Erstmal vielen Dank, dass ihr Zeit für uns gefunden habt. Seid ihr eigentlich eine Band, die gerne auf Tour ist oder ist das für euch eine eher ambivalente Sache?
Hanno Klänhardt (H): Also ist schon ein bisschen schizophren, mir macht das eigentlich überhaupt keinen Spaß. Mir machen Konzerte Spaß und deswegen mache ich das so viel. Aber die restlichen 23 Stunden sind eher scheiße … bzw. nicht so mein Favourite.
Erinc Sakarya (E): Wir machen das ja jetzt schon seit ein paar Jahren und es macht nicht irgendwann Klick, dass es Spaß und Freude macht. Sondern das ist teilweise auch total viel Arbeit. Und klar, das auf der Bühne macht auch Spaß …
H: Das ist ja der Grund, warum man das alles macht, deswegen nimmst du ja auch Platten und so auf. Heute ist wieder ein gutes Beispiel: Das war eigentlich noch entspannt so. Gestern, in Dortmund, halt total abgerissen, alles gegeben, auch echt voll auf die Kacke gehauen und nur fünf Stunden gepennt. Dann sechs Stunden im Auto gesessen, dann zu spät gekommen, sofort aufbauen, Soundcheck, dies, das … und jetzt sitzen wir hier mit euch – was auch gut ist –, aber der Ablauf ist halt jeden Tag gleich.
Ich kenne ganz viele Leute, die finden das super, so auf Tour zu sein. Aber was wir jetzt machen, macht mir eigentlich am meisten Spaß. Zwei, drei Konzerte, paar Tage frei, wieder Konzerte. Wir haben jetzt 16 Konzerte, was mir eigentlich schon wieder einen touch too much ist, aber man kann sich das ja auch nicht immer aussuchen. Wenn du zum Beispiel ganz Europa bespielst, da kannst du ja nicht sagen, dass du jetzt Paris und London machst und dann eine Woche frei nimmst. Das ist kostenlogistisch gar nicht zu machen. Von daher rutscht du schon oft wieder in diesen Rhythmus.
Ihr macht ja auch viele Fly-In-Shows. Habt ihr da wenigstens Zeit, euch ein bisschen umzuschauen?
H: Passiert selten.
E: Das ist auch so eine logistische Sache, das ist gar nicht machbar. Manchmal ist es dann auch so, dass man an einem Tag eine Fly-In-Show hat und am nächsten Tag schon wieder eine Show hat, wo man hin fährt. Das ist halt genau so stressig.
H: Bei den Shows, die richtig weit weg sind, da planen wir etwas großzügiger. In Südafrika hatten wir Zeit, auch in Japan und Vancouver. Aber jetzt bei den Sommerfestivals kommen wir vier Stunden früher an, spielen und tschüss … Weil wir waren jetzt so oft in Helsinki und das ist geil, aber ich würde da lieber als Tourist hin. Ich glaube, wenn es die Band nicht mehr gibt, treffen wir uns noch einmal und schauen all die Orte, an denen wir mal waren, nochmal mit Abstand an.
Ihr wart ja auch schon vorher befreundet …
H: Erinc mit mir, nicht ich mit ihm. (lacht)
Hat sich eure Freundschaft dadurch verändert?
H: Natürlich verändert sich das, weil früher hast du dir ausgesucht, wann du dich triffst und jetzt terminiert das ja der Tourschedule. Ich wohne in Florida, Erinc in Hamburg, da ist das einfach anders.
E: Ich denke, bei der Freundschaft muss man auch noch sagen, das …
H: ... wird auch überschätzt. (lacht)
E: Nein! Das Level ändert sich. Man lernt einfach irgendwann, das Geschäftliche vom Privaten zu trennen. Da sind auch Sachen, die darf man nicht persönlich nehmen, weil wir sind ja auch auf eine Art eine Firma. 'ne Musikfirma. Und da leisten wir auch viel.
H: Was Erinc meint, ist: Das klingt weird und so, aber wir bestreiten unseren Lebensunterhalt damit. Und manchmal sind die Sachen auch unangenehm und du hast extrem viel Stress, wie bei jedem anderen Job auch.
Also ich habe das Gefühl, dass aus der Freundschaft mehr so etwas wie eine Familie geworden ist. Beim Familienmitglied gibt man irgendwann auf, den anderen ändern zu wollen. Ey, ich kenne Erinc a) seit '97 und b) habe ich in den letzten fünf Jahren mehr Zeit mit ihm verbracht, als mit irgendjemandem sonst. Da musst du nicht bei jeder Sache ein Fass aufmachen, das geht einfach zack, zack.
Habt ihr auf einer solchen Tour dann auch engeren Kontakt zu den Vorbands?
E: Mal so, mal so. Manchmal reist man ja auch zusammen, im gleichen Gefährt. Dann ist das intimer. Kann aber auch sein, dass es total getrennt ist und wie gesagt – wir machen jetzt Interview, die machen den Soundcheck. Wenn Zeit bleibt, gehen wir noch ins Hotel und wenn wir zurückkommen, sind die schon wieder fertig und bauen ab. Da ergibt sich tatsächlich nicht so viel.
H: Wir sind auch jetzt nach den Konzerten nicht mehr so wie früher, dass wir uns jeden Abend wegballern. Am Anfang hat man halt jede Party mitgenommen und so. Aber wenn man jetzt 'nen Monat zusammen unterwegs ist, auch im gleichen Bus, dann wird das halt schon so eine eingeschworene Clique.
Letzte Tour waren wir halt mit 20 Leuten im Bus, das ist wie ein Internat auf Rädern, sag' ich dir. Da kennst du halt jeden. Ist auch total super. Ich finde das cool, weil man sich nach ein paar Wochen auch nichts mehr vormachen muss. Das ist ja kein Zufall, dass du mit manchen Leuten abhängst und anderen nicht. Das ist wie 'ne Klasse.
Gab es dann schon einmal eine Band, mit der es so schlimm war, dass ihr einfach nur froh wart, als die Tour vorbei war?
E: Das waren SLAYER, das ging gar nicht.
H: Ja, das war richtig Scheiße. Und MANOWAR war auch richtig abartig … (lacht)
Äh nö, eigentlich nicht. Wir suchen uns die Bands ja auch sehr gezielt aus. Es herrscht schon immer so ein gemeinsamer Respekt, sowohl von uns aus als auch von den Vorbands. Wenn man auf engstem Raum ist, geht das auch gar nicht anders.
Wie läuft das mit dem Buchen von Vorbands?
H: Meistens über die Booking-Agentur, oder auch über die Bands selbst. Im besten Fall ist es natürlich so, dass man mit einer Band befreundet ist und eine Tour zusammen macht.
Mischt sich bei so etwas auch das Label mal ein?
H: Das Label sagt da relativ wenig. Also wie schlecht kann die Kombi schon sein? Jeder weiß halt, dass es schon irgendwie Sinn ergeben muss für die Zielgruppe. Obwohl wir eigentlich am meisten Spaß haben, wenn die Vorbands musikalisch möglichst weit von uns weg sind. Das finde ich eigentlich am geilsten. Könnte mir auch vorstellen, dass wir da in Zukunft auch ganz andere Türen aufmachen. Um uns selbst zu unterhalten.
Bei eurer Tour im Herbst waren es ja insgesamt vier Bands, das war schon happig.
H: Ja, vier Bands sind zu viel. Aber du musst auch sehen, dass es ganz viele Leute gibt – gerade die Die-Hard-Metal-Fraktion –, die auch cool mit sechs Bands sind. Und gerade diese großen Ami-Touren sind halt auch voll krass, da sind teilweise diese sechs Bands auf dem Billing. Es ist fürchterlich, ey.
Dadurch wird es aber auch günstiger.
E: Ja, ich glaube, das denken wir uns dabei auch, wir sind da auch ein bisschen alte Schule. Wir hatten früher auch nicht viel Geld und dann denkst du schon, dass du den Fans vier Bands bieten musst, wenn du mehr als 20€ verlangst.
H: Obwohl ich davon mittlerweile auch ein Stück ab bin. Es geht eher um Qualität statt um Quantität.
E: Aber du hast Recht, wenn da vier Bands stehen, ist das anstrengend, selbst wenn man Geballer mag. Dann macht man halt vorne oder hinten Abstriche, schaut sich nur die zwei mittleren Bands an oder kommt erst ab der dritten. Deswegen heute nur zu zweit.
Was ist bei euch wichtiger? Lautstärke oder differenzierter Sound?
H: Ja, es muss schon echt laut sein. Wir müssen schon immer lauter sein als alle anderen. Das ist ein grundsätzliches Ding. Aber ja, differenzierter Sound ist im besten Fall natürlich auch da. Aber ich könnte jetzt nicht geil auf der Bühne performen, wenn ich weiß, das hat so eine angenehme Mitmachlautstärke wie so ein Stadtfest oder so. Wie soll ich da in Stimmung kommen, wenn mir nicht der Kopf brummt?
Deswegen ist es für uns auch in manchen Ländern so schwer. In der Schweiz zum Beispiel. Maximal 99 Dezibel und solche Späße. Also Erinc haut einmal auf eine Trommel und das ist schon bei 103, ohne Mikrofone. Das ist total für den Arsch. Es geht halt nicht so richtig.
Wie ist denn das, wenn ihr nach der Show von der Bühne kommt? Die fünf Minuten nach dem Auftritt, wenn das Adrenalin langsam nachlässt.
H: Eigentlich angenehm. Ich bin immer froh, wenn es vorbei ist, weil es wirklich so derbe anstrengend ist.
E: Also ich hab da jetzt auch in keinster Weise eine Post-Show-Depression oder so. Das gabs früher, wenn man eine Band hatte, nur einmal im Jahr gespielt und davor drei Monate geprobt hatte. Dann bist du in so ein Loch gefallen. Wir spielen morgen das nächste Konzert, wir spielen im Sommer Festivals, im Herbst wieder ganz viele, da hast du nicht das Gefühl, dass es nicht weitergeht.
H: Ich will nur wissen, wenn ich von der Bühne gehe, dass alle Beteiligten ihr Bestes gegeben haben. Bei der Show auf der Bühne, beim Licht und so. Wenn ich merke, irgendwas lief schief, ist das natürlich ätzend, da kann ich dann auch nur schwer darüber hinweg sehen.
E: Das war dann auch das letzte Mal, dass wir mit einer solchen Person zusammen gearbeitet haben. (lacht)
H: Ne, wenn alles geil läuft, ist das cool. Aber ich merke dann schon, ich muss sehr schnell für mich sein. Einpacken und so schnell wie möglich ins Bett. Das ist für mich wirklich das Schönste: Wenn das Konzert geil war, dann so was voll Normales machen. Sich ins Hotel legen, eine Dusche nehmen. Zum Beispiel gestern Abend, da hab ich nachts – ich hab ja sonst kein deutsches Fernsehen – noch irgendeine Doku bei der ARD geschaut und einen Hagebuttentee getrunken … das war super.
Diese Diskrepanz zwischen Show und dem normalen Leben gibt es bei euch also überhaupt nicht.
H: Ne, weil wir so fokussiert sind auf die Bühnenshow. Wir wissen halt schon vorher, was wir machen und das ganze Brimborium drum herum gibt es bei uns eigentlich fast gar nicht. Und das meine ich im positivsten Sinne. Für mich ist immer wichtig, damit ich auf der Bühne so richtig durchdrehen kann, dass ich davor und danach so schnell wie möglich in ein normales Setting komme.
Wenn wir zum Beispiel in Hamburg spielen, wo ich auch lange gewohnt habe, da sitze ich eigentlich immer bei einem meiner besten Kumpels bis eine halbe Stunde vor der Show und fahre dann mit dem Taxi 'rüber. Um bloß nicht über die ganze Scheiße nachzudenken, das macht mich alles verrückt. Im Wohnzimmer sitzen, Bier trinken, Fernsehen schauen, versuchen alles auszublinken. Und ich muss auch immer sehr viel alleine sein. Das ist für mich das härteste auf Tour, dass ich nicht alleine sein kann.
Wie gehst du dann damit um, wenn du mit 20 Leuten im selben Bus bist?
H: Nicht so gut. Ich bin immer so ein bisschen ein Eigenbrötler auf Tour. Ich bin immer der, der als erstes ins Bett geht und steh auch meistens als letzter auf. Ich bin gerne mal 16 Stunden am Tag in dieser Koje. Dann geh' ich spazieren – alleine –, spiele das Konzert und verschwinde sofort wieder in diese Koje und lese. Bin sehr unaufregend und langweilig.
Klingt eigentlich nicht schlecht.
H: Ja. Ich würde auch gerne mehr feiern, aber ich packe das körperlich einfach nicht. Weil ich mich da auf der Bühne wirklich so lang mach, mir nichts schenke – also ich will jetzt nicht das Maul aufreißen, aber es ist nicht so, dass ich da auf die Bühne gehe und eine Stunde Keyboard spiele. Sondern danach ist dann auch echt Schicht. Und nur, wenn hinterher auch wirklich Schicht ist, weiß ich auch: Das war gut.
E: Vielleicht muss man auch noch dazu sagen, dass du bei so einer Tour auch eine Daueranspannung spürst. Den ganzen Tag, weil du ja auch noch das Konzert spielst, und du bist einfach ein bisschen nervös, dass alles gut klappt. Und dann musst du auch aufpassen, dass du nicht zu viel feierst, weil am nächsten Abend wieder eine Show ist und das zieht sich über den gesamten Tourzeitraum. Du bist irgendwie immer ein bisschen drüber und von daher sind diese kleinen Momente, die man ergattern kann, in denen man mal allein ist und seine Ruhe hat, auch gut, um mal wieder runter zu kommen.
Obwohl wir das ja schon eine Weile machen, finde ich, dass ein Konzert spielen nicht so ist, wie auf ein Konzert zu gehen. Das ist, obwohl es auch Spaß macht, immer noch anstrengend. Und diese Anstrengung brauchen wir auch, das erfüllt in dem Moment auch. Wenn wir jetzt ein Konzert spielen und nicht schwitzen würden, würde uns das auch nicht befriedigen. So lange gespielt zu haben, dass wir nach dem letzten Song auch nichts mehr spielen können, das ist es.
→ Hier geht's zum zweiten Teil unseres großen MANTAR-Interviews – darin dreht sich alles um Politik, Diskussionskultur und Spotify.