Hallo Tarja! Schön, dass du noch Zeit für uns gefunden hast. Wie geht es dir heute?
Mir geht‘s hervorragend, danke der Nachfrage! Ich erhole mich gerade daheim von der anstrengenden Tour in Südamerika.
Kommen wir gleich zum neuen Album "In The Raw“. Bist du zufrieden mit dem Resultat?
Ja, bin ich. Es war ein sehr wichtiges Projekt für mich, da es mein persönlichstes Album bisher ist. Das ist einfach so passiert.
Ich bin froh, dass ich alles in meinem Kopf durchgehen und darüber nachdenken konnte. Nun, da das Album erschienen ist und meine Hörer es genießen und mir Feedback geben können, fühlt es sich gut an, etwas getan zu haben, auf das ich stolz sein kann.
Das Erste, das einem bei "In The Raw“ ins Auge fällt, ist natürlich das Cover-Artwork. Dabei fällt auf, dass du dich immer selbst in das Zentrum rückst, was für die Metalszene ungewöhnlich ist. Warum hast du dich trotzdem dafür entschieden?
Ich mag Fotografie im Allgemeinen und hinter den Fotos der Alben steckt immer ein Konzept und eine Geschichte. Diese haben auch mit der Musik des Albums zu tun. Es ist mir super wichtig, interessante Fotos auszuwählen, die etwas erzählen. Entsprechend sind die Covers nicht über mich, obwohl du mich auf jedem sehen kannst, sondern über das, was im jeweiligen Foto um mich herum ist.
"In The Raw“ klingt im Vergleich zu seinen Vorgängern rauer und ungeschliffener. Wie kam der neue Sound zustande?
Während ich an den Kompositionen und der Produktion des Albums gearbeitet habe, fühlte ich mich irgendwie nackt. Ich wollte den Sound des Albums rauer und roher halten als auf meinen vorherigen Platten, gerade wenn es um die elektrischen Gitarren ging – ich hatte keine Angst, bei der Produktion auch Dinge wegzulassen.
Die ersten Demos der Songs, welche ich am Anfang des Songwriting-Prozesses geschrieben hatte, klangen sehr roh, aber das war genau, was ich gesucht hatte. Ein Sound, der nicht zu poliert und überproduziert war. Das alte Sprichwort "Weniger ist mehr“ hat mich dieses Mal irgendwie erwischt.
Die Texte der neuen Stücke wirken sehr emotional und ehrlich. Wie schwierig ist es, dich öffentlich so zu öffnen und verletzlich zu machen?
Die Texte auf dem Album bedeuten mir sehr viel. Ich habe einmal tief durchgeatmet und eine Reise in mich selbst unternommen. Dieser Selbstentdeckungstrip hat das Album schließlich zu meinem bisher persönlichsten werden lassen. Dementsprechend bin ich auf dieser Scheibe definitiv verletzlicher und auch fragiler als zuvor – irgendwie nackt eben.
Aber ich hatte keine Angst, das zu tun. Es war eher so, dass ich es musste. Als ich die letzte Zeile der Lyrics fertiggestellt hatte, habe ich starke Freude und Befriedigung empfunden. Ich wusste, dass ich mich im Laufe des Prozesses mir selbst gestellt hatte und ich war sehr zufrieden damit. Die Musik hat mich auf eine Art gereinigt und das hat sich fantastisch angefühlt.
Für den Song "Railroads“ hast du dich vom brasilianischen Autor Paulo Coehlo inspirieren lassen.
Ja, er ist schon seit Jahren eine sehr große Inspiration für mich. Er schneidet in seinen Büchern mehr oder weniger oft dieselben Themen an, wie ich mit meinen Songs. Ich ermutige meine Hörer, für ihre Träume zu kämpfen und diese zu leben, weil die Zeit, die wir hier verbringen, endlich ist.
Paulos Art zu schreiben ist inspirierend, weil er – um es einfach zu fassen – seine Leser dazu bringt, ihr Leben aus einer anderen Perspektive heraus zu verstehen. Ich selbst lebe bis heute meinen Traum aufgrund meiner Musik. Und meine Hörer und Fans geben mir die Möglichkeit, mit dem zu arbeiten, was ich liebe. Ich bin ihnen auf ewig dankbar dafür, dass sie mich am Leben halten.
Bist du ein Bücherwurm?
Tatsächlich fände ich es toll, mehr Zeit zum Lesen zu haben. Inzwischen bin ich so beschäftigt, dass ich gar nicht mehr die Zeit finde. Eigentlich nur noch wenn ich reise.
Letztes Jahr hatte ich die Gelegenheit, dich zusammen mit STRATOVARIUS auf Tour zu erleben. Was mich daran beeindruckt hatte, war, dass du dich auf der Bühne nicht verstellst, sondern einfach du selbst bist. Wie kommt das?
Ich kann mich nicht verstellen. Ich bin vor meinem Publikum jede Nacht nackt und demütig. Klar, ich bin theatralisch, weil ich schon mein ganzes Leben lang das Theater liebe. Aber das hat nichts damit zu tun, dass ich in den Songs immer noch ich selbst bin. Ich bin eine Geschichtenerzählerin, welche die Möglichkeit liebt, Menschen fühlen zu lassen. Das ist meine Berufung in diesem Leben.
Ich bin selbstbewusst, weil die Musik und die konstante Arbeit, die ich dafür erbringe, mir das Gefühl geben, dass die Bühne mir gehört. Die Bühne ist für mich wie ein zweites Zuhause.
Als Sängerin von NIGHTWISH bist du einer der ersten großen weiblichen Stars der Metalszene geworden. Seitdem sind unzählige Frauen deinem Beispiel gefolgt. Trotzdem hört man auf Konzerten von Bands mit weiblichen Mitgliedern immer wieder Rufe wie „Zieh dich aus!“ oder ähnliches. Fast immer sind die Täter männlich und oft auch betrunken. Was sind deine Erfahrungen mit Sexismus in der Szene und wie gehst du damit um?
Ich bin dankbar dafür, dass ich nie wirklich mehr von mir zeigen musste, als ich wollte. Mein Körper ist mein eigener und gehört niemandem sonst. Ich fühle mich sehr wohl in meinem Körper – ein Frau von 42 Jahren, die arbeitet wie sonst noch was, um ihren verrückten Lebensstil beibehalten zu können. (lacht)
Ich weiß, dass ich mir meinen Platz in der Industrie nicht durch mein Aussehen verdient habe, sondern aufgrund meiner Stimme und der harten Arbeit, die ich jeden Tag leiste. Und so habe ich auch immer den Respekt meiner Kollegen, männlich und weiblich, genossen. Entsprechend kann ich mich überhaupt nicht beklagen.
Ich weiß aber auch, dass dies nicht für alle Frauen in der Industrie der Fall ist, kann aber nur für mich selbst sprechen. Ich war immer sehr vorsichtig mit meinem Stil, sodass ich kein falsches Bild von mir zeichne und zu viele Informationen über mich an die Öffentlichkeit gebe.
Kannst du mir schon etwas über die kommende Tour verraten?
Auf der Tour zum neuen Album werde ich natürlich viele Songs von diesem spielen, schließlich promote ich es ja. Aber es wird selbstverständlich auch andere Stücke aus meiner Karriere geben. Die Band ist mehr oder weniger die Gleiche wie zuvor, obwohl Doug Wimbish neu am Bass ist. Er war schon zu Beginn meiner Solo-Karriere dabei und kam jetzt zurück, um wieder ein bisschen Spaß mit mir zu haben.