Geschrieben von Freitag, 18 Oktober 2019 11:50

Interview mit Oise Ronsberger, Labelchef von End Hits Records

Oise Ronsberger von End Hits Records Oise Ronsberger von End Hits Records Bild von End Hits Records on Facebook

Oise Ronsberger von End Hits Records erzählt, wie er Labelchef wurde, BOYSETSFIRE kennen lernte, was Musik für ihn bedeutet und wie er sich als junger Labelbesitzer durchs Leben schlug. Wir thematisieren neben der Entwicklung der Musikindustrie auch die Frage, was ein gutes Album ausmacht und Oises Perspektive auf den Zeitgeist. Für unsere Claudia war dieses Interview "ein inneres Milchshake-Schlürfen" – auch wenn sie es aus terminlichen Gründen per E-Mail (inkl. ein paar Nachfragen) führen musste.

Seit 2013 betreibt Oise, der in den 80er Jahren in einer kleinen Stadt in Bayern aufwuchs, in Berlin das Label End Hits Records, weil BOYSETSFIRE sich unabhängig machen wollten von Majorlabels. Mittlerweile hat er viele weitere tolle Bands unter Vertrag wie SWAIN, MATZE ROSSI, NORBERT BUCHMACHER, BANE, STICK TO YOUR GUNS ... und End Hits als Independent Label vollends etabliert.

Oise, du bist Labelchef von End Hits Records und Tourmanager für viele tolle große Bands wie PARKWAY DRIVE und BOYSETSFIRE. Magst du uns erzählen, wie es zu diesem rasanten Leben in der Musikbranche kam? 

Im Prinzip kann ich alles auf das Jugendcafé Zwiesel zurück führen. Vielen ist diese Oase im Bayerischen Wald vielleicht ein Begriff. Das "Kaff" – wie es lokal liebevoll genannt wird – war und ist noch immer eines der wenigen (vielleicht sogar das einzige?!) unabhängigen Jugendzentren in Bayern. Als ca. 14-Jähriger kam ich dort das erste mal mit Subkultur im gröberen Sinn in Kontakt. Dann ging alles ziemlich schnell.

Ich glaube die erste Show, bei der ich beim Organisieren mithalf, war BUT ALIVE (die KETTCAR-Vorgänger-Band) und ab dann war das ein großer Teil meines Lebens. Ich wollte nicht mehr an der Seite stehen und nur konsumieren, sondern selbst ein aktiver und produktiver Teil dieser Szene sein. Ich spielte dann auch in diversen Punk und Hardcore Bands, wodurch ich Ivonne und Marco von Avocado Booking kennenlernte. Als Führerscheinanfänger schickten sie mich mit 18 zum ersten mal auf DIY-Tour durch Europa. Für jemanden wie mich, der aus einem 1.000-Seelen-Dorf kommt und dessen Eltern nie in den Urlaub gefahren waren, ein absolutes Erlebnis und ein Kulturschock. 

Kurz darauf lernte ich dann BOYSETSFIRE kennen, war ihr Fahrer, Roadie, Mercher und Tourmanager in einem – ohne wirklich zu wissen, was das eigentlich bedeutet oder was ich zu tun hatte, haha. Als BSF immer größer wurden, kam auch immer mehr Crew dazu und jeder von uns bekam neue Aufgaben. Und so professionalisierte sich das Stück für Stück. 

Seither habe ich unter anderem für Bands wie LAGWAGON, SICK OF IT ALL, MAD CADDIES, CASPER, KIZ, DONOTS und viele anderen als Tournee- und/oder Produktionsleiter gearbeitet. Ende der Neunziger startete ich dann auch zum ersten mal ein Label, wobei ich leider überhaupt nicht wusste, was zur Hölle ich da tat, haha. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich nochmal ausdrücklich bei allen Bands entschuldigen, haha!

Um welches Label handelte es sich und magst du uns etwas über deine Erfahrungen erzählen? Wie war es für dich, diese neue Herausforderung anzunehmen? 

Es handelte sich um das Label Dancing In The Dark – unter anderem veröffentlichten wir hier Bands wie KITTY EMPIRE, TAGTRAUM oder auch TIM BARRY (Sänger von AVAIL auf Solopfaden). Ich wusste, dass ich Platten veröffentlichen wollte und wo man diese herstellen lässt. Aber wie man diese dann anständig an den Hörer bringt, war für mich ein Rätsel, haha. Zu diesen Zeiten wurde noch viel mit anderen Labels oder Distros gegen ihre Releases getauscht. Gibt es das heute eigentlich noch?! Auf alle Fälle schuldet mir Steve Aoki von Dim Mak Records noch Emo-Platten im Wert von 450 Mark, haha.

Auch war mir damals nicht klar, dass man ohne großen Vertrieb im Rücken kaum "echte" Presse bekam. Allgemein Promotion war mir ein riesiges Rätsel. Deswegen habe ich meinen Labelcode und das Label später meinem Freund Matze Rossi geschenkt, der darauf seine Solo-Platten veröffentlichte, bis er 2016 seine erste End-Hits-Platte aufnahm. Ich hoffe, End Hits macht einen besseren Job als Dancing In The Dark, haha. 

Welche ist die witzigste Geschichte und welches die traurigste, die du uns erzählen magst aus den vielen Touren, die du begleitet hast?

Ich musste leider die Erfahrung machen, dass lustige Tourgeschichten sich nur selten gut erzählen lassen, speziell in schriftlicher Form. Vieles von dem, was auf Tour passiert, würde ich jetzt mal als Situationskomik beschreiben und wirkt auf Außenstehende im besten Falle meist komplett unwitzig und im schlimmsten einfach nur dämlich, haha. Eine der lustigsten Geschichten ist definitiv auf einer BOYSETSFIRE Tour passiert – nachzulesen in den Linernotes der bald erscheinenden Deluxe Edition von "While A Nation Sleeps", erzählt vom Bassisten Robert.* 

Die traurigsten Momente sind meist so tragisch und persönlich, dass ich mich ebenfalls schwer tue, sie hier zu teilen. Tut mir leid, aber da müssen wir uns mal in echt sehen und ich kann dann – wenn das Aufnahmegerät aus ist – gerne auspacken. Sowohl was lustig als auch traurig angeht.

Was bedeutet Musik für dich – als Labelchef, als Tourmanager und vielleicht noch aus der Erfahrung heraus, selbst einmal Musik gemacht zu haben? 

Das sind jetzt wirklich vier komplett unterschiedliche Positionen und Blickwinkel, deswegen verzeih mir bitte, wenn ich hier etwas weiter aushole. Als Privatperson bedeutet mir Musik immer noch alles. Musik und Punk/Hardcore haben mir nicht nur einen Weg aus der Enge und Konservativität meines Heimatortes gezeigt, sondern mir auch die Möglichkeit gegeben, mit dem was ich liebe meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich höre jeden Tag noch immer sehr viel Musik.

Ich muss aber auch sagen, dass mir durch meine Arbeit als Tourmanager Live-Musik wirklich kaum noch etwas gibt. Ich gehe sehr selten zu Konzerten und oft genieße ich es auch nicht wirklich. Musik mit anderen zu teilen oder zu erleben ist für mich einfach nicht mehr so wichtig. Ich höre lieber die Musik wo ich will, in der Reihenfolge und Lautstärke, in der ich will und ohne von den Zeitplänen und Launen anderer abhängig zu sein. Von Betrunkenen Störenfrieden bei Shows wollen wir jetzt erstmal gar nicht reden, haha.

Aus der Sicht eines Labelbetreibers ist Musik etwas Magisches, das Künstler aus dem Nichts erschaffen und ich helfe dabei, dies bestmöglich zu konservieren und hoffentlich den Leuten näher zu bringen, welche sich dafür begeistern könnten. Es bedeutet aber auch viel unschöne und nervige Bürokratie, auf die ich wirklich keinen Bock habe, haha. Ich liebe es aber noch immer, mit Bands Projekte auszutüfteln und umzusetzen. Einfach ein wunderschönes Gefühl, wenn plötzlich ein Release fertig vor einem liegt, nachdem es monate- oder sogar oft jahrelang einfach nur eine Idee in den Köpfen von eine paar Idealisten war.

Als Tourmanager ist dies wieder ganz anders. Ganz viele Menschen arbeiten sehr hart auf ein Ziel hin: Nämlich, dass die Zuschauer für ihr Geld eine möglichst gute Zeit haben. In dem ganzen Zirkus und bei der vielen Arbeit ist für mich als Tourmanager die Musik, in dem Kontext, wirklich leider zweitrangig und einfach nur eine von vielen Komponenten im großen Ganzen. Ich werde dafür bezahlt, die administrative Seite möglichst gut im Griff zu haben und alle Busse, Trucks und Dutzende von Menschen sicher und im Zeitplan von A nach B zu bekommen. Die eigentliche Show sehe ich nur selten und wenn überhaupt, dann aus einem sehr professionellen Blickwinkel. Umso schöner ist es dann, wenn man trotzdem mal kurz auf die Bühne oder ins Publikum blickt und sich freuen kann, dass man ein kleines Zahnrad in der Maschine war, welche so viele Menschen so glücklich macht.

Und zur letzen Frage: Deine Formulierung – "selbst einmal Musik gemacht" – trifft es sehr gut. Ich habe mich wirklich nie als Musiker gesehen, ein Instrument habe ich nur in die Hand genommen, wenn es ein Ziel gab. Zum Beispiel um für eine Show zu proben oder um an neuen Liedern zu arbeiten. Seit dem Ende von RED TAPE PARADE hatte ich quasi kein Instrument mehr in der Hand. Einfach aus dem Grund, dass ich eigentlich schon immer mehr Lust auf das "Projekt Band" hatte. Das heißt, ich liebte das Planen und das Durchführen viel mehr als das Musizieren an sich. 

Mit dem Label und meiner Arbeit als Tourmanager ist mein Bedürfnis nach "Planen und Durchführen" auch genug abgedeckt, haha. Es gibt momentan so viele Bands, so dass ich finde, man sollte sich wirklich nur auf eine Bühne stellen, wenn man es wirklich fühlt. Wenn Musikmachen ein Muss für einen ist. Und das fühle ich einfach seit einigen Jahren nicht mehr. Würde ich also in einer Band spielen, würde ich mich wirklich wie ein Poser fühlen. Wer weiß, ob das irgendwann mal wieder kommt, aber gerade sehe ich es wirklich nicht am Horizont für mich, haha.

Welche Bands haben dich in deiner frühen Jugend und bis heute geprägt? Und welche Band ist deine absolute Lieblings-Band auf immer und ewig?

Wie für jedes anständige Landei war Metal meine erste große Liebe. Unser Nachbar hatte meinem Bruder und mir ein Mixtape mit BON JOVI auf der A- und SLAYER auf der B-Seite aufgenommen. Und seine Schwester gab uns ein Tape mit U2 und THE CURE. Dieser eklektische Mix ist bis heute das Fundament meines "All over the place"-Musikgeschmackes, haha. Schnell waren wir aber auf der Suche nach noch extremerer Musik und Inhalten und stießen dabei auf Bands wie RAGE AGAINST THE MACHINE, NAPALM DEATH, SICK OF IT ALL oder PUBLIC ENEMY. 

Eine absolute Offenbarung war jedoch, als ich FUGAZI und SHELTER für mich entdeckte. Beide Bands waren aus sehr unterschiedlichen Gründen extrem prägend für mich. Sie zeigten mir, dass es da draußen eine Alternative zu dem Leben und der Kultur gab, welche mich in unserem kleinen bayerischen Dorf umgab. Dass ich eine Wahl habe. Durch sie kam ich z.B. zum ersten mal mit den Konzepten von vegetarischer Ernährung und einem drogenfreien Leben in Berührung. Bis heute sind diese beiden Bands neben PEARL JAM und den bereits genannten U2 und RAGE AGAINST THE MACHINE meine absoluten Lieblingsbands.

Im Nachhinein finde ich interessant, dass ich mich schon immer sehr zu englischsprachigen Bands mit sozialkritischer Message und auch viel Pathos hingezogen gefühlt habe. Deutschsprachige Künstler spielten und spielen in meinem Leben bis auf sehr wenige Ausnahmen kaum eine Rolle.

Wie gestaltet sich dein Leben, seitdem du End Hits Records gemeinsam mit BOYSETSFIRE ins Leben gerufen hast? Hast du überhaupt noch ein Privatleben und wie gestaltet sich das?

Hm, schwer zu sagen. Ich war schon immer eine Person, die viele Projekte gleichzeitig jongliert und gern gearbeitet hat. In letzter Zeit wird die Arbeit bei End Hits Records jedoch auch immer mehr und zum Glück gibt es einen engen Kreis an Leuten, mit denen wir zusammen arbeiten. Ohne Leute wie Mirko/Alex/Christian bei Uncle M, Pascal/Robert von Evil Greed oder Isa von Cargo und ihre Hilfe könnten wir das Label wirklich nicht auf dem aktuellen Niveau betreiben. 

Mein Privatleben gestaltet sich weiterhin relativ normal, ich versuche zwischen den Touren so gut wie möglich abzuschalten und dabei viel Zeit in der Natur zu verbringen. Als Selbstständiger muss ich jedoch sowohl für das Tourmanagement als auch das Label auch im Urlaub öfters meine Mails checken, als mir eigentlich lieb ist. Dafür habe ich durch den Beruf sehr viele andere Freiheiten. Ich denke, dies gleicht sich also alles irgendwie aus.

Wie siehst Du die Entwicklung der Musikindustrie in den letzten Jahren?

Ich finde es faszinierend, wie gravierend und schnell die Welt – und dadurch auch die Art und Weise, wie wir Menschen miteinander kommunizeren – sich gerade verändert. Da Musik wohl eine der ältesten Formen der Kommunikation ist, trifft das eben auch darauf und die dahinter stehende Industrie zu. Ich bin wohl Teil der letzten Generation, welche noch ein Leben vor dem Internet kennt, wofür ich sehr dankbar bin.

Grundsätzlich merkt man, dass die Konzentrationsspanne der Hörer wohl immer kürzer wird. Loyalität einer Band gegenüber oder der Wille, gemeinsam zu wachsen und sich miteinander zu verändern, scheint immer weniger vorhanden zu sein. Bands sind kurz gehyped und aber auch ebenso schnell wieder unrelevant. An langen Karrieren und Weiterentwicklung scheinen weder die Industrie noch die Hörer interessiert zu sein. Ich finde aber schön, dass dies im Bereich – nennen wir es mal weiter gefasst – "Gitarrenmusik" noch etwas anders zu sein scheint.

Eine Band wie zum Beispiel BOYSETSFIRE hat trotz überschaubarer Social-Media-Präsenz und eher eingeschränkter Touraktivitäten seit 25 Jahren eine extrem treue und trotzdem große Fangemeinde. Eine interessante Entwicklung finde ich, dass es objektiv betrachtet zwischen Major- und Indielabels eigentlich kaum mehr einen Unterschied gibt. Jeder hat theoretisch die gleichen Möglichkeiten, seine Veröffentlichungen digital den Hörern zur Verfügung zu stellen bzw. diese im Internet via Mailorder zu verkaufen. 

Plattenläden und die Musikabteilungen in den großen Elektroketten sind weiterhin auf dem Rückzug und der Kontakt/Verkauf von Label direkt an den Fan wird immer wichtiger. Eine sehr bedenkliche Entwicklung finde ich, dass ein sogenanntes Independent Label wie End Hits noch nie mehr von multinationalen Konzernen abhängig war: Da immer mehr Printpresse verschwindet, bzw. auch immer unrelevanter wird, sind wir darauf angewiesen, gegen Bezahlung von viel Geld auf Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Facebook Werbung zu schalten, um überhaupt noch jemanden zu erreichen.

Eine Sache, welche die Digitalisierung mit sich gebracht hat, ist auch eine gewisse Demokratisierung: Wo man früher an den "Gatekeepern" der Musikindustrie vorbei musste, um vielleicht von ihnen gefördert und an eine größere Hörerschaft herangeführt zu werden, hat jetzt quasi fast jeder die Möglichkeit, seine Musik aufzunehmen und online jedem zur Verfügung zu stellen, der diese hören möchte. Egal, ob man in einer Metropole wohnt oder im Nirgendwo. Selbst tieferes Wissen über Recording oder Engineering ist zweitrangig, solange man einen Computer, Energie und einen Internetzugang mitbringt. 

Als Laie würde ich ja behaupten, dass man heutzutage kaum qualitative Unterschiede hört, ob etwas im Heim-Studio aufgenommen wurde oder professionell. Wo gibt es denn die Unterschiede, die ja sicherlich vorhanden sind?

Klar – der Graben zwischen Home- und Studiorecording wird kleiner. Ich glaube trotzdem, einen Unterschied zu hören, wenn Bands in einem guten Studio mit einem engagierten Produzenten aufnehmen. Siehe z.B. SWAIN und ihre Zusammenarbeit mit J. Robbins. Hätte die Band "Negative Space" zuhause aufnehmen können? Sicher! Wäre die Platte so gut geworden und hätte einen so vielschichtigen Klang? Ich denke nicht. 

Das Problem bei Heimaufnahmen ist leider, dass wiederum alle auf die gleichen Programme zurückgreifen und so wiederum wenig Neues und Kreatives entstehen kann. Das große Problem ist ironischerweise jedoch, dass eben fast jeder ebenfalls dieselbe Möglichkeit hat und es deswegen eben eine unüberschaubare Menge von Veröffentlichungen gibt. 

Genau das ist ja der Punkt, die Fülle an unglaublich vielen Möglichkeiten, die den Konsumenten ja völlig überfordern. Wie schafft man es denn als Label, damit Erfolg zu haben – eben aus der Masse herauszustechen?  

Definiere Erfolg, haha. Ich glaube, man kann nur auf seinen eigenen Bauch hören. End Hits hat die Zusammenarbeit mit Bands abgelehnt, welche bestimmt erfolgreich hätten sein können, aber mich einfach nicht angesprochen haben und/oder das gewisse Etwas an Originalität nicht mitgebracht haben. Ich veröffentliche lieber eine eigenständige Platte, welche schlecht verkauft, als einen Klon, der sich sehr gut absetzen lässt. Und deswegen sehe ich da draußen gerade leider auch einen riesigen Ozean der musikalischen Durchschnittlichkeit und Belanglosigkeit, der es einem schwer macht, die wirklich guten Künstler zu entdecken. 

Da bin ich vollkommen bei dir und ich glaube, es ist enorm schwer, sich aus dieser Durchschnittlichkeit hervorzuheben. Aber definiere du mir doch, was macht eine Band aus, die eben dies vermag? Was macht einen guten Künstler aus?

Erstmal die Bereitschaft, hart zu arbeiten. Vieles erstmal selber und aus der reinen Liebe zur Musik zu machen. Und natürlich eine gewisse Eigenständigkeit und Originalität. Es ist ja eine Tatsache dass jeder Künstler Einflüsse oder Vorbilder hat. Wichtig ist aber, dass diese durch ein eigenes kreatives System gefiltert werden und dabei etwas ganz Eigenes entsteht. Es gibt nichts Schlimmeres, als Bands zu hören, bei denen einem deren Einflüsse direkt ins Gesicht springen.

Wenn man auf die 80er und 90er zurück blickt, gab es eben viel weniger Bands. Und hier setzten sich meist auch nur die durch, welche bereit waren, hart zu arbeiten, viel zu touren und die es schafften, ihre Platten selbst zu veröffentlichen oder eines der wenigen Labels zu überzeugen, in sie zu investieren. Deshalb sehe ich die Veränderungen der letzten Jahre sowohl positiv als auch negativ. 

Wobei ich mich persönlich wieder mehr bemühe, mich weg vom viel zu schnellen Konsumieren, hin zu mehr Aufmerksamkeit und Konzentration zu bewegen. Mein Auto hat zum Beispiel noch ein Tapedeck, in dem ich immer öfter wieder ganze Alben von vorne bis hinten höre – ohne die Möglichkeit, ständig weiterzuskippen. Das konzentrierte Hören eines Albums – so wie eine Band dieses entworfen und angeordnet hat – ist für mich immer noch die schönste Form des Konsumierens. 

Absolut! Aber worauf achtest du dabei? Was macht für dich ein wirklich gutes Album aus? 

Wie ein Theaterstück, ein Film oder eine gute Liveshow braucht auch eine Platte eine Geschichte, eine Dramatik. Einen Anfang, einen Höhepunkt, ein Ende. Es muss den Spagat schaffen, sowohl abwechslungsreich und trotzdem wie aus einem Guss zu klingen. Dabei darf durchaus mancher Song herausstechen – aber bitte auch nicht zu sehr, haha. Das Artwork, die Texte, die Bandfotos müssen schlüssig zusammen passen. Ein schwieriges Unterfangen, so ein Album zu schaffen, aber ab und zu hat es – zumindest in meinen Augen – auf alle Fälle geklappt.

Dann gibt es ja so Aussagen wie, "Das ist ein völlig überproduziertes Album". Aber was genau heißt das denn? Oder wie würdest du zu dem Schluss kommen, etwas wäre ein überproduziertes Album? 

Höre dir BOYSETSFIREs "Tomorrow Comes Today" an – das ist ein überproduziertes Album, haha. Überproduziert bedeutet für mich, wenn etwas zu perfekt, zu glatt und dadurch auch leider etwas seelenlos geworden ist. Wenn das menschliche Element – und dazu gehören vor allem die kleinen "Fehler" – komplett verschwunden ist. Hör dir dazu im Vergleich mal "The Misery Index" an. Eine klanglich extrem spannende und mutige Platte. In meinen Augen gibt es aber auch nichts Perfekteres als die frühen Kelleraufnahmen von ELLIOTT SMITH mit seiner Boombox.

Wie siehst du die Entwicklungen der Hardcore-Szene in den letzten Jahren?

Was den Hardcore angeht, denke ich, hat sich nicht viel verändert: Es ist und bleibt eine SUB-Kultur, welche die positiven wie negativen Entwicklungen unserer Gesellschaft auch weiterhin im Kleinen widerspiegeln wird. Trotzdem wird Punk/Hardcore immer eine Brutstätte von interessanten und radikalen Ideen bleiben – auch wenn ich als alter Sack vieles davon eventuell nicht verstehe oder es mich vielleicht nicht anspricht. For the kids, by the kids.


*Am 8. November erscheint auf End Hits Records die Deluxe Edition von "While A Nation Sleeps" (mit sieben unveröffentlichen Bonus Tracks) sowie zum ersten mal auf Vinyl auch die Singles/Rarities Collection "Before The Eulogy" von BOYSETSFIRE.