, dabei irgendwie sexy und mit Elementen, die man wieder erkennt. Aber es hat auch etwas Klinisches, Sauberes und viele weitere Aspekte. Wir wollten nicht, dass es wie ein Metal-Cover aussieht, eher etwas Sureales, Dalieskes.

Was plant Ihr für die nähere Zukunft?

Wie immer – wir werden touren und hoffentlich mehr schreiben können. Wir sind ein wenig „tourgeschädigt“, zumindest mir geht es so, dass mir das Touren mittlerweile vertrauter ist als das Leben zu Hause. Wenn ich nach Hause komme, weiß ich eigentlich gar nichts mit mir anzufangen. Jeder von uns geht absolut in der Band auf; alles was wir wollen, ist Schreiben und Spielen. Wir sind da im Zwiespalt zwischen Familie, Beziehung und Freunden und dem anderen.

Die letzten Worte …

Vielen Dank für das Interview und für das Interesse der Leute am Album. Wir wissen, dass es lange gedauert hat, bis es fertig war und ich hoffe, dass jeder etwas davon hat und so was wie einen Zugang dazu findet.