Es gibt wenige deutsche Bands wie MONGOFÜNF, die mich textlich derart zum Nachdenken anregen und mit ihrer Heimatsprache so gekonnt umgehen, dass es weder abgeschmackt noch peinlich noch abgehoben-verkopft klingt. Das Zweitwerk der Kölner „Im Reich der Sterne“ ist schon rein musikalisch ein Tier von einem Album, das man kennen lernen sollte – auch oder gerade wenn der Name erstmal Distanz schafft. Zum Wieso und Warum haben wir die Band befragt; sie hat ausführlich geantwortet.
Kurz zu Eurem musikalischen Werdegang: Wer seid Ihr, woher kommt Ihr, was macht Ihr?
Jan-Martin (Gitarre): Angefangen hat alles mit einem Konzert der Kölner Band GLAMOURBOYS im MTC in Köln, bei denen Toshi damals Gitarre spielte und sang, und ich den Live-Sound mischte. Als Vorgruppe spielte an diesem Abend die damalige Band von Kai, CUTLASS SUPREME aus Düsseldorf. Normalerweise höre ich mir andere Bands nie an wenn ich noch mischen muss, aber Kai hat mich einfach komplett weggeblasen mit seiner Performance, ich hab mir das ganze Konzert reingetan.
Danach hatte ich die Idee, ein neues Ding aufzuziehen, und Kai war direkt begeistert. Auch Toshi war mit von der Partie, und so haben wir dann Schwartz um schlagzeugerische Unterstützung gebeten. Ihn kannte ich noch von seiner Zeit bei FRENCH POLISH, einer Aachener Band, die ich damals produziert hatte. Zum Schluß fanden wir in Maazl den geeigneten Bass-Spieler. Er war vorher bei den Kölner Bands BLACK MARIA und TAUB dabei. Daher kam auch der Kontakt zustande, Toshi produzierte damals TAUB, und ich war als Engineer für BLACK MARIA gebucht. Der Plan war, harte deutschsprachige Musik zu spielen mit Growls, fetten Moshparts und immer auch einem zwinkernden Auge.
Ihr nennt Euch MONGOFÜNF - stoßt Ihr mit dieser "political incorrectness" nicht permanent auf Unverständnis? Welche Motivation steht hinter der Namensgebung, und welche negativen wie positiven Konsequenzen gehen damit einher?
Jan-Martin: Wie schön, dass Du "political incorrectness" in Anführungszeichen setzt. Die Reaktionen auf unseren Namen sind sehr unterschiedlich. Von "geilster Bandname ever" bis "geht ja gar nicht" war schon alles dabei, oft ist der Name aber auch gar kein Thema. MONGOFÜNF ist die Verbindung des negativ besetzten Wortes "Mongo" - als abwertende Bezeichnung für einen Menschen mit Trisomie 21 oder Down-Syndrom - mit der Zahl fünf, die für die Anzahl der Bandmitglieder und auch als Symbol für etliche Boygroups und Castingbands steht, die diese Zahl gerne im Namen tragen.
Warum aber Mongo? Weniger diskriminierende Bezeichnungen für Mongolismus wie Trisomie21 oder Down-Syndrom können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen mit dieser Krankheit kaum eine Integration in die Welt der sogenannten "Gesunden" erfahren. Das ist ein grundsätzliches Problem mit politischer Korrektheit, Begrifflichkeiten verändern leider nur selten die Realität. Dem "Mongo" haftet etwas Unnormales, Unvollkommenes an, er wird ausgegrenzt. In der Tat werden aber z.B. Kindern mit Trisomie 21 herausragende Fähigkeiten in den Bereichen Sozialverhalten, Emotionalität und Musikalität nachgesagt. Charles Darwin beschrieb seinen jüngsten Sohn, der ebenfalls ein "Downi" war, als "außergewöhnlich lieb, zufrieden und fröhlich in seinem Wesen".
In diesem Antagonismus zwischen Realität und öffentlicher Wahrnehmung haben wir uns und unsere Musik selbst gesehen, daher erschien der Begriff "Mongo" im positivstem Sinne passend, wohl wissend über die Spannungen, die er erzeugt. Ich denke mal, die Hamburger MONGO CLIKKE hatte da einen ähnlichen Ansatz. Unabhängig von diesem Bezug hat das Wort Mongo auch einfach einen tollen vollmundigen Klang und viele andere Bedeutungen, wie z.B. ein Planet bei Flash Gordon, eine Art und Weise ein Skateboard anzuschieben, eine Stadt im Tschad, Restaurants, ein Fluß in Guinea, ein Name (nicht in Deutschland natürlich ...), etc.
Kai (Gesang): Meist sind es gerade die Leute, die am lautesten nach politischer Korrektheit schreien, die Menschen mit Krankheiten verstohlen anglotzen und nicht in ihr Weltbild integrieren können. Eine echte Auseinandersetzung ist offensichtlich viel zu anstrengend. Leider ist es in der Vergangenheit vereinzelt geschehen, dass Magazine Rezensionen unserer Alben abgelehnt haben und den Bandnamen dafür verantwortlich gemacht haben. Es wurde vermutet, wir wären behindertenfeindlich oder würden uns darüber lustig machen. Mal abgesehen von diesem fragwürdigen Ansatz, eine Band nach ihrem Namen zu beurteilen, zeigt sich hier meiner Meinung nach eher, dass dieses Thema ein Tabu darstellt und da Berührungsängste existieren.
Was sagt Ihr Leuten, die sich durch Euren Bandnamen oder zurückliegende Album- und Songtitel ("Das letzte bisschen Heilanstalt" / "Der Mann, der mit den Füßen spricht") eventuell diskriminiert oder verletzt fühlen?
Jan-Martin: Ehrlich gesagt kann ich nicht nachvollziehen, wieso sich deswegen jemand verletzt fühlen sollte. "Das letzte bisschen Heilanstalt" als Albumtitel ist dem Text von "Tanz für mich" entnommen, einem Song über einen abendlichen Absturz mit all seinen Folgen. Die entsprechende Textzeile lautet "Dekonstruktion des letzten bisschen Heilanstalt in mir..." Der Begriff Heilanstalt wird hier als Synonym für Seelenfrieden oder Ruhepunkt verwendet.
Das Lied "Der Mann, der mit den Füßen spricht" ist eine Hommage auf den Fußballer Zinedine Zidane, die Idee zu diesem Text kam beim Championsleague-Finale Real Madrid gegen Bayer Leverkusen 2002, als der Kommentator über eben diesen Zidane sagte: "Das ist der Mann, der mit den Füßen spricht."
Wenn alle, die da sofort los geschrieen und sich über mangelnde political correctness beschwert haben, zuerst einmal ihr anglophil vorformatiertes Gehirn eingeschaltet und die Ohren oder wenigstens das Textbuch aufgeschlagen hätten, wären diese Missverständnisse nicht aufgetreten. Ich kann den Leuten da draußen nur die Reden von Jan Philipp Reemtsma empfehlen mit dem Titel "Gedanken über den fortschreitenden Verlust an Symbolisierungsfähigkeit" sowie "Was heißt: Eine Metapher verstehen?", zu finden in dem lesenswerten Buch "Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit", ISBN 3 406 53724 3.
Kai: Den Leuten kann ich nur sagen: Nehmt euch mehr Zeit. Das gilt nicht nur für MONGOFÜNF, sondern prinzipiell.
Ihr erklärt nicht gerne Eure Texte. Dennoch hätte ich gerne gewusst, welche Songs auf "Im Reich der Sterne" eine besondere Bedeutung für Euch haben, und was Euch zu den Texten inspiriert hat.
Kai: Alle Titel auf dem Album haben eine besondere Bedeutung, sonst wären sie gar nicht veröffentlicht worden. Das Stück "In girum imus nocte et consumimur igni" ("Wir irren des nachts im Kreise und werden vom Feuer verzehrt") ist das thematische Rückgrat der Platte.
I.g.i.n.e.c.i. ist - neben der religiösen Herkunft als "Ausspruch des Teufels" - ein Film von Guy Debord. Er war eine der wichtigsten Personen im Dunstkreis der situationistischen Internationale. Die Situationisten gelten heute als größter Einfluss für das, was wir Rockmusik nennen. Anspielungen auf Situationismus finden sich in fast allen Liedern auf dem Album (z.B. "Ich erfinde mich" in "Leben sein gut", "die Realität, die in Flammen steht" bei den "Blinden auf der Seite des Feuers", die Thematik von "Emolotion", "Eine neue Welt muss her - kein wenn, kein aber" in "la cosa nostra" usw.).
Zeitgleich mit der Textarbeit für "Im Reich der Sterne" begann sich - über die Auseinandersetzung mit den Situationisten - meine Sicht auf die Welt sehr zu verändern. Ich hielt mich immer für einen aufgeklärten, gut informierten und freien Menschen. Ausgehend von Büchern von Guy Debord und meiner aktiven Suche nach anderen Informationsquellen als denen, die mir vor die Nase gehalten werden, wurde mir aber bewusst, wie beschissen es um mich und uns alle wirklich bestellt ist. Wie Recht Debord z.B. damit hatte, den modernen Menschen als Sklaven zu bezeichnen, der sich von den antiken und afro-amerikanischen Sklaven nur darin unterscheidet, dass er selbst für Unterhalt und Unterkunft aufkommen muss. Damit hören die Einflüsse natürlich nicht auf.
Nimm z.B. den Satz "Und wie fühlen Sie sich jetzt?" oder "Was haben Sie dabei empfunden?". Das sind die häufigsten Phrasen in Interviews in den Konzernmedien. Wir produzieren jeden Tag, in jedem bekannten Medium Emolotion, mit der wir uns einreiben, denn wir müssen die Tränen sehen! Wir wollen das Spektakel haben! Oder die lange Phase, in der im Feuilleton großer Zeitungen gemeckert wurde, deutsche Pop-Musik würde die Worte "hier" und "jetzt" viel zu oft benutzen. Das sei von minderer Qualität. Ich bin anderer Meinung: Das Hier und das Jetzt ist das, was mir bleibt. Aber auch nicht mehr…
Das ist der Zeitgeist, so was wie "Restindividualismus". Unser erstes Album war auch gespickt mit "Hiers". Die kamen damals unbewusst aus mir raus. Die Visionen des Leo Strauss sind einfach erschreckend. Leo Strauss gilt gemeinhin als einer der Vordenker des Neokonservatismus, im Rahmen dessen u.a. aktuell das Recht auf den nuklearen Erstschlag für die NATO gefordert wird, rassisch-diskriminierende Waffen entwickelt (z.B. Bomben, die nur Schwarze / Araber / Asiaten töten) und darüber die Hegemonie der USA um jeden Preis gesichert werden soll.
Geht auf unsere Internetseite und schaut euch die Empfehlungen an. Alle.
Mir scheint es, als hättet Ihr für dieses Album ein paar Schlüssel zum Verständnis mitgeliefert, beispielsweise bei "Die Hure Europa". War es Euch wichtig, dass man diesen Song inhaltlich "richtig" interpretiert?
Kai: Man kann unsere Lieder weder "richtig" noch "falsch" interpretieren. Man kann Kunst nicht "richtig" oder "falsch" machen. Aber der Ansatz beim Texten war schon, deutlicher zu werden. Das ist eine Reaktion auf die Enttäuschung nach dem ersten Album, die aufkam, als mir klar wurde, dass die Leute da draußen sich kaum mit den Inhalten auseinandersetzen.
Das Audio-Zitat bei "Die Hure Europa" ist da, weil es inhaltlich passt und nach unserem Empfinden dahin gehörte. Mir sind Schauer den Rücken runter gelaufen, als ich die komplette Rede gehört hab. Die ist ja schon älter, und man vergisst so leicht. Finster, ganz finster, was da erzählt wird. Aber gleichzeitig wird ersichtlicher, warum die Dinge, die in der Welt und mit uns Europäern passieren, geschehen. Ich würde mir wünschen, dass sich bei uns ein Aufruhr entwickeln würde, der sich mit dem vieler amerikanischer Bürger gegen die Politik ihrer Regierung vergleichen ließe.
Geht Ihr beim Songwriting über die Texte oder über die Musik? Und welchen Stellenwert haben die Elemente für sich genommen?
Toshi (Gitarre/Gesang): Meistens ist es so, dass Jan-Martin und ich die Musik unabhängig voneinander schreiben, was in der Regel am Computer mit der Gitarre bewaffnet passiert. Dann steht entweder schon ein grobes Arrangement oder auch mal nur ein Riff. Die Band arbeitet das dann im Proberaum gemeinsam aus, und in dieser Phase steuert Kai dann seine Gesangsideen bei. Er kann das ziemlich gut, sich bei einer Probe einfach von der Band inspirieren lassen und einfach drauf los zu singen. Manchmal bilden sich dann schon grobe Textideen oder Phrasen, die später auch beibehalten werden, oder sogar die Grundidee zum kompletten Text liefern.
Bei so einer Arbeitsweise mag der Eindruck entstehen, dass der Gesang an zweiter Stelle steht, das ist allerdings überhaupt nicht der Fall, eher im Gegenteil. Ab einem bestimmten Punkt im Songwriting dreht sich das ganze nämlich um, und auf einmal wird wieder klar, dass das fetteste Riff und der coolste Beat ohne einen geilen Gesang und Text kaum Bestand oder Verwertung hat. Und am Ende ist das, was den Song unverwechselbar macht, in erster Linie eben auch Kai.
Jan-Martin: Es ist auch schon vorgekommen, dass wir musikalisch wirklich gute Teile verworfen haben, weil wir keinen passenden Text dafür gefunden haben. Also ich würde sagen, mindesten 50/50, alle gegen alle, haha ...
Worin seht Ihr die größten Unterschiede zwischen dem Debüt und der aktuellen Platte, inwiefern habt Ihr Euch nach eigenem Ermessen weiterentwickelt?
Toshi: Für mich besteht der größte Unterschied darin, dass wir offener für neue Elemente geworden sind. Das Debut war ein Urknall, ein Schrei, eine An/Aus-Scheibe, die so sein musste. Da gab's keine Dynamik, alles sehr trocken und puristisch. Nicht, dass wir diesmal irgendwelche Tricks angewandt hätten, aber es gibt eine wesentlich größere Räumlichkeit und eben auch Dynamik auf der neuen Platte.
Wir haben auch großen Wert darauf gelegt, dass es unterhaltsamer wird, dass man nicht den Play-Knopf drückt und nach 40 Minuten ohne Atempause völlig fertig vom Hören ist. Es gibt diese kurzen Intermezzi, kleine Instrumentalstücke, die zwischen den eigentlichen Songs für Auflockerung sorgen und das auch sehr gut machen, wie ich finde. Auf die Art und Weise wirkt das komplette Werk einfach größer, die einzelnen Songs haben mehr Platz zum Atmen und man wird nicht so durchgehetzt durch das Album.
Was die Produktionsweise angeht, so ist wohl der größte Unterschied zum Debut, dass wir diesmal die zunächst live eingespielten Gitarren dann später alle noch mal ersetzt haben, weil wir es diesmal einfach auch ein bisschen genauer nehmen wollten. Die beiden Hauptgitarren sollten einfach schon so gut in Sound und Performance sein, dass man gar nicht so sehr das Bedürfniss verspüren sollte, alles nochmal zwei bis drei Mal zu doppeln. So erlangt man auch eine sehr schöne Klarheit und man ist jederzeit in der Lage, einer Gitarre für sich alleine zu folgen, wenn man das will.
An welchen Vorbildern orientiert Ihr Euch? Und fühlt Ihr Euch einer Musikszene verbunden?
Jan-Martin: Vorbildlich finde ich immer, wenn jemand unbeirrt sein Ding durchzieht. Da gibt's eine Menge Beispiele, stilübergreifend. Musikszenen langweilen mich, das ist mir zu beschränkt. Der durchschnittliche Metalhead wird in den entsprechenden Szenemagazinen z.B. nie etwas über Astor Piazzolla oder PJ Harvey lesen. Das finde ich schon ziemlich dramatisch.
Außerdem haben Musikszenen für mich immer was Faschistoides, sei es die Musik-Polizei auf einem Mike-Stern-Konzert oder die Heerscharen von uniformierten Emos.
"Im Reich der Sterne" habt Ihr selbst produziert. Was waren dabei Eure größten Herausforderungen?
Jan-Martin: Ich denke, wie bei allen von Toshi und mir betreuten Produktionen - auch außerhalb von MONGOFÜNF - galt und gilt es sicherzustellen, dass das, was der Künstler seit Monaten mit sich rumträgt, die richtige Form erhält. Das richtige Tempo, die richtigen Sounds für den jeweiligen Titel, etc. Allerdings ist da Herausforderung nicht das richtige Wort, wohl eher Spaß an der kreativen Arbeit. Unser Debüt "Das letzte bisschen Heilanstalt" wurde übrigens auch schon von uns selbst produziert.
Wie waren die bisherigen Reaktionen auf das neue Album? Und inwiefern decken sie sich mit Euren Erwartungen?
Kai: Die Reaktionen auf "Im Reich der Sterne" sind entweder "1+ mit Sternchen" oder "Note 6, fast 7". Also genau so, wie wir sie erwarten und auch haben wollen. Wir fallen halt mit der Tür ins Haus. Toll ist es, dass es Leute gibt, die damit umgehen können.
Jan-Martin: Ich liebe es, wenn Musik die Gemüter spaltet. Im Moment überwiegen die positiven Kritiken zu "Im Reich der Sterne", ich würde aber gerne auch mal eine gute schlechte Kritik lesen. Die bisherigen Verrisse waren einfach erbärmlich geschrieben.
Was macht Ihr beruflich neben MONGOFÜNF? Und was bedeutet Euch die Band?
Kai: Ich bin beruflich als Berater für Politik unterwegs. Das ist mein Kopf. MONGOFÜNF ist für mich Herz und Bauch. Die Band komplettiert mich.
Toshi: Ich habe seit zehn Jahren zusammen mit einem alten Weggefährten ein Studio. Wir bilden ein Produktionsteam und leben davon, in erster Linie Musik fürs Fernsehen zu machen. Sendungsdesign, aber auch Werbung. Ich produziere auch andere Künstler, nutze also so weit wie möglich das breite Spektrum, das einem die Musik bietet.
Die Band ist mir sehr wichtig, wie alle persönlichen Projekte, die ich neben meiner täglichen Arbeit im Studio betreibe. MONGOFÜNF ist eine "Herzensangelegenheit" und bewahrt mich davor, zu kommerziell zu denken und gerade bei den Dingen, die mir wichtig sind, keine Kompromisse einzugehen und die Sache so zu machen, wie sie mir bzw. uns gefällt.
Jan-Martin: Ich arbeite seit acht Jahren als Toningenieur und Tonmeister für Musik und Fernsehen. MONGOFÜNF ist mein Baby.
Welche Platten könnten MONGOFÜNF-Fans Eurer Meinung nach noch in ihrem Regal stehen haben?
Jan-Martin: Am besten alles mögliche. Wir stehen ja selber alle auf eine große Bandbreite von Musik.
Was steht für Euch in den kommenden Monaten an?
Jan-Martin: Proben, Konzerte, Songs schreiben ... der normale Wahnsinn.
Danke Euch - die letzten Worte sind Eure.
Kai: Danke für die Fragen! Die haben uns die Chance gegeben, endlich mal ein paar Sachen los zu werden, die sonst noch nicht über MONGOFÜNF veröffentlicht worden sind.
Ihr nennt Euch MONGOFÜNF - stoßt Ihr mit dieser "political incorrectness" nicht permanent auf Unverständnis? Welche Motivation steht hinter der Namensgebung, und welche negativen wie positiven Konsequenzen gehen damit einher?
Jan-Martin: Wie schön, dass Du "political incorrectness" in Anführungszeichen setzt. Die Reaktionen auf unseren Namen sind sehr unterschiedlich. Von "geilster Bandname ever" bis "geht ja gar nicht" war schon alles dabei, oft ist der Name aber auch gar kein Thema. MONGOFÜNF ist die Verbindung des negativ besetzten Wortes "Mongo" - als abwertende Bezeichnung für einen Menschen mit Trisomie 21 oder Down-Syndrom - mit der Zahl fünf, die für die Anzahl der Bandmitglieder und auch als Symbol für etliche Boygroups und Castingbands steht, die diese Zahl gerne im Namen tragen.
Warum aber Mongo? Weniger diskriminierende Bezeichnungen für Mongolismus wie Trisomie21 oder Down-Syndrom können leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass Menschen mit dieser Krankheit kaum eine Integration in die Welt der sogenannten "Gesunden" erfahren. Das ist ein grundsätzliches Problem mit politischer Korrektheit, Begrifflichkeiten verändern leider nur selten die Realität. Dem "Mongo" haftet etwas Unnormales, Unvollkommenes an, er wird ausgegrenzt. In der Tat werden aber z.B. Kindern mit Trisomie 21 herausragende Fähigkeiten in den Bereichen Sozialverhalten, Emotionalität und Musikalität nachgesagt. Charles Darwin beschrieb seinen jüngsten Sohn, der ebenfalls ein "Downi" war, als "außergewöhnlich lieb, zufrieden und fröhlich in seinem Wesen".
In diesem Antagonismus zwischen Realität und öffentlicher Wahrnehmung haben wir uns und unsere Musik selbst gesehen, daher erschien der Begriff "Mongo" im positivstem Sinne passend, wohl wissend über die Spannungen, die er erzeugt. Ich denke mal, die Hamburger MONGO CLIKKE hatte da einen ähnlichen Ansatz. Unabhängig von diesem Bezug hat das Wort Mongo auch einfach einen tollen vollmundigen Klang und viele andere Bedeutungen, wie z.B. ein Planet bei Flash Gordon, eine Art und Weise ein Skateboard anzuschieben, eine Stadt im Tschad, Restaurants, ein Fluß in Guinea, ein Name (nicht in Deutschland natürlich ...), etc.
Kai (Gesang): Meist sind es gerade die Leute, die am lautesten nach politischer Korrektheit schreien, die Menschen mit Krankheiten verstohlen anglotzen und nicht in ihr Weltbild integrieren können. Eine echte Auseinandersetzung ist offensichtlich viel zu anstrengend. Leider ist es in der Vergangenheit vereinzelt geschehen, dass Magazine Rezensionen unserer Alben abgelehnt haben und den Bandnamen dafür verantwortlich gemacht haben. Es wurde vermutet, wir wären behindertenfeindlich oder würden uns darüber lustig machen. Mal abgesehen von diesem fragwürdigen Ansatz, eine Band nach ihrem Namen zu beurteilen, zeigt sich hier meiner Meinung nach eher, dass dieses Thema ein Tabu darstellt und da Berührungsängste existieren.
Was sagt Ihr Leuten, die sich durch Euren Bandnamen oder zurückliegende Album- und Songtitel ("Das letzte bisschen Heilanstalt" / "Der Mann, der mit den Füßen spricht") eventuell diskriminiert oder verletzt fühlen?
Jan-Martin: Ehrlich gesagt kann ich nicht nachvollziehen, wieso sich deswegen jemand verletzt fühlen sollte. "Das letzte bisschen Heilanstalt" als Albumtitel ist dem Text von "Tanz für mich" entnommen, einem Song über einen abendlichen Absturz mit all seinen Folgen. Die entsprechende Textzeile lautet "Dekonstruktion des letzten bisschen Heilanstalt in mir..." Der Begriff Heilanstalt wird hier als Synonym für Seelenfrieden oder Ruhepunkt verwendet.
Das Lied "Der Mann, der mit den Füßen spricht" ist eine Hommage auf den Fußballer Zinedine Zidane, die Idee zu diesem Text kam beim Championsleague-Finale Real Madrid gegen Bayer Leverkusen 2002, als der Kommentator über eben diesen Zidane sagte: "Das ist der Mann, der mit den Füßen spricht."
Wenn alle, die da sofort los geschrieen und sich über mangelnde political correctness beschwert haben, zuerst einmal ihr anglophil vorformatiertes Gehirn eingeschaltet und die Ohren oder wenigstens das Textbuch aufgeschlagen hätten, wären diese Missverständnisse nicht aufgetreten. Ich kann den Leuten da draußen nur die Reden von Jan Philipp Reemtsma empfehlen mit dem Titel "Gedanken über den fortschreitenden Verlust an Symbolisierungsfähigkeit" sowie "Was heißt: Eine Metapher verstehen?", zu finden in dem lesenswerten Buch "Das unaufhebbare Nichtbescheidwissen der Mehrheit", ISBN 3 406 53724 3.
Kai: Den Leuten kann ich nur sagen: Nehmt euch mehr Zeit. Das gilt nicht nur für MONGOFÜNF, sondern prinzipiell.
Ihr erklärt nicht gerne Eure Texte. Dennoch hätte ich gerne gewusst, welche Songs auf "Im Reich der Sterne" eine besondere Bedeutung für Euch haben, und was Euch zu den Texten inspiriert hat.
Kai: Alle Titel auf dem Album haben eine besondere Bedeutung, sonst wären sie gar nicht veröffentlicht worden. Das Stück "In girum imus nocte et consumimur igni" ("Wir irren des nachts im Kreise und werden vom Feuer verzehrt") ist das thematische Rückgrat der Platte.
I.g.i.n.e.c.i. ist - neben der religiösen Herkunft als "Ausspruch des Teufels" - ein Film von Guy Debord. Er war eine der wichtigsten Personen im Dunstkreis der situationistischen Internationale. Die Situationisten gelten heute als größter Einfluss für das, was wir Rockmusik nennen. Anspielungen auf Situationismus finden sich in fast allen Liedern auf dem Album (z.B. "Ich erfinde mich" in "Leben sein gut", "die Realität, die in Flammen steht" bei den "Blinden auf der Seite des Feuers", die Thematik von "Emolotion", "Eine neue Welt muss her - kein wenn, kein aber" in "la cosa nostra" usw.).
Zeitgleich mit der Textarbeit für "Im Reich der Sterne" begann sich - über die Auseinandersetzung mit den Situationisten - meine Sicht auf die Welt sehr zu verändern. Ich hielt mich immer für einen aufgeklärten, gut informierten und freien Menschen. Ausgehend von Büchern von Guy Debord und meiner aktiven Suche nach anderen Informationsquellen als denen, die mir vor die Nase gehalten werden, wurde mir aber bewusst, wie beschissen es um mich und uns alle wirklich bestellt ist. Wie Recht Debord z.B. damit hatte, den modernen Menschen als Sklaven zu bezeichnen, der sich von den antiken und afro-amerikanischen Sklaven nur darin unterscheidet, dass er selbst für Unterhalt und Unterkunft aufkommen muss. Damit hören die Einflüsse natürlich nicht auf.
Nimm z.B. den Satz "Und wie fühlen Sie sich jetzt?" oder "Was haben Sie dabei empfunden?". Das sind die häufigsten Phrasen in Interviews in den Konzernmedien. Wir produzieren jeden Tag, in jedem bekannten Medium Emolotion, mit der wir uns einreiben, denn wir müssen die Tränen sehen! Wir wollen das Spektakel haben! Oder die lange Phase, in der im Feuilleton großer Zeitungen gemeckert wurde, deutsche Pop-Musik würde die Worte "hier" und "jetzt" viel zu oft benutzen. Das sei von minderer Qualität. Ich bin anderer Meinung: Das Hier und das Jetzt ist das, was mir bleibt. Aber auch nicht mehr…
Das ist der Zeitgeist, so was wie "Restindividualismus". Unser erstes Album war auch gespickt mit "Hiers". Die kamen damals unbewusst aus mir raus. Die Visionen des Leo Strauss sind einfach erschreckend. Leo Strauss gilt gemeinhin als einer der Vordenker des Neokonservatismus, im Rahmen dessen u.a. aktuell das Recht auf den nuklearen Erstschlag für die NATO gefordert wird, rassisch-diskriminierende Waffen entwickelt (z.B. Bomben, die nur Schwarze / Araber / Asiaten töten) und darüber die Hegemonie der USA um jeden Preis gesichert werden soll.
Geht auf unsere Internetseite und schaut euch die Empfehlungen an. Alle.
Mir scheint es, als hättet Ihr für dieses Album ein paar Schlüssel zum Verständnis mitgeliefert, beispielsweise bei "Die Hure Europa". War es Euch wichtig, dass man diesen Song inhaltlich "richtig" interpretiert?
Kai: Man kann unsere Lieder weder "richtig" noch "falsch" interpretieren. Man kann Kunst nicht "richtig" oder "falsch" machen. Aber der Ansatz beim Texten war schon, deutlicher zu werden. Das ist eine Reaktion auf die Enttäuschung nach dem ersten Album, die aufkam, als mir klar wurde, dass die Leute da draußen sich kaum mit den Inhalten auseinandersetzen.
Das Audio-Zitat bei "Die Hure Europa" ist da, weil es inhaltlich passt und nach unserem Empfinden dahin gehörte. Mir sind Schauer den Rücken runter gelaufen, als ich die komplette Rede gehört hab. Die ist ja schon älter, und man vergisst so leicht. Finster, ganz finster, was da erzählt wird. Aber gleichzeitig wird ersichtlicher, warum die Dinge, die in der Welt und mit uns Europäern passieren, geschehen. Ich würde mir wünschen, dass sich bei uns ein Aufruhr entwickeln würde, der sich mit dem vieler amerikanischer Bürger gegen die Politik ihrer Regierung vergleichen ließe.
Geht Ihr beim Songwriting über die Texte oder über die Musik? Und welchen Stellenwert haben die Elemente für sich genommen?
Toshi (Gitarre/Gesang): Meistens ist es so, dass Jan-Martin und ich die Musik unabhängig voneinander schreiben, was in der Regel am Computer mit der Gitarre bewaffnet passiert. Dann steht entweder schon ein grobes Arrangement oder auch mal nur ein Riff. Die Band arbeitet das dann im Proberaum gemeinsam aus, und in dieser Phase steuert Kai dann seine Gesangsideen bei. Er kann das ziemlich gut, sich bei einer Probe einfach von der Band inspirieren lassen und einfach drauf los zu singen. Manchmal bilden sich dann schon grobe Textideen oder Phrasen, die später auch beibehalten werden, oder sogar die Grundidee zum kompletten Text liefern.
Bei so einer Arbeitsweise mag der Eindruck entstehen, dass der Gesang an zweiter Stelle steht, das ist allerdings überhaupt nicht der Fall, eher im Gegenteil. Ab einem bestimmten Punkt im Songwriting dreht sich das ganze nämlich um, und auf einmal wird wieder klar, dass das fetteste Riff und der coolste Beat ohne einen geilen Gesang und Text kaum Bestand oder Verwertung hat. Und am Ende ist das, was den Song unverwechselbar macht, in erster Linie eben auch Kai.
Jan-Martin: Es ist auch schon vorgekommen, dass wir musikalisch wirklich gute Teile verworfen haben, weil wir keinen passenden Text dafür gefunden haben. Also ich würde sagen, mindesten 50/50, alle gegen alle, haha ...
Worin seht Ihr die größten Unterschiede zwischen dem Debüt und der aktuellen Platte, inwiefern habt Ihr Euch nach eigenem Ermessen weiterentwickelt?
Toshi: Für mich besteht der größte Unterschied darin, dass wir offener für neue Elemente geworden sind. Das Debut war ein Urknall, ein Schrei, eine An/Aus-Scheibe, die so sein musste. Da gab's keine Dynamik, alles sehr trocken und puristisch. Nicht, dass wir diesmal irgendwelche Tricks angewandt hätten, aber es gibt eine wesentlich größere Räumlichkeit und eben auch Dynamik auf der neuen Platte.
Wir haben auch großen Wert darauf gelegt, dass es unterhaltsamer wird, dass man nicht den Play-Knopf drückt und nach 40 Minuten ohne Atempause völlig fertig vom Hören ist. Es gibt diese kurzen Intermezzi, kleine Instrumentalstücke, die zwischen den eigentlichen Songs für Auflockerung sorgen und das auch sehr gut machen, wie ich finde. Auf die Art und Weise wirkt das komplette Werk einfach größer, die einzelnen Songs haben mehr Platz zum Atmen und man wird nicht so durchgehetzt durch das Album.
Was die Produktionsweise angeht, so ist wohl der größte Unterschied zum Debut, dass wir diesmal die zunächst live eingespielten Gitarren dann später alle noch mal ersetzt haben, weil wir es diesmal einfach auch ein bisschen genauer nehmen wollten. Die beiden Hauptgitarren sollten einfach schon so gut in Sound und Performance sein, dass man gar nicht so sehr das Bedürfniss verspüren sollte, alles nochmal zwei bis drei Mal zu doppeln. So erlangt man auch eine sehr schöne Klarheit und man ist jederzeit in der Lage, einer Gitarre für sich alleine zu folgen, wenn man das will.
An welchen Vorbildern orientiert Ihr Euch? Und fühlt Ihr Euch einer Musikszene verbunden?
Jan-Martin: Vorbildlich finde ich immer, wenn jemand unbeirrt sein Ding durchzieht. Da gibt's eine Menge Beispiele, stilübergreifend. Musikszenen langweilen mich, das ist mir zu beschränkt. Der durchschnittliche Metalhead wird in den entsprechenden Szenemagazinen z.B. nie etwas über Astor Piazzolla oder PJ Harvey lesen. Das finde ich schon ziemlich dramatisch.
Außerdem haben Musikszenen für mich immer was Faschistoides, sei es die Musik-Polizei auf einem Mike-Stern-Konzert oder die Heerscharen von uniformierten Emos.
"Im Reich der Sterne" habt Ihr selbst produziert. Was waren dabei Eure größten Herausforderungen?
Jan-Martin: Ich denke, wie bei allen von Toshi und mir betreuten Produktionen - auch außerhalb von MONGOFÜNF - galt und gilt es sicherzustellen, dass das, was der Künstler seit Monaten mit sich rumträgt, die richtige Form erhält. Das richtige Tempo, die richtigen Sounds für den jeweiligen Titel, etc. Allerdings ist da Herausforderung nicht das richtige Wort, wohl eher Spaß an der kreativen Arbeit. Unser Debüt "Das letzte bisschen Heilanstalt" wurde übrigens auch schon von uns selbst produziert.
Wie waren die bisherigen Reaktionen auf das neue Album? Und inwiefern decken sie sich mit Euren Erwartungen?
Kai: Die Reaktionen auf "Im Reich der Sterne" sind entweder "1+ mit Sternchen" oder "Note 6, fast 7". Also genau so, wie wir sie erwarten und auch haben wollen. Wir fallen halt mit der Tür ins Haus. Toll ist es, dass es Leute gibt, die damit umgehen können.
Jan-Martin: Ich liebe es, wenn Musik die Gemüter spaltet. Im Moment überwiegen die positiven Kritiken zu "Im Reich der Sterne", ich würde aber gerne auch mal eine gute schlechte Kritik lesen. Die bisherigen Verrisse waren einfach erbärmlich geschrieben.
Was macht Ihr beruflich neben MONGOFÜNF? Und was bedeutet Euch die Band?
Kai: Ich bin beruflich als Berater für Politik unterwegs. Das ist mein Kopf. MONGOFÜNF ist für mich Herz und Bauch. Die Band komplettiert mich.
Toshi: Ich habe seit zehn Jahren zusammen mit einem alten Weggefährten ein Studio. Wir bilden ein Produktionsteam und leben davon, in erster Linie Musik fürs Fernsehen zu machen. Sendungsdesign, aber auch Werbung. Ich produziere auch andere Künstler, nutze also so weit wie möglich das breite Spektrum, das einem die Musik bietet.
Die Band ist mir sehr wichtig, wie alle persönlichen Projekte, die ich neben meiner täglichen Arbeit im Studio betreibe. MONGOFÜNF ist eine "Herzensangelegenheit" und bewahrt mich davor, zu kommerziell zu denken und gerade bei den Dingen, die mir wichtig sind, keine Kompromisse einzugehen und die Sache so zu machen, wie sie mir bzw. uns gefällt.
Jan-Martin: Ich arbeite seit acht Jahren als Toningenieur und Tonmeister für Musik und Fernsehen. MONGOFÜNF ist mein Baby.
Welche Platten könnten MONGOFÜNF-Fans Eurer Meinung nach noch in ihrem Regal stehen haben?
Jan-Martin: Am besten alles mögliche. Wir stehen ja selber alle auf eine große Bandbreite von Musik.
Was steht für Euch in den kommenden Monaten an?
Jan-Martin: Proben, Konzerte, Songs schreiben ... der normale Wahnsinn.
Danke Euch - die letzten Worte sind Eure.
Kai: Danke für die Fragen! Die haben uns die Chance gegeben, endlich mal ein paar Sachen los zu werden, die sonst noch nicht über MONGOFÜNF veröffentlicht worden sind.