Gitarre und Bass wurden in Bitburg aufgenommen und der Rest im Ex-Haus in Trier – dort, wo auch bereits die vorherigen Alben von LOVE A eingespielt wurden. Die Bandmitglieder sind über ganz Deutschland verteilt, sodass "Nichts Ist Neu" im Patchwork-Prozess entstand und die Band eher selten gemeinsam zusammen am Album arbeiten konnte. "Das ist schon unüblich, deshalb erzählt man das nicht extra", erklärt Sänger Jörkk. "Und irgendwie auch professionell", fügt er noch hinzu. Ja, es setzt eine gewisse Routine und Stabilität innerhalb der Band voraus. "Nichts Ist Neu" klingt auch wieder hundertprozentig nach LOVE A, was Schlagzeuger Karl zu großen Teilen Produzent Robert Whiteley zuschreibt: "Er hat den Überblick behalten, von uns wäre dazu keiner mehr in der Lage gewesen."
"Da würde ich gerne unser letztes Interview mit dir zitieren und antworten: Stimmt, jetzt wo du es sagt!" wirft Jörkk scherzhaft ein und bezieht sich augenzwinkernd auf ein altes Interview mit BurnYourEars: "Das ist eine Antwort, die wir mittlerweile ganz oft geben können. Wir wollen jetzt nicht damit kokettieren, dass wir so unwissend durch die Welt irren, aber uns fällt sowas gar nicht auf. Wir sind schlicht gezwungen, so aufzunehmen und mit der Zeit funktioniert das auch." Geprobt wird immerhin mittlerweile: "Ganz ohne geht es natürlich nicht", räumt Karl ein. "Aber dadurch, dass wir so verteilt wohnen, haben wir wenig Gelegenheit dazu und müssen uns dann entscheiden, ob wir proben oder Konzerte spielen wollen."
Ins Auge springen einem bei LOVE A die Texte, die zwar ohne gute Musik als Stütze nichts wert wären, aber doch sehr dominieren. Wer bei LOVE A die Texte schreibt, scheint klar zu sein, wie Jörkk meint: "Ich glaube, seit es diese eine Band gibt (Anmerk.d.Verf.: gemeint sind TURBOSTAAT), bei der der Sänger das nicht macht und das aber doch ganz gut funktioniert (lacht), fragt da jetzt immer jeder nach, wie es bei uns ist. Aber bei uns ist es wirklich ganz klassisch, dass ich das mache. (lacht) Musikalische Vorarbeit leistet bei uns häufig Karl, der viele Instrumente beherrscht, gerne daheim vor sich hintüftelt und neue Soundfolgen bastelt. Die Gerippe finden nicht immer einstimmigen Anklang, aber häufig basieren darauf die Lieder, die letztendlich auf den Platten landen." Karl nutzt umgehend die Gelegenheit, seinen Einfluss zu schmälern: "Die meisten Sachen sind aber schon gemeinsam im Proberaum entstanden, wenn wir uns ein Wochenende Zeit genommen haben, um Songs zu schreiben."
Wer wäre nicht so gerne wie die Anderen?
"Wäre so gerne wie die anderen – die, die scheinbar funktionieren" ruft es uns gleich zu Anfang im ersten Song "Nichts Ist Leicht" entgegen. Die erste Lüge, mag man meinen. Eine Band, die Platten veröffentlicht, ist doch grundsätzlich frei von Selbstzweifeln, oder? Jörkk dazu: "Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. Es klingt immer pathetisch, wenn man es so auswalzen muss. Ich hätte manchmal gerne ein Leben ohne Stress. Kein Stress mit Konzerten, Drogen und zu wenig Schlaf. Das ist aber die Randerscheinung dessen, was ich mir ausgesucht habe. Ich hätte aber manchmal auch gerne einen Beamtenjob, bei dem ich vier Mal im Jahr in Urlaub fahren kann. Und die Anderen, die funktionieren ja scheinbar. Jeder hat Probleme oder hadert mit irgendwas ... Aber wenn man chaotischer lebt, hat man schon das Gefühl, man würde eben nicht funktionieren. Weil die Anderen in der Gesellschaft, so wie sie nun mal ist, besser zurechtkommen. Wenn man müde ist vom Sich-gegen-was-stemmen, Aufregen oder Anders-sein-wollen, dann will man auch mal gerne wie die Anderen sein, die scheinbar so gemütlich vor sich hin leben." Eine Antwort, die sich natürlich in erster Linie auf das Menschliche bezieht.
Pop, Schlager und Punk
Als Band kann man sicherlich auch musikalisch funktionieren Die Möglichkeit, sich bei den Labels anzubiedern, einige Schrauben Richtung Pop zu stellen, die Gesellschaftskritik etwas abzuschwächen und zwischendrin ein massentaugliches "Oho" zum Mitgrölen einzubauen, ist natürlich verlockend. Gab es bei LOVE A schon Überlegungen in diese Richtung? "Nein, wir haben noch nicht überlegt, ob wir uns etwas glätten sollen, damit es besser funktioniert. Ich kann nur für mich sprechen, aber ich hätte kein Problem damit. Wir witzeln immer, mit meinem zweiten Standbein Mallorca-Meche. (lacht) So schlimm jetzt nicht gerade, aber ich hätte kein Problem damit, bei einem kommerziellen Projekt mitzumachen und zu wissen, dass ich da Kohle dafür kriege, mit der ich mir wieder mein Leben finanzieren kann. Dann müsste ich sogar bei LOVE A noch weniger Kompromisse eingehen. Man soll nichts machen, zu dem man keinen Bock hat. Ich hätte keine Probleme damit, Tante Inge im Altenheim durch's Haar zu streichen und dann "Mendocino" zu singen. Nicht, weil ich Schlager total gerne mag, sondern weil ich gerne unterhalte. Da müsste ich mich jetzt nicht total quälen, ich stehe eben gerne auf der Bühne und mach Spökes. Karl würde jetzt nicht "Juhu!" schreien, wenn er einen Job in der Coverband angeboten bekommt." Karl meldet sich zu Wort: "Da wäre ich auch gar nicht dazu fähig, von den musikalischen Fähigkeiten her. Ich finde, unsere Platte ist auch schon poppig genug eigentlich. (lacht)"
Ohne zu sagen, dass "Nichts Ist Neu" glatt ist und das Album seiner Bissigkeit zu berauben – man könnte sie radiotauglich machen. LOVE A selbst legen es unterm Strich nicht darauf an, würden aber nicht grundsätzlich weinen, wenn einer ihrer Songs im Radio läuft. Punk Rock ist damit vom Tisch, will man meinen. LOVE A waren niemals Punk Rock, sagen andere. Karl ist sich da sicher: "Das ist eine Rock-Platte, mit einigen punkigen Elementen und Wave-Sachen. Aber als Punk würde ich das nicht bezeichnen." Jörkk hat es gleich ganz aufgegeben: "Ich denke da gar nicht mehr darüber nach. Man denkt ja nur darüber nach, weil man in dem Kontext betrachtet wird, von dem man herkommt. Das haben wir von Anfang an so gewollt, mit dem Wort Punk kokettiert. Irgendwann macht man seinen Kram so und lässt euch, die schreibende Zunft (lacht), das irgendwie so wegsortieren. Man kann sagen, Post-Punk trifft es besser. Aber wenn du einen klassischen Punk fragst, dann wird jeder Punk den Kopf schütteln." (Anmerk. d. Verf.: Aufgrund eines akustischen Missverständnisses wird hier das Label Prost-Punk geschaffen.)
Wer "Lost Heimweh" von PASCOW gesehen hat, wird sich an die Interviews mit den beiden Herren von Plastic Bomb erinnern. Denen sind alle neuen Bands, die ständig rumnölen und stark gefühlsbetonte Texte haben, sowieso suspekt. Dass LOVE A diesmal mehr Zeit für das Schlagzeug hatten, tut "Nichts Ist Neu" gut, ebenso wie der verbesserte Gesang. Letztendlich kommt jede Band an den Punkt, nicht immer das Gleiche spielen zu wollen. "Wir sind ja alle relativ eingeschränkt, aber jeder versucht für sich zumindest mal das eine oder andere Detail zu probieren. Man nervt sich ja selbst schon, das ist schon schlimm genug, bei unserer Beschränktheit", lacht Jörkk. Das Lob über den Gesang finden beide ziemlich lustig, denn wie immer wurde hier nicht wissentlich eingegriffen und gezielt etwas verbessert. Eher zweckdienlich wurde der Gesang so kaputt aufgenommen.
Wer übt, kann nichts – oder das blinde Huhn findet auch mal ein Korn?
Zu den Demoaufnahmen kam Jörrk etwas desolat an, dementsprechend klingt seine Leistung. Allerdings eine Leistung, die jederzeit reproduzierbar ist und sich letztendlich besser in seinen Lifestyle einfügt. "Bei diesem Album habe ich mich bemüht, möglichst übernächtigt, müde oder sogar angetrunken aufzutauchen. Einfach damit das, was ich da aufnehme, mir jederzeit wieder möglich sein wird." Das ist natürlich eine leicht überspitzte Geschichte, jedoch passiert es einigen Künstlern, dass sie sich für die Albumaufnahmen in beste Verfassung bringen, für viel Schlaf und gute Stimmung sorgen. Und wenn die selben Künstler dann auf Tour gehen, kann das live zum Desaster werden. Die Einstellung, seine Leistung so zu bringen, dass sie auch unter Extremsituationen noch abzuliefern geht, ist sicherlich nicht verkehrt. Karls logische Antwort auf die angebliche bessere Leistung von Gesang und Schlagzeug: "Wir haben die anderen beiden einfach leiser gestellt, deshalb kam dir das so vor. (lacht)"
Für das Artwork ist allerdings wieder der Gitarrist von LOVE A – Stefan Weyer arbeitet in einer Grafikagentur in Köln – verantwortlich. "Er macht das, obwohl es zusätzlichen Stress für ihn bedeutet, da sowas ja sein tagtägliches Geschäft ist. Für ihn gibt es nichts Besseres, da wir ihm keine Vorgaben setzen. Wir sagen nie, dass etwas kacke aussieht und bitten höchstens mal, dass er an einigen Stellen noch etwas dazu macht. Ganz kleine Details, er kann ansonsten machen, was er will", klärt Karl auf und Jörkk ergänzt: "Abgesehen davon, dass es auch total ineffizient wäre, da jemand anderen daranzusetzen ... Stefan müsste den dann mit seinem Anspruch auch noch kritisieren und betreuen."
Das feine Auge und Händchen von Weyer setzt sich langsam aber sicher durch und erntet Aufmerksamkeit. So ist der LOVE A-Gitarrist verantwortlich für das Artwork der letzten TURBOSTAAT-Platte "Abalonia" und hat auch am letzten Artwork der ANTILOPEN GANG und von OK KID mitgearbeitet. Auch wenn sich das wahrscheinlich im Vergleich mit Großkunden finanziell nicht lohnt, so erweitert es doch auf jeden Fall das Spektrum. Er hat es also drauf, der gute Stefan, kann bunt genauso umsetzen wie Grau und depressiv. Wobei beide LOVE A-Mitglieder sofort intervenieren, sich mit "Nichts Ist Neu" nicht unbedingt oder ausschließlich in der depressiv-traurigen Ecke sehen. Eine Einigung auf das zentrale Thema der aktuellen Platte ist nicht leicht zu finden. Isolation sagen die einen, Vorurteile die anderen. Jörkk nimmt es mit Humor: "Wir sammeln noch ein paar zentrale Themen und suchen uns dann eins aus", lacht er.
Arschloch Mensch, hörst du es auch? All das Blut, das ist dein Applaus.
Bei der stetig steigenden Bevölkerungszahl ist es schwer möglich, mit jedem in sensiblen Kontakt zu treten und Vieles ist zwangsläufig zur Oberflächlichkeit verdammt. Was ist also Isolation? Ist es der Obdachlose, an dem man gesenkten Kopfes vorbeiläuft oder die Frau, die in ihrer Wohnung stirbt und keiner im Mietshaus hat gewusst, dass sie da gewohnt hat? Jörkk zieht Facebook als Vergleich heran: "Ich merke, dass ich aufgrund der Sozialen Medien immer mehr Kontakte habe und immer weniger Zeit für die Einzelnen. Oder dass es immer schwieriger wird zu filtern, wer deine Handvoll Freunde sind, die du Sonntagabend auch mal anrufen musst, um zu fragen, ob es ihnen gut geht. Da muss man sieben und auch trennen können, damit tue ich mich teilweise heute auch noch schwer. Da kann es schon sein, dass man sich irgendwann isoliert, weil man nicht mehr in der Lage ist, alle ausreichend zu bespaßen. Und im Mietshaus kann das eben auch so sein, dass Leute einfach nicht wahrgenommen werden oder sich bewusst zurückziehen. Manchmal wird man isoliert und manchmal isoliert man sich auch selbst."
Auf die Frage, ob man auf solche Leute zugeht, ob man den Obdachlosen auf der Straße fragt, warum er da liegt, reagieren wir allesamt betreten, aber einig: Nein, eigentlich macht das niemand von uns. Jörkk dazu: "Vollkommen wertfrei, aber wer macht das schon? Jeder geht an jedem Obdachlosen vorbei und natürlich bewegt sich was in einem und man stellt sich die Frage, ob man Geld geben soll oder irgendwas tun muss. Man kann ja nicht die Welt im Alleingang retten oder daran verzweifeln, dass man es nicht schafft". Es ist schwierig zu beurteilen, ob man damit schon bei der Botschaft des Songs "Unkraut" gelandet ist, denn dieser dreht sich um das Abstumpfen, welches durch die täglichen Hiobsbotschaften aus TV und Radio nicht ausbleibt.
"Ich fände es doof, wenn ich beim "Angst Macht Keinen Lärm"-Festival den Leuten erklären würde, wie ihre Welt sowieso schon aussieht."
Auch LOVE A machen sich Gedanken darüber, dass man es eigentlich niemandem recht machen kann. Wer gar nichts macht, macht es falsch – und wer einen Teil des Kartenverkaufs bei Pro Asyl spendet, der macht wohl immer noch weniger, als er kann. LOVE A haben es da doch noch etwas einfacher, denn zu ihnen kommen "die politisch linken Lifestyle-Heinis", wie Jörkk sie zusammenfasst. Die meisten verfügen über eine gesunde politische Einstellung, die dazu führt, dass LOVE A zu "linken Bespaßungsdienstleistern" werden, und das führte zu der deutlicheren Sprache in "Unkraut":
"Letztendlich ist da einfach was übergelaufen – von wegen wieder völkisch, wieder national und was man da alles so hört in letzter Zeit. Ich finde auch gut, dass ich das textlich so gemacht habe und fände es aber albern, noch direkter zu werden. Wenn wir jetzt den großen Mainstream ansprechen wollen würden, dann könnten wir das tun. Dann würden wir Menschen ansprechen, die das vorher nicht wussten und ebenfalls jemand brauchen, der ihnen das sagt. Ich finde es doof, wenn ich beim "Angst Macht Keinen Lärm"-Festival vor Fans von TURBOSTAAT, LYGO, DÜSENJÄGER und PASCOW den Leuten erklären würde, wie ihre Welt sowieso schon aussieht. Dann doch eher bei Rock am Ring, aber dann hast du wohl schon einen anderen Weg eingeschlagen", führt Jörkk aus. Drummer Karl denkt währenddessen darüber nach, wie viel Geld THE INTERNATIONAL NOISE CONSPIRACY wohl damals für ihren Gig bei Rock am Ring bekommen haben, als sie gegen den Kapitalismus wettern wollten und am Publikum scheiterten.
Wir kommen gemeinsam zu dem Schluss, dass es auf einem Punk-Konzert genauso sinnvoll ist, ein Shirt zu tragen, auf dem geschrieben steht, dass man gegen Homophobie, gegen Sexismus und gegen Nazis ist, wie wenn man im Freibad eine Badehose mit dem Aufdruck "Wasser ist nass" trägt. Kann man machen, sollte aber jeder wissen, der schon dort ist. LOVE A nehmen sich allerdings nicht aus von der Kritik raus, wie Karl erklärt: "Viele können ja nicht wissen, dass Jörkk auch oft von sich selbst singt. Nur weil er nicht in der ersten Person singt, heißt das ja nicht, dass er nichts ausspricht, was ihm an sich oder uns selbst negativ aufgefallen ist. Es ist so, dass wir sehr oft auch nicht wissen, wie Dinge richtig zu laufen haben."
Was also bei LOVE A häufig so wirkt, als würde ein unsichtbares "Seht uns nur an, wie wir das richtig machen" angehängt sein, ist dann doch eher ein Abarbeiten von eigenen Unzufriedenheiten. Jörkk sieht sich also eher als Anschubser von Themen. Dann ist ein Anfang gemacht, wenn alle zumindest mal anfangen, darüber nachzudenken. Die Lösung findet sich nämlich immer im Prozess und ganz sicher nicht im Stillstand.