Geschrieben von Sonntag, 16 Februar 2014 13:38

My Cold Embrace – Interview zu „Earth Exhausted“

Kassel hat nicht nur die "Documenta", den Herkules oder den ICE-Bahnhof – seit vielen Jahren rumpelt es gewaltig im musikalischen Untergrund. MY COLD EMBRACE gehören seit Ende der Neunziger dazu und ihr neuester Death Metal-Output "Earth Exhausted" war uns Anlass, Sänger Den und Gitarrist Dirk nach dem werten Befinden zu fragen.

Servus zusammen. Wie geht's euch zurzeit?

Den: Im echten Leben würde ich jetzt "Gut, und selbst?" und Du anschließend "Auch, danke" sagen. Und dann folgt normalerweise minutenlanges Schweigen. Spaß beiseite, wir können uns gerade echt nicht beschweren. Nach einem arbeitsreichen Herbst haben wir mit unserer veränderten Besetzung jetzt endlich wieder Liveformat erreicht. Und während wir auch 2014 wieder möglichst viele Bühnen zerholzen wollen, sind wir mit voller Motivation schon wieder dabei, Songs zu schreiben. Das alles noch zwischen unsere privaten Vorhaben und Pflichten zu quetschen, ist in den letzten Jahren sicher nicht einfacher geworden. Aber wir sind alle mit Herzblut dabei, und solange das der Fall ist, mache ich mir keine Sorgen.

Dirk: Heho, danke der Nachfrage. Glücklich, solide, stabil sind wohl die geeigneten Adjektive. Alles cool, danke, dass wir uns interviewtechnisch bei euch auslassen dürfen, das macht Laune!

Euch gibt es jetzt seit 15 Jahren. Natürlich gab es Höhen und Tiefen. Doch stellt eure Geschichte einfach mal kurz vor und erzählt, wieso ihr überhaupt angefangen habt, Death Metal zu spielen.

Dirk: Wenn man es ganz pingelig sieht, sind wir ja 1998 als Black Metal Band (wir spielten ein Konzert unter dem Banner HELFENSTEIN) gestartet, mussten aber sehr schnell feststellen, dass wir uns nur schwer verbiegen können und einfach immer „nur" Death Metal bei uns herauskommt.
Als wir mit unserer Musik starteten, hatten wir gerade mal so die RUNNIND WILD und BLIND GUARDIAN Phasen hinter uns gelassen. DARK THRONE, IMMORTAL, EMPEROR, DARK FUNERAL und all die anderen Schwarzheimer waren für uns natürlich unglaublich attraktiv, weil es zunächst erstmal (scheinbar) nichts Wilderes und Böseres gab und die Steigerung zu RUNNIND WILD schon mal immens war.

Spielerisch ist es aber auch einfach 'ne Spur zu langweilig, stundenlang schwarzmetallisch abzuschreddern. Klar, dass die frühen IN FLAMES, CHILDREN OF BODOM, PARADISE LOST oder NIGHT IN GALES sich Ende der Neunziger schnell als noch wichtigere Einflüsse herauskristallisierten, denn – musikalische Gewalt in allen Ehren – ein guter Song braucht eben immer noch ordentlich Melodien und Anspruch.

Nach zwei, drei Jahren der Findung hat dann auch die Punk/HC/Crust Attitüde (DIY, ANTIFASCIST etc.) bei uns derart Einfluss genommen, dass wir heute eben als melodische Death Metal Band dastehen, die durchaus noch die ein oder andere Black Metal-Wurzel besitzt, dann doch aber auch eine gewisse Punk/HC/Crust-Ethik transportiert. Mit all den Alben, Touren und Besetzungswechseln, die im Netz reichlich dokumentiert zu finden sind, will ich jetzt eure Leser mal nicht weiter quälen.

Ihr nennt euch auch „Death Metal Legion Cassel". Gibt es einen Zusammenhang zwischen der nordhessischen Stadt und dem Musikstil?

Den: Kassel kennen die meisten ja irgendwie nur vom Vorbeifahren, dabei hat die Stadt schon lange eine recht vitale Szene. Viele altgediente deutsche Undergroundbands wie BURDEN OF GRIEF oder REAPER haben hier ihre Wurzeln, aber auch junge Bands wie PROMETHEAN FIRE oder DARK RAGE mischen den Laden hier ordentlich auf. Dazu kommt eine lebendige Reihe von Veranstaltern, die lokalen und Bands von außerhalb die nötigen Plattformen bieten. Das hat Kassel in den letzten zehn Jahren zurück auf die Landkarte vieler Metalheads aus anderen Regionen, aber auch aufs Radar der überregionalen Booker und größeren Bands gebracht. Wir waren stets immer sehr offensiv damit, woher wir kommen, und wer es mal erlebt, wird verstehen, weshalb.

Dirk: Alter, klar! Wir proben in einer alten Stahlschmiede (hier wurden Eisenbahnen gebaut), das ist ja wohl true und noch dazu klare Kasselaffinität, waren doch die Fabriken dereinst Hauptursache für die völlige Zerbombung Kassels durch die Amerikaner. Unser Proberaum liegt direkt neben Kraus-Maffay-Wegmann und wenn du nicht aufpasst, rauschst du beim Abbiegen direkt in einen frisch gebauten Panzer. Death Metal machine!

Im Übrigen liegt unsere Basis auf der Wolfhager Straße in Kassel (quasi unsere „Herbertstraße" – berühmte Rotlicht-Straße in Hamburg, Anm. d. Red.). Aus dem Fenster schauen wir direkt auf den Straßenstrich Kassels. Gibt es also irgendeinen cooleren Proberaum und mehr hörbaren Lokalkolorit als diesen? Wobei ... als wir damals noch in einer alten Strickwarenfabrik geprobt haben, spielten wir ja auch keine Alternative-Scheiße für Bart-Jutebeutel-Strickpulli-Hipsters ... egal! Cassel Death Metal! Titten und Panzer!

Was macht euch mehr Spaß: sich neue Musik auszudenken oder live auf der Bühne zu stehen?

Den: Das lässt sich schwer sagen. Aber unterm Strich sind es doch die Live-Shows, die uns motiviert halten. Man bekommt die ungeschönte Reaktion der Leute, und die wiederum erleben unsere Musik gnadenlos und direkt. Neue Songs zu schreiben macht massiv Laune, ist aber auch richtig Arbeit. Vor allem dann, wenn einen die berühmte Muse mal nicht küsst und man auf der Stelle tritt. Wenn das neue Material aber einmal steht und sich vollends entfaltet, ist es stets ein Highlight und jede Mühe wert.

Dirk: Das lässt sich eigentlich nur schwer trennen. Mir macht's auch Spaß, mal ein Interview wie dieses zu beantworten oder an Coverlayouts zu feilen. Das Ganze ist einfach ein toller, krasser, kreativer Gesamtmix, der sehr glücklich macht. Aber Den hat schon recht: Auf der Bühne bekommst du die direkte, ehrliche Rückmeldung. Schwitzende, headbangende Kids vor der Bühne sind einfach die schönste und ehrlichste Belohnung für all deine Mühen.

Ihr habt schon einige Bühnen geentert. Welches war denn euer verrücktestes Erlebnis bei einem Konzert?

Dirk: Darüber lässt sich bald ein Buch schreiben. Seien es Stromschläge, Hüpfburgen vor der Bühne samt flüchtender Mütter mit Kinderwägen, geklaute Instrumente, unser Drummer unten ohne als Festivalflitzer oder weiß der Geier.
Bei einem unserer Konzerte ging es mal so wild zu, dass sich ein Headbanger die Schulter brach, er aber unbedingt noch den Rest der Show sehen musste, bevor es ins Krankenhaus ging. Später schrieb er uns an, dass unsere letzte Show recht geil gewesen sei, wir aber aufgrund seiner gebrochenen Schulter mal mindestens eine Supportshow für seine eigene Band zu spielen hätten, was wir natürlich gerne gemacht haben. Gruß an den „Neffen" und "Celebrate Hate" an dieser Stelle, haha!

Nun zu der aktuellen EP "Earth Exhausted". Es scheint um den Tod und die Seefahrt zu gehen. Hier brauche ich etwas mehr Erklärung.

Den: Die Seefahrerei ist eigentlich nur ein Stilmittel. Ich wollte ja keine Piratengeschichte erzählen. Und der Tod ... ist eigentlich auch nur ein Werkzeug. Vielmehr geht es um Wiedergeburt. Wenn auch nicht um unsere, sondern um die unseres geschundenen Planeten, der sich gegen uns erhebt, um sich selbst zu heilen. Dazu bedient er sich einer menschlichen Hülle, als Sprachrohr und Racheengel zugleich. „Earth Exhausted" erzählt so was wie die Vorgeschichte dazu, das eigentliche Ereignis haben wir uns für die nächste Langrille aufgehoben.

Ich finde, musikalisch seid ihr innerhalb des Death Metals schön variabel. Zum Beispiel finde ich Tanz-Rhythmen, sehr aggressiven Gesang oder Eingängiges zum Abrocken. Was habe ich da vergessen? Welche Einflüsse spielen bei euch eine Rolle?

Dirk: Siehe oben. Fassen wir zusammen: Death Metal plus X! Titten und Panzer!

Gibt es Elemente, die niemals in eurer Musik vorkommen dürften oder ist alles erlaubt?

Den: Kategorisch ausgeschlossen ist eigentlich nichts. Aber gewisse Elemente werden wir wohl nie in Betracht ziehen, einfach weil es uns nicht gefällt. Und diverse Experimente wie Geige, Bratsche und weiblichen Gesang haben wir ja schon durch. Von daher will ich nicht sagen, dass uns nicht nochmal was Abgefahrenes einfällt.

Dirk: Ich bin mir sehr sicher, dass bei Reggae und Ska Schluss ist, da bekomme ich den Ober-Ohrenkrebs ...

Jetzt zu etwas völlig anderem. Hier dürft ihr jeweils nur eine Sache auswählen:
- Deftige Wurst oder saftiger Salat?
- Ballermann oder die europäischen Kulturhauptstädte 2014, Umea und Riga?
- Bungeejumping oder Schach?

Den: Die Antworten fallen mir leicht. Zunächst die Wurst, allein weil die nordhessische Ahle Wurscht mit das Leckerste ist, was man auf der Welt bekommt. Dann in jedem Fall die Kulturhauptstädte. In Riga war ich vor einigen Jahren, und es war eine sehr intensive Erfahrung. Damals haben wir per Bus das gesamte Baltikum bereist. Kann ich jedem nur empfehlen. Ist eine Ecke der Welt, die man nur selten auf den Schirm bekommt, aber es lohnt sich. Und zum Schluss würde ich sagen: Bungeespringen, während ich Schach spiele. Matt!

Dirk: Studentenfutter, Hamburg und Kletterpark wäre mir am liebsten!

Wie sehen denn eure Pläne für das Jahr 2014 aus? Habt ihr schon was vor?

Dirk: Mehr machen, weniger labern. Mehr Bauchgefühl und gesundes Vertrauen in die Band stecken und einfach wieder mal mehr wachsen lassen, abrocken, Spaß haben und genießen, anstatt zu viel kaputt zu reden und nichts zu leisten.

Den: Zurück auf die Bühne und als Band dort zusammenzuwachsen, steht sehr weit oben auf der Liste. Und dann gilt es natürlich, den Nachfolger zu „Earth Exhausted" auszufeilen. Zum nächsten Output soll und darf es nicht wieder fünf Jahre dauern. Die Leute dachten ja schon, dass wir uns aufgelöst hätten ...

Herzlichen Dank für das Interview! Wenn ihr noch etwas sagen wollt, sagt es hier und jetzt:

Dirk: Szene sauber halten! Nazis rauswerfen! Schaut mal bei uns im Netz oder bei einer Show auf ein Bier vorbei. Von Herzen Dank für deinen nicht selbstverständlichen Support durch ein Interview, das bedeutet uns eine ganze Menge. Danke!

Den: Leute, achtet auf eure Szene! Nicht auf allem, wo Metal drauf steht, ist auch wirklich noch ein Metal-Herz drin. Ausverkauf ist mehr denn je die Regel, und der wahre Untergrund geht in diesem Marketing- und Kommerzsumpf langsam aber sicher unter. Deswegen schafft euch Bewusstsein für all jene, die ihr unterstützt und sagt "Nein" zu Pay-2-Play-Konzepten, Bandcontests und Internetvotings!

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Manuel

"Größtenteils harmlos."