Geschrieben von Mittwoch, 24 November 2004 20:19

Bethlehem - Interview mit Texter und Bassist Jürgen Bartsch

Bethlehem haben mich mit ihrem aktuellen Album "Mein Weg" zugleich erstaunt und verzückt. Wer versucht, in die lyrische Welt von Texter und Bassist Jürgen Bartsch einzutauchen, wird tief Luft holen müssen, um nicht vorzeitig abzusaufen: Bleibt die düstere Musik noch nachvollziehbar, so erweisen sich die Texte als schwer zugänglich und kryptisch. Im E-Mail-Interview erläuterte der kreative Kopf jedoch weitgehend verständlich seine Intentionen und ließ es auch an Presse-Kritik nicht mangeln.

Für alle, die Eure vorhergehenden Alben nicht kennen: Was unterscheidet "Mein Weg" musikalisch und bezüglich der Herangehensweise von Euren zurückliegenden Veröffentlichungen?

Die Herangehensweise ist immer noch die gleiche wie früher. Ich schmeiße zumeist ein paar Basslicks in die Runde, wir probieren ein bißchen rum und fertig ist. Großartige Überlegungen oder Konzeptionen haben bei unserem Songwriting noch niemals eine Rolle gespielt, wir spielen einfach drauflos und heraus kommt Musik, direkt aus dem Herz und der Seele. Wir sind eine absolut spontane Band, definitiv keine Frickler oder so. Wir finden, dass spontane Musik immer noch am erfrischendsten klingt und auch viel ehrlicher dargeboten wird, als konstruierte Reißbrettsongs, die sich so oft an der oder der Band, Stilrichtung, Mode, was auch immer orientieren.

"Mein Weg" unterlag mal wieder unserer absoluten Spielfreude, dem Spaß an der eigenen Sache. Wir lieben halt unsere Musik, machen einfach das, was wir wollen, und zerbrechen uns nicht wochenlang den Kopf darüber, ob dies oder jenes gut bei den Leuten ankommt oder nicht. Bethlehem steht sich selbst ehrlich gegenüber und dabei wird's auch bleiben. Selbst im Studio produziere ich nicht wochenlang an den Songs und Sounds herum, sondern bringe vielmehr meine Spontanität und Erfahrung zum Einsatz, meine wichtigste Waffe im Kampf gegen eingeschlafene Füße.

Diese Philosophie, "anders zu sein" stammt noch aus den Gründungszeiten und es fiel uns anfänglich recht schwer, die Klippen der üblichen Standards zu umschiffen. Mitunter vielleicht zu sehr, denn gerade im Studio wurde es zu Beginn recht krampfig und auch recht schwierig, immer das etwas andere Arangement oder den unüblichen Songaufbau zu finden. Im Laufe der Zeit fiel das aber immer leichter und automatisierte sich irendwann mal. Heute sind wir persönlich sehr froh darüber, diesen Weg gegangen zu sein, auch oder gerade, wenn eine solche Herangehensweise sehr, sehr stark polarisiert bzw. einige gar nichts damit anfangen können, da sie ihren ach so geliebten Einheitsbrei in unseren Songs nicht wiederfinden. Gerade hier in unseren Landen wird ja bekanntlich sehr viel Wert auf das Widerkäuen gelegt, neue Ideen werden sehr schnell mit diesen aberwitzigen Vergleichen ala Rammstein oder ähnlichem Dünnpfiff abgetan. Was der Bauer nicht kennt, das frißt er nicht! In Deutschland schon gar nicht. Man höre sich doch einfach nur diese ganzen, unzähligen Hochglanzheft-Sampler an. Mann, da kriegste ja das kalte Grausen.

Wie lange habt Ihr an dem Album insgesamt gearbeitet?

Ungefähr zwölf Proben lang. Den Rest habe ich während der dreiwöchigen Recording-, Mixing- und Mastering-Session im Studio produziert.

Wer schreibt die Texte und – natürlich! – woher nehmt Ihr die Ideen dafür? Gibt es einen "Interpretationsschlüssel" oder fehlt Euch vielleicht selbst eine konkrete Erklärung? Bei "Mein Weg" habe ich mich ziemlich oft ernsthaft gefragt "über was zur Hölle singt der da ..." !? Und das geht sicherlich auch anderen so.

Natürlich machen meine Texte Sinn für mich, schließlich bin ich es, der sich in den Texten widerspiegelt. Um mir das Geschehene, meine Visionen, mein Erlebtes begreiflich machen zu können, greife ich gerne auf metaphorische Bildergeschichten zurück, die in einer Art "Film" vor mir ablaufen, während ich diese, meine Gedanken zu Papier bringe. Nur so ist es mir möglich, mich nicht in diesem mitunter immensen Ansturm meiner facettenartigen Gedanken zu verlieren. Um eine solche Bilderflut zu Papier bringen zu wollen, müßte mann schon Datas Hände besitzen.

Es ist ein wenig wie Mathematik; ich abstrahiere diverse Kapitel meines Lebens in einfache Sätze, welche in der Summe wiederum die Kapitel ergeben und umgekehrt. Sicherlich mag eine solche Herangehensweise für viele ein Mysterium darstellen, dennoch bin ich der festen Überzeugung, dass vieles von dem schriftlich Dargebotenen eine gewisse Allgemeingültigkeit besitzt und durchaus interpretierbar ist. In einer solchen Art und Weise, dass sich viele andere Menschen darin wiederfinden können (und bereits konnten) und sich ihren Anteil daran zu Nutze machen.

Diese Anteile sind unterschiedlichster Natur, zum einen gereichen sie dem Suizid-Gefährdeten, zum anderen den Lebensgierigen. Diesbezügliche Danksagungen tendierten bereits vom tiefschwarzen Blues bis weit hinauf ins gleißende Licht. Allerdings muss man diese Auseinandersetzung auch wollen und sich intensiv mit diesen Texten beschäftigen, einfach mach ich's den Leuten echt nicht. Man muss schon ein wenig Bereitschaft zum eigenen Denken besitzen, für gedankliche Grobmotoriker ist das überhaupt nichts und die sollten lieber auf alte Sodom-Texte zurückgreifen und Bethlehem auch weiterhin als Schwachsinn abtun.

Wie wichtig sind Euch selbst die Texte, die in meinen Augen einen Großteil der Faszination von "Mein Weg" ausmachen?

Sehr wichtig.

Gibt es Bands, die Euch inspirieren, musikalisch wie auch textlich? Zumindest auf den ersten Blick sind ja Ähnlichkeiten zu Eisregen oder auch Samsas Traum vorhanden ... (?)

Vielmehr ist es andersherum der Fall, sagen z.B. Eisregen selbst. Samsas Traum sagt uns überhaupt nichts. Textlich und musikalisch sind wir seit unserem ersten Demo 1992 mit unserer ganz eigenen Machart unterwegs, da gab's diese von dir genannten Bands noch gar nicht. Bethlehem gibt's seit 1991 und unsere damaligen Inspirationen waren Dark Throne, Beherit, Impaled Nazarene und My Dying Bride.

Die Stimmung des Albums ist sehr melancholisch, um nicht zu sagen depressiv. Ist das typisch für Eure Musik, wenn ja, warum?

Es fällt uns zunehmend schwerer, externe Interpretationen unserer Musik zu interpretieren. Das sollte jeder für sich selbst tun, indem er/sie die Scheibe hört und sich ggf. selbst fragt, warum er/sie auf solche Mucke abfährt oder nicht. Wir machen unsere Musik, weil wir das so wollen. Die Interpretation unserer Werke obliegt nach wie vor anderen. Für uns gibt es kein "Warum?".

Was hat Euch zu der Coverversion von Sinatras "My Way" bewogen? (Toller Gesang übrigens! Nimmt Euer Sänger Gesangsunterricht?) Der Song passt zum Titel des Albums, aber gab es da noch mehr Gründe? Und wie / mit wem habt Ihr den Titel so wunderbar klassisch aufgenommen?

Ja, unser Gastsänger hat eine klassiche Gesangsausbildung hinter sich. Aufgenommen wurde "My Way" mit unserem Gastpianisten Andreas Teckath, mit Ulf Theodor Schwadorf von "The Vision Bleak", mit mir selbst, unserem Drummer Steve Wolz und mit unserem Gastsänger Guido Meyer de Voltaire. Mit z.B. Frank Sinatra- oder Robbie Williams-Songs hat sich Gudio vor den Aufnahmen warmgesungen und die Sinatra "Aufwärm"-Version gefiel mir so gut, dass ich mich spontan dazu entschloss, eine Version des Songs mit auf die CD zu packen. "My Way" paßte auch ganz gut zum Titel des Albums, also war's meiner Meinung nach 'ne klasse Idee für 'nen Hidden Track, der jetzt allerdings auch nicht mehr sonderlich hidden ist, weil er bereits überall plattgewalzt wurde.

Aus welcher Motivation heraus habt Ihr deutsche Texte?

Die ersten zwei Demos, die erste 7" – "Thy Pale Dominion" – und die Debut-Scheibe (bis auf einen Song in Deutsch) – "Dark Metal" –  waren englischsprachig. Was äußerst abturnend war, da ich immense Schwierigkeiten damit hatte, meine deutschen Texte in den richtigen, englischen Kontext zu bringen. Aus diesem Grund lag es einfach nahe, meine deutschen Texte auch in unserer Muttersprache zu belassen.

Was macht Ihr neben Bethlehem? Habt Ihr noch weitere Bands oder Projekte?

Ich selbst habe mein eigenes STAHLMANTEL Project mit Marco Kehren von Deinonychus und RT (ex-Bethlehem). Ist völlig durchgeknallte Electro-Mucke, eiskalt, verstörend, geisteskrank. Stevo spielt noch Schlagzeug bei IMPERIA und A-RISE, Eckhardt hat – glaub ich – momentan keine anderen Projekte.

Wie waren die bisherigen Reaktionen auf Euer neues Album?

Überwältigend! Einfach nur überwältigend. Entgegen unserer eigentlich recht starken Polarisation bzgl. unserer Alben im allgemeinen, liegt das Hauptgewicht diesmal bei "himmelhochjauchzend in den siebten Himmel lobend". Noch niemals zuvor haben wir derart positive Reaktion auf eines unserer Alben bekommen, es ist schon nahezu beängstigend. Auch wenn dir manche von diesen Liebeserklärungen runtergehen wie Öl. Doch Bethlehem wäre nicht Bethlehem, wenn's nicht auch vereinzelt noch ein paar von diesen superoberflächlichen Rezensionen gäbe, die dir einfach solche oberdämlichen und völlig unpassenden Vergleiche ala Rammstein vor den Latz knallen und klar durchblicken lassen, dass sie sich aber auch Null mit deiner Mucke beschäftigt haben. Und somit lieber ihre peinlichen Vorlieben für Pop-Musik zum Ausdruck bringen, 'türlich immer unter dem Deckmäntelchen des "Defender of Metal" oder ähnlichem Bullshit.

Letzlich sehen wir die ganze Sache so: Ob man sich nun über Rezensionen freut oder ärgert, entscheidend ist nach wie vor, dass man das, was man sich auf die eigene Fahne geschrieben hat, selbst noch am allermeisten vertreten kann und bereit ist, dafür auch jederzeit einzustehen. Das ist das Einzige, was nach wie vor von Bedeutung ist. Alles andere ist blanke Makulatur und vom Prinzip auch überhaupt nicht der Rede wert. Sollen sie doch alle reden oder schreiben, was sie wollen. Schließlich wäre es ja noch schöner, etwa negative Rezensionen zum Anlass für Richtungsänderungen zu nehmen. Das käme dann diesen ganzen Widerkäuern, welche die heutige Metalszene ausmachen, gleich. Und wäre somit Hochverrat an der eigenen Sache. Bethlehem ist und bleibt Bethlehem; liebt uns oder hasst uns, dadurch wird sich nichts für uns ändern.

Welche Leute kaufen sich "Mein Weg", bzw. welche Leute kommen zu Euren Konzerten?

Leute, die ihren Weg kennen und dafür keine Vorbeter brauchen.

Wann kann man Euch in nächster Zeit live sehen? Und was ist in nächster Zukunft geplant?

In nächster Zeit wohl eher kaum, vielleicht mal wieder im nächsten Jahr. Dafür geht's ab Dezember mal wieder ran an neues Studiomaterial. In den dunkleren Jahreszeiten ist unsere Spiellaune scheinbar immer am größten.

Wollt Ihr noch etwas an die Leser loswerden?

Beste Grüße an eure Leser und 'türlich zwei Frisöre.

Chris

Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!