Geschrieben von Sonntag, 19 Mai 2013 18:18

Harasai - Interview mit Martin zu "Psychotic Kingdom"

Melodic Death ist tot? Von wegen, er zuckt noch und zwar im Pott! HARASAI kommen aus Altessen und haben gerade mit "Psychotic Kingdom" eine brandheiße Melodeath-Platte veröffentlicht. Die schreibende Zunft ist sich einig: ein herausstechendes und starkes Album! Grund genug, mit dem sympathischen Kreischer Martin über HARASAI (angeblich japanisch für "Darmwürfel") zu sprechen und so viel wie möglich über die Band, die Platte, die musikalischen Wurzeln und die Zukunft zu erfahren. 

Servus HARASAI, stellt euch den BurnYourEars Lesern kurz vor, wer ist dabei und wer macht was?

Hallo! Nico ist unser Drummer und somit nicht nur der Taktgeber, sondern auch so was wie der ruhende Pol der Band. Im Fußball hätte sein jüngerer Bruder, unser Lead-Gitarrist und Songwriter, wohl eher die Rolle eines klassischen Spielmachers, während Arne am Bass und Cleangesang, sowie Patrick an der zweiten Klampfe mit Vollgas über die Flanken kommen, bevor ich die Tore mache. Im Endeffekt ist es aber völlig gleich, wer in der Band gerade welche Rolle einnimmt: Am Ende zählt das Team.

Ihr spielt Melodic Death Metal, was reizt euch besonders an dem Genre?

Da wir ungefähr kurz vor oder nach der Wiedervereinigung geboren wurden, haben wir Musik und härtere Klänge im allgemeinen auch erst Mitte der 2000er Jahre, also in unserer Teenager Zeit kennengelernt. Ich kann mich exakt darin erinnern, wie Nico mir seinerzeit die „Clayman" von IN FLAMES in der Schule ausgeliehen hat. Da war es dann um uns geschehen und wir sollten richtig in der Materie versumpfen. Melodic Death verkörperte für uns genau das, nach dem wir gesucht hatten: Es ist eine sehr harte und aufrührerische Musik, die aber in ihren Sternstunden auch äußerst erhaben und romantisch klingen kann. Dies verkörpern für uns seit jeher Bands wie AT THE GATES, DARK TRANQUILLITY oder EDGE OF SANITY, denen es immer schon viel mehr um Herz, Hirn und Charisma ging, anstelle von plakativer Brutalität. Ich bin ja sowieso der Meinung, dass auch Death Metaller mal weinen dürfen.

Die Songs für „Psychotic Kingdom" stehen ja schon eine Weile länger (siehe YouTube Videos von 2012). Wie lange tragt ihr das Königreich schon mit euch rum, bis es zu den Aufnahmen kam?

Das eigentliche Songwriting startete noch vor Release unseres Debüts „The I-Conception" im Jahr 2010. Generell sind wir keine Band, die am Fließband Songs schreibt, so wie es traurigerweise viele Bands heute machen. Jedes Album ist die Verkörperung einer bestimmten Schaffensperiode. Und überhaupt ist das Album wesentlich später fertig geworden, als wir es uns ursprünglich gewünscht haben. Dabei spielten nicht zuletzt einige Negativfaktoren wie der Ausstieg unseres langjährigen Gitarristen und vor allem Freundes Henrik eine Rolle. Die mehr als grauenhafte Zusammenarbeit mit unserer ehemaligen Plattenfirma sowie einige kleinere oder auch größere private Krisen kamen hinzu.

Die Drums wurden bereits im Dezember 2011 aufgenommen. Danach ging es zunächst einmal nicht weiter, da Arne und Yannick mit Universität und Abitur alle Hände voll zu tun hatten und kurz danach auch schon wieder ein intensiver Live Zyklus anstand. Also arbeiteten wir an der Platte immer dann weiter, wenn entweder der Produzent oder wir dafür auch die nötige Luft und Fokussierung hatten. Man muss aber auch sagen, dass es sich insofern positiv ausgewirkt hat, als dass wir uns wesentlich mehr Zeit genommen haben, um an Details und kompositorischen Feinheiten zu arbeiten. Ich bin kein abergläubischer Mensch, aber denke dennoch, dass diese in höchstem Maße widrigen und emotional aufreibenden Umstände einen entscheidenden Anteil am Endergebnis haben.

Wie lange habt ihr an „Psychotic Kingdom" aufgenommen?

Die Aufnahmen fanden über einen Zeitraum von knapp sieben Monaten statt. Der Mix zusammen mit Sebastian Levermann hat dann auch nochmal so ca. drei Monate in Anspruch genommen. Wir wollten einen Sound von der Stange unbedingt vermeiden und experimentierten deshalb zunächst einmal mit dem Grundsound, um herauszufinden, wie man die Songs am besten in Szene setzen sollte. Danach wurden immer wieder Details und Sounds verändert, bis die Atmosphäre an sich unseren Vorstellungen entsprach. Als die fertigen Songs dann im September 2012 aus dem Mastering Studio von Dennis Koehne kamen, wussten wir auch zunächst nicht genau, was wir da eigentlich in der Hand haben. Es ist dann irgendwie auch ein ganz anderes Gefühl, wenn man die Songs in ihrer vollendeten Fassung hört und nochmals völlig neu entdeckt.

Manche Shouts sind wirklich fett ergreifend geworden, schreibt der Sänger auch die Texte alleine oder wie entsteht ein HARASAI Song?

Zunächst entsteht der Song an sich. Als Songwriter tüftelt Yannick manchmal über Wochen und Monate an neuen Songs oder Ideen, wovon viele aber auch oftmals wieder verworfen werden. Manchmal streut Nico auch das eine oder andere Riff ein, oder wie im Fall von „Three Kings" auch einen kompletten Song. Dann wird erst diskutiert, bis alle zufrieden sind. Das kann zwar auch eine anstrengende Arbeitsweise sein, führt aber auch dazu, dass jederzeit ein sozusagen drittes Ohr mithört.

Die Texte und Vocal Lines sind dann schon der Bereich, in dem ich mich voll und ganz ausleben kann. Um echtes Adrenalin zu spüren, muss man sich als Sänger auch mit dem, was man herausschreit, identifizieren können. Alles andere empfände ich als sinnlos. Im Vergleich zum ersten Alben war es deshalb auch von Nöten, verschiedene Arten des Shoutings zu verwenden, beispielsweise um emotionale Widerstände deutlich zu machen. Wut und Trauer klingen eben nicht gleich. Im Übrigen ist das auch ein entscheidender Grund dafür, die Stimme von Arne mit einzubringen. „The Art Of The Sun" hätte z.B. mit reinem Schreigesang gar nicht funktioniert.

Nach „Skywards We Fly" zieht die Platte richtig an und zum Ende hin geht ordentlich die Post ab. Zufall oder steckt da ein Konzept dahinter?

Von der Tracklist gab es vermutlich mehr als 20 verschiedene Versionen im Laufe der Zeit, bis wir uns auf eine finale Version einigen konnten. Da es sich bei „Psychotic Kingdom" nicht um ein Konzeptalbum im eigentlichen Sinne handelt, war es natürlich äußerst schwer, Hörbarkeit, Gesamtkontext und musikalische Diversität der Stücke gemeinsam in Szene zu setzen. Ein konstanter Hörfluss muss einfach gegeben sein.

In den letzten Jahren hatte ich bei vielen Alben bekannter Bands irgendwie das Gefühl, ab einem gewissen Zeitpunkt gelangweilt zu sein oder dass eine Hälfte der Platte gut und die andere wiederum eher nicht so gut ist... und dann irgendwann hört man auf, sie zu hören. So was wollten wir dementsprechend absolut vermeiden. Die härtesten Stücke in die zweite Hälfte zu setzen, erschien uns auch genau aus diesem Grund sinnvoll. Es macht so ein wenig den Eindruck eines emotionalen Ausbruchs und wird dadurch zum Klimax.

Mein Highlight der Platte ist „Heretic Souls", ein perfekter Melo Death Song! Welcher Song von „Psychotic Kingdom" ist eurer Meinung nach besonderes gut gelungen, sozusagen ein Anspieltipp für Leute, die noch zögern, euer Album zu kaufen?

Klar hat jeder in der Band seine persönlichen Favoriten, aber am Ende des Tages hat man alle seine Kinder gleich gern. Überhaupt sollte man Alben immer am Stück hören und die Texte dazu lesen, da man sonst niemals einen ganzheitlichen Einblick erhält. „The Gallery"-Fans dürften sich jedoch ganz besonders über „Three Kings" und „The Art Of The Sun" freuen, während der geneigte EDGE OF SANITY Hörer sich über „The Liquid Everything" freuen wird.

Zu „Three Kings" habt ihr ein Video fertiggestellt. Worum geht es in dem Song und warum habt ihr gerade dieses Stück gewählt?

Gedreht haben wir in einem Teil des Proberaumkomplexes gegenüber der Brauerei Jakob Stauder in Altenessen. Wir proben dort in den Räumlichkeiten vom guten alten GRAVE VIOLATOR. Das ist ein altes Fabrikgebäude und eignete sich perfekt dafür, die Tristesse des Stücks einzufangen. Genutzt wurden die Katakomben des Gebäudes und der Lastenaufzug, welcher im Übrigen auch ein wahrer Segen ist, wenn man mitten in der Nacht von einer Show zum Ausladen zurückkommt. (Das beantwortet zwar nicht die Frage, ist aber auch ganz interessant ;-) - Anm.d.Red.)



Ich bin begeistert von „Psychotic Kingdom" und habe durchweg positive Rezensionen gelesen. Habt ihr damit gerechnet?

Wir sind schon sehr überrascht. Auf uns hat es in den letzten Jahren zumeist den Eindruck gemacht, dass diese Art von Musik kaum noch gehört wird. Man vernimmt auch manchmal Begräbnisreden à la „Melodic Death Metal ist tot" und denkt sich nur „Aha? Gar nicht mitbekommen...". Umso schöner ist es dann, wenn man merkt, dass da draußen immer noch verdammt viele Leute unterwegs sind, die diesen Sound alters- und szenenübergreifend mögen und sich regelrecht dafür begeistern können. Man darf jetzt auch nicht vergessen, dass lange, lange Zeit kein Hahn nach uns gekräht hat. Deshalb nehmen wir die positive Resonanz, die derzeit vorherrscht, mit wirklich sehr großer Dankbarkeit entgegen.

Was ist eure Motivation zum Musik machen?

Die absolute Gretchenfrage! Vereinfacht ausgedrückt: Der Spaß daran, etwas Eigenes zu erschaffen, das eine Konstante im Leben bildet. Es ist aber noch viel mehr als das. Es geht um ein tiefes Bedürfnis, sich auszudrücken. Auf eine gewisse Weise ist es etwas sehr Privates, an dem man andere Menschen teilhaben lässt. Das spiegelt sich in der Live Situation auch wider, wenn die Band und das Publikum eine Symbiose eingehen an deren Ende einfach ein gutes Gefühl zurückbleibt. Es geht also um zwei Dinge: individuelle Verwirklichung und soziale Interaktion. Nichts ist schöner, als zu reisen und abends die Crowd anzuheizen.

Ihr kommt aus dem Pott, der Hochburg für deutschen Thrash Metal. Seid ihr mit dieser Musik groß geworden oder was sind eure musikalischen Inspirationen?

Thrash Metal stand bei uns noch nie so wirklich auf der Speisekarte. Als wir Mitte der 2000er Jahre noch zu Schulzeiten mit harter Musik sozialisiert wurden, waren unsere Helden Bands wie IN FLAMES, CHILDREN OF BODOM, WINTERSUN oder DARK TRANQUILLITY. Für uns war kurze Zeit später definitiv klar, dass wir genau diese Art von Metal machen möchten. In der Folgezeit sind wir halt ziemlich in dem Thema versumpft. Eine schwedische Neuentdeckung jagte dann die nächste und so entdeckten wir die vergessenen Meilensteine von Bands wie EDGE OF SANITY, DISSECTION, EUCHARIST, DESULTORY oder UNANIMATED für uns. Das war so die Zeit, als die Metalcore-Welle in Deutschland völlig abging. Mit unserem Geschmack waren wir da schon ziemliche Exoten. Ziemlich paradox eigentlich, wenn man bedenkt, aus welchen Plattenregalen so alles kopiert wurde.

Welche Bedeutung steckt hinter dem Namen HARASAI?

Das fragt uns berechtigterweise irgendwie jeder. Als wir nach einem Namen für die noch zu gründende Band suchten – wir konnten unsere Instrumente zu dieser Zeit noch nicht spielen – durchstöberten wir unsere CDs und stießen auf einige verheißungsvolle Namen wie „Angel Claw", „Downfall" oder „Heresy". Auf letzteren einigten wir uns dann auch relativ schnell, malten ein Logo mit umgedrehtem Kreuz, waren aber letztlich irgendwie nicht so wirklich überzeugt und zermarterten uns weiterhin die Köpfe auf der Jagd nach einer originellen Idee. Unser damaliger Gitarrist Sebastian kam dann auf die Idee, das Ganze irgendwie auf Japanisch umzuwandeln. Da spielte wohl die Vorliebe für Animes eine gewisse Rolle. Jedenfalls nannten wir uns dann eben HARASAI und sind bis heute dabei geblieben. Der Name gefällt uns sehr, weil er kurz und knackig ist, leicht zu merken und irgendwo geheimnisvoll. Ein uns bekannter Japanologie Student meinte auch mal, dass es „Darmwürfel" bedeuten würde. Dies darf allerdings angezweifelt werden.

Gibt es ein Album, das man eurer Meinung nach als Metalfan besitzen sollte?

Ich kann da jetzt wirklich nur für mich sprechen, da wir alle sehr unterschiedliche Musik hören. Sich auf eine einzige Platte festzulegen, ist zudem ziemlich unfair. Aber ein Album, das ich absolut jedem empfehlen würde, ist die „Our Darkest Days" von IGNITE. Ich liebe dieses Album einfach, weil mich die Musik und die sehr persönlichen Texte in den letzten Jahren durch sehr viele Lebenslagen begleitet haben. Manchmal gibt es Tage, wo dir nur eine bestimmte Band mit einem bestimmten Song ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Und dieses Album hat einfach verdammt viele dieser Stücke. Zudem gefällt mir einfach der positive Vibe daran. Im Übrigen auch die ideale Platte, um bei gutem Wetter plauschenderweise mit Freunden und einigen Bier im Park zu sitzen. Auch wenn es sich hierbei um melodischen OC Hardcore handelt. Aber wen interessieren schon Schubladen?

„Skywards we fly..." scheint euer Motto zu sein, ein Song trägt diesen Titel und auch in zwei weiteren Songs taucht es in den Texten auf. Was sind eure Ziele mit HARASAI?

Zu sagen, man wollte von Musik leben, grenzt in der heutigen Zeit ja leider an Wahnsinn. Von daher kann es einfach nur darum gehen, eine gute Zeit zu haben, viele interessante Menschen zu treffen und durch bisher unbekannte Länder zu reisen, wenn es denn Zeit und Beruf erlauben. Auf der künstlerischen Ebene wünschen wir uns, wie bisher Musik schaffen und veröffentlichen zu können, ohne uns dabei irgendwelchen Zwängen zu unterwerfen. Das ist und bleibt etwas Persönliches, das zu uns als Menschen einfach dazugehört wie die Luft zum Atmen.

Ihr habt schon einige mittelgroße Festivals gespielt und auch bereits vor oder nach namenhaften Bands, was steht live für 2013 an?

Es stehen bald einige sehr coole Sommerfestivals an, auf die wir uns echt den Arsch abfreuen. So z.B. das Break The Ground Open Air am 13.06. mit VADER, das Nord Open Air in unserer Heimat Essen am 28.07. mit EVOCATION und ALPHA TIGER und das Isenburg Open Air in Hamm am 19.07. als Headliner.

Bestes Erlebnis für HARASAI bis jetzt?

Fertigstellung und Release von „Psychotic Kingdom". Nach über zwei Jahren voller Irrungen und Wirrungen ein wirklich sehr überwältigendes Gefühl. 

... und jetzt eure Chance für die letzten Worte und einen letzten Tipp, warum man euer Album „Psychotic Kingdom" kaufen sollte!

Erstmal ganz lieben Dank an dich für dieses wirklich liebevoll ausgearbeitete Interview, sowie die BurnYourEars Leserschaft, die sich die Zeit genommen hat, die ausführlichen Worte durchzulesen. Ansonsten sollten einfach diejenigen die Scheibe kaufen, denen es wirklich gefällt. Downloads nützen uns leider gar nichts.