Mit Rap, Punk und Black Metal vermischst du Genres, die durchaus als gegensätzlich wahrgenommen werden. Gibt es eine Szene, in der du dich Zuhause fühlst?
Nein, Zuhause gefühlt habe ich mich noch in keiner Szene. Aber ich finde es gut, dass es Szenen gibt. Denn das heißt, dass es Menschen gibt, die sich alle für ein Ding interessieren und das weiterentwickeln – ohne Szenen würde es keinen Punkrock geben. Aber ich habe Szenen immer als behindernd empfunden, weil man kaum frischen Wind bekommt: Wenn du mit Punks rumhängst, wird Punkrock gehört, alles andere ist uncool.
Die Anfänge der Punkszene sind wohl auch kaum mit der heutigen Szene vergleichbar.
Genau, dieser Pioniergeist fehlt heute. Was total Neues, dass jemand zum Beispiel mit einem Geigenbogen Gitarre spielt, gibt es nicht mehr. Das einzige, was man machen kann, ist Mischungen zu erzeugen. Daraus entwickelt sich dann vielleicht ein neuer Sound, es ergibt sich ein jungfräuliches Feld.
Hast du das jungfräuliche Feld mit deiner Musik gefunden?
Auf eine gewisse Art ja. Das ist aber natürlich schwer abzuschätzen. Wie eigenständig meine Musik ist, wird eher die Zeit zeigen.
Was hat dich zu deinem musikalischen Mix inspiriert?
Ich habe tierisch viele Einflüsse. Die Band HO99O9 zum Beispiel, oder das Genre Punk-Rap. Als damals die Trap-Welle losging, mit sphärischen Samples und pumpenden Beats, musste ich an den Black Metal der frühen 90er denken und wie BURZUM mit Synthies gearbeitet hat. Klar, der Typ ist ein Mörder und ein Nazi, aber „Filosofem“ ist einfach eine extrem einflussreiche Scheibe für den Black Metal gewesen. Vorbilder habe ich also direkt keine, aber ich habe immer schon verschiedene Musik gehört und Verbindungen gezogen.
Der norwegische Black Metal der 90er war also einer deiner Einflüsse?
Ja, auf jeden Fall. DARKTHRONE zum Beispiel. Außerdem habe ich mit elf, zwölf Jahren SLIPKNOT entdeckt. Deren Debütalbum ist nach wie vor ein Benchmark für mich, wie man Wut und Aggressionen in Musik übersetzt. Als Teenie habe ich aber auch angefangen, Hip-Hop zu hören.
Wann hast du selbst angefangen zu rappen?
Spät. 2017. Ich spiele Schlagzeug, seit ich fünf bin und habe immer schon in Bands gespielt. Als meine alte Band 2016 auseinander gegangen ist, hatte ich aber erstmal den Karren voll mit Bandmusik. Kennst du VBT, das Video-Battle-Turnier?
Nein.
Das ist so ein Internet-Battle-Format. Man bekommt einen Gegner und macht ein Video, in dem man sich gegenseitig battlet und beleidigt. Kampfsport mit Worten. In der Hip-Hop-Szene wird das zwar nicht als besonders cool empfunden, weil es nicht freestyle auf der Bühne stattfindet, aber dafür werden auch ganz andere Skills abgefragt.
Und damit hast du angefangen?
Nein, aber ein Kumpel vom mir hat eine Art Parodie-Veranstaltung gemacht und brauchte noch Leute. Ich hab’s mal probiert, es funktionierte ganz gut und ich fand’s direkt geil. Das war sozusagen die Keimzelle. Ich wollte dann das Geballer, also Metalcore und Black Metal, damit kombinieren. Die ersten Sachen habe ich aber direkt weggeschmissen – das klang zu sehr nach Crossover.
Für dein Album hast du die Musik komplett allein gemacht und auch Gitarre gespielt?
Ja, das sind halt Powerchords. Das Album besteht aus zehn Riffs, das ist musikalisch keine Offenbarung. Aber ich hatte einen gewissen Sound im Kopf, den ich niemandem hätte erklären können. Irgendwann waren die Songs fertig und dann ab ins Studio.
Erklär mir doch mal bitte, was DER ZWEITE MENSCH bedeutet.
Nichts, das ist einfach nur Bullshit. DER ZWEITE MENSCH war mein Name bei diesen Rap-Battles. Den habe ich nie abgelegt und mir ist nichts Besseres eingefallen.
Dein Album heißt „Ich hasse Menschen“. Ich habe aber den Eindruck, dass du gar nicht alle Menschen hasst.
(lacht) Du bist auf jeden Fall Menschenkenner!
Ist da auch ein Stück weit Rapperpose dabei? Auf dem Album stehen glasklar politische Texte neben Battle-Rap-Tracks. Die Aussage „Ich hasse Menschen“ passt eher zu den Battle-Rap-Sachen, finde ich.
Finde ich nicht. „Ich hasse Menschen“ passt eher zu der Black-Metal-Attitüde. Im Black Metal geht es entweder ums Töten oder um die Natur. Die Musik ist tendenziell gesellschaftsfeindlich. Das ist der gemeinsame Nenner zwischen Black Metal und Battle Rap. Und außerdem: Eine gewisse Grundabneigung gegenüber Menschen habe ich schon.
Kannst du das spezifizieren? Geht es dabei um bestimmte Menschen?
Es geht um Eigenschaften. Ich glaube, dass wir grundsätzlich alle gleich sind. Wir alle haben die Anlagen für Egoismus, Ignoranz und Nächstenliebe. Nur hat es unsere Gesellschaft geschafft, hauptsächlich die schlechten Eigenschaften zu bestärken. Für Ignoranz und Egoismus wirst du belohnt: Als ignorantes Arschloch hast du mehr Freiheiten als jemand, der versucht, niemandem auf die Füße zu treten.
Mit „ich hasse Menschen“ bringst du also eine Art Kulturpessimismus zum Ausdruck.
Es ist letztlich der Oberbegriff für das, um was es auf dem Album geht. Die Songs waren schon fertig und ich habe mich dann gefragt, wie ich den ganzen Mist eigentlich nennen soll. Bei dem Song „Ich hasse Menschen“ dachte ich dann: Das ist es. Darum geht’s.
Du teilst in alle möglichen Richtungen aus. Die Mischung aus politischen, antifaschistischen Texten und Battle-Rap hat mich irritiert.
Zum einen finde ich es witzig, zu provozieren. Und Battle-Rap bringt immer Lockerheit und Coolness rein. Wenn man zu krass ins Loch der Gesellschaft blickt, verliert man den Mut, überhaupt noch was zu machen. Battle-Rap nimmt ein bisschen die Angst, sich mit ernsten Themen zu beschäftigen. Außerdem kommt der Battle-Rap-Approach auch in den ernsthaften Songs vor.
Du bist vom Berliner Battle-Rap inspiriert, oder?
Ja, definitiv. Die Sekte war ein großer Einfluss für mich. Den Berliner Style mag ich am liebsten, weil der am nächsten am Punkrock dran ist.
Inwiefern?
Das erste Mal habe ich Rap richtig gefeiert, als Anfang der 2000er Berliner Rapper wie SIDO und B-TIGHT auftauchten. Da hatte Punkrock schon total zugemacht, alles wurde politisch korrekt. Es gab Regeln, was man darf und was nicht. Das hat mit Punkrock nichts zu tun.
Die ersten Punks haben sich noch „Arbeit macht frei“ auf die Kutte geschrieben.
Ja, genau. Es geht im Punkrock um Provokation und „fickt euch alle“. Das ist für mich die Parallele zum Berliner Rap.
Zum Schluss habe ich ein paar Zitate deiner eigenen Texte mitgebracht – mit der Bitte um Kommentare.
Lass mich raten: Als erstes kommt die Gender-Line.
Nein, die kommt als Drittes. Als erstes kommt: „Dieses Land ist eine Walze aus Fleisch / alles betäubt mit Fett Zucker, Hass und Gewalt“.
Das ist sehr bildlich gesprochen. Aber ganz viel in unserer Gesellschaft funktioniert über Verdrängung und Selbstbelohnung. Dabei helfen Fett, Zucker, Hass und Gewalt ganz gut.
Alkohol hätte man noch hinzufügen können, wenn das Reimschema gepasst hätte.
Ja, das hat nicht so gut geflowt. Eigentlich muss man nur mal einen Nachmittag vor der HSV-Arena verbringen, dann erklärt sich die Line von selbst.
Nummer zwei ist: „Fiste deine Szene mit der Power von Raketen / meine Fans sind schwule Teufel, deine angsterfüllte Heten“.
(lacht) Da hast du ja echt die Perlen rausgesucht! Im Rap haben alle Angst vor Schwulen und alle Gegner müssen immer schwul sein. Am Anfang war das lustig, weil das in einer Miniszene stattgefunden hat, die keine Sau interessiert hat. Aber je relevanter Rap geworden ist, desto mehr Außenwirkung hat das, wenn man Schwulsein in einen negativen Kontext setzt.
Es geht in meiner Line um die Gegenbehauptung, dass auch coole Leute schwul sein können. Und ich glaube tatsächlich, dass die Hip-Hop-Szene zu großen Teilen aus angsterfüllten Heten besteht, aus Leuten, die Berührungsängste haben.
Nummer drei hast du schon vorausgesehen: „Fotzen singen politisch korrekte Punkrock-Hymnen / steck dir dein Gegender in den Arsch, dann ist es _Innen“. Sogar mit Binnenmajuskel und Unterstrich!
Ja, es sollte unzweideutig sein! Immerhin hast du die erste Zeile mitzitiert. Ich finde das furchtbar: Wenn man heutzutage auf ein Punkrock-Konzert geht, hängt da erstmal ein riesengroßes schwarzes Transparent mit 20 „No’s“: no homophobia, no sexism, no dies, no das. Das hat alles seine Berechtigung. Aber das Problem sind nicht Homophobie und Sexismus, sondern Ignoranz und Rücksichtslosigkeit.
Wenn du genderst, kannst du kein rücksichtsloses Arschloch mehr sein? Doch, kannst du! Leute ziehen sich damit ein Stück weit aus der Verantwortung, weil sie ja schon was machen gegen die Ignoranz. Aber dann stehst du an der Bar und einer drängelt sich vor, der vorher noch vom Binnen-I gesprochen hat. Die können sich den ganzen Mist an den Hut stecken, wenn sie sich nicht darauf besinnen, worum es eigentlich geht. Wenn man nett zueinander ist, braucht man die ganzen „No’s“ nicht. Und mit Fotzen meine ich übrigens alle.
Nummer vier: „Instastories, dass da Schnee auf dem Balkon ist / Hashtag Refugees Welcome und dann hoffen, dass keiner kommt“.
Da sind wir wieder bei Ignoranz und Selbstbezogenheit. Die Leute posten in Social Media irgendeinen Bullshit, nur um zwei Likes mehr abzugreifen und in den Refugees-Welcome-Feed zu kommen. Die meisten Leute, die da mitmachen – damit meine ich nicht die Initiatoren – wollen damit nur Zuspruch erhalten und sozial konform gehen.
Als letztes Zitat ein Sample, das du im Song „Ganz normale Menschen“ verwendest: „Die Normalsten sind die Kränkesten und die Kränkesten sind die Normalsten“.
Boah, Erich Fromm! Ein Philosoph, Psychologe und superplietscher Typ, an dessen Biografie sich europäische Geschichte gut nachvollziehen lässt. Er ist jüdischer Herkunft, seine Familie hat die ganze Nazizeit mitbekommen. Erich Fromm hat überlebt und sich dann relativ unvoreingenommen mit der Gesellschaft, die ihn damals umgeben hat, beschäftigt.
Er hat versucht, zu entschlüsseln: Warum sind Menschen so, wie sie sind? Warum verhalten sie sich so in großen Massen? Bei YouTube gibt es den Clip „Ein Gespräch mit Erich Fromm“. Da geht es unter anderem um Angepasstheit. Da bin ich zufällig drüber gestolpert und dieses Zitat war die perfekte Hook zu dem Song „Ganz normale Menschen“, dem noch etwas Struktur fehlte.
Worum geht es in dem Song?
Um Menschen, die extrem angepasst sind. Aber jeder hat irgendwo seine Leichen verscharrt. Ich glaube, je sauberer ein Leben aussieht, desto mehr Dreck schlummert irgendwo. Egal, ob das Spießbürger sind oder Leute, die 20 „No’s“ auf eine Tafel schreiben – dieses superkonforme Verhalten verdeckt irgendwas. Ich glaube nicht, dass Fromm das gemeint hat. Aber er bringt das auf den Punkt, wofür ich drei Strophen gebraucht habe.
Zum Abschluss noch eine letzte Frage: Du hast das Album komplett alleine gemacht. Wie soll es weitergehen? Hast du vor, irgendwann live aufzutreten?
Liveauftritte sind derzeit wegen Corona natürlich schwierig. Aber ich mache bei einem Geisterkonzert der Hamburger Markthalle mit, das am 17. August von der Markthalle bei YouTube veröffentlicht wird. Da suche ich mir gerade eine Band zusammen. Ich habe schon die Hoffnung, dass wir langfristig zusammenbleiben. Mal sehen, was sich entwickelt.