Geschrieben von Donnerstag, 04 Januar 2007 12:33

Oomph! - Interview mit Keyboarder Crap zum kommerziellen Durchbruch

Rechtzeitig vor Weihnachten bringen OOMPH! ihr neuntes Album „Delikatessen“ in die Regale, eine Best Of mit zwei Cover-Singles, im Schlepptau die zugehörigen Videos. Die Platten der Band findet man inzwischen in den Charts, die Fotos in der Bravo, und ihre Texte werden in der Presse diskutiert. Was hat das Business aus OOMPH! gemacht? Bedeutet „Delikatessen“ das Ende einer Ära und einen Wendepunkt in neue musikalische Richtungen? Oder hat sich eigentlich gar nicht viel verändert? Ausführliche Antworten auf diese und weitere Fragen gab uns Tasten- und Sound-Mann Crap direkt vom Ort des kreativen Band-Geschehens …

Crap: Ich stehe hier gerade vor dem Studio, weil wir gerade an der B-Seite zur nächsten Single arbeiten.

Schön, direkt rein ins Geschehen – was wird das sein?


Das wird ein Duett sein von „Träumst Du“, der auf dem letzen Album drauf war, zusammen mit Martha von DIE HAPPY …

… mit denen tretet Ihr im Februar ja auch beim Bundesvision Song Contest auf …


Genau, und das ist der Song, den wir bei dem Contest dann sozusagen „haben“.

Den wird es sicherlich gleichzeitig auch wieder als Single geben, richtig?


Ja, bis jetzt gehen wir einfach mal davon aus. Wir machen jetzt auf jeden Fall schon mal eine B-Seite dafür und gucken, was passiert. Um einfach was in petto zu haben, das ist eigentlich nie schlecht (lacht) – zumindest haben wir die Erfahrung gemacht in letzter Zeit.
Es kann übrigens sein, dass ich ein bisschen mit den Zähnen klappere, weil ich nämlich hier draußen stehe. Drinnen nehmen die gerade ansatzweise Gesang auf, da wäre es jetzt zu laut. Oder ich gehe ins Auto, ist auch kein Problem …

(Craps Schritte Richtung Auto knirschen durch das Handy)

Wo seid Ihr gerade im Studio – ist das in Braunschweig oder Wolfsburg?


Das ist so zwischen Braunschweig, Wolfsburg und Gifhorn sozusagen. Ein ganz kleiner Ort, so ein Dorf, und da haben wir einen alten ehemaligen Schweinestall ausgebaut, vor Jahren schon. Da ist jetzt unser Studio drin, mit einem großen Regieraum, so 30 bis 40 Quadratmeter, und dann halt noch weitere Räume, wo dann der ganze Kram und auch die Keyboards stehen, obwohl wir die schon fast alle vertickt haben – mittlerweile brauchst Du eigentlich keine Keyboards extern mehr, dadurch dass die Rechner so schnell geworden sind und Du eigentlich alles am Rechner machen kannst. Das ganze Outboard-Equipment haben wir eigentlich rausgeschmissen mittlerweile, da stehen jetzt nur noch einige ganz alte Geräte und Sampler, die man noch häufig braucht.

Das muss ja gerade Dir auch stark entgegen kommen, bei all den Synthie-Sounds und dem elektronischen Beiwerk in Eurem Sound …


Klar, weil ich ja für das ganze Soundtüftel-Zeug zuständig bin, und da ist es für mich bei weitem einfacher, die ganzen Sachen als Plug-Ins zu ordnen – schon weil ich mittlerweile um die 70.000 Sound-Presets habe … Das komplette letzte Album ist eigentlich zum größten Teil aus Plug-Ins entstanden.

Ist das nicht eher ein Nachteil, dass Du Dich aus einem Wust an Möglichkeiten immer für eins entscheiden musst? Gerade wenn man elektronisch arbeitet, ist man ja auf der Suche nach dem letzten Schliff, der Nuance im Sound, die ihn noch einen Tick fetter, transparenter oder wasauchimmer macht.


Du musst Dich auf jeden Fall daran gewöhnen. Ich weiß noch, das erste Jahr, in dem wir umgestiegen sind auf Plug-Ins, da habe ich mich super verrannt in viele Sachen. Das waren dann immer ganz, ganz viele Plug-Ins, die Du bekommen hast, teilweise auch Freeware ohne Ende, und da hatte ich unheimlich viel Zeug. Ich bin halt so ein Freak, der dann nächtelang im Internet surft um zu gucken, ob er Sounds findet oder dann eben auch kauft. Und irgendwann hatte ich dann tatsächlich so viele Sounds, dass ich mich gar nicht mehr entscheiden konnte, und wo dann die Soundauswahl für mich schon fast wichtiger war als die Komposition.

Ich hab dann irgendwann gelernt, dass ich dann ein Break mache. Ich suche dann nach ’nem Sound, zum Beispiel einem passenden Chor, und dann nehme ich mir zwanzig, dreißig Minuten. Und in der Zeit findest Du ja schon zumindest zehn, fünfzehn Stück, weißt Du. Du könntest dann noch über Tage auf die weitere Suche gehen, bis Du vielleicht den perfekten findest,  aber wenn mir da schon einer von den zehn, zwölf Stück zusagt, dann entscheide ich mich nach einer halben Stunde einfach. So eine gewisse Disziplin musste da schon haben, vor allem, wenn Du aus dem Vollen schöpfen kannst, wie wir es machen.

Aber Ihr habt mittlerweile auch bestimmte Sounds mit Wiedererkennungswert. Die Gitarren klingen seit einigen Alben unverändert druckvoll, sodass Du da vermutlich nicht mehr lange suchen musst.


Genau, es gibt so alltime favourites. Zum Beispiel am Gesang haben wir seit, glaube ich, den letzen sechs Jahren nichts mehr geändert. Gitarrensachen hatten wir jetzt geändert, weil wir ein bisschen mit unserem Equipment umgestiegen sind, von Yamaha auf Line6 und zwangsläufig nach einem anderen Sound haben suchen müssen. Das ist so vor zwei, drei Jahren passiert, aber wir haben den Gitarrensound auch immer so in die gleiche Richtung gehend…

(An dieser Stelle wird das Gespräch für eine ganze Weile noch soundspezifischer, was ich mir wiederzugeben spare, um den technisch weniger interessierten Leser nicht über Gebühr mit Details zum oomph’schen Gitarren- und Schlagzeugklang zu langweilen.)


Weg vom Technischen hin zum Hier und Jetzt: Dieser enorme Medien-Hype um Euch, der mit den letzten beiden Platten eingesetzt hat, sei es mit Fernseh-Jingles auf RTL oder der steten, gehäuften Abfolge von Platten, Singles und den zugehörigen Videos – wie geht Ihr damit um? Diese enorme Resonanz kam ja nicht von heute auf morgen.


Das ist genau der Vorteil, den wir hatten: Es kam nicht von heute auf morgen, sondern ist über Jahre entstanden, und wir sind da auch „reingewachsen“. Der Erfolg von „Augen Auf“ war für uns natürlich umwerfend insofern, dass wir uns umso mehr gefreut haben, endlich diesen Durchbruch zu bekommen, den wir natürlich auch die ganze Zeit probiert haben, zu erreichen, mehr oder weniger. Aber es hat mich jetzt nicht so aus der Bahn geworfen, als wenn ich zwanzig gewesen wäre und ich hätte das erste Album veröffentlicht. Dafür waren wir dann doch schon zu alte Hasen, schon zu lange im Geschäft und zu charakterfest, als dass man sich dadurch komplett dreht. Mit Sicherheit klopft man sich auf die Schulter und sagt „Na endlich!“, aber es hat mich jetzt nicht komplett verändert.

Was dann schlimmer ist – beim ersten Album noch nicht, aber bei diesem, also dem neuen Album –, der Druck wird natürlich höher, das muss man ganz eindeutig sagen. Mit dem Erfolg, den Du hast, wächst auch der Druck für die neuen Produkte, die Du rausbringst, und das ist natürlich schwieriger als vorher. Aber das ist der Vorteil, wenn Du zu dritt Musik machst wie wir, als drei komplett gleichberechtigte Personen: Geteiltes Leid ist halbes Leid, wie man so schön sagt.

Dann kann man sich auch sagen, wenn die nächste gute Single jetzt nicht ich schreibe, dann schreibt sie vielleicht einer der anderen beiden. Aber es hat sich jetzt eigentlich nicht so viel geändert. Es ist nicht so, dass wir jetzt komplett abgehoben wären in irgendeiner Art und Weise – und ich habe auch sehr viele gute Freunde, die mir das, glaube ich, wohl auch gesagt hätten, wenn es so gewesen wäre. Wir hören eher, dass wir so geblieben sind, wie wir vorher waren, und das Gefühl habe ich eigentlich auch. 

Menschlich gesehen bestimmt, aber musikalisch hat sich ja doch Einiges geändert.

Musikalisch ändert sich bei uns ja andauern was. Zurzeit ist es natürlich so, wie vorhin angeschnitten, dass wir recht „pünktlich“ die neuen Alben rausbringen, was ja auch nicht unklug ist, wenn man so einen Hype – wie Du es ja auch gesagt hast – dann hat. Dann sollte man auch probieren, auf der Welle zu schwimmen logischerweise, alles andere wäre Blödsinn. Man macht es auf der einen Seite zum Spaß, und auf der anderen Seite ja auch um erfolgreich zu sein. Wenn ich es nicht aufgrund des Erfolges machen wollen würde, hätte ich ja auch schon längst aufhören können. Dann bräuchte ich kein Album ’rausbringen und sollte nicht probieren, Videos zu drehen.

Man probiert das natürlich, was für uns aber auch sehr hart ist. Wir haben sonst zwischen den Alben immer so zwei Jahre knapp gehabt, und jetzt ist es halt ein Jahr, mehr oder weniger, wo wir dann auch Druck von der Plattenfirma kriegen. Was aber auch gut ist, denn unter Druck arbeiten wir eigentlich immer am besten. Das ist schon ein bisschen härter als früher, denn früher hat man dann schon mal die… wie sagt man, die …

… Eier geschaukelt …


(lacht)
… die Eier geschaukelt, und jetzt ist es schon sehr nah beieinander gerade. Du kommst von ’nem Videodreh zurück, bestes Beispiel letztes Wochenende: Da hatten wir einen Videodreh am Samstag, am Sonntag hatten wir einen Filmdreh. - Wir machen die Filmmusik zu einem Film, der nächstes Jahr in die deutschen Kinos kommt …

... interessant …


„Virus Undead“ heißt der, das ist so ein Spla…, naja ich weiß nicht, ob das ein Splatterfilm ist, aber es ist schon mit Action auf jeden Fall, und mit Splatter, wo es halt um diesen HN51-Virus geht, der mutiert und eine große Pandemie auslöst, und wo wir dann gefragt worden sind: „Hättet Ihr nicht mal Lust, eine Nebenrolle zu spielen?“, und wir „Na klar, machen wir gerne“, und wir haben dann halt eine Nebenrolle gespielt. Das Problem war nur, dass wir am Samstag bis morgens um fünf gedreht haben, obwohl wir um null Uhr fertig sein wollten, dafür dann die Nacht vorher nur zwei Stunden geschlafen haben, und um 7 Uhr morgens wurden wir schon wieder abgeholt für den Filmdreh.

Wir hatten dann insgesamt ungefähr 40 Stunden auf dem Buckel, Sonntag Abend sind wir nach Hause gekommen und Montag früh standen wir schon wieder im Studio, weil wir Termine hatten und Abgabetermine einhalten müssen mittlerweile. Das ist schon heftig, und vor ein paar Jahren hätte ich das nicht gemacht; da hätte ich gesagt „Komm, drauf geschissen, ich penn’ jetzt erstmal und dann gehe ich übermorgen ins Studio, wenn überhaupt.“

Ist das kein nerviger Spagat zwischen dem Business, dem reinen Geldverdienen  auf der einen Seite, und dem, was einen im Kern als Musiker ausmacht, einfach eine neue Platte herausbringen und sich keine Gedanken um Verkaufszahlen, Erwartungen und Promotermine machen?


Nein, also eigentlich nicht. Ich persönlich kann das ganz gut trennen. In letzter Zeit werden einfach mehr Terminpläne abgearbeitet, dass man sagt „Jetzt kommt die Best Of raus, jetzt kommt die Single raus, und demnächst kommt halt das und das raus“, so ungefähr, das arbeitet man dann ab. Und irgendwann kommt ja auch wieder die Phase der Kompositionszeit; das sind dann bei uns Phasen von mehreren Monaten, und da bin ich dann mehr oder weniger komplett aus dem Business raus.

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich da einen Spagat machen muss, aber es ist natürlich härtere Arbeit als noch vor drei bis vier Jahren, das auf jeden Fall. Aber ich habe auf der anderen Seite nicht nur mehr Arbeit, sondern auch mehr Möglichkeiten – man kann bessere Videos drehen, was auch Spaß macht …

Was sagt Ihr alten Fans, die mit Euch zusammen einen längeren Weg gegangen sind, und Euch heute für kindermäßig und zu Bravo-kompatibel halten?


Für mich ist die Trennung wichtig. Wenn jemand zu mir sagt, das ist ihm zu kindermäßig mit Bravo und Yam und so weiter, dann kann ich das verstehen. Wenn einer zu mir sagt, die Musik wäre kindermäßig, würde es mich mehr treffen, sagen wir es mal so.

Wenn Du erfolgreich bist oder eine zeitlang einen gewissen Erfolg hast, ist es klar, dass alle möglichen Zeitungen mit ihren gewissen Zielgruppen ankommen. Wenn Du Platten verkaufen willst zurzeit, ist es nun mal eine gewisse Zielgruppe, an die Du die verkaufst, weil andere keine Platten mehr kaufen. Ich mit 36 kaufe im Monat, wenn es mal hoch kommt, eine CD, aber wenn einer so zwischen 14 und 20 ist, kauft der im Monat vielleicht vier, fünf, sechs oder zehn CDs. Das ist natürlich die Zielgruppe, wohin eine Plattenfirma dann verkaufen will, und für die Band ist das im Endeffekt gut, weil sie die finanziellen Mittel kriegt, um ihre Musik weiterhin zu machen. Das ist nicht billig, und da wir alles selbst produzieren, müssen wir auch dementsprechend viel Kohle zur Seite schaffen, um jedes Jahr aufs Neue wieder wettbewerbsfähig zu bleiben, in Sachen Sound und so weiter…

Da ist es für mich also eine logische Folgerung, dass dann auch Bravo und Yam kommen, und es ist natürlich auch ganz klar, dass der totale Hardcore-OOMPH!-Fan, der schon zu „Defekt“-Zeiten und früher dabei war, sagt, das sei zu kindermäßig. Wie gesagt, für mich ist wichtiger, dass mir das nicht in Sachen Musik vorgeworfen wird, denn ich bin der Meinung, dass unsere Musik nicht kindermäßiger geworden ist als früher. Wir haben die normale Entwicklung durchgemacht, die wir seit Jahren eigentlich durchmachen.

Ich meine, die Leute und Fans, die OOMPH! hören, haben schon immer ein recht schweres Los gehabt, weil wir von den Kompositionen her sehr zickzackmäßig unterwegs sind teilweise. Wenn Du die Platte davor kanntest, und die nächste erwartet hast, warst Du vielleicht enttäuscht im ersten Moment, weil wir dann wieder eine Entwicklung von einem oder zwei Jahren hatten, mit der Viele nicht mit klargekommen sind. Ich stehe da logischerweise drüber, es ist nun mal so. Wer heute sagt, es sei zu kindermäßig, der hat die Gesellschaft an sich zurzeit noch nicht so richtig verstanden, meiner Meinung nach. Es ist egal, welche Band groß oder bekannt wird, wir stehen immer automatisch in irgendeiner komischen Klatschpresse drin.

Kommen wir zu Eurem neuen Album „Delikatessen“. Zum ersten Mal konntet Ihr eine Best Of machen, die Songs Eurer Wahl enthält, denn vorige Best-Platten waren immer nur Zusammenstellungen Eurer alten Labels. Wie kam es zu der Idee – eine Art Rückblick als Verschnaufpause?


Es ist mit Sicherheit eine Art „Verschnaufpause“, das kann man schon sagen. Auf der anderen Seite war es, wie Du schon selber gesagt hast, in unserem Interesse, eine Best Of mit alten Sachen von uns zu haben. Du hast es angesprochen – es gab von Virgin mal eine, es gab dann mal eine von Sanctuary, aber dieses „Komplettwerk“ gab es bis jetzt noch nicht. Wir fanden das superinteressant, dass man mal das für uns „am besten Gewesene“ sozusagen in eine Zusammenstellung nimmt, es sind wirklich ganz rare Sachen drauf.

Also nichts vordergründig Kommerzielles, sondern eine Best Of aus Eurer Sicht.


Genau, und die Plattenfirma kam dann mit der Idee um die Ecke. Ich wäre schön doof gewesen, wenn ich gesagt hätte „Ne, würde ich nicht machen“, denn die wussten, dass das schon lange unser Wunsch war, und haben sich im Endeffekt einfach mal darauf eingelassen. Für uns war es superinteressant, unser Komplettwerk zu begutachten. Wir hören unsere eigenen Sachen natürlich so gut wie gar nicht mehr, logischerweise, denn wenn Du die Sachen tausendmal gehört hast, reicht es einfach. Wir mussten uns dann dransetzen und die Stücke auswählen, die wir dann wirklich draufhaben wollten.

Ich finde es auch selber als Produkt insofern interessant, weil auch was für die Leute dabei ist, die OOMPH! schon lange kennen, durch diese ganzen raren Sachen, die mancher Fan vielleicht nicht hat und auch nicht mehr bekommt. Auf der anderen Seite ist es ein schönes Album für Leute, die uns wenig oder gar nicht kennen, so als Intro. Insofern eine superinteressante Sache einfach.

Die Platte würde Euch jetzt die Möglichkeit geben, ein Bandkapitel abzuschließen und zu sagen: Wir werden jetzt endgültig chartkompatibel, vollkommen elektronisch oder metallastig und heftig. Wo geht Eure Reise hin?


Also mit so vielen Vorgedanken, wie Du sie gerade hast, gehen wir sowieso nie an die Arbeit. Bei uns ist es so, Du setzt Dich hin und komponierst einfach. Egal, wie groß der Druck ist – das habe ich mittlerweile über die Jahre gelernt, und das macht vielleicht auch die Weisehit des Alters, wie man so schön sagt – ich setze mich einfach hin und komponiere. Ich mache mir fast keine Gedanken darüber, ob ich jetzt eine Hit-Single komponieren möchte oder nicht. Ich mache einfach das, was ich will, und das ist auch das Schöne bei der Band OOMPH!: Auch wenn sich die Musik vielleicht für manche Leute in Richtung Charts oder Mainstream verändert hat, für die Band läuft es nach wie vor noch so, dass jeder in die Band einbringen kann, was er will, und womit er glücklich ist.

Wenn sich die Band vom Charakterlichen her geändert hat, oder auch von den Ansichten her – dass es jetzt vielleicht mainstreamkompatibler ist, oder dass sich vielleicht der Mainstream andersrum an die Musik angepasst hat, die wir über Jahre schon gemacht haben – dann ist das ein Nebeneffekt. Aber für die Band steht ganz oben, dass jeder machen soll, was er machen will, und das auch über die Band machen kann. Und das ist nach wie vor gegeben bei uns. Ich probiere in erster Linie einen Song zu schreiben, der mir gefällt, und das herauszukomponieren, was ich gerade im Kopf habe.

Du hast vorhin gesagt, dass Ihr versucht wettbewerbsfähig zu bleiben. Das könnte man auch so auslegen, dass Ihr Euch doch verbiegt und bei der kreativen Arbeit mehr im Hinterkopf habt, als Ihr zugebt.


Die Wettbewerbsfähigkeit meinte ich darauf bezogen, dass der angenehme Nebeneffekt von Erfolg ist, dass Du Platten verkaufst und Geld verdienst. Und aufgrund dieses Geldes Dir Equipment kaufen kannst, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir haben drüber gesprochen, diese Technik-Geschichte ist so schnellläufig, dass es im nächsten Jahr wieder Synths gibt, die superinteressante Sounds haben, und so was musst Du Dir auch kaufen und leisten können, um auf einem hohen Standard zu produzieren und wettbewerbsfähig zu bleiben. Das meine ich in keinster Weise auf den musikalischen Markt bezogen.

Wenn Du versuchst, Sachen ähnlich zu machen, die zurzeit erfolgreich sind, kannst Du nur auf’s Maul fallen – weil zu dem Zeitpunkt, wo das Album rauskommt, meist Monate vergangen sind, und das bis dahin schon wieder ein alter Hut ist. Das einzige, was ich mir überlege beim Komponieren, ist: Wie probiere ich es, etwas zu machen, was es in der Art und Weise vorher vielleicht noch nicht gab. Wenn es gefällt, hast Du einen neuen Trend gesetzt damit, und wenn nicht, hast Du halt Pech gehabt.

Viele haben ja gesagt bei „Augen Auf“ „Ihr habt Euch ja jetzt verkauft und bla…“ – „Augen auf“ war ein Song wie jeder andere Song auf diesem Album. Genau einer wie alle anderen! Wir hätten ihn noch nicht einmal genommen, das ist das Witzige dabei, denn dass dieser Song gepickt wird, lag nicht mal an uns, sondern an der Plattenfirma. Das war irgendein Song, den wir halt gemacht haben. Einzigartig war dabei die Grundidee, diesen Abzählreim zu nehmen, aber musikalisch gesehen hätte der Song auch schon ein Jahr vorher oder zwei Jahre vorher auf einer Scheibe von uns sein können.

Ihr habt nicht nur musikalisch Einiges an Aufmerksamkeit erregt, Ihr seid auch mit Euren Texten in die Kritik geraten – vor allem mit der Single „Gott ist ein Popstar“. Jetzt sorgt Ihr in Form des neuen Videos zu „Gekreuzigt 2006“ schon wieder für Gesprächsstoff. Ich vermute, die nackten Frauen, die da im Puff um Euch herumlaufen, sind ebenfalls Resultat eines eher ironischen Hintergedankens und keinesfalls plakative Anbiederung an pubertierende Käuferschichten?


Ja, auf jeden Fall. Warum ist denn so eine Riesendiskussion bei „Gekreuzigt“ abgelaufen, doch nur, weil wir auf einmal erfolgreicher sind. Die Themen Glaube und Kirche haben wir seit Jahren mittlerweile, das komplette Album „Unrein“ geht nur um das Thema Kirche, und da hat sich nicht eine Sau drum geschert. Mittlerweile sind wir eine erfolgreichere Band und mehr Leute kennen uns, und logischerweise kriegst Du dann auch eine größere Welle wieder zurück, wenn Du so ’ne Nummer fährst.

Aber das ist auch das beste Zeichen dafür, dass wir keinen Bock haben, uns zu verbiegen und anzupassen, was uns so viele Leute vorwerfen. Hätten wir keinen Bock auf Persiflage und diese Verarschungsgeschichte und dieses Sicheln, was wir immer so gerne machen, hätten wir das Video zu „Gekreuzigt 2006“ gar nicht so herausgebracht. Aber das ist der Grund: Es hat sich eigentlich nicht viel bei uns geändert in der Art und Weise des Denkens und des Handelns, ganz einfach. Hätten wir ein kommerzielles Video machen wollen, hätten wir keins zu „Gekreuzigt 2006“ gedreht, denn das ist FSK 16 und läuft eigentlich so gut wie gar nicht. Dieser künstlerische Aspekt war uns da einfach viel wichtiger. „Gekreuzigt 2006“ ist auch eher ein Song für die Fans. - Um auch ganz eindeutig mal Flagge zu zeigen für die Leute, die es vielleicht noch nicht verstanden haben, dass wir uns nicht verändert haben. Gerade ein Song, der immer einer der vielerklärten Lieblingssongs unserer Fanszene war, aber auch ein Song, den wir immer sehr geil fanden und den wir immer, seit Jahren live spielen.

Wir haben versucht, den in ein neues Gewand zu bringen, was für uns natürlich sehr interessant war, denn logischerweise bist Du mit Deinen Stücken, die Du vor Jahren gemacht hast, immer im Nachhinein unzufrieden, weil Du Dich ja weiterentwickelst. Gerade auch technisch und charakterlich, und Du hast natürlich im Nachhinein bei Songs, die Du magst, überall was auszusetzen. Die Diskussion bei „Gekreuzigt“ ging auch schon Jahre bei uns, wo wir im Nachhinein sagen: „Mensch, der Song ist viel zu lang, hätten wir nicht das und das an der Stelle bringen müssen…“ Und das war eine ganz geile Sache, dass man einen Song, den man eigentlich klasse fand über die Jahre, auf den jetzigen Stand anpassen konnte.

Wobei ich sagen muss, ich hätte auf die neue Version ganz gut verzichten können. Die alte ist in meinen Augen viel besser …


Das höre ich häufiger. Was witzig ist, man hört’s gerade aus der Fanecke natürlich häufiger, aber ich meine, man muss ehrlich sagen, was wäre ein echter Fan, der diesen Song richtig geil findet, der aber sagt „Die neue Version finde ich besser!“. Das würde nicht funktionieren. Ich meine, so die Lieblinssongs von mir, Sachen von NITZER EBB zum Beispiel, wenn die auf einmal mit ’nem ganz neuen Gewand um die Ecke kommen würden, würde ich das genau so sagen, höchstwahrscheinlich. Aber das ist auch so ein Punkt, was auch wieder zu beweisen war, dass wir im Endeffekt doch echt d’rauf scheißen. Das war für uns einfach eine interessante Sache, was wir machen wollten und auch brauchten, anscheinend.

Ich habe mir jüngst Euer Video zu „The Power Of Love“ angesehen und musste mich stark zusammenreißen, dass ich nicht vorskippe, weil ich’s unglaublich langweilig finde …


… das ist total langweilig, ja … (lacht)

… warum habt Ihr das als Video gemacht, diese gähnende Sofa-Szenerie mit der gleichbleibenden Kameraperspektive?


Das ist eigentlich eine ganz einfache Story. Wir finden diesen Song „The Power Of Love“ halt richtig Hammer, ich bin damit groß geworden und hätte den immer, immer gerne mal gemacht, habe mich aber nie rangetraut. Und irgendwann muss man seine Dämonen dann mal zur Seite schmeißen, um für sich vielleicht einfach mal ranzugehen. Das haben wir gemacht, und ich persönlich finde ihn sehr klasse geworden. Ich wollte eine Mischung haben aus dem ehemaligen Song „The Power Of Love“, der diese Melancholie und dieses Gefühl transportiert, aber es sollte in einer Mischung sein, die so… man kann es musikalisch gar nicht vergleichen, aber ich mach’s jetzt trotzdem mal … die dann so ähnlich wäre wie bei zum Beispiel „Black Hole Sun“ von SOUNDGARDEN… es sollte halt so eine Mischung werden.

Ich finde, das ist ziemlich gut gelungen, aber die Plattenfirma wollte als Single „Gekreuzigt 2006“ ’rausbringen, was ich auch ok finde, denn das sollte ja für die Fans sein. Aber wir fanden den Song so geil, dass wir ihn nicht ganz untergehen lassen wollten und haben uns dann entschieden, dieses neu-deutsche Thema zu machen, ein Switchvideo:  „Gekreuzigt 2006“ hört auf, und dann machst Du noch mal 30 Sekunden hinten das Video von dem anderen Song dran. So nach dem Motto „Es gibt noch dieses andere Stück, und wenn Ihr Euch die Single kauft, habt Ihr das noch mit drauf“.

Das Mädel in dem Clip ist dieselbe Darstellerin wie im „Gekreuzigt 2006“- Video, oder?


Genau, selbe Drehort, selber Tag, selbes Sofa, alles gleich. So war es gedacht, das sollten nur 30 Sekunden werden, einfach für hinten dran. Ganz ruhig, denn das passt zum Song, und 30 Sekunden kann man sich das auch antun, so nach dem Motto. Das Ende vom Lied: wir haben das eingereicht bei Viva, und die fanden den Song so geil, dass sie ein Video dazu wollten. Und wir hatten kein Video. Und dann schnell noch mal ein Video nachzudrehen für 40.000 Euro oder so, so viel Kohle hat kein Mensch der Welt, also auch wir nicht.

Wir haben dann gefragt „Ja, wie stellt Ihr Euch das denn vor?“,  und dann meinten die „Ja gibt’s denn diese Variante, die Ihr da habt, in einer normalen Länge“, und da haben wir gesagt „Ja, die gibt’s in einer normalen Länge, aber das ist doch totenlangweilig“. – „Ja, aber wir hätten’s gerne, wir finden’s total geil.“ Und dann haben wir gesagt „ok, lasst uns das machen“. Besser so, dass der Song vielleicht noch ein bisschen bekannt wird, als dass der jetzt komplett untergeht, weißt Du. Aber geplant war es eigentlich gar nicht, ein ungeplantes Ding.

Obwohl das Filmchen technisch durchaus ansprechend gestaltet ist, mit der sanften Kamerafahrt, aber nach spätestens zwei Minuten hat man auch das gesehen …


Das Interessanteste bei der Nummer ist – ich gucke ja ab und zu ins Forum rein bei uns, wo ja hin und wieder nicht wenig los ist – und es gibt öfters Leute, die finden das total oberhammergeil. Echt faszinierend.

Ich habe auch mal ein wenig in Eurem Forum herumgewühlt, und da hatte ich eher den Eindruck von einer Spielweise für die ganz frischen Fans, die wissen wollen, was Du morgens zum Frühstück isst. Eher abschrecken für Leute wie mich, die nun schon ein bisschen älter sind.


Ja, ich muss auch dazu sagen: In diesem Forum gibt’s Leute, die leben da. Die sind täglich in dem Forum und unterhalten sich natürlich mittlerweile über die normalsten Dinge der Welt. Es ist meistens nach Veröffentlichungen oder größeren Pressegeschichten oder Vorankündigungen… Es gibt da dieses Gästebuch unter anderem, und ich gucke jetzt auch gar nicht direkt ins Forum rein, muss ich ehrlich sagen, ich gucke aber ins Gästebuch rein, teilweise. Da hatte ich dann auch eine ganze Reihe positiver Reaktionen auf dieses Video, was ich auch gar nicht verstanden habe. Ich dachte, lass es uns lieber machen, wenn die Bock haben, für den Song kann’s nur gut sein, aber wir werden so einen auf den Arsch kriegen von den Fans, aufgrund dieses Videos. Es ist abgefahren, dass genau das gar nicht passiert ist, dass gerade die Stimmen überwogen haben, die gesagt haben „Ich finde das gerade gut, dass es so ruhig ist, und so beschaulich, da wirkt der Song viel besser auf einen.“

Ehrlich gesagt halte ich die Single mit „Gekreuzigt 2006“ und „The Power Of Love“ für das Entbehrlichste, was Ihr in den letzten Jahren veröffentlicht habt. Aber gut, das ist eine Meinung von vielen.


Da habe ich auch überhaupt kein Problem mit. Ich finde, Kritik an sich ist eine gute Sache, aber wie wir ja auch schon festgestellt haben: Ich höre sie mir an und ich höre sie auch gerne, aber ich mach’ mir jetzt halt nicht so einen mega Kopf drüber, denn im Endeffekt kann ich an meiner Art und Weise des Lebens und Komponierens nichts ändern. Ich werde mich auch nächstes Mal wieder ransetzen und so komponieren, als wenn ich die Kritik nicht bekommen hätte.

Klar, das erwartet man als Fan ja auch.


Das ist der Punkt. Musik ist so sehr Geschmacksache …

… das sehen wir ja selbst im Kleinen bei unseren Kommentaren, wenn wir für zu gute Bewertungen oder zu schlechte von den Lesern geknüppelt werden …


… um mal kurz einzuhaken: Wenn ich eins gelernt habe während meiner langen Arbeit mit dieser Band, dann ist es, dass sich über Musik streiten nicht lohnt. Das ist eine zu starke Geschmacksache, als dass man darüber Streitereien vom Zaun brechen sollte. Das ist ja das gleiche Thema, das ich auch habe: Wenn ich Kompositionen anbringe, den anderen vorspiele und frage „Und, wie findet Ihr das denn?“, und Du da stehst wie der stolze Papa mit seinem frisch geborenen Baby in der Hand, und dann die beiden anderen anfangen, das Kind auseinanderzunehmen: „Die Ohren gefallen mir nicht“, so nach dem Motto, „und die Nase find’ ich scheiße, die Augen könnten auch ‚ne andere Farbe haben“ …

Es ist halt nur Geschmacksache. Das zeichnet ja im Endeffekt auch die Band aus, dass wir drei Leute so eng miteinander arbeiten müssen und auch arbeiten wollen, die teilweise so unterschiedliche Geschmäcker haben, dass Du im Endeffekt probieren musst, einen guten Kompromiss zu finden, der alle drei befriedigt. Und dieser Kompromiss, der im Endeffekt dann rauskommt, ist halt dann die Musik OOMPH!. – Und es ist schön, dass es anscheinend so viele Leute gibt, die diesen Kompromiss auch noch klasse finden.

Ein prima Schlusswort für unser Gespräch, vielen Dank für Deine Zeit! – Ich bin gespannt, was als nächstes von Euch zu hören sein wird.


Da bin ich auch gespannt. (lacht)

Chris

Als Kind der 90er liebe ich Grunge und Alternative Rock – meine bevorzugten Genres sind aber Death, Groove, Dark und Thrash Metal. Ich kann Musik und Künstler schwer voneinander trennen und halte Szene-Polizisten für das Letzte, was Musik braucht. Cool, dass Du vorbeischaust!