Geschrieben von Sonntag, 06 Oktober 2013 13:56

Stormlord – Interview zum Album “Hesperia” mit Sänger Christiano Borchi und Bassist Francesco Bucci

Vor kurzem lieferten die Italiener von STORMLORD das fünfte Epos ihrer 20-jährigen Band-Karriere aus. Die Mischung aus extremem Metal und melodisch-klassischen Elementen hat viel positive Resonanz bekommen, und auf „Hesperia" gibt es einiges zu entdecken, so dass wir nachgehakt haben. Bassist Francesco Bucci und Sänger Christiano Borchi erklären uns, wie viele Gedanken in einem Cover stecken, ganz ausführlich geht es um die Mythologie von Aeneas und Lebensphilosophie und wir lernen, welche Folgen ein rostfreies Schwert haben kann.

Hallo zusammen und herzlichen Glückwunsch zu eurem neuen Album! Wie ist die Stimmung in der Band?

Christiano Borchi: Die Stimmung in der Band ist super! „Hesperia" hat weltweit ein fantastisches Feedback bekommen, das unsere kühnsten Träume übertroffen hat. Die Fans sind verrückt nach dem neuen Album, es gibt ein großes Interesse von allen Seiten – wir sind echt begeistert und motiviert!

In den frühen Neunzigern seid ihr als Death Metal-Band gestartet, dann habt ihr euren Stil mehr in Richtung Black Metal gelenkt. Wie würdest du heute den Sound von „Hesperia" beschreiben?

C.B.: Ich würde sagen, „Hesperia" ist der natürliche Sohn von „Mare Nostrum" und drückt den epischen, feierlichen Teil der Bandseele aus. Es gibt typische STORMLORD-Elemente im Sound, aber wir haben einige neue Teilchen dazugefügt und die gesamte Mischung ist uns besser gelungen.
Des weiteren glaube ich, dass dies die persönlichste Platte der Band ist. Sie bringt wohl am besten das Konzept von extremem epischem Metal zum Ausdruck. Es ist gar nicht so einfach, den Sound der Band zu beschreiben, da so viele Elemente mit einfließen: Aber es ist immer noch ein STORMLORD-Album, das symphonische und epische Elemente mit extremem Gesang und harter Atmosphäre verbindet. Es ist vielleicht unser majestätischstes und erwachsenstes Album.

Dürfen wir in Zukunft weitere Änderungen eures Musikstils erwarten?

Francesco Bucci: Immer. Unser Ziel ist es, den Sound von Album zu Album weiterzuentwickeln, wobei dies immer ganz von selbst geschieht, dafür gibt es keinen konkreten Plan. Wir stöpseln nur unsere Instrumente ein und lassen die Musik fließen, dann folgen wir dem Vibe und irgendwas passiert.
Als Band funktioniert das schon so seit zwanzig Jahren, wir haben unseren persönlichen Stil, den wir seit Jahren aufgebaut haben und den wir niemals aufgeben werden. Andererseits wollen wir auf keinen Fall ein Album veröffentlichen, das sich genauso anhört, wie das davor.

stormlord-hesperiaKannst du den Titel des Albums erläutern? Und gibt es eine Verbindung zu dem Cover mit den Schiffen auf dem Fluss?

F.B.: „Hesperia" ist ein griechisch/lateinisches Wort, es bedeutet „Land des Sonnenuntergangs" oder „Abendland". Es ist auch eine antike griechische Bezeichnung für Italien, da es an die Reise von Aeneas und seine Freunde erinnert, die sie von den Ruinen Trojas nach Latium führte, um die Region zu erreichen, in der später Rom entstand.
Man kann das ganze Konzept um das Erreichen Hesperias als Entwicklung des Themas „Supreme Art Of War" (Debütalbum, Anm. d. Verf.) sehen: Der Wille zu kämpfen, um zu erreichen, was man will.

Das Cover und das Artwork des Booklets stehen im Zusammenhang mit diesem Konzept und beides ist von dem ungarischen Illustrator Gyula Havancsák entwickelt worden (der auch bekannt ist für seine Arbeit bei DESTRUCTION, STRATOVARIUS, GRAVE DIGGER, TYR, ANNIHILATOR u.v.a.). Er hat auch das Cover für „Mare Nostrum" gemacht.
Das Bild zeigt die Flotte von Aeneas, der sich den Ufern von Latium nähert. Auf der einen Seite ist es ein Bild des Sieges, weil die Suche nach „Hesperia" vorüber ist, und das Schicksal Roms ist symbolisiert durch den aufsteigenden Adler. Auf der anderen Seite ist die Zukunft noch unbekannt und voll dunkler Wolken, die man an dem stürmischen Horizont im Hintergrund erkennt. Außerdem liegt nun die Bestimmung des römischen Imperiums in den Händen der Menschen um ihren Führer Aeneas und dessen Willenskraft. So ist eben unser Leben, stets tanzend auf Messers Schneide zwischen Glück und Leid.

Kannst du uns etwas über das Konzept der Lyrics erzählen?

F.B.: „Hesperia" ist das erste Konzeptalbum unserer Karriere. Ich kann dir sagen, ein Konzeptalbum zu kreieren, war ein lange gehegter Traum von mir, aber aufgrund der vielen Arbeit wurde es schnell zu einem Albtraum (Scherz!).
Ich wusste von Anfang an, dass es harte Arbeit werden würde. Deshalb habe ich einige Jahre gewartet, um Erfahrungen als Texter zu sammeln – die Rolle, die ich seit unserem Debüt-Album „Supreme Art Of War" innehabe. Währenddessen verbesserte die Band ihre musikalischen Fähigkeiten, besonders unser Gitarrist Gianpaolo Caprino, der das meiste der Musik schreibt.

Als wir spürten, dass die Zeit reif war, hatte ich zweierlei Ideen: Unsere Arbeit sollte von unserer Lateinisch-Südländischen Kultur inspiriert sein, wie es auch auf den vorigen Alben der Fall war. Zweitens wollte ich nicht einfach eine überlieferte Geschichte schreiben, die Stück für Stück irgendeiner Dichtung folgt. Stattdessen wollte ich das Thema des Konzeptalbums aus einer anderen Perspektive darstellen. Dazu ließ ich mich von dem Geschehen in Virgils „Aeneis" inspirieren, um auch persönliche Themen zu verarbeiten. Ich liebte die Idee, dass der Hörer der Songs genauso Überlieferungen und Legenden meines Landes entdecken könnte, sowie meine eigenen Gedanken.

Doch zurück zu dem Konzept von „Hesperia". Ich fand das richtige Thema in „Aeneis", dem Epos des römischen Dichters Virgil (Publius Vergilius Maro) aus dem Jahre 29-19 vor Christus. Heute wird Virgil als einer der wichtigsten Charaktere unserer Kultur verehrt. Seine Arbeiten, besonders „Aeneis", repräsentieren den Gipfel unserer klassischen Traditionen zusammen mit „Ilias" und „Odyssee" von dem griechischen Poeten Homer. Als ich in der Schule war, habe ich einige Jahre damit verbracht, Virgils Gedichte zu studieren. Deshalb war es für mich faszinierend, zu „Aeneis" zurückzukommen, ihn von einer anderen Perspektive zu sehen und verschiedene Seiten zu entdecken, die mir früher in meiner Jugend verborgen blieben.

Die Texte, die in Englisch, Italienisch und Latein verfasst sind, analysieren den Charakter von Aeneas und sein Verhältnis zum göttlichen Willen und seinem Schicksal aus menschlicher und göttlicher Perspektive (Aeneas war der Sohn eines Menschen, Anchises, und der Göttin Venus). Auf traditionelle und moderne Weise kann man die gesamte Geschichte als eine Art Rückblende sehen, die Aeneas erlebt, als er über diverse Episoden seines Lebens nachdenkt. Dabei geht es um Liebe, Rache, Verachtung, Verzweiflung, Ahnenkult und die Hoffnung in die künftigen Generationen.

Ich war von der Figur des Aeneas begeistert, da er so ein moderner Held ist: Er ist nicht solch ein Superheld wie Achilles, und er ist auch kein Typ, der auf alles eine Antwort hat. Die Götter gaben ihm eine schwere Bürde und er trug sie mit Blut, Schweiß und Tränen.
Das ist es, was wir sind: menschlich. Wir zweifeln, wir haben Angst, wir müssen Entscheidungen treffen und wir haben nicht immer die Kraft, das richtige zu wählen, aber manchmal können wir heldenhafter sein als jeder fiktionale Charakter.
Man kann die Lyrics aus traditioneller Sicht lesen, im Vergleich zu dem Gedicht „Aeneis", oder man kann tiefer graben, um Gedanken zu unserem modernen Leben zu entdecken. Das ganze Konzept kann man auf diese verschiedenen Arten lesen.

Ich denke, die Message hinter „Hesperia" steht im Kontrast zu den Themen, die von den meisten extremen Metal Bands verwendet werden. Ich meine, Heavy Metal ist ein aggressiver Musikstil und oft hat es mit destruktiven und nihilistischen Gedanken zu tun – und meistens lieben wir es dafür! Aber zurzeit ist die ganze Welt in einer solch schwierigen Lage, dass ich es offen gesagt nicht für angemessen halte, in diesen Zeiten mit einer "I don't give a fuck, just let me live my life"-Attitüde herumzulaufen.
Wenn wir uns alle weiter entwickeln wollen, müssen wir hart an dem arbeiten, was uns nicht gefällt, anstatt nur stinksauer über die aktuelle Situation zu sein. Ich glaube, dass der Mensch, der heutzutage den Mut hat, sein eigenes Ideal zu verfolgen, während er mit allen Schwierigkeiten, Entmutigungen und Zweifeln zurecht kommt, dass dieser Mensch der Prototyp eines Helden darstellt, zu dem wir alle berufen sind.

Unser Wunsch, eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu bauen, ist der Grund dafür, dass die Lyrics des Openers „Aeneas" der Original-Text aus dem Gedicht von „Aeneis" sind. Diese Texte sind in der originalen Metrik auf Latein gesungen (Daktylus Hexameter), ein Experiment, das bisher im Metal-Bereich noch nicht vorkam, weshalb wir mit professionellen Lateinlehrern zusammengearbeitet haben.

Habt ihr einen Kopf in der Band, der für die Entstehung eines Albums zuständig ist oder wie läuft das bei STORMLORD ab?

F.B.: Zurzeit arbeiten wir auf diese Weise: Gianpaolo (Gitarrist) schreibt den Großteil der Musik an der Gitarre und dem Keyboard. Dann arbeitet er mit mir an den ersten Arrangements, um weitere Inspirationen zu finden, die Musik weiterzuentwickeln und die Songstrukturen aufzubauen, und anschließend nehmen wir eine grobe Demo-Version auf dem Computer auf.
Wenn wir diese grobe Struktur haben, teilen wir sie den anderen Jungs mit und wir beginnen im Proberaum mit der Arbeit an allen Songs zusammen.

Jeder von uns bringt seine Meinung ein und wir arrangieren nicht nur unsere Parts, sondern wir tauschen auch Vorschläge miteinander aus (es kann passieren, dass Gianpaolo mir einen guten Tipp für eine Basslinie gibt, ich für den Gesang Ideen habe oder Christiano über Keyboard-Arrangements diskutiert – nur so als Beispiel).
Am Ende arbeiten Gianpaolo und Andrea (Angelini – Gitarrist) an den finalen Gitarren-Parts und Gianpaolo und Riccardo (Studer – Keyboards) erstellen die Orchester-Arrangements. Christiano und ich basteln an den Vocals und währenddessen schreibe ich die Texte.

Meiner Meinung nach kann man in den Harmonien einige Charakteristika finden, die der klassischen Musik sehr ähnlich sind. Wie sind denn eure musikalischen Hintergründe?

F.B.: Wir sind 360°-Hörer und jeder in der Band mag eine andere Art von Musik. Das reicht von klassischer Musik bis zu Drone, von den Wurzeln des Blues bis Grindcore und nicht zu vergessen Black Metal, und natürlich mögen wir die Klänge mediterraner Traditionen.
Gianpaolo Caprino, der ja der Haupt-Songschreiber ist, liebt Film-Soundtracks von Komponisten wie Basil Poledouris (der original "Conan – Der Barbar" Soundtrack), James Horner oder Ennio Morricone, zusammen mit klassischen Metal Songwritern wie James Hetfield oder AMORPHIS, dann alte SUMMONING und KRAFTWERK oder sogar alte 80er Videospiel-Soundtracks wie „Golden Axe" oder „Double Dragon", die ich ebenso sehr liebe.

Der Song "Motherland" enthält orientalische Noten – und dies ist nicht das erste Mal (siehe „Legacy Of The Snake" vom letzten Album). Wie kommt ihr zu diesem Sound?

F.B.: Die orientalischen Einflüsse sind keine neue Sache in unserer Musik. Sie sind vielmehr Teil unseres Sounds seit unserem Debütalbum „Supreme Art Of War" von 1999 und du kannst manche Beispiele in den Songs „The Burning Hope" auf dem „At The Gates Of Utopia"-Album finden oder – wie du gesagt hast – in dem oben genannten Song auf dem Album „Mare Nostrum".

Während unserer Karriere haben wir immer eine Art Musik und Lyrics geschrieben, die dem Hörer unsere Realität darstellen, in der wir leben. Deshalb reden wir nicht über Wikinger oder nordische Sagen, und wir bevorzugen es, mit Sound und Themen der mediterranen Kultur zu arbeiten. Orientalische Musik liegt tief in unseren Traditionen, da Italien schon immer Einflüsse aus Arabien hatte, der Maghreb-Zone und auch von Indien aufgrund der Handelsrouten, die in den letzten Jahrhunderten durch unser Land gingen.
Indessen wollen wir aber nicht zu folkig klingen, denn wir lieben es, headbangende Leute bei den Shows zu sehen: Deshalb haben wir uns dieser Sache modern angenähert mit fetten Gitarren, deftigen Drums und majestätischen Keyboards.

Habt ihr Idole, die grundlegende Einflüsse ausmachen? Und gibt es da jemanden, mit dem ihr gerne mal die Bühne teilen wollt?

F.B.: Lange Zeit huldigte ich den alten Göttern des Heavy Metal wie die meisten anderen Verrückten auch: METALLICA, IRON MAIDEN, MOTÖRHEAD, GUNS'N ROSES, SLAYER, BATHORY und Mitte der Neunziger war ich total in der True Black Metal-Szene unterwegs. Ich vermute, dass STORMLORD in gewisser Weise all diesen Bands etwas zu verdanken hat.
Mittlerweile höre ich alle Arten von Musik, wie schon gesagt, und ich versuche die Stile, die mir am besten gefallen, in meine Einflüsse zu integrieren. In den letzten Monaten zum Beispiel habe ich wahnsinnig oft das neue WOODKID-Album „The Golden Age" gehört, was ich total interessant und erfrischend finde.
Ich würde am liebsten mal die Bühne mit zwei meiner All-Time-Faves teilen: SUMMONING und FALKENBACH. Aber mir ist bewusst, dass sie nicht am Touren interessiert sind, deshalb vermute ich, dass dies ein ewiger Traum bleiben wird.

Was war die verrückteste Story, die euch auf einer Tour passiert ist in eurer langen Bandgeschichte?

F.B.: Ich kann leider die meisten interessanten Geschichten nicht erzählen, da sie übler Stoff sind und es besser für uns ist, wenn diese Storys im persönlichen Bereich bleiben. Das musst du verstehen.

Aber ich erinnere mich an das Jahr '99, als wir mit MYSTIC CYRCLE, GRAVEWORM und SUIDAKRA auf Tour waren. Ein paar deutsche Fans kamen nach der Show zu uns und fragten, ob wir den Rost von dem Schwert von Christiano in eine kleine Flasche, die sie mitbrachten, füllen könnten. Das Schwert trug Christiano während der Show auf der Bühne.

Das Peinliche war, dass das Schwert aus rostfreiem Stahl war, so dass wir den Jungs erklärten, dass kein Rost auf der Klinge ist, was nicht einfach war, da sie schlecht Englisch sprachen. Jedenfalls waren sie so verrückt nach unserer Band, dass wir sie nicht enttäuschen wollten, weshalb wir sie fragten, ob wir ihnen etwas anderes geben könnten, was sie an die Show erinnert. Da sagten sie – kein Witz – dass sie es cool fänden, ein paar Tropfen Blut von uns in der Flasche mitzunehmen. Um ehrlich zu sein, war diese Anfrage für uns ein bisschen übertrieben und wir lehnten ab.
Ich meine, das war zweifellos ein epischer Wunsch, aber wir sind doch nicht Conan der Barbar!

Was sind eure Perspektiven für das nächste Jahr?

C.B.: Wir wollen die Band mehr als in der Vergangenheit auf die europäischen Bühnen bringen. 2014 wird ein Live-Jahr für STORMLORD, wir haben schon einige Festivals in Deutschland bestätigt (das „Ragnarök" und andere) und hoffentlich gibt es noch mehr. Wie schon gesagt, die Band entwickelt sich schnell und wir arbeiten daran, die Livepläne auf dasselbe Level zu bringen.

Nun noch die berühmten Abschlussworte und vielen herzlichen Dank für das Interview!

F.B.: Ich hoffe, dass ihr wenn ihr unser neues Album „Hesperia" hört, auch wie Aeneas mit seiner Crew über das Meer segelt – wie es Virgil in seiner Oper geschrieben hat.
Ach ja, und da wir nächstes Jahr Shows in Deutschland spielen, z.B. auf dem Ragnarök oder dem Dark Troll-Festival, sehen wir uns hoffentlich, wenn wir alle zu unserem extrem epischen Sound headbangen! Wenn ihr über STORMLORD auf dem Laufenden sein wollt, folgt der Band auf www.facebook.com/stormlordband oder auf der Homepage ... See you soon! Onward to glory!
Manuel

"Größtenteils harmlos."