Geschrieben von Mittwoch, 18 September 2019 15:00

Atlantean Kodex im Interview zu "The Course Of Empire"

Die Epic Heavy Metaller von ATLANTEAN KODEX aus Vilseck in Bayern zählen zu den besten Acts des Metal-Undergrounds. Ihr zweites Album „The White Goddess“ entfachte bei den Hörern Begeisterungsstürme, wie es nur bei ganz wenigen nach 2000 erschienenen Alben der Fall war. Nachdem lange Zeit nicht klar war, ob es überhaupt eine neue Platte geben würde, haben ATLANTEAN KODEX mit „The Course Of Empire“ nun ihre dritte Platte unters Volk gebracht. Wir sprachen mit Sänger Markus Becker sowie Gitarrist und Songwriter Manuel Trummer über die neue Musik, Genre-Grenzen und Finanzen.

In ein paar Tagen erscheint mit „The Course Of Empire“ euer drittes Studioalbum. Teile davon habt ihr schon vergangene Woche auf dem Deaf Forever Birthday Bash in der Hamburger Markthalle präsentiert. Wie beurteilt ihr den Gig mit ein paar Tagen Abstand?

Markus: Von der Publikumsreaktion her war der Auftritt fantastisch. Das hat sich schon grandios angefühlt, keine Frage. Unsere eigene Leistung würde ich mal mit „steigerungsfähig“ beurteilen, wir hatten mit ein paar Soundschwierigkeiten auf der Bühne zu kämpfen und man merkte, dass uns nach 1,5 Jahren Bühnenabstinenz noch etwas die Routine fehlt. Aber insgesamt waren wir natürlich schon sehr zufrieden.

Meines Erachtens haben die neuen Stücke „People Of The Moon“, „Chariots“ und „Lion Of Chaldea“ auch live überragend funktioniert. Noch überragender fand ich allerdings, wie präsent die Lyrics beim Publikum schon waren. Die Songs wurden ja fast so textsicher mitgesungen, wie das altbekannte Material. Wie empfindet ihr diese Form der Anerkennung?

Markus: Als uns bei „People Of The Moon“ die Chor-Welle „Ho-oly, Ho-oly“ überrollt hat, war das natürlich phänomenal. Der Enthusiasmus und die Textsicherheit der Fans sind für uns immer wieder aufs Neue unfassbar, aber dieses Mal hat sich die ganze Vorfreude auf das Album, die neuen Songs und das Deaf-Forever-Event an sich in einer einzigen Publikums-Eruption entladen. Diese Art der Reaktion war natürlich für uns auf der Bühne ein unbeschreibliches, überwältigendes Gefühl, weil in diesem Moment die gesamte Anspannung und Unsicherheit bzgl. der Live-Tauglichkeit der neuen Songs mit einem Mal abgefallen ist. Eine bessere Form der Anerkennung seitens der Fans kann ich mir nicht denken.

Nimmt man den Auftritt in Hamburg mal als erste Standortbestimmung für das neue Album, scheint ihr die hohen Erwartungen eurer Anhänger locker erfüllen zu können. Habt ihr beim Schreiben von „The Course Of Empire“ einen besonderen Druck verspürt? Immerhin gilt euer letztes Album „The White Goddess“ als ein Meilenstein des Metal-Undergrounds, der fast durchweg abgefeiert wurde – und immer noch wird.

Markus: Ja und nein. Wir hatten natürlich auch an uns selbst den Anspruch, zu versuchen, etwas auf demselben Niveau wie „The White Goddess“ zu erschaffen. Andererseits haben wir den Druck dadurch reduziert, dass wir uns von Anfang an vorgenommen hatten, eine neue Platte nur dann zu veröffentlichen, wenn sie in unseren Augen diesem Anspruch auch gerecht würde. Sonst hätte es eben kein neues Album gegeben, Punkt.

Es gab ja niemanden, der ernsthaft von außen hätte Druck machen können, wie Promoter, Plattenfirma etc. Das ist einer der Vorteile, wenn man sein Geschick in den eigenen Händen hält und sich von niemandem reinreden lässt. Natürlich haben wir die Erwartungen der Fans schon gespürt, da wir seit drei, vier Jahren ja ständig nach dem „neuen Album“ gefragt wurden. Das war schon eine Zeit lang seltsam, weil wir ja nie wussten, ob es so etwas überhaupt geben würde.

PRIMORDIALs Alan Averill kritisierte in einem Interview mal die Hörgewohnheiten der heutigen Zeit – vielen fehle mittlerweile die Geduld, auch lange Songs bewusst und aufmerksam zu hören. Auch die meisten Stücke eurer neuen Scheibe sind recht lang und ausufernd, worauf die Songtitel von „The Course Of Empire“ bereits hindeuten. Wirkt auf mich wie eine Kampfansage an die schnelllebige und hektische Gegenwart, in der alles auf schnellen Konsum in mundgerechten Häppchen ausgerichtet ist.

Markus: Die Länge der Songs ist eigentlich Manuels Songwriting-Stil zu verdanken. Da steckt zunächst einmal nicht unbedingt die Absicht dahinter, dem Hörer Geduld abzuverlangen. Dennoch tun unsere Songs genau das und schließen somit eine bestimmte Hörer-Klientel, die sich nur auf YouTube durch die Videos klickt, automatisch aus. Wir legen ja auch immer sehr viel Wert auf das „Gesamtpaket“, das heißt man sollte das Album am Stück hören und möglichst im Zusammenhang mit der Cover-Gestaltung und den Texten begreifen. Natürlich kann man genauso gut auch einzelne Songs rauspicken und isoliert hören, aber selbst das verlangt mehr Aufmerksamkeit als eine durchschnittliche 3:30-Single.

Mit eurer Musik verarbeitet ihr zahlreiche Einflüsse aus Literatur und Mythologie und die gesamte „The Course Of Empire“ behandelt Themen wie Aufbruch, Reise, Zielsuche. Das Stück „The Innermost Light“ erinnert aufgrund seiner Melodie, des Textes und dem einsetzenden Männerchor stark an den Song „The Misty Mountains Cold“ aus Peter Jacksons „Hobbit“-Verfilmung, in der Thorin Eichenschild und sein Gefolge ihre alte Heimat aufsuchen und zurückerobern wollen. Lasst uns doch mal an der Entstehung dieses Werks teilhaben.

Manuel: Tatsächlich fällt der Vergleich mit „The Hobbit“ bei dem Lied recht oft, was ich auch absolut nachvollziehen kann. Allerdings hatte ich textlich und melodisch eher ein Kirchenlied im Sinn. Die unmittelbare Inspiration ist das polnische Kirchenlied "Witaj Głowo“, das ich entsprechend adaptiert habe. Inhaltlich geht es um unser Dasein, unsere oft beschwerliche Pilgerreise auf dieser Welt, an deren Ende eine große Hoffnung steht. Im Text finden sich auch noch ein, zwei geographische Bezüge, die auch noch auf ein anderes Thema verweisen.

Ursprünglich war der Song wegen des Kirchenlied-Charakters als reines A-Cappella-Stück angelegt. Aber irgendwie klang das über vier Strophen hinweg zu monoton. Darum haben wir am Ende drumherum noch die dicken Gitarren und die Chöre gebaut.

Eure Musik wird nicht zuletzt aufgrund der textlichen Konzeptionen der Alben dem Epic Metal zugerechnet. Könnt ihr mit Genre-Zuordnungen im Allgemeinen und dem Begriff Epic Metal im Speziellen etwas anfangen?

Markus: Ich bin mir manchmal gar nicht sicher, ob dieses Sub-Genre wirklich als solches existiert. Viele der in dieser Schublade einsortierten Bands könnte man auch als „epischen US bzw. Power Metal“, „epischen Doom“ etc. bezeichnen. Es tummeln sich in dieser Schublade schon Bands verschiedenster Couleur. Wenn z.B. Bands wie OMEN oder TRAVELLER demselben Genre zugerechnet werden, haben wir rein musikalisch ja nicht unbedingt sooo viel gemein. Mir sind diese Kategorien da prinzipiell aber ziemlich egal, darauf kommt es nicht an.

Mit eurem episch-doomigen Heavy Metal huldigt ihr in erster Linie vergangenen Helden des Genres wie BATHORY, frühe MANOWAR, aber auch RAINBOW. Welchen moderneren Stilen und Platten könnt ihr etwas abgewinnen?

Markus: Modernen Stilen gar nichts, ich bin von SLIPKNOT & Co. emotional weiter entfernt, als von einer guten Soul- oder Blues-Rock-Platte. Neuere Platten von Bands der traditionellen Metal-Stilrichtungen höre ich schon ab und an, egal ob Thrash, Doom oder klassischer Heavy Metal. Das Geschmacksspektrum ist da schon sehr breit in der Band, andere stehen auch sehr auf Black- und Death Metal.

Habt ihr euch als Band in den Jahren seit „The White Goddess“ denn verändert? Mal abgesehen vom gesundheitsbedingten Ausscheiden eures Lead-Gitarristen Michael Koch, der durch Coralie Baier ersetzt wurde.

Markus: Ich glaube eigentlich, dass wir uns kaum verändert haben, was vielleicht auch einer unserer Vorteile ist. Wir wollen uns rein musikalisch ja eigentlich auch nicht großartig verändern. Ansonsten gewinnt man natürlich über die Jahre an Erfahrung und bestimmte Dinge im Musikgeschäft überraschen einen nicht mehr.

Apropos Musikgeschäft: Eure Band ist bekanntlich euer Hobby, hauptberuflich verdient ihr euer Geld mit anderen Jobs. Kann ATLANTEAN KODEX nur auf diese Weise bestehen oder wärt ihr bei einem entsprechenden Angebot nach all den Jahren doch noch offen dafür, die Band zu eurer Haupt-Einnahmequelle zu machen?

Markus: Da sind wir ganz einfach Realisten: Wir haben im Paralleluniversum „Normalität“ alle unsere Jobs, Familien etc. Und wir wissen, dass es heute für eine Band wie ATLANTEAN KODEX schlicht unmöglich ist, dass fünf Bandmitglieder einen gesicherten, steten Lebensunterhalt damit verdienen könnten.

Ich bin mir auch absolut sicher, dass wir – wenn wir dem dann geforderten Songwriting-Album-Tour-Zyklus gerecht werden müssten – nicht in der Lage wären, Musik auf dem Niveau von „The White Goddess“ oder „The Course Of Empire“ zu schreiben. Das sind ja alles Produkte jahrelanger Arbeit, die Songs haben alle einen entsprechenden Reifeprozess durchlaufen und ich denke, man hört den Alben die Detailarbeit an.

Wir sind aber auch einfach charakterlich keine Touring-Band, ich glaube, da würden wir uns ziemlich schnell aufreiben und die Lust verlieren. „Haupt-Einnahmequelle“ bedeutet ja dann auch, dass die Musik zu unserem „Job“ werden würde, und als solchen wollen wir sie einfach nicht sehen.

Euer Debüt „The Golden Bough“ erschien 2010, drei Jahre später folgte „The White Goddess“ und wiederum sechs Jahre später “The Course Of Empire“. Die Abstände zwischen den Platten verdoppeln sich – das nächste ATLANTEAN KODEX Album dürfte dann 2031 kommen?

Markus: … wenn es denn jemals kommt. Aber auf diese Diskussion lasse ich mich erst wieder in ein paar Jahren ein. Wir genießen jetzt einfach den Augenblick, promoten das neue Album live und dann sehen wir mal, was die Zukunft bringt.