Hi Joe, wie fühlt ihr euch in Deutschland?
Sehr gut. Aber überraschenderweise haben wir es hier in Deutschland am schwersten von allen Ländern. Das war schon so als wir mit IN FLAMES auf Tour gingen. Sie sind hier sehr groß, aber für uns hat es nicht so gut funktioniert. Ich weiß nicht, woran es liegt. Wir waren lange zusammen auf Tour, auch in Ländern, wo wir selber noch nicht waren. Deshalb haben wir uns sehr darauf gefreut. Für IN FLAMES war es ein Siegeszug und für uns lief es eigentlich auch super. Es kamen viele Gojira-Fans, aber auch die IN-FLAMES-Anhänger haben uns sehr gut aufgenommen, in England, in Spanien, in Italien - außer hier in Deutschland, wo das Publikum sehr kühl auf uns reagiert hat. Für mich bleibt das nach wie vor ein Rätsel.
Als wir dann die diesjährigen Shows in Deutschland für unsere Headliner-Tour gebucht haben, waren unsere Erwartungen nicht besonders hoch. Nicht zu unrecht, denn in manchen Städten lief der Vorverkauf miserabel, zum Teil wurden nur 20 Karten bestellt. Wir mussten zwar erst kräftig schlucken, aber hinterher kamen doch noch viele, die ihre Karten erst an der Abendkasse gekauft hatten. Zwischen 150 und 300 Zuschauer kommen auf dieser Deutschland-Tour zu unseren Konzerten. Nicht viele, aber diese Fans sind sehr, sehr enthusiastisch, deshalb haben wir trotzdem einen sehr positiven Eindruck.
Frank Zappa hat einmal gesagt: „Über Musik zu schreiben ist wie über Architektur zu tanzen." Da eure Musik meiner Meinung nach sowieso für sich selbst spricht und sich jeglicher Kategorisierung entzieht, möchte ich mit dir lieber über eure inhaltliche Seite sprechen.
Klar, gerne!
Die Lyrics auf „The Way Of All Flesh" sind sehr spirituell. Einige davon scheinen aus Erfahrungen der Meditation bzw. höheren Bewusstseinszuständen zu resultieren. Glaubst du, dass Hörer Texte wie in „Oroborus", „Esoteric Surgery", „Vacuity" oder „The Way of all Flesh" verstehen können, ohne mit Meditation oder zumindest östlicher Philosophie vertraut zu sein?
Ja, ich glaube schon, dass jeder das Thema des jeweiligen Songs verstehen kann. Ich versuche auch immer Platz für eigene Interpretationen oder Phantasien zuzulassen. Manchmal frage ich mich aber auch, was zum Henker ich da schreibe. Aber letztendlich ist es Poesie und es geht um die Energie, die die Musik vermitteln soll. Natürlich schreibe ich Texte über Themen, die meiner Meinung nach wichtig sind. Zum Beispiel über Respekt - gegenüber sich selbst, seinen Mitmenschen, der Umwelt und der Welt als ganzem. Mir ist wichtig, was uns alle im Herzen und in der Seele verbindet. Und ich glaube, auch jemand, der keine Erfahrung mit Meditation oder dem Buddhismus gemacht hat, kann die Message verstehen.
Gibt es einen besonderen spirituellen Lehrer, der dich beeinflusst hat – oder eine philosophische Lehre?
Nein, nicht direkt. Aber ich bin dem Buddhismus und der tibetanischen Tradition gegenüber freundlich gesinnt. Ich bin nicht aus Tibet, war noch nicht dort, habe auch keine Eltern, die dort herkommen. Ich fühle mich einfach der buddhistischen Philosophie sehr stark verbunden. Ich versuche nicht ihre Traditionen oder Gebete nachzuahmen, das wäre nicht echt, denn ich habe meine eigene Spiritualität. Mir gefällt aber, dass der Buddhismus sehr nah an der Realität ist, ja fast schon als wissenschaftlich bezeichnet werden kann, im Vergleich zum Beispiel zum Christentum.
In „Oroborus" singst du „death is just an illusion". Das erinnert mich unter anderem an spirituelle Lehrer wie Jiddu Krishnamurti oder die Philosophie des Zen-Buddhismus, die besagt, dass Leben und Tod Teil der gleichen Bewegung sind. Meinst du das mit diesem Satz?
Ja, genau. Damit meine ich, dass nichts einfach so verschwindet. Selbst Raum und Zeit sind nur Begriffe. Jeder kann mit der höheren Wahrheit, dem alles einenden Feld, oder wie auch immer man es nennen mag, jederzeit in Berührung kommen, egal ob man jung, alt, tot oder lebendig ist. Zeit ist auch nur eine Illusion. Wir vergessen das nur allzu oft. Man denkt zwar „ok, jetzt bin ich 32, in zwei Jahren 34 und mit 50 bin ich vielleicht tot." Aber das Leben findet ausschließlich im Jetzt statt. Wenn man das einmal begriffen hat, kann man das volle Potential seines selbst ausschöpfen. Das ist der Punkt, den unzählige spirituelle Lehrer versuchen zu vermitteln.
Das heißt also, wer Angst vor dem Tod hat, kann nicht total Leben? Denn wie kann man denn einer Sache seine Leidenschaft und sein Herzblut widmen, wenn man Angst vor der Zukunft oder dem Tod hat?
Ganz genau, das ist, was ich auch denke.
Kann man dann nicht sagen, „The Way Of All Flesh" ist ein Album über den Tod genauso wie über das Leben? Seid ihr dann nicht viel eher eine Life-Metal-Band als eine Death-Metal-Band, wie ihr ja oft bezeichnet werdet?
(lacht) Ja, im Kern geht es darum, vom Herzen zu Leben. Aber das beinhaltet auch, sich allem bewusst zu machen: die Elektrizität, die Energie, den Frust, die Skepsis und die Fragen, die einen beschäftigen und die raus müssen. Was mir an Death Metal oder Metal im Allgemeinen gefällt, ist, dass die dunkle Seite des Lebens ausgedrückt werden darf. Das ist die Parallele zu den Tibetanern zum Beispiel, die die dunklen Aspekten mit Tänzen ausdrücken und annehmen. Das ist eine sehr gesunde Haltung.
In unserer westlichen Gesellschaft wird der Tod tabuisiert. Es ist etwas Fürchterliches, so als ob es vom Leben getrennt wäre. Jeder hat Angst davor, keiner will darüber reden, jeder will für immer jung bleiben, manche liften sich dafür sogar ihr Gesicht. In diesem Sinne kann man sagen, dass wir Death Metal machen. Der Tod gehört zum Leben, wie die Nacht zum Tag. Hinfort mit der Angst! Auf der Bühne drücken wir genau das aus - wir sind nicht aggressiv aber energetisch, was uns sehr gut tut.
Wie paradox ist es, „my attention fixed on this silence / rediscover life while I'm breathing"zu singen, während man einen so harten, aggressiven Sound verkörpert?
(lacht) Ja, vielleicht ist es paradox, aber ich habe keine Angst vor Paradoxien. Viele sprechen uns darauf an, warum wir über Frieden singen aber so gewaltige Musik machen. Für mich ist das kein Widerspruch, denn die Welt ist nun mal in einem desolaten Zustand. All die Kriege, das Wettbewerbsdenken, der Wille zu dominieren finden auf unserem Planeten statt. Deshalb ist es dringend notwendig, darauf aufmerksam zu machen und die Idee des Respekts zu unterstützen. Wir sollten begreifen, dass Achtung und Respekt wichtiger sind als Wettbewerb und Erfolg. Weshalb wir also so laut schreien, ist der Umstand dieser Welt. Wenn es keine Kriege, keine Pädophilen, Umweltkatastrophen oder Mörder geben würde, würden wir vielleicht keinen Death Metal machen.
Sondern vielleicht eher Ambient Music a là Buddha Lounge.
(lacht) Ja, genau!
Als ich zu meditieren anfing, hat sich meine Sicht auf viele Dinge einhergehend mit der inneren Transformation komplett verändert. Zum Beispiel hatte ich lange Zeit keine Lust mehr auf harte aggressive Musik – bis ich GOJIRA entdeckt habe. Für mich ergeben die Lyrics im Zusammenhang mit der Energie, die ihr transportiert und der progresiven Ausrichtung einfach Sinn. Gibt es dennoch Fans, die euch nur wegen eurer Lyrics mögen, aber nicht aus der Metal-Szene sind?
Ja, es gibt einige Leute wie du, die von Metal und ihrer oftmals eintönig frustrierten, schmerzvollen Message gelangweilt sind. Die finden unsere Botschaft erfrischend und inspirierend. Ich würde sagen, das sind sensible Menschen. So finden sie Zugang auch zu unserer Musik, was mich natürlich freut. Ich selbst bin ja auch nicht der große Metalhead.
Was hörst du denn?
World Music, Electro, Jazz, Hip Hop. Natürlich mag ich Metal, das ist das, wo ich herkomme und was mich geprägt. Besonders zu meiner Schulzeit haben mir METALLICA sehr geholfen, auch SEPULTURA, DEATH oder MORBID ANGEL waren die Bands meiner Jugend. Aber ich bin kein Experte.
Vielleicht lässt sich eure Musik deshalb nicht so einfach in eine Schublade stecken.
Kann sein. Mein Bruder hört zum Beispiel auch lieber traditionelle Musik, Jazz und experimentelle rhythmische Sachen. Unser Gitarrist, Christian, hört fast gar keine Musik, und wenn dann nur Klassik. Aber unser Bassist liebt Metal. Ein guter Mix also (lacht).
Wie könnt ihr eigentlich eure ökologisch-spirituelle Einstellung mit einer Metalszene in Einklang bringen, die eher für ihren Hedonismus und oftmals destruktiven oder gar nihilistischen Botschaften bekannt ist?
Es gibt so einige Dinge, die wir gemein haben. Es gibt sogar einige Bands aus der satanistischen Ecke, mit denen wir uns richtig gut verstanden haben. Ich hasse ihre Botschaft - hassen ist vielleicht das falsche Wort, aber ich kann sie nicht nachvollziehen. Aber wenn ich mich mit diesen Leuten unterhalte, merke ich, sie machen sich Gedanken, sind kritisch, wollen etwas bewegen und können das auch gut erklären und ich denke „ah, ok...". Ich fühle mich also nicht in der falschen Szene, auch wenn viele andere Bands lieber ihren Frust über alltägliche Dinge wie Ärger mit der Schule, den Eltern oder Dinge aus der Vergangenheit auslassen. Was uns verbindet ist die Tatsache, dass einiges im argen liegt.
Kommt es vor, dass Fans euch erzählen, dass sie durch euch ihre Einstellung gegenüber gewissen Dingen geändert haben?
Ja, das kommt natürlich schon mal vor und ich freue mich sehr darüber. Manche schreiben zum Beispiel, dass sie sich bisher nicht darüber im klaren waren, wie stark Wale vom Aussterben bedroht sind oder dass viele Haiarten getötet werden. Toll! Oder manche haben wegen uns an Organisationen wie der Sea Shepherd Conservation Society oder Greenpeace Geld gespendet. Das freut uns tierisch. Und auch wenn es nur ein Fan ist, der 5 Dollar an Greenpeace spendet, können wir sagen, wir haben die Welt verändert. Jede Veränderung fängt klein an. Und wenn sich bei den Menschen durch die Energie unserer Musik noch etwas verändert, dann weiß ich, warum ich Musik mache.
Manchmal träume ich davon, in die Politik zu gehen, mein eigenes ökologisches Unternehmen zu gründen oder auf ein Schiff der Sea Shepherd zu steigen, aber mein Schiff ist die Musik und ich sollte mit ihr weiterfahren.
Gojira für eine bessere Welt sozusagen ...
Ich will nicht predigend klingen, aber ich denke, jeder einzelne Mensch trägt eine Verantwortung und jeder Einzelne kann zu einer besseren Welt beitragen. Ich glaube daran, dass wir in Wirklichkeit alle den gleichen Traum tief in unserem Inneren tragen. Wir alle streben in unserem Herzen nach Frieden, Liebe und Harmonie. Und selbst die Satanisten sehnen sich nicht wirklich nach Schmerz und Folter. Sie werden vielleicht eine Zeit lang mit diesem Humbug weitermachen, aber irgendwann merkt hoffentlich jeder: all you need is love.
Joe, danke für dieses Interview!