Geschrieben von Sonntag, 27 Februar 2022 20:01

40 Jahre Tankard: Interview mit Sänger Gerre

Der junge Gerre (vorne) zu Beginn seiner Thrash-Karriere. Der junge Gerre (vorne) zu Beginn seiner Thrash-Karriere.

40 Jahre TANKARD: Zum runden Geburtstag der deutschen Thrash-Veteranen erscheint ein Deluxe-Box-Set mit den ersten sieben Studioalben. Wir haben mit Sänger Andreas "Gerre" Geremia über die Vergangenheit und ein bisschen auch über die Zukunft von TANKARD gesprochen.

Hallo Gerre! Glückwunsch zum runden Geburtstag. Wie feiert ihr 40 Jahre TANKARD? 

Danke! Die Box ist schon ein schöner Einstieg. Außerdem haben wir gerade eine neue Platte aufgenommen, die im September über Reaper Entertainment rauskommt.

Ansonsten hatten wir viele Gigs geplant, aber da muss man derzeit wegen Corona ja immer noch ziemlich auf Sicht fahren. Unsere Gigs in Lingen und Belgien wurden verschoben. Am 19. März sollten wir das erste Mal in Kiew spielen, das können wir natürlich jetzt auch alles knicken. (Anm. d. Red.: Zwei Tage nach dem Gespräch haben russische Truppen die Ukraine angegriffen.)

Eine spezielle Geburtstagsparty haben wir nicht geplant, wir wollen einfach spielen, genießen und dann die neue Platte rausbringen. 

Es ist eine beschissene Zeit, um groß Geburtstag zu feiern. 

Im Sommer wird zwar schon einiges gehen, gerade Open Airs. Aber im nächsten Herbst und Winter geht der ganze Scheiß wahrscheinlich wieder von vorne los. Aber im Moment haben wir mit der Ukraine und Russland auch ganz andere Probleme, weil wenn das zum Flächenbrand wird, dann gute Nacht. Da habe ich gerade viel mehr Angst vor als vor Corona. 

Lass uns auf die letzten 40 Jahre schauen. Wer hatte 1982 überhaupt die Idee, eine Band zu gründen? 

Gegründet wurde die Band von unserem damaligen Gitarristen Axel und unserem Bassisten Frank. Wir sind alle zusammen zur Schule gegangen. Eigentlich war ich als Bassist vorgesehen und Frank eher als Sänger. Wir haben beide zusammen Bass gelernt, aber er hat so einen Ehrgeiz an den Tag gelegt, dass schnell klar war, dass er den Bass übernimmt und ich singe. (lacht)

Erst hießen wir Avenger, dann Vortex, beides gab es aber schon. Axel und Frank haben den Namen TANKARD dann einfach im englischen Wörterbuch gefunden: “Alter englischer Ausdruck für Bierkrug” – super, passt zu uns, nehmen wir, Feierabend. 

Ich find’s krass, dass Frank und du seit 40 Jahren zusammen in einer Band spielt. Das gibt es ja auch nicht so oft. 

Wir sind aber auch wirklich seit der ersten Klasse befreundet. Seit 1973. 

Als das erste Album “Zombie Attack” rauskam, warst du 19 Jahre alt. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie geil war das? 

Das war mehr als zehn. (lacht) Das war ein sensationelles Gefühl. Wir hatten unsere Demos an einige Plattenfirmen verschickt, und als Noise Records dann Interesse hatte, haben wir den Vertrag in irgendeiner Kneipe unterschrieben.

Wir hatten natürlich von Tuten und Blasen überhaupt keine Ahnung. Das waren damals Schweineverträge, aber das war uns egal – Noise hat uns die Chance gegeben, loszulegen. Ich weiß noch, dass es im Frankfurter Hauptbahnhof einen Musikladen namens City Music gab – und dann hing unsere erste Platte da drin. Da waren wir natürlich stolz wie Harry, vor allem in dem Alter.

Eigentlich sollten wir im April 1986 ins Studio, das war aber ein bisschen schlecht, weil wir noch unser Abitur geschrieben haben. 

Haben eure Eltern auch drauf geachtet, dass ihr wenigstens noch den Abschluss macht? 

Ja, klar. Die hatten aber nie was gegen unsere Mucke. Die waren ganz froh, dass wir zwei Mal pro Woche geprobt und keinen anderen Blödsinn gemacht haben. Unsere Eltern konnten mit der Musik nie was anfangen, haben das aber immer respektiert. 

Lass uns über eure Einflüsse sprechen. Neben Thrash Metal höre ich auf euren frühen Alben auch Punk, Hardcore und MOTÖRHEAD raus. Was habt ihr damals an Bands gehört? 

Unser alter Gitarrist Axel war ein großer Punkfan, das hört man auf der ersten Platte bestimmt raus. Aufgewachsen sind wir aber mit der New Wave Of Britsh Heavy Metal. SAXON war 1981 mein allererstes Konzert. Neben den großen Namen haben wir auch TANK gehört und JAGUAR und was es da noch gab. Und dann kam 1983: erste EXODUS, erste METALLICA, erste SLAYER, erste EXCITER ... das hat uns sehr beeinflusst. MOTÖRHEAD waren natürlich auch immer ein großes Thema. 

Ihr habt auch bei euren Coversongs ungewöhnliche Sachen gewählt, SPERMBIRDS zum Beispiel. 

Wir haben sowas gerne gehört, vor allem GANG GREEN, von denen wir “Alcohol” gecovert haben. Das passte natürlich auch deshalb, weil wir selbst einen Song namens “Alcohol” hatten. Nachher haben wir auch noch COCK SPARRER gecovert. Wir haben später aber auch METALLICA und IRON MAIDEN gecovert, da ist schon einiges zusammengekommen. 

“Chemical Invasion” und “The Morning After” sind für viele wohl echte Klassiker, die kamen recht dicht hintereinander raus ... 

... Wahnsinn, oder? Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. 

Habt ihr damals gedacht: Jetzt haben wir’s geschafft? 

Der Durchbruch kam schon mit dem zweiten Album “Chemical Invasion”. Da ging es ab und es gab auch die erste Tour. Mit “The Morning After” konnten wir nicht richtig auf Tour gehen, weil einer in der Band immer was hatte – Ausbildung oder blablabla ... Da haben wir nur ein paar Shows zusammen mit HELSTAR, VENDETTA und DIMPLE MINDS gespielt.

Wir haben 1989 die “Alien”-EP nachgeschoben, die der Aufhänger für die nächste Tour war. 1990 kann schon das nächste Album “The Meaning Of Life”, da haben wir ein Tempo vorgelegt, das war der absolute Wahnsinn. Jetzt im gehobenen Alter nicht mehr vorstellbar. Unsere letzte Platte ist ja auch schon fünf Jahre her. 

Auf “The Meaning Of Life” habt ihr plötzlich etwas anders geklungen. 

Ja, die wurde im Hansa Studio abgemischt, da lief uns noch Udo Jürgens über den Weg. Das war damals DAS Studio. Das Album klingt deshalb vielleicht ein bisschen glatter, jedenfalls nicht mehr so wüst wie der Vorgänger.

“The Meaning Of Life” war damals unser erfolgreichstes Album mit den höchsten Verkaufszahlen. Die sind mit heutigen Verkaufszahlen natürlich überhaupt nicht vergleichbar, wo alles digital geworden ist. 

Wie hörst du denn Musik? Kaufst du CDs oder Vinyl? 

Ich kaufe CDs, ja. Und immer noch wie ein Irrer. (lacht) Die höre ich meistens im Auto, zu Hause bin ich auch etwas bequem geworden und lasse Apple Music über mein Soundboard laufen.

Einen Plattenspieler habe ich im Moment nicht, aber ich werde mir sicher mal wieder einen besorgen. Auf der neuen Platte gibt es übrigens einen lustigen Song, der heißt “Lockdown Forever”. 

Klingt eigentlich gar nicht so lustig. 

Ja doch, pass auf: Du darfst nie wieder deine Wohnung verlassen, Essen wird vor die Tür gestellt und so. Und du hast nichts anderes zu tun, als deine Heavy-Metal-Plattensammlung von A bis Z durchzuhören. Das machst du dann für den Rest deines Lebens. Das ist ein sehr lustiger Text geworden. 

Zurück zu eurer Vergangenheit: “The Meaning Of Life” kam 1990 raus und in den 90ern selbst habt ihr dann noch drei Alben veröffentlicht, die jetzt auch in der Box sind. Habt ihr diese Dekade auch als die große Metal-Krise wahrgenommen, weil Grunge und Crossover plötzlich viel erfogreicher waren als Thrash und Heavy Metal? 

Wir haben gemerkt, dass die Verkäufe zurückgingen und es mit Thrash Metal bergab ging. Zum Teil haben wir nur drei Shows pro Jahr gespielt. Aber wir haben uns nicht unterkriegen lassen und weitergemacht. 

Bei eurem Album “The Tankard” habe ich den Eindruck, dass ihr ein bisschen den Faden verloren habt. Wie siehst du das Album in der Rückschau? 

“The Tankard” sticht heraus, es ist sehr melodisch. Das hatte aber nichts mit dem Zeitgeist zu tun. Unser zweiter Gitarrist Axel, der große Punkfan, ist ausgestiegen. Der neue, Andy Bulgaropoulos, war dann der Hauptsongwriter und hatte einen ganz anderen Ansatz. Er hat auch an den Melodien der Vocals mitgeschrieben und das Album sehr geprägt.

Ich mag “The Tankard” sehr gern, außer das Coverartwork, da haben wir uns nicht mit Ruhm bekleckert. Musikalisch finde ich das Album aber sehr unterbewertet. 

Hat es euch eigentlich mal gewurmt, dass ihr bei den großen deutschen Thrash-Bands immer nur als Nummer vier genannt werdet? 

Nein, das stört mich überhaupt nicht. Um die Jahrtausendwende hat man immer nur von den großen Drei gesprochen, und irgendwer kam dann mit den “Big Teutonic Four” – vielen Dank an dieser Stelle nochmal. (lacht) Und auf einmal waren wir mit dabei. Das war schön, diesem Club beitreten zu können. 

Lass uns über das Boxset sprechen: Die Vinylversion enthält noch ein Buch mit alten Fotos. Wo hattet ihr die rumliegen? 

Das kommt alles von Buffo, unserem Manager. Der hat einen unendlichen Fundus an Fotos, das ist der Wahnsinn. Mit der nächsten Platte wird es auch eine Fanbox geben, wo wahrscheinlich die beiden ersten Demos dabei sind und noch viele Fotos aus der ganzen Zeit. 

Da waren bestimmt viele Aufnahmen dabei, die Emotionen geweckt haben. 

Naja klar, natürlich! Es ist zum Teil sehr lustig, aber man denkt auch: Huch, wie schnell vergeht die Zeit eigentlich. 

Ihr habt auch ein Video von einer alten Show in Eindhoven ausgegraben. Kannst du dich an den Auftritt erinnern? 

Die Show kommt aus meinem Privatfundus. Frank und ich haben uns 'nen lustigen Abend gemacht und einige alte VHS-Tapes angeschaut und uns dann entschieden, dieses Konzert in die Box zu packen. Das war die erste Show außerhalb von Deutschland, wo ich das erste Mal sogar englische Ansagen machen. Witzig ... 

Was geht dir durch den Kopf, wenn du dich so siehst? 

Das ist natürlich amüsant. Aber ich denke auch: Wo ist die Zeit geblieben? Echt krass, wie jung ich war. Ich war 19 oder 20 damals. 

Kannst du dich entscheiden, was die schönste Zeit mit TANKARD war? 

Das ist 'ne schwierige Frage. Die ganzen Sachen, die man erleben durfte: In Südamerika gewesen, drei Mal beim Pokalfinale gespielt, wir waren bei “Ein Fall für Zwei” und “Sturm der Liebe”... Und auch jede Clubshow ist schön, das macht einfach Spaß. Die besten Zeiten kommen vielleicht noch, wer weiß? Ich möchte jedenfalls nichts missen.

Und klar, man hätte Sachen besser machen können, aber im Großen und Ganzen: Mit so einer Mucke Erfolg zu haben, da kann man echt stolz drauf sein und muss das Ganze auch echt mit Demut sehen. Die Frage kann ich dir also nicht so genau beantworten. 

Im September kommt nun also eure neue Platte auf Reaper Entertainment. 

Ja, wir sind nicht mehr bei Nuclear Blast. Wir haben freundlich gefragt, ob wir aus dem Vertrag raus können. Große Teile von Nuclear Blast sind verkauft worden und es war auf einmal niemand mehr von den Leuten da, die wir kannten.

Florian Milz, der Reaper Entertainment macht, hat vorher bei Nuclear Blast unsere Promo gemacht. Wir sind Freunde, er ist TANKARD-Fan, das ist jetzt schon eine super Zusammenarbeit. Das wird gut. 

Helge

Stile: Doom Metal, Black Metal, Post Rock, Stoner, Prog

Bands: My Dying Bride, Opeth, Nachtmystium, Saint Vitus, Genesis