PLACENTA haben 2013 mit „Missgunst und Neid“ ihr erstes komplett auf Deutsch gesungenes Album abgeliefert. Wie es dazu gekommen ist und was es mit dem Auftritt bei ProSieben auf sich hatte, fragten wir Schlagzeuger Tobi Stein.
Hallo Tobias und herzlichen Glückwunsch zu eurem, meiner Meinung nach, sehr guten Werk. Wie sind die bisherigen Resonanzen zu „Missgunst und Neid“ ausgefallen?
Vielen Dank für die Blumen. Die Resonanzen waren bisher überwiegend sehr gut!
Wie sehr schert ihr euch um dieses Echo, positiv wie negativ?
Die positiven Resonanzen sind sehr wichtig, um eine Bestätigung dafür zu bekommen, dass auch andere die Begeisterung für unser Album teilen. Die negativen hingegen regen einen oft ziemlich auf, machen dir aber auch immer wieder bewusst, wie differenziert die Wahrnehmung von Musik beim Hörer funktioniert. Dabei sind die manchmal arg unreflektierten Aussagen vermeintlich qualifizierter Musikrezensenten besonders schockierend.
Wir sind mit der neuen Scheibe sehr zufrieden. Wir kommen unserem musikalischen Ideal immer näher. Und das, obwohl man sich nach jedem Release wieder fragt, ob das jetzt das Optimum war.
Ist der Titel eures Werkes zufällig entstanden oder steckt da eine Botschaft hinter, was sich ja vermuten lässt?
Der Titel ist zum einen vom Text eines Theaterstücks inspiriert, hat aber auch eine Bedeutung für uns. Missgunst und Neid sind für uns stetige Begleiter im Musikbusiness, sowohl in aktiver, als auch in passiver Form. Man kann sich davon nie ganz befreien.
Erzähl doch bitte etwas über den Entstehungsprozess eurer Songs.
Im Grunde läuft das ziemlich unspektakulär ab. Sobald es mich wieder in den Fingern juckt, oder sich die alten Songs langsam abgespielt anfühlen, fange ich an, nach Inspiration zu suchen. Sobald ich die ersten Ideen für neue Songs entwickelt habe, entsteht meistens eine Art motivierende Eigendynamik und ich überlege, in welche Richtung ich stilistisch gehen möchte. Ich schalte dann in den „Kompositions-Modus“ und beschäftige mich so oft ich kann damit, Songs zu schreiben. Das läuft meistens im Kopf ab, nebenbei, in der Bahn, wann immer mir etwas einfällt, schreibe ich es auf.
Bei der nächsten Gelegenheit probiere ich die Riffs und Beats im Proberaum aus und werkel so lange an einem Song, bis ich absolut zufrieden bin. Der Kompositionsprozess geht einem dabei nicht immer leicht von der Hand – es ist oft ziemlich schwierig und fordert ein hohes Maß an geistiger Hingabe. Haben die Ideen eine gewisse Form angenommen, nehme ich Demos auf und spiele sie meinen Jungs vor. Ab da basteln wir zusammen, bis alle zufrieden sind.
Was für Kriterien muss ein Song haben, damit er in das PLACENTA Repertoire aufgenommen werden darf?
Eigentlich wird jeder neue Song ins Repertoire aufgenommen. Schließlich werden Ideen, die nicht gut genug sind, gar nicht erst zu Songs verarbeitet. Eine Arbeitsweise, wie bei anderen Bands, die haufenweise Zeug schreiben, um dann die Hälfte wegzuschmeißen, kann ich nicht nachvollziehen. Man merkt meistens bereits im Schreibprozess, ob eine Sache richtig geil ist oder nicht.
Begonnen habt ihr ja damals mit einem anderen musikalischen Schwerpunkt. Wieso Punk?
Das war zum einen die Musik, aber zum anderen auch die Lebenseinstellung, die uns damals als Jugendliche begeistert hat. Wir waren jung und rebellisch, wollten rumalbern und provozieren. Auch der vergleichsweise niedrige technische Anspruch kam uns entgegen. Punk und Alternative Rock waren rückblickend betrachtet ein sehr gesunder Einstieg in das Musikerschaffen.
Wie kam der musikalische Wandel zustande?
Das passierte ganz automatisch im Rahmen unserer musikalischen Sozialisation. Man entdeckt ständig neue Musik, die einen begeistert und inspiriert. Dadurch wuchs zunächst der technische, später vermehrt der kompositorische Anspruch, was sich natürlich auch stilistisch widerspiegelt.
Dieser Wandel fand ja beinahe zeitgleich mit der Welle des aufkommenden Deathcore statt. Da könnte man ja auf die Idee kommen, euch ein gewisses Kalkül zu unterstellen ...
Wie viele andere waren wir natürlich auch von der Ästhetik des jungen Deathcore fasziniert. Allerdings hatten wir immer den Anspruch an uns selbst, eine stilistische Eigenständigkeit zu bewahren. Abgesehen davon zählt für uns immer nur, worauf wir Bock haben, nicht womit wir eventuell Erfolg haben könnten.
Warum der Wandel überhaupt zu genau dieser Zeit?
Wir haben bisher bei jeder Veröffentlichung einen Wandel vollzogen. Bei "Brutalis" war dieser vielleicht offensichtlicher, da die Platte gezielt konzeptionell und kompromisslos angelegt war. Ich würde dem Umstand ansonsten keine besondere Bedeutung zumessen. Es gibt immer wieder Leute, die denken, sie hätten einen signifikanten Wandel bemerkt. Diese Leute haben sich aber nicht mit unserem gesamten Schaffen auseinandergesetzt. Bei uns gab es schon Clean Vocals, bevor es Blast Beats gab ...
... und was soll "Honic Melonic Death Metal" bitte eigentlich genau sein?
Das stammt aus dem Hirn unseres Ex-Klampfers Jens und ist eine humoristische Verwurstung von Melodic Death Metal. Musikstilistisch ist es quasi zuckersüßer Honigmelonen-Death Metal.
Kommen wir zu euren Texten. Die sind ja immer ein wenig speziel – witzig, aber dennoch teilweise kritisch. Ist das auf dem neuen Werk auch wieder so?
Das kann man schon sagen. Prinzipiell beschäftigt uns natürlich auch unsere Gesellschaft. Allerdings wollen wir mittlerweile nicht mehr anprangern oder belehren, sondern primär unterhalten. Wenn sich dann noch beides kombinieren lässt, umso besser.
Und warum befinden sich auf „Missgunst und Neid“ keine englischsprachigen Songs bzw. Texte?
Sven (Berlin - Gesang) hatte einfach mal Lust, sich in seiner Muttersprache auszudrücken. Das hat zum einen den Vorteil, dass wir unser vorwiegend deutsches Zielpublikum viel besser erreichen können und zum anderen, dass man sich viel gewählter ausdrücken kann und bspw. ein Wortwitz viel besser funktioniert. Natürlich ist damit auch eine gewisse Herausforderung verbunden, da es viel schwieriger ist, deutsche Texte zu verfassen, die nicht peinlich oder „deutsch“ klingen. Da hilft es, sich an der Ästhetik von deutschem HipHop zu orientieren.
Können wir ab jetzt nur noch deutsche Texte erwarten?
Prinzipiell wollen wir uns nie festlegen. Es hat auf diesem Album gut funktioniert und verleiht der Musik eine neue Identifikationsdimension. Von daher, warum nicht?
Womit wir dann auch schon bei dem sonderbaren Songtitel "Jure Joskan" wären. Googelt man die beiden Worte, spuckt einem das Internet den Namen eines kleinen Ausflugschiffes in Kroatien aus. Handelt der Song wirklich von diesem Kahn?
Sven war im Sommerurlaub in Kroatien und hat sich von der heimischen Mythologie inspirieren lassen. Die Legende bot sich an, um die behandelte Thematik zu umschmücken.
Dann gibt's noch „Sretan Put“ – übersetzt aus dem kroatischen: "Gute Reise!" Was ist da los?
Wieder eine Kooperation von Svens unergründlichen geistigen Ergüssen und der sommerlichen Mittelmeer-Romantik.
Ich gehe mal davon aus, dass ihr mit dem Song ‚Baroness‘ ein wenig die deutsche TV-Kultur mit "Bauer sucht Frau" etc. auf den Arm nehmen wollt und kritisiert.
Unter anderem ...
Dann müsst ihr euch die Frage gefallen lassen, warum ihr bei der unglaublich miesen ProSieben Sendung „Clash! Boom! Bang!“ mit dabei und an der Seite von Pietro Lombardi zu sehen wart?
Wir sind prinzipiell für jeden Spaß zu haben. Als man uns fragte, ob wir Lust hätten, Teil einer ProSieben Show zu sein, sagten wir natürlich nicht nein. Der Belustigungswert einer solchen auf die Konsumgewohnheiten des Zielpublikums zugeschnittenen Unterhaltungs-Show übersteigt natürlich ihren Inhaltswert bei weitem, es war jedoch für uns eine großartige Erfahrung und nebenbei sehr lustig. Und wir waren im Fernsehen, haha!
Ihr befindet euch mittlerweile in einer, ich nenne es mal "häufiger anzutreffenden" Musiksparte. Habt ihr da nicht Angst, im Einheitsbrei unterzugehen?
Ich glaube, Popmusiker haben da ein viel größeres Problem. Metal ist und bleibt Nischen-Musik. Bisher ist es uns, denke ich, ganz gut gelungen, uns abzuheben.
Ok, dann anders gefragt, was macht euch, eurer Meinung nach, besonders oder anders und hebt euch dadurch von anderen Bands ab?
Wir haben einen unverkennbaren eigenen Stil. Dazu kommt noch der berüchtigte PLACENTA-Humor und ein gesunder Sicherheitsabstand zum Trend.
Meinen Ohren nach höre ich bei dem Song „Jure Joskan“ zu Beginn Herbert Grönemeyer. Wie kam denn diese Idee oder „Zusammenarbeit“ zustande, haha?
Wenn wir schonmal im Studio sind, wollen wir auch alle Möglichkeiten ausschöpfen ... haha!
Ihr seid mittlerweile bei dem Bielefelder Label Noizgate Records. Wie geht es euch dort?
Wir sind sehr zufrieden. Noizgate bietet uns eine gute Unterstützung bei absoluter künstlerischer Freiheit. Wir wurden 2009 vom Chef angeschrieben. Wir waren auf Labelsuche und das Angebot passte.
Generell steht damit ja auch die Frage im Raum, was eure Zukunft angeht. Schon irgendwelche Vorstellungen, wie die aussehen soll oder sollte?
Grundsätzlich geht es jetzt erstmal darum, das Album optimal zu promoten. Die Festival Bewerbung läuft, getourt wird, wie es die Zeit zulässt. Wir machen weiter und genießen das Musikmachen.
Was rotiert bei euch momentan in den Playern?
Weihnachtslieder!
Habt ihr irgendwelche musikalischen Tipps an die Leser?
Kleine Horizonterweiterung: HgIchT
Vielen Dank für die Antworten. Die berühmten letzten Worte gehören euch!
Und was am Ende bleibt, das ist der Schmerz nach mehr.
Verzage nicht mein Freund, Gewissheit – Wiederkehr.
Und vielen Dank für die tollen Fragen!
p.s. Die Band stellt momentan eine Tour auf die Beine und sucht noch Auftrittsmöglichkeiten. Wenn ihr PLACENTA also mal in eurer Nähe live erleben wollt, einfach dazu die Jungs auf ihrer Facebook-Seite kontaktieren.
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Arne
Stile: Postcore, Deathmetal, Sludge, Hardcore
Bands: Machine Head, Kylesa, Ryker's, Lionheart, Johnny Cash, Cult of Luna, The Ocean, Deserted Fear, TLUF