Geschrieben von Samstag, 02 Dezember 2017 21:57

Epica im Interview - "Je länger ich Musiker bin, desto seltener bin ich von neuen Bands beeindruckt"

Schon zum zweiten Mal touren die niederländischen Symphonic Metaller von EPICA durch Europa und ließen trotz lärmendem Soundcheck wiederholt unsere Fragen über sich ergehen. Ein Gespräch mit Gitarrist Isaac Delahaye über die neue EP "The Solace System", Tourtourismus und die Fake-News-Problematik. Und was will eigentlich Sängerin Simone Simons mit ihren Texten ausdrücken?

Hi Isaac, danke, dass du vor der Show noch Zeit für uns gefunden hast. Wir beginnen gleich mit einer sehr häufig gestellten Frage: Wie läuft die Tour bisher?

Super. (lacht) Wir haben noch ungefähr eine Woche vor uns. Begonnen hat die Tour ja in Deutschland und seitdem ging es in alle möglichen Länder wie Spanien, Portugal, Frankreich, jetzt wieder Deutschland und bis zum Ende der Woche werden wir die Tour in Frankreich, Italien und der Schweiz zu Ende bringen. Bisher war alles wunderbar. Es ist ja auch schon die zweite Europa-Tour zum aktuellen Album. Du kommst einfach noch einmal ein bisschen herum, bevor du wieder verschwindest, um an einem neuen Album zu arbeiten.

Ihr tourt ja nach einem ziemlich straffen Zeitplan mit drei, vier Shows hintereinander, bevor ihr einen Tag frei habt. Seht ihr überhaupt etwas von den Städten und Ländern, in denen ihr seid?

Puh, wenn du dir Zeit dafür nehmen willst, kannst du das sicher jeden Tag unterbringen. Aber wir haben die gleiche Route schon unzählige Male betourt und wir wissen zwar nicht alles über die Städte, in denen wir sind, aber wir haben eigentlich die wichtigsten Sachen schon gesehen. Und normalerweise ist es so, dass du einiges an Schlaf nachholen musst, jedenfalls wenn du, wie ich, nicht sonderlich gut in einem sich bewegenden Bus schlafen kannst. Wenn du also einen Tag frei hast, ruhst du dich aus.

Gestern waren wir in einem kleinen Dorf mit ein paar kleinen, schnuckeligen Bars und Restaurants. Aber heutzutage machen wir nicht mehr soviel Sightseeing auf Tour. Letztlich kommt es aber auch darauf an, wo du gerade bist, ob in einem neuen Land oder nicht. Man kann sich das ein bisschen wie ein Wochenende vorstellen, an dem man halt die Sachen macht, die einem Spaß machen.

Ihr steuert geradewegs auf eure tausendste Show zu, welche im April in Tilburg stattfinden wird. Zählt ihr wirklich eure Konzerte?

Ja! Wir sind so autistisch, dass wir alles zählen, was wir tun. (lacht) Wir zählen die Shows, die Länder, sogar die Meilen, die wir zurückgelegt haben. Aber die Sache ist die: Es ist nur die Feier der tausendsten Show und nicht die Tausendste selbst. Die Show ist eher Teil unseres eigenen Epic Metal Festivals, welches wir seit einigen Jahren veranstalten. Also mehr so ein "Epic Metal Festival presents the 1000th Show of Epica“.

Du bist der Band 2009 beigetreten. Welche Show mit Epica war für dich in dieser Zeit am erinnerungswürdigsten?

Ich glaub', das gilt nicht nur für mich, aber "Retrospect“ war eine ziemlich coole Sache für uns. Wir hatten ein Orchester, einen Chor und die Show war ausverkauft. Dazu haben wir die Show live in die ganze Welt hinaus gestreamt und das war alles irgendwie gewaltig. Und dann haben wir dabei auch noch eine DVD aufgenommen, sodass wirklich alles klappen musste. Das war wirklich eine coole Sache.

Aber die andere Sache, die ich nennen würde, ist eine Show, die wir in Brüssel gespielt haben. Ich komme ja aus Belgien und in dieser Halle zu spielen … Ich meine, sie ist nicht groß. Vielleicht ein Venue für 2.000 Leute, also nicht riesig. Aber ich habe dort PANTERA gesehen, als ich irgendwie 15 war, und bis heute ist es vielleicht die beste Show, die ich je gesehen habe. Also wirklich, was Rock'n'Roll angeht, gab es bisher keine Show, die diese PANTERA-Show schlagen konnte. Und einfach nur zu wissen, dass ich gerade auf der Bühne stehe, auf der ich die beste Show meines Lebens gesehen hatte, war cool.

Hast du als Musiker eigentlich überhaupt noch Zeit, selbst ein Fan zu sein?

Ja schon, aber wir sehen halt auch viele Bands, während wir selbst auf Tour sind. Gestern zum Beispiel, da haben INSOMNIUM hier gespielt, welche gute Freunde von uns sind. Da sind ein paar von uns hingegangen, ich aber nicht. Wir spielen noch in Bologna auf dieser Tour und am Tag darauf, einem unserer freien Tage, werden TESTAMENT ebenfalls dort spielen. Es ist einfach eine kleine Welt und wir sagen uns gerne mal gegenseitig „Hallo!“.

Aber um auf die Frage zu antworten: Ich muss zugeben – je länger ich Musiker bin, desto seltener bin ich von neuen Bands beeindruckt. Heute höre ich mir neue Musik an und denke: „Ja, das ist nicht schlecht, aber ...“. Es ist einfach nicht mehr das gleiche Gefühl wie damals, als ich angefangen habe, Metal für mich zu entdecken. Als ich als Teenager die ersten Bands für mich entdeckt habe und dachte: „Wow, was ist das? Sowas hab ich noch nie gehört ...“ Ich habe offensichtlich dieses Gefühl nicht mehr, was aber nicht heißt, dass es da draußen keine guten Bands mehr gibt.

Ich habe versucht, so viel wie möglich auszuchecken und man redet ja auch untereinander und bekommt Empfehlungen. Zum Beispiel, ein guter Freund von mir ist Fan von ABORTED, einer Metalband aus Belgien, und er empfiehlt mir ständig neue Bands. Letzte Woche hat er mir wieder was geschickt, an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern. „Schau dir das mal an!“, hat er gesagt. Das hab ich gemacht und manchmal mag ich es eben und manchmal nicht. Aber so war es schon immer.

Epica The Solace System Artwork

Lass uns ein bisschen über eure neue EP "The Solace System“ reden, welche ihr Anfang September veröffentlicht habt. Das war ja das erste Mal, dass ihr so etwas wie eine B-Side-Collection herausgebracht habt, während die B-Seiten zu "The Quantum Enigma“ noch über alle möglichen Versionen verstreut waren. Ist das vielleicht etwas, was eure Fans in der Zukunft wieder von euch erwarten können?

Das war nichts, was wir geplant hätten. Unsere Situation war folgende: Für "The Holographic Principle“ hatten wir 27 Songs, also viel zu viele. Daraufhin haben wir 18 Songs ausgewählt, von welchen wir wirklich überzeugt waren und haben diese aufgenommen. Davon haben dann aber wiederum nur zwölf auf das Album gepasst. Wir hätten nicht einmal 13 Songs auf das Album packen können, wenn wir gewollt hätten, dafür war einfach physisch kein Platz mehr. Die restlichen Sechs waren also übrig.

Und wie du schon gesagt hast, hatten wir für "The Quantum Enigma“ lauter verschiedene Versionen, wie die Deluxe-Edition, die Vinyl, Japan, iTunes etc., auf die alle Bonustracks verteilt waren. Fans, die alle Songs haben wollten, mussten dementsprechend zig verschiedene Editionen kaufen und so sollte es einfach nicht sein. Da hatten die Fans völlig Recht.

Also haben wir drüber gedacht und … Du hast die Songs ja als B-Seiten bezeichnet, für uns sind die Songs aber wirklich vollwertig und wir sehen "The Holographic Principle“ und "The Solace System" als ein großes Album. Und das ist eigentlich alles. Ob es also in der Zukunft wieder so sein wird, weiß ich nicht. Es kommt auch darauf an, wie viele Songs wir schreiben. Manchmal haben wir zu viele, manchmal fast zu wenig. Aber die Fans sind glücklich, das reicht uns.

Wer oder was ist der "Architect Of Light“?

Das solltest du Simone fragen. (lacht) Weißt du, sie hat viel über Träume und den Zustand zwischen Schlaf und Wachsein geschrieben. Du wachst auf und das Licht erfüllt dich. Sie schreibt sehr persönliche Texte und drückt sich dabei meisten sehr metaphorisch aus. Es ist also nicht wirklich eine Person. Wenn ich ihre Texte lese, lassen diese immer viel Raum für Interpretation, also frage ich sie und sie sagt mir meistens, dass sie nicht zu viel darüber verraten will, weil sich der Hörer sonst zu sehr darauf festfährt, anstatt selbst zu interpretieren. Sie denkt immer sehr metaphorisch, es könnte also alles sein. Vielleicht ist das Licht etwas, was dich Lebendigkeit fühlen lässt. Der „Architect Of Light“ kann wirklich alles sein und so sollte man an die Texte auch herangehen.

Eine Frage zu "Wheel Of Destiny“: Der Song handelt von Journalisten, die ihr Leben dafür riskieren, die Wahrheit zu enthüllen. Heutzutage werden Journalisten der Lüge bezichtigt. Ihnen wird teilweise vorgeworfen, Fake News zu erschaffen und die Menschen durch Massenmedien zu manipulieren. Wie siehst du diese ganze Debatte?

Das kommt ganz darauf an, mit was für einem Thema wir es zu tun haben. Wenn du mir eine Frage stellst und ich dir antworte, gehst du davon aus, ich würde die Wahrheit sagen. Aber du kannst es nie wirklich wissen. Du musst dich also immer an die Fakten halten und diese können aber für jeden etwas anderes sein. Es ist also immer ziemlich schwierig. Und wenn du das auf Politik oder Propaganda überträgst …

Schauen wir in die USA, wo Russland vielleicht die Ergebnisse der Wahl beeinflusst hat. Selbst wenn du jetzt Untersuchungen anstellst, wird die Sache nicht klarer, weil du nie weißt, wer die Wahrheit sagt. Es ist also sehr schwer, die Wahrheit zu finden und ebenso schwer, eine Meinung zu haben, weil du dir nie sicher sein kannst. Die Frage ist echt kompliziert. Und als Journalist ist das halt dein Job und vermutlich willst du die Wahrheit verbreiten. Aber wenn du dann halt ständig falsche Informationen bekommst … Ich denke, es ist nicht wirklich spaßig, momentan ein Journalist zu sein. Aber da ich keiner bin, kann ich auch nicht viel darüber sagen.

Welche Songs spielst du lieber: Neues Zeug oder die Klassiker?

Ich mag beides, wenn ich ehrlich bin. Ich bekomme die Frage tatsächlich oft gestellt und ich denk,e es ist dasselbe wie bei jedem Job. Wenn du die gleiche Sache immer wieder machst, wird es langweilig. Allerdings erlangst du auch eine gewisse Routine und wirst gut darin. Es ist etwas komplizierter, wenn du neue Songs spielst. Du musst hochkonzentriert sein, auch bei der Performance. Du kannst vielleicht den Arm nicht heben und die Hörner zeigen, weil du zu beschäftigt bist, den Song zu spielen. Oder du spielst eine tolle Show, kannst aber nicht mit den anderen Bandmitgliedern oder dem Publikum interagieren. Es muss also erst noch zur Routine werden, während du die Klassiker, welche du seit Jahren spielst, im Schlaf beherrschst.

Solange die Fans zu den Songs abgehen, spielt das keine Rolle, denn du kannst mit den Fans interagieren und neue Sachen ausprobieren. Für mich ist also beides cool. Ich liebe es, auf der Bühne zu sein – und wir sind keine Band, die einfach nur still auf der Bühne rumsteht, sondern wir lieben es, uns zu bewegen. In dem Moment, in dem etwas langweilig wird, zu spielen, konzentrierst du dich einfach auf etwas anderes, wie die Performance, oder alberst einfach nur rum.

Laut der Webseite setlist.fm sind eure am meisten gespielten Songs "Cry For The Moon“, "Sancta Terra“ und "Consign To Oblivion“. Allesamt Klassiker und Fanlieblinge. Könnt ihr überhaupt noch irgendeine Tour ohne die Songs spielen?

Ja, sicherlich, wenn du zum Beispiel etwas Besonderes machst und ein Album oder so komplett spielst. "Cry For The Moon“ haben wir auf dieser Tour auch nicht bei jeder Show gespielt. Dasselbe mit "Consign To Oblivion“, welches eigentlich immer als letzter Song in der Setlist kommt. Zum Beispiel auf der "70000 Tons of Metal“-Kreuzfahrt, da hatten wir zwei Shows und haben zwei völlig verschiedene Sets gespielt. Viele Bands dort haben zweimal das Gleiche gespielt, wir nicht. Und da haben wir mit einem anderen Song gestartet und die Show auch mit einem anderen Lied beendet.

Wir haben es also schon getan, aber es gibt auch viele Songs, die auf dem Album wirklich cool klingen, aber live gar nicht funktionieren. Oder andersrum. Leute würden sich den Song auf dem Album vielleicht nicht als ihren Favoriten heraus suchen, finden ihn live aber richtig gut. Und an irgendeinem Punkt wird sich die Setlist sowieso wieder verändern, weil je mehr Alben du veröffentlichst, desto größer wird auch die Songauswahl. Aber wenn das die Statistik sagt, wird es schon einen Grund haben.

Habt ihr schon Pläne für ein neues Album?

Es gibt Pläne, aber wir haben bisher nur einen ungefähren Zeitrahmen und wissen nicht, wann alles fertig sein wird. Unser Tourplan zieht sich noch bis zu den Sommerfestivals nächstes Jahr und danach wollen wir uns frei halten für das Songwriting. Aber es gibt noch keine Deadline, zu welcher wir den Schreibprozess abgeschlossen haben wollen.