Neun Jahre hat es gedauert, bis die schottische Rocklegende NAZARETH im letzten Jahr mit „The Newz" ein neues Studioalbum vorlegte. Und viele waren überrascht, dass die alten Herren nicht auf Nummer sicher gingen, sondern ein in Teilen erstaunlich zeitgemäßes und modernes Album aufgenommen hatten. Auch die dazugehörige Tour erntete begeisterte Kritiken. Ein Jahr später ist das Quartett zurück in unseren Breiten, und Bassist Pete Agnew, neben Sänger Dan McCafferty das einzig verbliebene Gründungsmitglied, nimmt sich die Zeit, mit BurnYourEars über vier Jahrzehnte Bandgeschichte Revue passieren zu lassen und einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Pete Agnew, der sich sofort als extrem angenehmer Zeitgenosse erweist, hat es sich in der Bar des freiburger Novotels bequem gemacht und einen, zumindest für den Moment, extra ruhigen Tisch für das Interview ausgesucht.
Fangen wir doch mal damit an, eure Karriere ein bisschen zu sezieren. So weit ich weiß, habt ihr 1966 als Coverband angefangen.
Eigentlich noch viel früher mit THE SHADETTES, die Band, die ich damals gegründet habe, und aus der dann später NAZARETH wurde. Ich bin das letzte Mitglied aus dieser Zeit und war damals der Sänger. Das war 1962 oder 1961 als wir anfingen, und 1962 nannten wir uns dann THE SHADETTES. 1964 verließ ein Mitglied die Band, das vorher mit mir zusammen gesungen hatte, und irgendwer meinte, wir sollten Dan (McCafferty) als Sänger antesten, der zu dieser Zeit mit uns herumreiste. Na ja, ich dachte: „Der hat eine gute Stimme, also versuchen wir es." Und ich bin froh, dass wir es gemacht haben. Also kam Dan 1964 dazu.
Und ja, wir waren zunächst eine reine Coverband. Ich glaube, irgendwann 1968 haben wir angefangen, die ersten eigenen Stücke zu schreiben, aber wir waren eigentlich immer noch eine Coverband. Das mussten wir auch sein. Wenn du damals in Schottland an Auftritte kommen wolltest, konntest du nicht losziehen und deine eigenen Songs spielen. Du wärst nie engagiert worden. Die Leute wollten die bekannten Hits hören. Als wir dann 1968 anfingen, selbst zu schreiben, nahmen wir ein oder zwei eigene Stücke ins Set und schoben sie irgendwo dazwischen, damit die Leute sie auch anhören würden.
1972 haben wir dann unsere normalen Jobs aufgeben, wurden Vollzeitmusiker und begannen damit, unser erstes Album aufzunehmen. Und ab da haben wir dann unser eigenes Material gespielt.
Was waren damals eure wichtigsten Einflüsse?
Unsere wichtigsten Einflüsse? Jeder! Wir haben so gut wie alles aufgesogen. Wir liebten THE BAND. Wir mochten die alten Rockbands und wir standen auf die alten Soul-Nummern aus den 60ern. Natürlich LED ZEPPELIN und DEEP PURPLE, die damals schon sehr heavy und sehr laut spielten. Wir wurden von allem beeinflusst und hören bis heute eine sehr weite Bandbreite an Musik. Angefangen bei LITTLE RICHARD, CHUCK BERRY und ELVIS... ich war allerdings nie ein BEATLES-Fan. Irgendwie habe ich da nie wirklich rein gefunden, aber ich mochte die ROLLING STONES. Es gab in den 60ern einfach eine Menge.
Was uns wirklich beeinflusst hat war, als Stax (eine amerikanische Plattenfirma, die 1957 in Memphis gegründet, Hauptsächlich Soul Musiker produzierte und als direkter Konkurrent von Motown über Jahre große Erfolge feiern konnte) in Schottland populär wurde. Die ganzen Soul Nummern wurden live sehr schnell viel wichtiger als einen BEATLES oder ROLLING STONES Song zu spielen. Wenn du das gespielt hat, waren die Leute begeistert. Alle Bands...das klingt komisch, aber es gab so viele Soul Bands in Schottland (lacht). Ich weiß, das klingt als wäre es Unsinn, aber es war so (lacht). Es war eine tolle Zeit.
Würdest du zustimmen, dass ihr auf euren ersten beiden Alben eigentlich noch keinen eigenen Stil hattet?
Ja, hatten wir wirklich nicht. Weißt du, unser erstes Album enthielt eigentlich einfach alle Songs, die wir bis dahin geschrieben hatten. Auf dem zweiten Album hatten wir uns überlegt, dass wir... nicht direkt folkig, aber ruhiger und melodiöser sein wollten. Wir nahmen das Album auf und... also meine Mutter hat ein Exemplar und ich kenne einige andere, aber das Album hatte überhaupt kein Echo und auch wir dachten, dass es uns irgendwie nicht wirklich widerspiegelte.
Also fingen wir an, neue Songs zu schreiben, was dann schließlich zu „Razamanaz" führen sollte. Wir schrieben also diese Stücke und spielten sie bei unseren Konzerten für etwa ein Jahr, bevor wir sie aufnahmen. Als wir dann ins Studio gingen, kannten wir diese Songs in- und auswendig.
Jetzt mussten wir einen Produzenten finden, und wir fanden Roger Glover (DEEP PURPLE). Wir tourten mit DEEP PURPLE, sie nahmen uns 1972 das erste Mal mit in die USA, und wir tourten mit ihnen durch Groß Britannien, das war Ende 1972, Anfang 1973. Wir sprachen mit Roger, der in den USA schon eine Band namens ELF produziert hatte (am Mikrofon stand niemand geringeres als Ronnie James Dio).. eine gute Band, ich mochte die Jungs. Auf jeden Fall hatten Roger und Ian Paice sie produziert und wir fragten Roger, ob er nicht auch mit uns ein Album produzieren würde, und er willigte ein und machte mit uns „Razamanaz".
Wir wussten, dass das Album ein Hit werden würde. Wir hatten das einfach im Gefühl, und als das Album dann erschien, definierte es NAZARETH vollkommen neu.
Hatte Glover einen großen Einfluss auf den Sound von „Razamanaz" und damit NAZARETH?
Einfluss? Ich weiß nicht, ob Roger... er war sehr gut darin, die Dinge zusammen zu bringen. Einen Song zu strukturieren und logisch aufzubauen. Wenn du ein Solo einfügen willst, musst du überlegen, wie es klingen soll und kannst nicht im Studio einfach drauflos spielen.
Roger beeinflusste weniger die Art, wie wir sangen oder spielen. DEEP PURPLE hatten ja zum Beispiel kaum mehrstimmigen Gesang. Das war eigentlich immer nur Ian (Gillen). Wir hatten schon unseren eigenen Stil, der ihm gefallen hat und er half uns, unsere Eigenheiten ztu festigen und richtig einzusetzen.
Er half uns... ich will nicht sagen, er wäre ein Pedant, aber er mag es, wenn alles einen Anfang, einen Mittelteil und ein Ende hat. Er war sehr gut darin, einem Song Struktur zu geben und half uns damit sehr. Wir haben damals eine Menge von ihm über die Arbeit im Studio gelernt. Wir hatten ja erst zwei Alben eingespielt und DEEP PURPLE hatten sehr viel mehr Aufnahmerfahrung. Sie wussten, wie man ein Studio und das vorhandene Equipment richtig nutzt. Er hat uns wirklich viel beigebracht.
Und wir stehen immer noch in Kontakt. Ich habe erst vor einigen Tagen mit ihm telefoniert und hoffe, ihn demnächst wieder zu treffen, wenn wir in der Schweiz spielen. Er lebt jetzt in der Nähe von Zürich.
Glover hat insgesamt drei Alben produziert: „Razamanaz", „Loud N'Proud" und „Rampant". Danach übernahm euer Gitarrist Manny Charlton den Posten.
Manny hat sich immer sehr viele Gedanken über den Sound gemacht. Er hat sich weniger mit Arrangements oder Songstrukturen befasst, das war eher mein Bereich, aber er mochte Sound. Er experimentierte gerne damit, wie Dinge klingen konnten, machte verschiedene Geräusche mit ihnen. Weißt du, wir hatte drei Alben mit Roger produziert und alle drei waren klasse und wir hatten jedes Mal viel Spaß. Aber du kannst mit einem bestimmten Produzenten nur eine bestimmte Entwicklung durchlaufen. Dann musst du etwas Neues einbringen. Also entschieden wir uns nach den drei Alben mit Roger, Manny eine Chance zu geben. Und später nach ihm hatten wir wieder andere Produzenten. Denn...du suchst immer Leute, die dir etwas zeigen können, das du noch nicht kannst oder die in eine Richtung denken, in die du bisher noch nie gedacht hast, oder die neue Ideen für den Sound haben... neue Sichtweisen einbringen. Das muss auch so sein. Ich könnte mir nie vorstellen, 20 Alben mit ein und demselben Produzenten aufzunehmen.
Als wir das Album aufnahmen - "Hair Of The Dog" war die erste Platte, die Manny produzierte - war es, als würden wir uns selbst produzieren. Ich meine, die ganze Band war dabei und brachte Dinge ein. Alle sagten, was sie gerne machen würden, aber Manny war am Ende der, der es abmischte mit den Technikern arbeitete. Aber jeder hat Ideen eingebracht. Das machen wir bis heute so.
Ich denke, auch Manny hatte viel von Roger gelernt. Wir alle haben viel von Rogers Arbeitsweise übernommen. Nur kamen jetzt eben neue Einflüsse dazu.
In dieser ich nenne es mal neuen Ära veränderten sich auch eure Texte. Von oft eher humoristischen Inhalten mit ironischem Unterton zu einer realitätsbezogeneren Sichtweise mit Songs über das echte Leben mit seinen Schattenseiten wie Drogen, Armut, Straßengangs... insgesamt eine härterere und düsterere Sichtweise.
Ay...das ist vor allem Dans Einfluss. Solche Texte hat vor allem Dan geschrieben.
Wurdet ihr darin von der Punk-Bewegung beeinflusst? Oder der Streetpunk-Szene?
Nein, denn eigentlich haben wir das ganze Punk-Ding vollkommen verpasst. Die eigentliche Punk-Phase hat nicht sehr lange angedauert. Als es aufkam, waren wir in Amerika und wir waren recht lange weg. Als wir zurück kamen, hatten sich viele dieser Bands bereits wieder aufgelöst.
Natürlich ist sie nicht vollkommen an uns vorbei gegangen. Wir hatten schon etwas von Bands wie den SEX PISTOLS mitbekommen, aber die eigentliche Punk-Bewegung haben wir verpasst, weil wir schlicht nicht da waren, als es passierte. Deshalb hatte das auf uns auch eigentlich keinen Einfluss. Auch hier gefielen mir die Sounds, die die Bands teilweise hatten, die Aggression und der Punch... nicht so sehr die Songs (lacht).
Aber um auf deine letzte Frage zurück zu kommen: Es war eigentlich immer Dan, der diese realistischen und härteren Texte geschrieben hat. Wenn du solche „Straßen-Texte" bei uns hörst, stammen sie gewöhnlich von ihm. Wie zum Beispiel auch auf unserem aktuellen Album „The Newz" beim Song „The Gathering"...das ist vollkommen anders als die Texte, die Jimmy schreibt, die ich schreibe oder die Lee schreibt. Dan hat immer eher die härteren, dürstereren Texte geschrieben, die sich mit der weniger schönen Seite des Lebens beschäftigen. Aber wir haben immer noch humorvolle Texte, und ich glaube, das mögen die Leute auch an uns.
Wo du das gerade ansprichst: Ich habe gehört, dass „Fat Man" von eurem ersten Album ein Seitenhieb auf BLACK SABBATHs „Iron Man" gewesen sein soll, das ähnlich heavy klingt.
Nein, nein, nein. Wir hatten damals einen Manager... der Typ, der uns damals dazu brachte, das erste Album aufzunehmen, war ein sehr reicher Mann namens Bill Fehilly, ein wirklich gigantischer fetter Typ. Wir wollten ihn mit dem Song ein wenig hoch nehmen. Nicht, dass wir ihn nicht mochten, aber wir wollten ihn ein wenig necken. Darum ging es in dem Stück.
Und eigentlich haben wir auch noch nie einen Song einer anderen Gruppe genommen und uns gesagt: „Lasst uns etwas schreiben, das so klingt wie dieser Song." Was wir aber immer wieder machen... wenn du den Song „Shanghai'd In Shanghai" nimmst... da haben wir uns gesagt: „Laßt es uns so spielen, wie die STONES ihn spielen würden. Wie würden sie es machen?" Wir übernehmen keine Songteile oder so, aber wir überlegen uns, wie der Song von einer anderen Band gespielt klingen könnte. Das machen wir sogar recht häufig. Wie würden CROSBY, STILLS AND NASH diese Nummer spielen, und wir versuchen, wie sie zu denken. Das wäre dann auch so ein Einfluss, von dem du vorhin gesprochen hast. Wir nehmen keine Songs oder Songteile, aber wir versuchen uns den Stil anzueignen und in dem Stil zu spielen. Es macht viel Spaß, für ein paar Songs wie ein ROLLING STONE zu denken.
1980 habt ihr das nächste Mal den Produzentenposten neu vergeben. Dieses Mal erhielten Jeff Baxter und Steely dann von den DOOBIE BROTHERS den Zuschlag.
Ja, das war eine interessante Zeit. Wir mögen die beiden Alben, die wir mit ihnen gemacht haben. „Malice In Wonderland", das erste Album, klingt vollkommen anders als alles, was wir davor gemacht haben. Als es veröffentlicht wurde, waren die alten NAZARETH Fans nicht sicher, was sie davon halten sollten. Wir bekamen eher skeptische Rückmeldungen. Immerhin war das Album davor „No Mean City", eines der härtesten Alben unserer Bandgeschichte. Und dann kamen wir mit so etwas. Ich liebte das Material und den Sound, aber viele Fans waren sich nicht sicher. Aber wenn du sie heute fragst oder auch schon zehn Jahre später, mochten sie das Album. Sie haben etwas Zeit gebraucht, sich damit anzufreunden.
Also wir hatten das („Malice In Wonderland") und nahmen danach noch „The Fool Circle" mit Jeff auf. Und... ich meine... du weißt, wie das ist. Ich bin keine Steely Dan... die DOOBIE BROTHERS haben einfach eine ganz andere Denkweise. Zum Beispiel, als wir uns mit ihm unterhielten und LED ZEPPELIN erwähnten, und er fragte vollkommen fassungslos: „Ihr mögt diese Typen?" Er konnte es nicht fassen, dass jemand diese Art von Musik mögen könnte. Er stand da überhaupt nicht auf harten Rock... er war da fast ein Jazzer. Wir klangen dann also auf diesen beiden Alben nicht so, wie auf früheren Aufnahmen. Und ich denke, das war gut ...
War der neue Sound ein Versuch, einen besseren Stand im US-amerikanischen und kanadischen Markt zu bekommen?
Nein. Ich meine... auf der „Malice In Wonderland" ist ein Song namens „Holyday", der einer unserer größten Hits in den USA wurde und bis heute ist... er ist übrigens nicht mehr in unserer Setlist, weil wir einfach für den Moment genug davon hatten und ihn für diese Tour aus dem Programm genommen haben, aber es ist bis heute eine der Nummern, die am meisten nachgefragt werden. Das war ein riesiger Radiohit in den USA und eigentlich überall. Und den hat er produziert. Oder „Hearts Grown Cold", das wir aktuell auch spielen... das ist einer unserer bekanntesten Songs.
In diesem Moment stürmt eine Gruppe von rund 30 Anzugträgern die Bar. Pete grinst mich an: „Sieht so aus, als gäbe es eine Invasion! Und ich dachte, wir treffen uns hier, damit wir unsere Ruhe haben." Also bleibt uns nur die Flucht in die Lobby des Hotels, wo sich in einer Ecke ein etwas ruhigeren Plätzchen findet.
Hat sich damit eure Basis von Groß Britannien oder Europa an sich in die USA verlagert?
Also, wir haben immer in Schottland gelebt und leben dort bis heute. Aber wir haben in der Zeit hauptsächlich in den USA und Kanada getourt. Wir haben eine Europatour, hauptsächlich in Deutschland, etwa alle 18 Monate eingelegt. So in etwa. Aber hauptsächlich waren wir drüben. Aber da gab es auch die Hallen. Wir hatten dort jeden Abend zehn- bis zwanzigtausend Besucher und selbst, wenn wir hier recht bekannt waren, haben wir hier nie so große Arenen gefüllt. Wir haben in Sporthallen gespielt, aber drüben ist es einfach gigantisch. Und das Management wird einen immer dahin schicken, wo es das meiste Geld zu verdienen gibt.
Aber wenn du mit den Anderen sprichst und die nach ihren Lieblingsländern fragst, was Touren angeht, wird Deutschland immer an erster oder zweiter Stelle stehen. Wir lieben es, in Deutschland und Österreich aufzutreten. Europa, dieser Teil von Europa mit Deutschland, Österreich und der Schweiz, dazu vielleicht noch Holland... in Belgien waren wir nie so groß... in Frankreich hatten wir nicht diese Erfolge, aber Deutschland... Deutschland war auch das erste Land außerhalb von Groß Britannien, in dem wir gespielt haben.
Das ist eigentlich eine lustige Geschichte: Wir haben damals in Nürnberg gespielt und wurden von der Bühne gebuht. Wir haben für RORY GALLAGHER eröffnet, und wir hörten das Publikum pfeifen und dachten: „Hey, die freuen sich auf das Konzert." Und da war ein Typ von der Bravo Backstage und der meinte: „Wenn das Publikum in Deutschland pfeift, ist das kein gutes Zeichen."
Und wir waren damals total auf Glam getrimmt. Wir hatten Plateauschuhe, überall Sterne, rote Hosen, Fransen... und das war RORY GALLAGHERs Publikum und RORY war ein Jeans-Typ. Wir kamen auf die Bühne und da waren 2500 Leute, die uns auspfiffen und Gegenstände nach uns warfen. Und das ist witzig, denn wir waren gestern in Nürnberg und das ist heute eine der besten Städte für uns. Und wir dachten uns nur: „Wenn ihr wüsstet..." (lacht)
In den frühen 80ern hieß es oft über euch, dass ihr auf Platte wie nette Jungs klingen, aber auf der Bühne wie böse Jungs aussehen würdet.
Keine Ahnung, wie das kam. Wir wären sicher keine Band für MVT gewesen (lacht). Wir hatten auch eigentlich nie ein richtiges Image. Einige Bands haben ja ein sehr festgelegtes Image und es ist klar, dass sie bestimmte Dinge tun oder auf keinen Fall tun werden. Das gab es über uns eigentlich nie in der Presse.
Ihr hattet den größten kommerziellen Erfolg mit Singles, die oft sehr balladesk waren, während eure Alben und eure Konzerte eine andere Seite zeigten. Und jemand, der vor allem die Singles kannte, war vielleicht überrascht...
Das ist schon komisch. Als wir "Love Hurts" veröffentlichten (der Song erschien in Europa ausschließlich als Single, war aber Teil der US Version des „Hair Of The Dog" Albums, das ursprünglich „Son Of A Bitch" heißen sollte) wurde es ein riesiger Erfolg. Jetzt hatten wir das Album mit diesem Song und gleichzeitig „Hair Of The Dog" (sowohl Album- als auch Songtitel wurden geändert, der Text blieb aber bestehen) und Leute hörten im Radio „Love Hurts", kauften vielleicht die Single und kauften dann das Album und hörten „Whiskey Drinking Woman" und „Son Of A Bitch" und wussten nicht, dass wir nicht nur Balladen singen würden...
Das ist überall so... in Brasilien lieben sie die Band, aber am meisten eben das, was auch im Radio gespielt wird, und das sind vor allem die Balladen. Wir hatten da mit den Balladen Top10 Plätze und das ist es, was sie dann von uns erwarten.
Die 80er waren eben die Zeit, in der die Single langsam wichtiger wurde, als das Album.
Eigentlich hofft man ja, dass jemand, dem die Single gefällt, dann das Album kauft. Aber wenn du dann das Album hörst und denkst: „Hey, das klingt aber gar nicht wie der andere Song..." (lacht)
1983 wurdet ihr von A&M fallen gelassen und kurz danach von MCA, die sich nie wirklich um euch gekümmert haben...
Pfff...wir haben für die nur ein Album gemacht, „Sound Elexir", und ich habe in der Zeit nicht eine Person von dieser Plattenfirma getroffen. Ich meine... die Zeit der großen Plattenverkäufe für uns und Bands wie unsere in den USA waren vorbei. Anderen ging es genau so. Die Plattenfirmen suchten jüngere Bands und verloren das Interesse an den Bands, die seit den 70ern aktiv waren, weil die sich einfach kaum noch verkauften. Es schien fast egal zu sein, was für ein Album man aufgenommen hat, man hat einfach nichts verkauft, weil die Musik nicht mehr im Radio gespielt wurde. Und wenn du nicht im Radiogespielt wirst, verkaufst du keine Platten.
Mit "Cinema" seid ihr dann 1986 wieder mehr in die Richtung eures alten Sounds gegangen.
"Cinema" war eine Produktion mit einem amerikanischen Produzenten... ein junger Kerl, der uns einfach eine Art jüngeren Blickwinkel auf unsere Musik geben sollte. Er sollte uns sagen, wie er unsere Musik sah. Und mir gefiel es, ich denke, „Cinema" ist ein gutes Album. Es hatte alle unsere Trademarks, aber es war vor allem ein härteres Albums als die davor. Wenn du „The Catch" hörst... dagegen war „Cinema" sehr viel heavier, mit Nummern wie „White Boy", dem Titelsong oder „Salty, Salty"... mir gefiel das Album und ich hatte Spaß bei den Aufnahmen.
Die späten 80er und eigentlich die ganzen 90er werden oft als eine schwierige Phase für den Hard Rock bezeichnet.
Die 80er waren wirklich schrecklich. Da kamen Bewegungen wie die New Romantics und wie sie sich alle genannt haben, mit den vielen neuen Bands. In den 90ern wurde es besser, als langsam wieder Gitarrenbands nach oben kamen... im Gegensatz zu diesem ganzen Techno und so. Bands wie OASIS... gitarrenorientierte Bands wie GUNS N'ROSES.
Diese Bands hatten eine Menge Presse und wurden gefragt, wo ihre Einflüssen lagen und welche Bands sie selbst hören, und dann kamen eben auch NAZARETH und ihre Fans fingen dann auch an, sich für uns zu interessieren. Wir gewannen also in den 90ern neue Hörer.
Dann wart ihr also nicht negativ von der Grunge-Bewegung in der ersten Hälfte des Jahrzehnts betroffen?
Nein, würde ich nicht sagen. Ich mochte Bands wie NIRVANA, weil sie wieder echte Rockmusik spielten und die Leute dahin zurück brachten, und deshalb letztendlich auch uns. Klar haben die mit wenigen Akkorden gearbeitet... sagen wir, sie klangen nicht wie YES, aber mit denen konnte ich auch nie viel anfangen. (lacht)
Damit sind wir eigentlich in der Gegenwart angekommen und wenden uns den „Newz" zu. Es dauerte neun Jahre seit eurem letzten Album „Boogaloo", um ein neues Album aufzunehmen. Warum diese lange Pause?
Die Wahrheit ist, dass sich schlicht keine Plattenfirma gefunden hat, die ein Album von uns veröffentlichen wollte. Keiner hatte Interesse an einem neuen NAZARETH Album. Es war eine lange Zeit, aber das Lustige ist, dass wir jetzt, nachdem das Album erschienen ist, die besten Kritiken für irgendein Album unserer ganzen Karriere bekommen haben. Und jetzt sind plötzlich verschiedene Plattenfirmen an einem neuen Album interessiert. Wir hatten neun Jahre Zeit, um Material für das letzte zu schreiben, und jetzt hätten sie am liebsten nächste Woche eine neue Platte von uns.
Ich finde, „The Newz" klingt ziemlich zeitgemäß und modern. Dann gibt es aber auch Songs, die sehr 70er-lastig klingen. Sollte es eine Art Überblick über alle Phasen eurer Karriere sein?
So in etwa. Wir hatten einen sehr jungen Produzenten, gerade 27 Jahre alt, aus der französischen Schweiz. Er spielt selbst in einer Band und hat auch mit uns etwas gespielt und brachte seine Sichtweise über Musik und Sound in das Album ein. Er arbeitet ja da mit sehr viel älteren Typen zusammen, und wir hatten auch unsere Sicht auf Musik. Und der Sound ist eine Mischung aus beidem.
Wir wollten einen Sound, der in seiner Basis sehr stark nach den 70er klingt, und wir sind sehr glücklich mit dem Ergebnis. Um ehrlich zu sein, bin ich eher besorgt, ob wir mit der nächsten Produktion mit diesem Album mithalten können. Ich weiß es nicht, denn ich glaube „The Newz" ist eine der besten Arbeiten unseres Lebens.
Ich hatte hin und wieder das Gefühl, der Sound könnte ruhig noch etwas heavier werden. Teilweise hat man Songs und Arrangements, die ziemlich hart sind, aber die Produktion hält nicht Schritt, als wäre die Handbremse angezogen.
Du hast Songs wie „Liar", „The Thinking", „The Gathering"... alle ziemlich heavy. Dann hast du Nummer wie "Road Trip", die einfach Spaß machen. „See Me"... das wäre wieder so eine CROSBY, STILLS AND NASH Numer...
Habt ihr dann bei „Going Loco" an die RED HOT CHILI PEPPERS gedacht?
Das ist das, was du darin hörst. Ich kenne gar nicht all zu viel von ihnen. Ich weiß, wer sie sind, aber ich kenne kaum Musik von ihnen. Ich weiß nicht, ob es nach ihnen klingt. Vielleicht tut es das, und vielleicht sollte ich anfangen, etwas von ihnen zu hören. (lacht)
Wo siehst du NAZARETH heute? Einige Bands aus den 70ern und 80ern sind heute größer als damals. Ihr spielt seit vielen Jahren wieder in mittelgroßen Clubs.
Ich denke, wir sind auf einem guten Level. Es ist ein angenehmes Level. Wir spielen hier in Clubs, spielen immer noch viele Festivals, was uns unheimlich viel Spaß macht. In Kanada spielen wir in den großen Casinos, wo die meisten Bands spielen, und in Brasilien in Theatern und Sporthallen. In jedem Land ist es etwas anders.
Wir könnten sicher heute nicht losziehen und die Olympiahalle in München füllen. Aber zum Beispiel in Russland sind wir ziemlich groß und spielen in großen Hallen. Wir haben einen sehr angenehmen Punkt in unserem Leben erreicht, an dem wir immer ein gutes Publikum haben, und so lange wir vernünftig spielen auch gute Reaktionen ernten.
Es kommen immer noch junge Leute zu unseren Konzerten, die zwar unsere Platten gehört haben aber nicht wissen, was sie auf der Bühne von uns erwarten können. Keine Ahnung, ob die ihren Vätern die Platten geklaut haben (lacht), aber es funktioniert. Auf der anderen Seite hast du die alten Fans, die uns schon oft gesehen haben und wissen, was sie erwarten können. Und wir wissen, was sie erwarten (lacht). Wir haben ein sehr gemischtes Publikum.
Wo siehst du heute eure Basis? Ist es Europa und speziell Mitteleuropa und Osteuropa?
Ja, Europa und Osteuropa...m aber in Osteuropa spielen heute auch alle anderen, seit die Grenzen offen sind. Ja, ganz Europa, weit mehr als die USA. Kanada läuft auch recht gut. Wie können da jedes Jahr eine Tour von etwa sechs Wochen machen.
Manchmal spielen wir auch nur an den Wochenenden... zwei oder drei Konzerte, und das war es erstmal. Polen, die Tschechische Republik... wir spielen auch dort recht viel, auch Rumänien, die Ukraine, Lettland. In Osteuropa läuft es immer noch gut für uns, genau wie hier in Deutschland.
Was sind eure Pläne für die nächste Zeit?
Wir touren dieses Jahr sehr viel. Dann wäre es schön, ein neues Album aufzunehmen. Wir haben ein bisschen Material, aber wir müssen erst anfangen, wirklich zu schreiben. Ich glaube aber nicht, dass es dieses Jahr noch etwas werden kann, wir haben einfach nicht die Zeit, es vorzubereiten. Aber vielleicht oder hoffentlich können wir Anfang nächsten Jahres ins Studio gehen. Länger würde ich eigentlich ungern warten. Wir haben auch noch gute Songs, für die auf dem letzte Album kein Platz mehr war. Aber ich denke, 2010 könnte es ein neues Album geben.
Ich wäre so weit fertig. Hast du irgendwelche letzten Worte für unsere Leser?
Keine letzten Worte. Das klingt ja so, als würde ich gleich den Löffel abgeben. (lacht)
http://www.nazarethdirect.co.uk/nazareth/
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