Geschrieben von Sonntag, 03 April 2022 11:40

Eucharist im Interview zu „I Am The Void“: Metal-Experimente und Mythologie-Ausflüge

Dieses Mal eindeutig auf der dunklen Seite: EUCHARISTS Bandkopf Markus Johnsson Dieses Mal eindeutig auf der dunklen Seite: EUCHARISTS Bandkopf Markus Johnsson

EUCHARIST aus Schweden melden sich mit einem neuen Album zurück: I Am The Void” dürfte Schwarzmetaller überzeugen und bei Melodic-Death-Puristen Fragezeichen hinterlassen. Die Produktion der neuen Musik ist – glücklicherweise – professioneller als zu Anfangszeiten der Band. Die neuen Klänge sind – überraschenderweise – schwärzer. Wir sprachen mit Vocalist und Bandkopf Markus Johnsson über das erste musikalische Lebenszeichen nach einem Vierteljahrhundert.

Markus, sage und schreibe 25 Jahre nach „Mirrorworlds“ (1997) haben EUCHARIST ein neues Album veröffentlicht. Damit war in der Zwischenzeit nicht mehr zu rechnen. Wie fühlt sich das Comeback an?

Es ist faszinierend. Und gleichzeitig interessant, wieder im Geschäft zu sein. Ich fühle mich geehrt, dass ich allen, die diese Musik mögen, wieder etwas zu bieten habe.

„I Am The Void“ wäre beinahe gescheitert: Weil ich es fast nicht geschafft hätte, das Album zu veröffentlichen. Ich hatte es jahrelang tief in meinem Kopf vergraben und war schon bereit, das Projekt loszulassen. Aber es fühlte sich einfach nicht richtig an, es einfach verstauben zu lassen und den Hörern vorzuenthalten. Also packte ich den Stier bei den Hörnern und veröffentlichte die Platte – und darüber bin ich sehr glücklich.

Die Musik unterscheidet sich doch ziemlich stark von altem EUCHARIST-Material. Aber ich wollte nicht, dass all die Arbeit, die ich investiert hatte, umsonst war. Kreativität äußert sich in allen möglichen Variationen: Diesmal wollten wir hinsichtlich der musikalischen Atmosphäre unserer dunkleren Seite den Vorzug geben.

Die Entstehungsgeschichte von „I Am The Void“ war tatsächlich ein langwieriger Prozess, denn ihr habt das Album bereits 2016 aufgenommen. Warum hat es sechs Jahre bis zur Veröffentlichung gedauert?

Eigentlich war der Entstehungsprozess kurz und intensiv: Innerhalb von sechs Monaten hatten wir das Album fertig. Ich beendete die Aufnahmen Ende 2016 und ließ sie dann einfach liegen, als Daniel (Red.: Erlandsson, Drummer) die Band verließ.

Ich wusste nicht, wen ich als neuen Schlagzeuger nehmen sollte. Das ist einer der Gründe, warum es so lange bis zur Veröffentlichung des Albums dauerte. Ich versuchte, es einfach liegen zu lassen und zu vergessen. Aber es ließ mich nicht in Ruhe und verfolgte mich mit einer immer wiederkehrenden Botschaft: „Veröffentliche mich!“

Ich fürchtete mich ein paar Jahre lang vor diesem Schritt, beschloss aber schließlich doch, zusammen mit Per (Red.: Gyllenbäck) von Regain Records die Platte herausrauszubringen. Er und ein paar andere haben mich dazu überredet. Ich musste nur davon überzeugt werden, dass es da draußen einen Schlagzeuger gibt, der das Material so gut spielen würde, wie Daniel es getan hätte.

Und jetzt bin ich der Meinung, dass dieses Album den Schlagzeuger bekommen hat, den es verdient: Denn wir fragten Simon „Bloodhammer“ Schilling von MARDUK: Sein Spielstil begeistert mich und er ist ein extrem talentierter Drummer. Ich war echt glücklich, als er zusagte.

Ein Album spiegelt in der Regel die aktuelle Schaffensphase, Ideen und oft auch Stimmungen einer Band zum Zeitpunkt der Entstehung wider. Würdest du die Platte heute – fast sechs Jahre später – auf die gleiche Weise schreiben?

Das bezweifle ich. Wir wollten das neue Material düsterer gestalten, eine dunkle Atmosphäre schaffen. Und selbst wenn ich versucht hätte, das Gleiche noch einmal zu machen, hätte meine Kreativität andere Riffs hervorgebracht.

Wir verändern uns im Laufe der Jahre und entwickeln uns weiter. Das gilt auch für die Kreativität, die Ausdruck unseres mentalen Zustands und des Bewusstseins ist. Deshalb entsteht zu verschiedenen Zeiten auch unterschiedliches Material. Aber hätte „I Am The Void“ die gleiche Atmosphäre gehabt? Wahrscheinlich ja, wenn es das wäre, was ich mir vorgenommen hätte.

In meinen Ohren ist „I Am The Void“ ein sehr abwechslungsreiches Album. Es kombiniert schnelle Black-Metal-Parts mit traditionellen Death-Metal-Elementen. Es hat harmonische Melodien und manchmal sogar einen groovigen Rhythmus, wie in „Darkness Divine“. Es klingt düsterer, aggressiver und experimenteller als eure früheren Alben. Ist die Platte eine geplante Abgrenzung zu euren früheren Werken und eine musikalische Neuorientierung?

Ja und nein. Ja, weil wir bewusst etwas Aggressiveres und Dunkleres machen wollten. Nein, denn wenn ich arbeite, lasse ich meiner Kreativität freien Lauf und schaue einfach, welche Musik ihr entspringt.

Man kann die Unterschiede von einem Song wie „The View“ (1992), unserem Debütalbum „A Velvet Creation“ (1993), den beiden Tracks, die 1994 auf dem W.A.R.-Compilation-Album veröffentlicht wurden über die „Mirrorworlds“-Ära (1997) bis zu der neuen Platte deutlich hören. Die Musik klingt jedes Mal anders, das ist meine Arbeitsweise. Ich gebe meiner Kreativität genügend Raum. Aber ich sortiere die Ergebnisse dieses inneren Chaos – je nachdem, wie ich mich im Moment der Entstehung fühle. Das ist ein Markenzeichen von EUCHARIST.

„Mirrorworlds“ ist ein bemerkenswert konsistentes Album, aber das gilt auch für „I Am The Void“. Wir haben sogar schon ein viertes Album aufgenommen – mit Ausnahme der echten Drum-Sounds – und die Musik unterscheidet sich wieder von allen vorherigen Platten. Es klingt wie eine aggressivere Variante unserer musikalischen Wurzeln, mit den typischen Harmonien und klassischen EUCHARIST-Riffs.

Wow, ich bin sehr gespannt darauf, wie EUCHARIST dann beim nächsten musikalischen Richtungswechsel klingen. Aber nochmal zurück zu „I Am The Void“: Auch die Texte gehen in eine düstere Richtung. Songs wie „Goddess of Filth (Tlazolteotl)“, „Mistress of Nightmares“, „Queen of Hades“ oder „Lilith“ handeln von dunklen Gestalten aus verschiedenen Mythologien. Erzähl uns doch etwas über das lyrische Konzept der Platte.

Ein wirkliches Konzept gibt es nicht. Die Texte sind beeinflusst von persönlichen Erfahrungen und Interessen. Aber ich habe das Ganze mit mythologischen Themen verknüpft. Zufälligerweise waren da viele weibliche Figuren bei. Das fiel mir aber erst auf, als das Album schon fertig war und da war es zu spät, etwas zu ändern.

Eine Hommage an weibliche Figuren der Mythologie hatte ich nicht beabsichtigt. (lacht) Aber wenn das jetzt so wirkt, ist es völlig in Ordnung: Es handelt sich um starke Figuren und Symbole für den menschlichen weiblichen Geist.

Die Texte handeln eher von meinen persönlichen Lebenserfahrungen, vor allem in den letzten fünf, sechs Jahren. Bevor ich die Lyrics schrieb, durchlebte ich aufgrund ungeplanter und ungewollter Ereignisse und Unfälle eine Art Transformation als Mensch. Mein Innerstes war ein wenig außer Kontrolle geraten und ich musste mich darauf konzentrieren, es wieder in den Griff zu bekommen. Ich glaube, ich war damit erfolgreich, denn unter anderem Meditation brachte mich an den Punkt, an dem ich Ende 2016 war.

Darum geht es auch in vielen Texten: Das sind kurze, verschlüsselte Geschichten und für Außenstehende ist es fast unmöglich, sie zu entziffern.

Der Songtitel „In the Blaze of the Blood Red Moon“ klingt wie eine kleine Hommage an DARKTHRONE. Ist das Zufall oder Absicht?

Das ist Zufall. Natürlich kenne ich die Alben „A Blaze in the Northern Sky“ und „Under a Funeral Moon“, falls du darauf anspielst. „Blaze“ ist aber lediglich ein Wort des englischen Wortschatzes, „In the ... of the ...“ notwendige Grammatik und „Blood Red Moon“ ein Vollmond unter einer Sonnenfinsternis. Dieser Songtitel klang einfach gut für mich.

Versteh' mich nicht falsch, ich liebe DARKTHRONE. Ich höre zu 80 Prozent norwegischen Black Metal. Aber wir neigen dazu, Wörter unweigerlich mit gewissen Texten zu verbinden. Ich verstehe also, warum du „blaze“ mit DARKTHRONE verbindest, aber das ist wirklich ziemlich weit hergeholt, Mann! (lacht)

Ich habe mir die Kommentare unter den YouTube-Videos zu euren beiden Pre-Release-Songs „Shadows“ und „Mistress of Nightmares“ durchgelesen. Fast alle Hörer sind von dem neuen EUCHARIST-Sound überrascht und viele sogar begeistert. Einige sind aber auch enttäuscht, dass ihr nicht mehr so klingt wie auf euren früheren Alben. Wie hast du die Reaktionen auf „I Am The Void“ bisher wahrgenommen?

Ich habe mit solchen Kommentaren und Reaktionen gerechnet, denn die musikalische Veränderung ist schon ziemlich deutlich. Ich habe überhaupt kein Problem damit, wenn Leute enttäuscht sind. Aber ich fühle mich auch nicht dafür verantwortlich, Musik zu machen, die jedem gefällt.

Als wir „Shadow“ als erste Single veröffentlicht haben, war das für viele wie ein Faustschlag ins Gesicht. Und das war auch unsere Absicht: Wir wollten den Leuten klarmachen, dass wir jetzt anders klingen.

Aus heutiger Sicht ist euer Debüt „A Velvet Creation“ zweifelsohne ein einflussreiches Album. Wenn in Magazinen oder Dokumentationen über die Entstehung des Melodic Death Metal gesprochen wird, wird EUCHARIST allerdings oft übersehen; vermutlich, weil ihr nicht unmittelbarer Teil der berühmten Göteborger Szene um AT THE GATES, DARK TRANQUILLITY und IN FLAMES wart. Von eurem Potenzial her hättet ihr aber eine ähnliche Karriere wie die genannten Bands einschlagen können. Wie denkst du heute darüber?

Also, wenn ich das mal zeitlich einordne: Wir hatten schon mit doppelten Gitarrenharmonien gearbeitet, bevor DISSECTION ihr „The Somberlain“-Album (1993) fertiggestellt haben. Außerdem hatten wir fast die gesamte „A Velvet Creation“ bereits geschrieben, während AT THE GATES an „The Red In the Sky Is Ours“ (1992) arbeiteten und bevor IN FLAMES die „Subterranean“-EP (1995) veröffentlichten. Da wir zu der Zeit auch keinerlei Hörproben von den späteren ‚klassischen‘ Göteborg-Bands kannten, haben wir uns auch nie von ihrer Arbeit inspirieren lassen.

Wir machten unser eigenes Ding, ohne zu ahnen, dass sich deren Musikstil entwickelte und veränderte. Wir waren also definitiv unter den Ersten, die mit diesen klassischen Doppelharmonien arbeiteten. Meiner Meinung nach klangen EUCHARIST aber nie wie der typische Göteborg-Sound, also gehören wir wahrscheinlich sowieso nicht in diese Kategorie.

Außerdem löste sich unsere Band auf, nachdem wir „A Velvet Creation“ fertiggestellt hatten. Und obwohl die Musik schon ziemlich früh fertig war, bekamen wir erst Anfang 1993 einen Plattenvertrag angeboten. Das Album wurde also später veröffentlicht und nicht in der Zeit, in der wir es geschaffen hatten.

Klar, hätten wir ein anderes Studio – wie z. B. Sunlight oder Fredmans – gewählt und hätte ich die rhythmischen Gitarren auf dem Album gespielt, wäre der Sound der Platte ein anderer gewesen. Vielleicht hätten wir größere Aufmerksamkeit damit erregt. Aber wir waren nie darauf aus, die Welt zu verändern oder berühmt zu werden. Alles, was wir wollten, war, mit Metal zu experimentieren und einfach zusammen Metal zu spielen.

Hast du schon Pläne, wie es mit der Band weitergehen soll?

Ja, wie gesagt: Ich habe schon ein viertes Album mit acht Tracks aufgenommen, mit dem ich echt zufrieden bin. Das Schlagzeug wird später wieder von Simon Schilling eingespielt. Ich habe sogar ein Black-Metal-Projekt gestartet. So kann ich meine Inspirationen zu düstereren Spielarten ausleben, ohne dass es den natürlichen Sound von EUCHARIST beeinträchtigt. Denn auf jedem EUCHARIST-Album muss das nicht sein.