Geschrieben von Mittwoch, 30 August 2006 18:11

Mastodon - Interview mit Schlagzeuger Brann Dailor zu "Blood Mountain"

Mastodon Interview

Das Hamburger Logo ist bis auf die im Hintergrund rumorende Stage-Crew noch menschenleer, als sich Brann Dailor mir gegenüber an einem kleinen Stehtisch niederlässt und mich verschlafen aus dicken Augen anblinzelt. Ich befürchte ein sehr kurzes Gespräch, doch glücklicherweise erweist sich der MASTODON-Schlagzeuger als äußerst sympathischer und auskunftsfreudiger Gesprächspartner, der nicht nur bereitwillig Rede und Anwort zum kommenden Album "Blood Mountain" steht, sondern gegen Ende des Interviews sogar ein Liedchen anträllert.

Hey Brann, Du siehst müde aus ...

Ja, entschuldige, ich habe nur drei Stunden oder so geschlafen. (Nimmt einen großen Schluck aus seiner Wasserflasche)

Ok, ich fange mal vorsichtig an. Ihr habt vor einigen Wochen die "Unholy Alliance Tour" in den USA mit SLAYER, LAMB OF GOD, CHILDREN OF BODOM und THINE EYES BLEED beendet. Wie fühlt es sich an, nach einer solchen Mega-Tour wieder in kleinen Clubs vor ein paar hundert Leuten zu spielen?

Ich mag Clubs. Ich fühle mich mehr zu Hause in Läden wie diesem als in großen Arenen, weißt Du. In den Arenen sind tausende von Leuten, manchmal ist es regelrecht verrückt, und es macht echt Spaß auf diesen riesigen Bühnen. Aber ich bin es eher gewohnt, in kleinen Clubs zu spielen. Es fühlt sich familiärer an und man steht irgendwie auch nicht so unter Druck.

Gibt es Unterschiede zwischen den MASTODON-Fans hier in Europa und denen in anderen Ländern, zum Beispiel in den USA oder Japan?

Nein, eigentlich nicht. Im Großen und Ganzen kommen die gleichen Leute, aber in Japan ist es schon völlig anders. Die sind wirklich totenstill zwischen den Songs und reden überhaupt nicht. Wenn 1.000 Leute in einem Raum schweigen, ist das schon komisch – Du fühlst Dich, als hättest Du etwas falsch gemacht. Aber generell, wenn Du öfter nach Europa kommst, gibt es keinen richtigen Unterschied zwischen den US und hier.

So langsam werden MASTODON ja auch hier richtig bekannt, zumindest habe ich das Gefühl.

Ja, aber weißt Du, Deutschland ist zurzeit der kleinste Markt in der Welt. Wir brauchen hier am längsten, um Fuß zu fassen, wenn es uns überhaupt gelingen sollte.

Das überrascht mich dann doch – ich kenne mittlerweile einige Leute, die Euch live gesehen haben oder die Eure Alben mögen, und Deutschland gilt ja gemeinhin eher als Metal-Hochburg.

(Lacht) Ich spreche gar nicht gegen Deutschland, überhaupt nicht, aber es ist meine Beobachtung nach einigen Jahren, in denen wir in Belgien, Frankreich, Italien und Spanien gespielt haben, auch in den UK. Wenn es nach Deutschland geht, werden die Clubs deutlich kleiner, und auch die Besucheranzahl wird deutlich geringer. Das ist nur meine Beobachtung, ich weiß nicht, woran das jetzt genau liegt …

Schade, aber ich habe auch keine Ahnung.

Es ist völlig ok, wenn es an manchen Plätzen länger dauert. Das gleiche hast du in den US, die ja gigantisch groß sind. Du kannst in den Hauptstädten enorm bekannt sein, und wenn Du in kleinere Städte kommst oder in Orte wie St. Louis im Vergleich zu Detroit, dann wirkt die gleiche Menge an Fans eben deutlich kleiner.

Ihr tourt am laufenden Band, nach dieser Club-Tour schon wieder in den US mit CONVERGE – kommt Ihr auch mal nach Hause? Oder ist "zu Hause" für Euch mittlerweile der Tourbus?

Ja, wir hatten so acht Tage zwischendurch zu Hause. Ich habe ein Haus in Atlanta, das momentan aber nicht so schön aussieht. In den letzten Jahren habe ich eine Menge Arbeit da rein gesteckt, um es wirklich zu einem Heim zu machen. Badzimmer gemacht, Böden verlegt und so weiter …

Hast Du Familie?

Ich habe keine Kinder aber eine Frau.

Das muss hart sein, sie sieht dich ja kaum …

… ja, das geht auf'n Sack … (lacht)

… auch für Dich.

Ja, aber das ist eben die Sache. Ich bin süchtig danach (deutet in Richtung Bühne), ich wollte da stehen seit ich ein kleines Kind war. Man muss dafür beizeiten Opfer bringen, aber andererseits will ich auch ein ganz normaler Typ sein, wie jeder andere auch, mit Frau und Familie. Es ist schon hart … ich will keine Groupies vögeln, weißt du. (lacht)

Habt ihr Groupies?

Nein. Ich meine, es gibt Mädchen, die kommen und mit uns abhängen wollen.

Aber die wollen nicht …

… doch, die wollen. Die melden sich schon, aber weißt Du, das ist dieses Klischee.

Ok, lassen wir das einfach mal so stehen und widmen uns Eurem neuen Album. Ihr habt Euer Plattenlabel gewechselt und seid nun beim Major Warner untergekommen. Hatte das spezielle Auswirkungen auf die neue Scheibe?

Nein, ich denke nicht. Es hat den Schreibprozess nicht beeinflusst, denn wir sind ziemlich eigensinnige Typen, insbesondere im Hinblick auf unsere Musik. Wir wollten das exakt so haben wie wir uns das denken, ansonsten funktioniert's auch nicht. Ich kann da nichts faken oder so, das steht einfach außerhalb meiner Möglichkeiten.

Ihr habt erneut mit Matt Bales als Produzent gearbeitet und das Album auch im selben Studio eingespielt, in dem bereits "Leviathan" entstanden ist. War das ebenfalls Eure eigene Entscheidung?

Ja, ich hätte mir keinen anderen vorstellen können, der das macht, und der uns wirklich versteht. All diese Metal-Jungs da draußen, die diesen abgeklärten Sound kreieren, der so produziert klingt, mit getriggerten Drums und diesem Metal-Chorus-Sound. Also Bands wie UNEARTH zum Beispiel, aber da sind so viele … Für mich klingen deren Produktionen – nicht ihre Musik, aber ihr Sound – sehr ähnlich. Vielleicht klingt's bei UNEARTH mit Terry Date (Produzent des letzten Albums) jetzt anders, aber wie auch immer …

Ich denke, Matt Bales hat das Verständnis und weiß genau, was er machen muss, denn er hat Bands wie ISIS produziert, und er weiß, dass wir in diesem Gemisch aus THIN LIZZY, NEUROSIS, THE MELVINS und solchem Kram zu Hause sind.

Hatte Bales auch Einfluss auf die Songs selbst?

Nein. Er ist lediglich der Mann, der den perfekten Schnappschuss von uns macht. Aber wir haben jemand anderen für's Abmischen gehabt, was ein Vorteil aus der neuen Warner-Situation war. Richard Costey hat das Album gemixt, der schon für die MARS VOLTA-Platten zuständig war. Er ist phantastisch, wie ein verrückter Wissenschaftler, und wir hatten eine gute Zeit. Und auch Matt Bales, wir haben ihn ziemlich gequält. (lacht)

Der sieht in einem der Videoclips zu den Aufnahmen auf Eurer MySpace-Seite noch so jung aus …

Er ist sehr jung, vielleicht 21, 23 Jahre alt. Und er hat echt ein Babyface …

Und dennoch scheint er ziemlich erfahren zu sein.

Ja, er weiß, was er tut. Aber wir haben ihn geistig gebraten. Wenn er das Album am Ende hätte mixen müssen … Ich bin sicher, er hätte das gut gemacht, aber ich glaube, er war ganz froh, dass diese Aufgabe in die Hände von jemand anderem gelegt worden ist. Was gut war, denn es war eine klasse Erfahrung für uns, mal jemanden anderen zu "braten".

Wir wussten nicht, was wir von Warner Brothers erwarten sollten, und wir waren positiv überrascht, wie sich die ganze Situation dann gestaltete. Nachdem wir jetzt ein Album mit Warner gemacht haben, bei dem sie uns in Ruhe machen ließen, was wir wollten, und wir dann das Werk in die Hand gedrückt bekamen, dachten wir, "Wow, das ist phantastisch, das klingt cool, gute Arbeit!"

Leider gibt es bisher nur zwei Songs vorab zu hören, in minderer Qualität. Wie klingt denn das neue Album?

Ich habe keine Ahnung. (Auf mein erstauntes Aufhorchen:) … ich habe keine Ahnung. Es klingt irgendwie organischer aus irgendeinem Grund. Es klingt sehr … cool.

"Cool", ah ja ... – also wie die anderen Alben auch.

Es klingt cool. Es klingt anders. Es klingt einzigartig, weißt Du. Es klingt so, wie ich denke, dass wir klingen sollten. Leider hatte ich bisher nie die Möglichkeit, uns live zu sehen … (lacht)

Wie waren denn die ersten Reaktionen auf die neuen Songs?

Gut, denke ich. Es ist etwas schwierig für uns … Unsere Songs muss man eine ganze Weile hören, um reinzufinden, glaube ich. Manche Sachen sind etwas leichter zugänglich als andere, aber das meiste auf dem neuen Album braucht einige Durchgänge. Das ist teilweise recht sonderbares Zeug, so nach dem Motto: "Was machen die da?" (lacht)

Das, was man bisher hören konnte, klingt für mich in erster Linie jammiger, ausufernder. War das Absicht oder hat sich das einfach so entwickelt?

(Überlegt eine Weile und setzt mehrmals an:) Der Sound ist irgendwie verdreht und "fucked up" (lacht), wir wollten den Eindruck vermitteln, dass wir kurz vor einer mentalen Explosion stehen. Vor allem, wenn es am Ende richtig losgeht … (macht mit dem Mund einige Geräusche und Sounds nach, die auf den neuen Titel "Capialrian Crest" passen) … das ist wie eine große Erlösung … (macht Tongedudel nach)

Gerade "Capilarian Crest" klingt verdammt stark und mächtig. Ist der Rest des Albums mit diesem Song oder "Crystal Skull", dem zweiten Vorab-Song, vergleichbar, oder gibt es weitere Überraschungen?

Ja, da gibt's' eine ganze Menge. Ich habe ein gemischtes Gefühl, was die Veröffentlichung von Singles angeht. Als "Blood And Thunder" damals veröffentlicht wurde, hielt ich das für keinen sehr guten Song, um das Album zu repräsentieren. Also dachte ich, machen wir jetzt besser zwei Songs.

Ich denke, "Capillarian Crest" und "Crystal Skull" deuten sehr gut an, was Du auf dem Album hören wirst. Aber es gibt auch eine Menge Zeug, das anders ist … (lacht). Es ist ein guter Mix aus einer Menge unterschiedlichem Kram.

Ich denke, wir sind einen Schritt weiter nach vorne gegangen, auch was unsere Einflüsse angeht. Wir wollten nie eine Band sein, die sich wiederholt, sondern wir wollen mit jedem Album eine andere Erfahrung liefern.

Bisher hatte jedes Eurer Alben einen Themenschwerpunkt, oft ging es um mythische Viecher und die Natur. Sei es Wasser oder Feuer, der Leviathan, Behemoth, Nessie oder auch der "Elephant Man". Auf "Blood Mountain" habt Ihr ein Stück Natur bereits im Titel verewigt, auf dem Cover befindet sich eine Art Elch mit mehreren Köpfen. Das führt Eure Linie fort – steht erneut ein Konzept hinter der Platte?

Ja, es ist eine Art Geschichte über eine einfache Figur, die einen Berg erklimmt. Ein Bild oder eine Matapher für den Berg, den jeder irgendwie in seinem Leben hat, und den er besteigen will. Es geht auch um eine abstrakte Realität, wie Traumlandschaften und so etwas, aber alles spielt auf diesem Berg oder zielt darauf. Du kommst aber nie ganz an die Spitze, nur fast. Die Lyrics sind recht doppeldeutig und abstrakt, der Hörer soll eine eigene Bedeutung für sich finden.

(An dieser Stelle entwickelt sich das Gespräch eher in private Richtung, über Musik und Touren, bevor ich noch zwei letzte Fragen stelle, die mir seit jeher am Herzen liegen:)

Woher stammt eigentlich Euer Bandname? Ich meine, er passt wirklich perfekt zu Eurer Musik, fast so, als hättet Ihr die Musik zum Namen geschrieben …

(Lacht) Ja, fast. Das ist ein wenig verrückt … Wir mögen Dinosaurier, Jedis, das Loch-Ness-Monster und Monster generell, so 'ne Art Kindheits-Ding. Ich glaube, jeder findet das irgendwie spannend, aber vielleicht irre ich mich auch.

Bill hat ein Tattoo auf dem rechten Arm, ein Bild von Boba Fett, also der von Star Wars. Das sieht aus wie ein Mastodon-Schädel. Und wir fragten ihn, "Was ist das für ein Vieh?", und Bill fragte, "Das Mastodon?", und wir, "Yeah, Mastodon, that sounds pretty bad ass …"

So viele Bands haben ewig lange Namen, da denke ich, dass es so wesentlich kraftvoller ist. Gerade für eine Metalband. Ich meine, Mastodon ist perfekt.

Hattet Ihr vorher andere Ideen für einen Bandnamen?

Es gab nie andere Vorschläge. Bill und ich zogen nach Atlanta, nach zwei Wochen trafen wir die anderen beiden Typen und eine Woche später hatten wir den Namen für die Band, arbeiteten an Songs und buchten die erste Tour. Das hat sich sozusagen alles gefügt. Das ist schon verrückt … (Hält inne und singt: "Live's been good to me so far …")

Eine letzte Frage: Ich liebe das Pferdebild auf Eurem "Remission"-Cover, aus irgendeinem Grund bin ich davon fasziniert. Welche Idee steckte damals dahinter?

Das Bild stammt aus einem Traum, den ich hatte. Meine Schwester starb, als ich 15 war – sie war 14 Jahre alt. Ich habe zeitweise von ihr geträumt, und dabei habe ich sie sehr deutlich gesehen, ich erinnere mich an sie sehr gut.

Ich hatte also diesen Traum mit ihr, in dem ich mit ihr abhing, in irgendeinem Keller. Wir schauten aus einem Fenster, da war eine Atomrakete im Hintergrund, und ich fragte sie, was das sei. Sie sagte, "Das ist eine kleine Kostprobe dessen, wozu wir fähig waren. Wir senden diese Rakete nach Russland, um ihnen zu zeigen, dass wir Raketen brauchen." (Anm.d.Red.: Ich habe diese Stelle etwa zwanzig Mal auf dem Diktiergerät gehört, aber das ist tatsächlich der Wortlaut, den ich aus Branns Nuschel-Amerikanisch und allerlei störenden Hintergrundgeräuschen herausfiltern konnte.) Und ich sagte: "Das ist sonderbar …"

Das Teil begann, vor- und zurückzuschwingen, und ich fragte, "Was ist jetzt los, das muss kaputt sein?" – Sie feuerten es ab und es schien wieder zurückzukommen, auf den Boden. Ich rief "Oh Scheiße!", aber sie sagte "Nein, das ist ok, wir sind geschützt." Die Rakete oder Bombe ging hoch und verbrannte die Erde mit einem riesigen Feuerball.
Als der Feuerball herunterbrannte, sah ich, dass alle Bäume und der ganze Wald abgebrannt waren und alle Tiere wegrannten und brannten. Und dieses große, weiße Pferd lief aus dem Wald und fiel direkt vor mir hin, es brannte und ich starrte nur darauf.

Das hat mich ziemlich mitgenommen, und als ich aufwachte, bekam ich dieses Bild nicht aus meinem Kopf. Ich habe den Jungs davon erzählt und sagte, das sollte auf das Cover kommen. Sie dachten, das wäre eine gute Idee.

Ich traf Paul A. Romano (Anm.d.Red.: Romano malte das Bild schlussendlich und war auch für das "Leviathan"-Cover verantwortlich) in einem kleinen Club, in dem wir spielten. Ich erzählte ihm davon, und er schien völlig zu verstehen, wovon ich redete …

Und wieder schweift das Gespräch ab, und Brann erzählt mir unter anderem, dass sein Vater einmal für einige Jahre in Hamburg gelebt hat. Dankbar insbesondere für die doch sehr persönliche Pferde-Story drücke ich dem Schlagzeuger die Hand, mache ein Erinnerungsfoto und bewege mich zur Bierausgabe, voller Vorfreude auf das folgende Konzert.

Chris

Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!