Geschrieben von Dienstag, 14 November 2006 16:26

Napalm Death - Interview zu 'Smear Campaign' mit Bassist Shane Embury


Review
Mein erstes Interview war nicht nur von streikenden Diktiergeräten, sondern auch von einer enormen Nervosität begleitet, denn schließlich ging es hier nicht um irgendwen, sondern um eine der erfolgreichsten und meist verehrten Bands ihres Genres. Shane Embury von NAPALM DEATH war gerade mit seinem Essen fertig, und wir schlurften zusammen die paar Meter aus dem Backstage-Bereich des Veranstaltungsortes zu dem gemütlich beheizten Tourbus. Dort nahmen wir an einem Tisch Platz, und der sympathische Lockenkopf gab willig Auskunft.



Vielen Dank für das Interview zu allererst!

Keine Ursache.

Wie ist es für euch, wieder in Deutschland unterwegs zu sein?

Nunja, wir sind hier ja sehr oft. Seit 1987 haben wir sicherlich zweihundert Auftritte hier gehabt. Deutschland war schon immer ein Ziel unserer Tourneen, und wir genießen es, hier zu sein.

Wegen der treuen Fans?

Ja, auch.

Da ihr ja gerade auf Tour unterwegs seid, gibt es da noch Bands, die ihr bewundert und mit denen ihr euch gerne mal die Bühne teilen würdet, aber bisher noch nicht die Gelegenheit dazu hattet?

Auf diese Frage gibt es eigentlich keine genaue Antwort, da sich das fast jeden Tag ändert. Natürlich gibt es viele Bands, die man bewundert, und als wir mit SICK OF IT ALL unterwegs waren, hatten wir einen Riesenspaß. Ich würde gerne noch mal mit den Jungs spielen! Natürlich wäre es toll gewesen, für BLACK SABBATH damals mal den Support zu stellen.

Kommen wir auf die Aussage „Enemy Of The Musicbusiness" zu sprechen. Würdest du NAPALM DEATH als Gegner der Musikindustrie sehen? Und wenn ja: Warum seid ihr dann auf einem - mehr oder weniger - Major-Label?

Das ist genau das Problem bei diesem Album-Titel, und wir werden das natürlich von Fans gefragt. Um ehrlich zu sein, war es auch nicht meine Idee. Ein Bekannter der Band sagte immer zu uns: Ihr seid die Gegner der Musikindustrie. So kam das zustande. Es geht auf die Erfahrungen mit der Musik-Industrie zurück, und das Album soll auch junge, aufstrebende Bands vor den Gefahren warnen, die sich dort verbergen. Letzten Endes ist es nichts, was man zu wörtlich nehmen soll.

Welche gesellschaftlichen oder politischen Problematiken haben euch beim Werdegang von „Smear Campaign" geleitet? Welche Themen hattet ihr da im Kopf?

Ich für meinen Teil eigentlich nichts. Ich interessiere mich nicht zu sehr für Politik. Das Hauptthema des Albums ist auch eher die Religion. Wertvorstellungen, die auf reiner Fiktion basieren, für die es keinerlei Beweise gibt. Ich meine, ich bin kein religiöser Mensch, ich habe meine eigene Moral und meine eigenen Überzeugungen, doch toleriere ich auch gläubige Menschen. Es gibt solche und solche.

Es geht um die Machtausübung auf religiöser Basis, nehme ich an.

Exakt, und eben die Abartigkeiten wie Rassentrennung und ähnliches, die sich teilweise auf Religion stützt.

Wenn ihr eure Botschaft unter die Menschen bringen wollt, warum bedient ihr euch einer solch „speziellen" Musikrichtung?

NAPALM DEATH war schon immer eine extreme Band. Die Musik soll eben schnell und kompromisslos die Themen behandeln, ohne dabei irgendwie angepasst zu wirken. Barney dachte bei den Texten wohl, dass ein Singen die Themen nicht passend ausdrücken würde, und so kam dieser außergwöhnliche Ausdruck zustande. Es soll sich eben wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen, der dich direkt mit den Problemen konfrontiert.

Auf welche Art und Weise war Birmingham in den frühen 80-Jahren denn prägend für euren Stil? Gab es viel Verzweiflung zu der Zeit?

Ja, ich denke jede Band aus der Zeit kann sagen, dass es viel Verzweiflung gab. Das ist sicherlich wahr. Barney und ich kamen eben aus der Arbeiterschicht. Keiner direkten Armut, aber den täglichen Kampf bekamen wir mit. Wenn sich die Eltern stritten, wie man die Rechnungen bezahlen kann, und wenn ich die Türe nicht öffnen sollte, weil sonst der Nächste sein Geld haben wollte, all so etwas eben. Ich denke aber nicht, dass man das alleine an der Gegend und an der Zeit festmachen kann. Ich meine, dass eine Fabrik, wenn du sie ansiehst, dich alleine nicht inspiriert. Es geht um mehr als das.

Es ist also eher eine Frage der Klasse?

Ja, das trifft es eher. Die einfachen Verhältnisse und die ganzen Probleme formten auch diesen kompromisslosen und schnellen Stil. Dieses Phänomen findet sich ja häufig. Wie auch in den Vereinigten Staaten, wo die „Death Metal"-Bands gegen den Katholizismus rebellieren. Ganz besonders in den ländlichen Regionen des so genannten Bible-Belt.

Nach nun bald zwanzig Jahren für dich in NAPALM DEATH, ist da bald irgendwann ein Punkt erreicht, an dem du die Schnauze voll hast?

Ja, gestern (lacht). Es gibt eben solche Tage, an denen du aufstehst und du keine Lust hast. Es liegt nicht an deinen Band-Kollegen, sondern einfach an deiner Laune eben. Aber so etwas gibt es immer, denke ich.

Gibt es denn Stücke, von denen du genug hast und die du nicht mehr spielen magst?

Eigentlich nicht, doch gibt es Stücke, die eine Tortur auf der Bühne sind. Zum Beispiel auf unserem vorletzten Album „The Great and the Good". Wenn ich im Studio stehe und das spiele, merke ich oft nicht, wie übel das dann später auf der Bühne zu spielen ist und fluche dann oft über die schwierigen Griffe auf dem Bass. Wobei ich da die Schuld trage, denn das Lied habe ich geschrieben. (lacht)

Nun würde ich dich bitten, dieses leere Blatt für die Leser zu gestalten. Ein Bild, ein paar Zeilen oder einfach deine Unterschrift.

Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist - bei meiner Handschrift, aber auch egal

Die letzten Worte gebühren dir.

Ich möchte mich bei den Fans bedanken, denn gerade hier in Deutschland wird man immer herzlich willkommen geheißen. Ich freue mich auf nachher!

Nachdem Shane die Seite, die ich ihn gebeten habe zu gestalten, mit ein paar Zeilen zugeschrieben hatte, kamen wir noch etwas ins Plaudern und ich machte mich dann auf den Weg in die eisige Kälte zum Eingang, vor dem sich schon eine gewaltige, dampfende Schlange gebildet hatte...