Wie geht’s dir?
Exzellent! Es ist schön, wieder hier zu sein. Wir teilen mit dieser Region eine schon sehr lange Geschichte, was ziemlich cool und aufregend ist – besonders, wenn man bald ein neues Album rausbringt!
Ich hatte bereits die Freude, mir dieses Meisterwerk anzuhören. „Medusa“ ist definitiv doomiger und sludgier als alles, was ihr bisher gemacht habt, genau wie ihr versprochen hattet.
Ja, also einer der Songs unseres letzten Albums war ja „Beneath Broken Earth“, was wir übrigens auch heute live spielen werden, für unsere Doom-Fans. Die neue Platte hat ziemlich viel langsames Zeug.
Warum habt ihr euch dazu entscheiden, mehr in Richtung Doom zu gehen?
Wir lieben Bands wie zum Beispiel CANDLEMASS und es lag uns irgendwie schon immer im Blut. Über die Jahre hatten wir schon so einige ... na gut, es war nicht alles superlangsam – aber ja, das neue Album klingt ziemlich schwer.
Vor etwa zwei Wochen habt ihr eure erste Single „The Longest Winter“ veröffentlicht – wie war denn das Feedback bisher?
Wir haben es gerade ein Mal als Band zusammen live gespielt. Wir haben es nicht einmal vorher geübt. Wir sind einfach auf die Bühne gegangen und haben es gespielt. Es ist ziemlich gut gelaufen. Auch das werden wir heute Abend spielen. Das wäre dann das zweite Mal, dass wir es live spielen. Hoffentlich wird es gut!
Das wird es bestimmt! Hat es einen Grund, weshalb ihr „The Longest Winter“ als erste Single ausgewählt habt?
Um ehrlich zu sein, hat die Plattenfirma den Song ausgewählt. Manchmal überlassen wir die Entscheidung der Plattenfirma, da wir Alben und keine Singles schreiben. Für uns ist „Medusa“ ein Ganzes, die Plattenfirma kann da in den meisten Fällen besser entscheiden, was sich als Single eignet. Wir sind nämlich stolz auf das ganze Album und hätten praktisch jeden einzelnen Song als Single auswählen können. Wir lieben jedes Lied.
Aber könntest du dir vorstellen, weshalb die Plattenfirma „The Longest Winter“ als erste Single ausgewählt hat?
Ja, es hat einen ziemlich coolen Groove und es stellt in gewisser Weise die Mitte des Albums dar.
Nun zum Albumtitel „Medusa“: Woher kam die Inspiration für griechische Mythologie?
Wir haben uns eigentlich nicht wirklich dafür entschieden, etwas mit griechischer Mythologie zu machen. Aber als Greg früher Songs schrieb – damals noch, als man mit Samplern gearbeitet hat – benutzte er Arbeitsnamen, die meistens fünf, sechs oder sieben Zeichen lang waren, denn mehr als acht ging in den 90ern nicht. Die Namen sind also meistens immer ziemlich kurz und ein Sample hat er eben „Medusa“ genannt, ohne einen bestimmten Grund. Nick hat das gefallen und wir haben dann versucht, diesen Namen einzubringen. Außerdem ist Medusa für uns nicht nur eine Figur der griechischen Mythologie, sondern auch Macht und Kontrolle stehen hinter dem Namen. Man kann da viel reininterpretieren, nicht nur die griechische Figur an sich.
Eine Charaktereigenschaft von Medusa ist ihr Glaube an den Nihilismus.
Wir glauben an nichts. Wir sind Nihilisten oder Orphiker – oder naja, nicht wirklich. (lacht) Religion ist faszinierend. Sie ist nicht wirklich etwas Lebendiges an sich, aber es ist unglaublich, was sie für eine Macht über die Menschen hat.
Da wir gerade über Charaktereigenschaften reden: Meinst du, dass du ein bescheidener Mensch bist?
Ich denke, Engländer sind das irgendwie im Allgemeinen. Keiner von uns ist irgendwie: „Schau mich an, ich bin fantastisch!“ Ich denke, das kommt davon, Engländer zu sein. Das ist auch der Grund, weshalb wir ständig „sorry“ sagen, obwohl es nicht unsere Schuld war. Man kann selbstbewusst sein, ohne die ganze Zeit zu zeigen, wie toll man ist. Man wird selbstbewusster, wenn man schon länger gelebt hat und die Erfahrungen zeigen, wann und wo du glücklich bist und wo nicht. Dann wird man seinen eigenen Weg finden. Und tja, bescheiden … schau dir doch einfach den englischen Humor an. Englischer Humor ist total bescheiden, deshalb würde ich sagen, dass ich schon in einigen Aspekten ziemlich bescheiden sein kann, aber das ist nun mal etwas Englisches.
Bescheidenheit und die Eigenschaft, Wert auf physische Dinge zu legen sind in bestimmter Weise miteinander verbunden.
Ich denke, das ist eine generelle Charaktereigenschaft. Wenn du auf Tour bist, brauchst du etwas, um noch Kontakt nach Hause aufnehmen zu können, wie zum Beispiel ein Telefon oder ein Laptop. Diese Sachen sind gut geeignet, um noch genug Zeit für die Familie zu haben. Aber keiner von uns hat sich jemals einen Ferrari oder irgendetwas Dummes gekauft. Geld kann man für bessere Zwecke nutzen. Es ist schön, Luxus zu haben – aber keiner von uns prahlt gerne. Wir haben genug, um uns wohlzufühlen. Leute aus Nordengland, wir sind aus Yorkshire, sind daran gewöhnt, nicht mehr auszugeben, als sie haben.
Zurück zu eurer Platte: Was haben die Songs mit der Gorgone selbst zu tun?
Nicht direkt viel. Nicks Songtexte können selbst innerhalb eines Liedes fünf oder sechs verschiedene Thematiken ansprechen. Seine Texte sind oft sehr unklar, sie können von einer Vielzahl von Sachen handeln. Er mag es, dass die Leute in den Texten ihre eigenen Interpretationen sehen. Er will nicht sagen: „Da ist ein Auto und es ist schwarz“. Ich finde, Musik soll einen irgendwo hinführen und auch die Lyrics sollen auch deinen eigenen Verstand irgendwo hinführen. Texte sind keine platte Geschichte. Deine eigene Vorstellungskraft macht alles besser. Deshalb lese ich lieber Bücher, anstatt die Filme zu sehen. Der Film in deinem eigenen Kopf ist immer besser als das, was du auf dem Bildschirm zu sehen bekommst.
Insgesamt sind die Lyrics recht deprimierend und kritisch.
Ja. (lacht) Das kommt alles von dem Leben in England. SISTERS OF MERCY und so – viel Goth-Musik entstand dort, wo wir herkommen. Und es regnet die ganze Zeit.
Man könnte meinen, dass ihr unzufrieden mit der Welt seid.
Nein, ich denke wir nutzen Musik als eine Befreiung von Angst. Um ehrlich zu sein, wenn wir auf Tour sind – selbst nach fast 30 Jahren – können wir den ganzen Tag nur in einem Raum sitzen und uns unterhalten und lachen. Freundschaft steht bei uns an erster Stelle. Und wir haben Glück, dass wir über dieselben Sachen lachen können. Aber wenn du dir zum Beispiel die Autobiographie eines Comedians durchliest, hat dieser meist ein trauriges Leben – dennoch ist es sein Job, andere zum Lachen zu bringen.
Es ist außerdem einfacher, traurige Musik zu machen, wenn man da herkommt, wo wir herkommen. Es ist nicht schlecht dort. Es ist schön, es regnet die ganze Zeit … ich weiß nicht, warum genau wir so traurige Musik machen, oder warum ich traurige Musik mag. Ich verbringe eigentlich fast den ganzen Tag mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht. Das ist wirklich schwer zu erklären.
Auf dem Album gibt es die drei Lieder „Passage Of The Dead“, „Blood And Chaos“ und „Medusa“, die eine ganz andere Stimmung haben und auch nicht ganz so doomig sind, wie der Rest der Platte.
Wenn wir eine Platte schreiben, wissen wir selbst nach sechs Lieder nicht, wie der Rest des Albums noch klingen wird. Besonders Jaime Gomez Arellano, der die Platte mit uns produziert hat, ist ziemlich gut darin, die Sounds natürlich klingen zu lassen. Wir brauchen eigentlich nicht wirklich einen Produzenten, weil wir wissen, was wir wollen und so machen wir das dann auch. Aber Gomez ist ziemlich gut darin, alles so zu verarbeiten, wie wir es wollen. Besonders das Schlagzeug. Wir haben Jahre am Sound des Schlagzeugs gearbeitet. Viele Leute benutzen Samples, aber was man auf dem Album hören kann, ist in der Tat unser Schlagzeug und kein Sampler. Diesen ganzen natürlichen Prozess haben wir bei allen bisherigen Alben durchgeführt. Das Album ist auf jeden Fall nicht nur düster. Es ist eine Wolke mit einem Silberstreifen, um es am besten zu beschreiben.
In Bezug auf „Passage Of The Dead“, warum glaubt ihr nicht an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube, es ist die große Ungewissheit. Menschen haben ihre Religion und wollen glauben, so ist das nun mal, weil wir es nicht wissen. Wissenschaft kann auch nicht widerlegen, dass es nach dem Tod etwas gibt und Religion kann nicht beweisen, dass es so ist. Wir müssen das wohl selbst herausfinden, wenn es so weit ist. Ich habe kein Problem mit Religion. Wenn man glücklich damit ist, soll man daran glauben. Ich würde Religion niemals verbieten. Ich finde nur den Gedanken schrecklich, dass sich Menschen aufgrund von Religion gegenseitig bekriegen. Das ist nur leider der Ursprung von fast jedem Krieg. Aber dass Menschen einen Glauben haben, finde ich gut, besonders, wenn sie dadurch ihr Leben verbessern wollen. Es ist eigentlich eine gute moralische Richtlinie, doch einige Menschen missbrauchen dies leider.
Der letzte Song, über den ich gerne reden würde, ist der Titeltrack „Medusa“.
Es ist einer meiner Lieblingssongs auf dem Album.
Überraschenderweise ist er nicht so aggressiv, wie man vermuten könnte, wenn man an die Figur Medusa denkt.
Nein, definitiv nicht. Der letzte Song der Platte heißt „Until The Grave“. Dieser, der erste Song „Fearless Sky“, welcher acht Minuten voller Doom ist, und eben „Medusa“ sind meine liebsten Lieder. Ich mag die traurigen Melodien. Der Grund, weshalb es PARADISE LOST noch immer gibt, ist, weil wir die Musik zu unserem eigenen Vergnügen schreiben. Wir sind selbst unsere größten Kritiker und Fans zur gleichen Zeit. Der Tag, an dem wir unsere eigene Musik nicht mehr genießen können, wir der Tag sein, an dem PARADISE LOST zu Grunde gehen wird.
Wenn man älter wird, lernt man zu schätzen, was man hat – jedes Jahr ein wenig mehr. Letztes Jahr im Studio waren wir wie Kinder, die sich gefreut haben „Woah, das klingt so cool!“ – es war, als wären wir wieder 14 Jahre alt. Es ist wirklich schön, besonders, dass es nach 30 Jahren immer noch so ist. Ich kenne Greg, seit ich 11 Jahre alt bin. Er saß im benachbarten Klassenzimmer in der Schule. Nick kenne ich, seit er 11 Jahre alt war und ich 12. Da steckt auf jeden Fall viel Geschichte dahinter und das macht das, was wir machen, noch viel besser. Freundschaft an erster Stelle und die Musik folgt, aber sie ist nicht so wichtig wie unsere Freundschaft.
Wir kümmern uns um einander. 1995 nach „Draconian Times“ dachten wir uns: „Das ist doch super gelaufen, lass uns noch eins machen!“ Wir hätten vier „Draconian Times“ machen können. (lacht) Und wir hatten auch immer ziemlich viel Glück, denn die Plattenfirmen haben uns noch nie vorgeschrieben, was wir machen sollen. Das konnten wir immer selbst entscheiden, uns wurde vertraut. Wir hatten immer diese Freiheit – und das ist wohl eine Ursache für das Fortbestehen der Band, was wirklich sehr toll ist.
„Fearless Sky“ als Opener des Albums zu stellen, war eine ziemlich mutige Entscheidung.
Es ist ein Intro (lacht), ein ziemlich langes, aber es hat etwas von einem Intro. Wir haben immer wieder mal doomige Lieder geschrieben und daher wird das auch nicht überraschend sein. Wir haben auch schon auf Festivals in Griechenland und Barcelona gespielt: 40 Grad pure Hitze und wir haben „Beneath Broken Earth“ gespielt, ein richtiger Anti-Sommer-Song. Aber er funktioniert trotzdem.
Die Release-Show wird ja am 1. September im LKA Longhorn in Stuttgart stattfinden.
Ich liebe diese Spielstätte. Wir haben 1993 eine Liveshow für MTV dort gespielt. Er ist immer noch einer meiner liebsten Auftritte, die wir jemals hatten. Ich habe eine starke persönliche Zuneigung für das Longhorn, daher der beste Ort für die Release-Show.
Stuttgart ist doch eigentlich eher eine Techno-Stadt, habt ihr das LKA aufgrund der tollen Erinnerungen ausgewählt?
Es gab verschieden Gründe. Die Plattenfirma hat es uns vorgeschlagen und für das letzte Album haben wir die Release-Show auch dort gespielt. Stuttgart ist perfekt, wir haben schon so oft dort gespielt, wir kennen die Räumlichkeiten.
Was könnt ihr schon über den Auftritt verraten?
Das ganze Album wird gespielt und noch ein paar andere Lieder. Das Album werden wir vermutlich in Reihenfolge spielen und dann noch ein kleines Set an beliebten Liedern, welche wir gemeinsam auswählen werden. Die Setlist für heute müssen wir uns auch noch überlegen. Wir sind eigentlich eine Demokratie, waren es auch immer. Das ist auch der Grund, warum PARADISE LOST funktioniert.