Kannst du deine Band kurz vorstellen?
Wir sind Lester, eine vierköpfige soweit Standardbesetzung aus München. Wir haben uns 2015 zusammengetan, davor gab’s die Band in einer anderen Besetzung und zwar mit Jasper, Phillip und mir zu dritt und 2015 kam eben Schindl am Schlagzeug dazu – und seitdem spielen wir zusammen. Wobei, was vielleicht ganz wichtig ist, von Gründung bis letztes Jahr hat uns noch die Paloma begleitet. Das war die gute Seele der Band, die nicht auf der Bühne stand, aber das ganze Design und Merch gemacht hat.
Euer neues Album heißt ja „Die Beste aller Zeiten“ – was war denn für dich persönlich die beste Zeit?
Ehrlich gesagt, wir haben lang mit dem Titel 'rumüberlegt und fanden das dann eben lustig ... oder irgendwie interessant, weil es ja erstmal wie eine Tim Bendzko-Platte klingt. Wir wollten damit auch bewusst Reibung erzeugen, weil es ja gerade, als wir uns für den Titel entschieden haben, voll mit Corona losging und wir dachten, dass die beste aller Zeiten so undefiniert ist. Es sagt jedem was und es schwebt so eine gewisse Melancholie mit – und ob die Beste aller Zeiten schon war oder hoffentlich bevorsteht, das wird einem glücklicherweise niemand sagen können.
Auf die Band runtergebrochen ist es tatsächlich so, dass wir das ja maßgeblich aus Leidenschaft und Freude an der Sache machen. Deswegen ist es schon so, jetzt mal kitschig gesagt, wenn wir von der Arbeit kommen und Songs schreiben und uns im Proberaum Power-Chords um die Ohren hauen, dann haben wir alle eine riesen Freude dabei. Deswegen fanden wir das sehr stimmig. Das ist ja eine Zeile aus einem Song, aus "Fickersticker", wo es maßgeblich um den Abschied von Paloma aus der Band geht. Da hat der Jasper, der bei uns die Texte schreibt, gesagt, dass dieses Bandgefühl die beste aller Zeiten ist.
Du hast es gerade selbst angesprochen, in "Fickersticker" geht es um den Abschied von Paloma – thematisiert ihr das auch im Musikvideo?
Ja, in der Tat. Der Name kommt von einem Sticker, den Paloma vor zwei Jahren designed hat. Das ist so eine Eistüte, die zwei Mittelfinger hat und in dem Video malen wir den Sticker auf eine 4x3 große Leinwand. Das soll eine Erinnerung an die gute Zeit mit ihr sein.
Das war auch kein Rauswurf und wir sind eigentlich bis auf das Abschlussgespräch im Guten auseinander gegangen, aber Band-Trennungen sind am Ende tatsächlich oft wie Liebesbeziehungen ... dass man eigentlich mit dem besten Wissen und Gewissen auseinander geht, aber wenn es dann wirklich auseinander geht, dann ist es doch sehr emotional.
Durch Corona ist natürlich jetzt alles ein bisschen schwieriger. Ihr hattet ja eigentlich für November einige Tourdaten geplant, die ihr jetzt auch wieder abgesagt habt. Habt ihr einen Plan B?
Wir haben lang 'rumüberlegt, und da ist jetzt gerade unsere Booking-Agentur Spider Promotion ganz viel am rudern. Die haben jetzt zur Zeit, auch wie jeder in der Szene, eine absolute Scheißzeit. Wir haben drei Termine veröffentlichen können: Wir spielen am 28.11. in Hamburg, am Abend davor am 27.11. in Wolfenbüttel und am 12.12. in Wiener Neustadt.
Wir arbeiten gerade an Konzepten, wie wir doch irgendwie auf die Straße kommen, da muss jeder zur Zeit ein bisschen kreativ sein und überlegen, ob wir einfach mit Gitarre durch’s Land fahren und auf der Straße aufschlagen oder in Cafés und Plattenläden. Aber wie du dir wahrscheinlich auch vorstellen kannst, ist das gerade alles nicht so einfach mit den ganzen Hygiene-Regelungen ... Und wenn in Läden nur drei Leute reinkönnen, dann hat der Besitzer kein Bock, dass da dann drei Leute von der Band drinstehen. Das lohnt nicht.
Wir sind sehr bemüht und hoffen auch, dass die drei Shows dann tatsächlich klappen. Das sind dann, wie man’s kennt, Corona-Shows im Sitzen, aber wie man jetzt tagesaktuell immer mitbekommt, sehe ich das leider Gottes noch nicht als Garantie. Wir hoffen, dass wir das machen können.
Ihr seid während Corona vor allem fleißig gewesen, habt Anfang des Jahres erst eine EP mit zwei Songs rausgebracht und jetzt folgt noch euer zweites Album. Wie kam es dazu, dass ihr dieses Jahr gleich zwei Sachen veröffentlicht habt?
Das war eigentlich so ein bisschen Zufall. Die EP, die wir im Frühjahr veröffentlicht haben, haben wir schon ein Jahr davor aufgenommen. Bevor wir uns an die Albumaufnahmen und ans Schreiben gesetzt haben, haben wir uns erst überlegt, wie wir denn die Platte aufnehmen und die ganze Produktion stemmen können.
Da wir alle arbeiten, ist unsere Zeit leider auch limitiert und wir können nicht einfach sagen, "Wir nehmen jetzt zehn Tage Urlaub und mieten uns ins Studio ein" – was wir auch nicht bezahlen könnten. Und da sind wir an Benedikt Hain gestoßen, der die Platte gemischt und produziert hat. Wir wollten das mit ihm mal ausprobieren, ob das so gangbar ist, und haben eben die zwei Nummern aufgenommen. Die waren quasi so ein Trial-und-Error für das kommende Album und dann haben wir die im Frühjahr dieses Jahrs 'rausgehauen.
Euren Sound beschreibt ihr selbst als „Heavy Pop“. Wie seid ihr auf den Namen gekommen und was steckt dahinter?
Ehrlich gesagt steckt da gar nichts hinter. Auch wenn wir textlich meistens sehr ernst sind, machen wir auch Zeug, wo man nicht 100 Prozent drüber nachdenken muss – und dieser Genre-Titel stand auf ner Drumstick-Verpackung. Da stand drauf: „Diese Drums sind geeignet für Rock, Heavy Metal, blablabla ...“ und irgendwo stand „Heavy Pop“ und dann war das echt aus dem Moment heraus eine dumme Idee und wir dachten, „Ja, nennen wir uns doch Heavy Pop“.
Na ja, für Punk sind wir vielleicht, oder waren wir damals wahrscheinlich, noch ein bisschen zu weich und wir wollten der ganzen Sache auch keinen Deutsch-Punk-Stempel geben. Dann war’s einfach auch so, weil jede – jetzt mal blöd gesagt, wie auch wir – Kackband einen supertollen Genre-Titel hat und meint, sie machen eine ganz neue Schublade auf und am Ende ist es immer nur derselbe Quatsch. Wir haben auch viel auf die Schnauze dafür bekommen, aber ich find das ist gerade auch lustig dabei.
Ihr sagt auch, dass euer Sound Emo der 90er ist, aber ihr betont dabei, dass damit Emo gemeint ist, "bevor Mascara-Musiker das Genre vereinnahmt" hätten. Heißt das, ihr seid kein Fan von sogenannten "Emo-Bands" wie zum Beispiel MY CHEMICAL ROMANCE?
Tatsächlich nein, aber wir sind ja genau aus der Generation, in der MY CHEMICAL ROMANCE und dieser ganze Nuller-Jahre-Emo en vogue wurden, aber musikalisch feiern wir 90er Jahre Emo. Ich liebe zum Beispiel SAMIAM total, HOT WATER MUSIC oder LEATHERFACE. Das ist für mich diese Emo-Musik, dieses Harte, mit emotionalen Texten ... und nachdem wir auch nicht immer Deutsch-Punk in dem Sinne draufschreiben wollten und wir trotzdem den Leuten eine musikalische Einordnung geben wollten, haben wir gesagt, ja eigentlich ist es Emo wie in den 90ern.
Im Song "Halt Dein Maul" scheint ihr mit Poser-Bands abzurechnen. Hattet ihr da eine bestimme Band im Sinn? Oder ist damit allgemein die Szene gemeint?
Das ist lustig, dass du das ansprichst, weil – vielen Dank für dein Review, das du geschrieben hast – du hast uns da berechtigterweise auf die Fresse gegeben. Ich fand es irgendwie spannend, weil du das so bezogen hattest, als würden wir Szene-Polizei-mäßig da auftreten und vorschreiben, wer in der Punk-Szene sein darf und wer nicht. Jeder kann das natürlich interpretieren, wie er es hört und muss das auch so interpretieren, aber das war null Komma null unser Sinn dabei.
Eigentlich, genau wie du es jetzt richtig gesagt hast, war das ein Song gegen all diese Poser-Bands. Wir machen jetzt seit 15 Jahren in der Sub-Kultur erfolgreich oder nicht so erfolgreich Musik und da sind wir schon wahnsinnig vielen Bands begegnet, die dir immer wieder – und das hört nicht auf, egal wie alt oder jung sie sind – einen erzählen: Dass nächstes Jahr der Durchbruch kommt und sie die Allergeilsten sind, und jetzt haben sie den Produzenten kennengelernt und der bringt sie groß raus.
Tatsächlich haben wir vor zwei Jahren auch mit so einer Band gespielt ... die muss man jetzt nicht benennen. Da haben wir, ich glaub' in Bochum gespielt und es waren zehn Leute da – und die haben damals gerade ein Album released. Anstatt super dankbar zu sein, dass zehn Leute ihren und unseren Lärm hören und ihren Samstagabend da verbringen, haben sie sich nicht erdreistet, die Leute anzukacken, warum so wenig da sind und haben dann immer erzählt: "Ihr seid Teil von was Großem."
Das ist auch eine Zeile aus dem Text und irgendwann haben wir gedacht: Okay, nach zehn oder 15 Jahren, wo immer wieder dieselbe Typ-Band auftaucht, muss das jetzt mal raus. So ist der Song eigentlich gemeint.
Gibt es denn noch was anderes, was dich an der Szene stört?
Was mich an der Szene stört … Ich glaube, was mich an jeder Szene stört – deshalb hatte ich auch so Probleme, da Deutsch-Punk draufzuschreiben –, ist, dass jede Szene auch einfach ausschließend ist. Das ist ganz klar, wenn sich eine Gruppe aufeinander beruft, dann heißt das im Umkehrschluss auch, dass man andere Leute ausschließt.
Was mich immer wieder stört, aber das ist egal, ob das jetzt die Punk-Szene ist oder irgendwelche Fußball-Clubs, am Ende kriegt man durch so eine Szene auch einen leichten Tunnelblick, wo man dann durch Schubladendenken nach gut und schlecht sortiert ... und das find' ich dann immer schade. Das gilt für mich für jede Szene, deshalb bin ich wahnsinnig dankbar, was ich durch Punkrock-Musik mitbekommen habe, aber ich würde jetzt nicht sagen, dass das in der Punk-Szene besonders schlimm ist und in anderen nicht, dafür kenne ich auch andere Szenen viel zu wenig.
Ich komme nochmal zurück auf euer bevorstehendes Album. Was steckt hinter dem Albumcover?
Das Albumcover ist ein Foto von einem Haus. Das hat der Fotograf, der Martin, aufgenommen. Ich hab' das Foto entdeckt und ich fand es ein total cooles Foto, was für mich sehr viel ausgestrahlt hat. Ich könnte jetzt einfach zu dir sagen, wir fanden es total schön und wir haben ein Cover gebraucht und wir haben ihn gefragt und dann haben wir das Cover genommen.
Ihr singt ja auf Deutsch, habt ihr auch deutsche Bands als Vorbilder oder seid ihr da eher im englischsprachigen Bereich unterwegs ... und singt trotzdem auf Deutsch?
Ich hab' früher immer gesagt, wir singen auf Deutsch, weil ich singe und mein Englisch klingt furchtbar, also so richtig deutsch-englisch. Tatsächlich ist es so, dass wir eigentlich alle sehr aus dieser 90er-Jahre Emo/Punk/Hardcore-Richtung kommen. Ich selbst war mal riesengroßer SAMIAM und großer RISE AGAINST / BOYSETSFIRE Fan und keiner von uns hat eine Deutsch-Punk-Vergangenheit.
Wenn man sich dann mit etwas Neuem beschäftigt, eine neue Band macht und plötzlich Deutsch singt und überlegt, wie man deutsche Texte schreibt, muss man sich auch zwangsläufig mal damit beschäftigen. Dann bin ich aber volle Kanne, was man vielleicht auch raushört, auf POTTER abgefahren und die frühen JUPITER JONES, KETTCAR. Mittlerweile höre ich die Bands immer noch, aber ich glaub', keiner von uns hört tatsächlich die Bands, mit denen wir verglichen werden.
Irgendwelche letzten Worte an die BurnYourEars-Leser?
Es ist echt so, dass wir das sehr wertschätzen, egal wer und auf welche Weise jemand sich mit unserem Krach beschäftigt. Von daher ein riesen Dank an BurnYourEars, dass ihr uns die Plattform zur Verfügung stellt, an jeden Leser und an jeden, der sich aus Versehen bei Spotify zu unserer Band verirrt. Und ich kann nur sagen, wir freuen uns sehr über die Platte, wir sind happy mit dem Ergebnis, wir können uns auch vorstellen, dass sie dem einen oder anderen gefallen wird ... Von daher würde es uns sehr viel bedeuten, wenn tatsächlich irgendjemand da draußen dem ganzen eine Chance gibt und mal reinhört.