Geschrieben von Kai Sonntag, 14 Juni 2009 18:36
Longing For Tomorrow - Interview zu „Idee:Mensch" mit Basser Samuel
LONGING FOR TOMRROW aus Aachen haben mit dem Album „Idee:Mensch" einen Richtungswechsel vollzogen, sind auf ein Trio geschrumpft und haben die Sprache ihrer Songs geändert. Irgendwo zwischen allem, was mit der Silbe „Core" versehen werden kann, schaffen die drei nun wirklich gute Songs, die mal catchy und mal härter sind. Mittlerweile seit ein paar Jahren dabei, legen sie heuer ihr drittes Album vor. Höchste Zeit, uns mal etwas näher mit dem Trio zu befassen.
Stell doch bitte mal dich und deine Band vor.
Meine Name ist Samuel, ich spiele Bass in der Rockband Longing for Tomorrow und beantworte sehr gerne Interviews. Ansonsten spielen noch David (Gesang, Gitarre) und Damian (Schlagzeug) mit. Noch zu sagen wäre, dass es mit den beiden eine Menge Spaß macht.
Bei euch hat sich ja einiges getan. Soweit ich weiß, habt ihr sowohl bei der Besetzung als auch in eurem Sound einige Veränderungen vorgenommen. Wie kam es dazu? Und warum auf einmal deutsche Texte?
Viele Fragen auf einmal, aber ich versuchs mal kurz und knapp: Das hat sich alles so entwickelt. Durch penetrantes Livespielen haben die alten Bandmitglieder sich nicht mehr wohl in der Band gefühlt und wollten neben ihrem Studium, ihrer Freundin oder sonstigen Hobbies nicht auch noch die Wochenenden und zahlreiche weitere Stunden für die Band opfern. Jeder Ausstieg und jede Umbesetzung ist natürlich erstmal ein Schritt zurück, aber gleichzeitig auch eine Chance, mit neuen Leuten auch neue Wege zu gehen. Und so kam dann eins zum anderen. Ich bin ja auch erst seit November 2008 dabei, kenne Longing For Tomorrow aber schon seit 2005 (gemeinsame Tour) und war immer in Kontakt mit David und wusste so relativ gut, was bei denen abgeht und was mich erwarten würde. Soundtechnisch war dann die Entscheidung, zu dritt weiter zu machen, natürlich auch von Bedeutung. Und die deutschen Texte kannte ich seit der „Beauty For The Blinded Eyes" ja auch schon. Damals war es wohl ausschlaggebend, dass David den deutschen Text von „die schönsten Lieder" nicht - wie sonst gewohnt - ins Englische übersetzen konnte/wollte, sondern es in Deutsch gelassen hat. Alle Bandmitglieder fanden das so gut, dass David von da an die Texte direkt in Deutsch gelassen hat. Aus sicherer Quelle weiß ich auch, dass ihm die Texte sehr wichtig sind und er auf Deutsch einfach besser klar kommt und sich so ausdrücken kann, wie er es gerne hat.
Ihr habt in eurem Anschreiben an die Fanzines etc. bereits darauf verwiesen, dass man euch mit TURBOSTAAT und ESCAPADO vergleicht. Nervt es? Und könnt ihr die Vergleiche nachvollziehen?
Da bin ich so ehrlich zu sagen, dass diese beiden Bands schon zu Davids Lieblingsbands gehören. Vergleiche find ich auch nachvollziehbar und okay, weil es ja irgendwie auch ein cooles Lob ist. Nerven tut es mich persönlich nicht, aber wir wollen keinesfalls als Kopie durchkommen, sondern haben schon das Gefühl, unser eigenes Ding zu machen. Ich selbst kannte/kenne die beiden Bands auch nicht so super gut und sehe die Musik deswegen auch nicht sonderlich gleich. Und wenn jemand sagt, dass es musikalisch gleich ist, finde ich immer noch, dass es textlich oder besser noch lyrisch einen großen Unterschied gibt.
Ihr habt eine ziemliche Vielfalt in euren Songs. Wolltet ihr das bereits im Vorfeld oder hat sich das alles so ergeben?
Manchmal habe ich das Gefühl, David und Damian wollen das im Vorfeld, aber mittlerweile weiß ich, wie der Hase läuft, denn wir schreiben schon wieder neue Songs, bei denen ich beim Songwriting jetzt richtig eingebunden bin (die Songs zur Platte „Idee:Mensch" standen teilweise schon fest, bevor ich in die Band kam). Und ich kann nur sagen, dass das Songwriting bei Longing For Tomorrow ein langer Prozess ist. Jeder gibt seinen Senf zu jedem Part und wir probieren alles aus, was jemand vorschlägt. Dann sagt jeder, wie er es findet und weiter geht's. Das kann eine Weile dauern, und manchmal geht es echt nur um Betonungen oder einzelne Töne oder wie angezerrt der eine oder andere Part jetzt gespielt werden soll. Es ist sehr anstrengend, aber am Ende kommt halt ein Riesenkompromiss aller Beteiligten raus, den aber auch alle zu 100 Prozent geil finden. Und deshalb gibt es keine Stelle in einem Song, die jemand gar nicht mag. Das finde ich sehr cool und es macht einfach Spaß.
Ihr seid auf der DISTANCE IN EMBRACE-DVD zu sehen und verarscht dort die Jungs nach Strich und Faden. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, und war es schwer, sich nicht aus Versehen zu verraten?
Ja, die Jungs haben angefragt für ihre DVD etwas zu machen. Ich fand dann, dass es langweilig ist, einfach nur das Übliche zu machen, halt zu sagen, wie geil und nett, und was für ne gute Band die sind, etc. (denn das weiß jawohl mittlerweile jeder), sondern habe gedacht, so eine Telefonverarsche könnte ganz lustig sein. Ich kannte DISTANCE IN EMBRACE im Gegensatz zu Damian und David auch nur flüchtig und hatte die beiden vorher schon gefragt, wie die denn so sind, weil ich da schon wusste, dass die gut mit denen können und wir in diesem Jahr noch einige Konzerte mit denen spielen werden. Und als die beiden dann so über jeden eine Kurzzusammenfassungen gemacht haben, meinte ich, ob wir die nicht ein bisschen per Telefon auf den Arm nehmen sollen, weil dann die Zuschauer auf der DVD am direktesten etwas über die Jungs erfahren würden ;-) Naja, und das haben wir dann auch gemacht. Es war teilweise schon etwas hart - besonders Leid tat mir am Telefon der Sören, dem ich vorgespielt habe, dass meine Schwester von ihm schwanger sei - aber es hat auch irgendwie ziemlich Spaß gemacht. Am besten fand ich das Gespräch zwischen Damian und Robin; vor allem, weil ich es von Damian vorher nicht erwartet hatte, dass er seine Rolle so knallhart durchzieht ;-) Allgemein war ernst zu bleiben und sich nix anmerken lassen das Schwierigste. Distance wollen es uns übrigens zurückgeben, aber ich denke, wir sind da ja jetzt klar im Vorteil, wobei mir selbst gute Sachen einfallen würden, womit man David und Damian „eine Freude" bereiten könnte.
Ihr werdet Ende des Jahres in Brasilien auf Tour gehen. Wie kam es dazu und was erwartet ihr?
Das mit der Brasilientour haben wir alle noch gar nicht so richtig realisiert. Soup, unser Labelchef von Unpopular Disclose, hat seit Jahren schon Kontakte nach Brasilien, und nachdem ein paar Alben dorthin verkauft wurden, gab es konkrete Pläne mit der brasilianischen Band „No Lie" eine Split-CD zu machen, und da darf eine Tour natürlich nicht fehlen. Soup selber war schon mal mit einer Band dort und hat ein paar krasse Geschichten diesbezüglich auf Lager. Wir erwarten deshalb eine Menge Abenteuer, viel Schweiß (laut Soup 40° im Bandbus, wobei er damals im brasilianischen Frühling da war, und wir kommen mitten im Sommer dort an) und eine coole Zeit!
Ihr seid seit ca. 2003 dabei. Was hat sich seitdem alles um euch herum getan und wie schätzt ihr, wird es in der Hardcore/Screamo-Szene weitergehen?
Wow, eine gute Frage. Getan hat sich auf jeden Fall eine Menge. Eine genaue Entwicklung zu beschreiben oder gar vorherzusehen ist natürlich schwierig. Allgemein kommen wir seit damals einfach viel rum. Ich habe auch die letzten Jahre durchgehend in verschiedenen Bands gespielt und auch einen kleinen Eindruck von dem bekommen, was abgeht. Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass die Besucherzahlen auf Konzerten anscheinend überall zurückgegangen sind. Das ist leider nicht nur in dieser Szene so, sondern allgemein im Undergroundbereich. Wir wissen auch nicht ganz genau, woran es liegt, aber offensichtlich ist das Interesse an Livemusik der härteren Gangart und speziell Hardcore/Screamo nicht mehr so groß. Man muss aber auch sagen, dass es einfach in den letzten Jahren viel mehr Bands gab, die solche Musik gemacht haben und noch machen. Auf manchen Konzerten spielen wir mit fünf Bands zusammen, wo nachher keiner mehr genau sagen kann, welche Band jetzt genau was für Musik gemacht hat, weil es selbst uns alles relativ gleich vorkommt. Viele Bands, die gut spielen, haben trotzdem einen ähnlichen Sound, und das langweilt auf Dauer natürlich. Ich würde mir wünschen, dass man weniger nach Übersee schielt, mehr ausprobiert und die Idee von Hardcore einfach weiter im Herzen trät, aber sich neue Wege erarbeitet, dies an den Mann zu bringen. Das größte Problem ist, dass sich da manche Leute durch selbst auferlegte „Regeln" leider selbst im Weg stehen. Einfach ausprobieren und Gas geben!
Euer Album erscheint auch als LP. Ist euch Vinyl wichtig?
Vinyl war/ist vor allem Soup wichtig, der unsere CD und auch die LP rausgebracht hat. Er ist leidenschaftlicher Vinylsammler und hat laut ihm keine einzige illegale MP3 auf dem Rechner und nur wenige CDs. Wer viel Vinyl hört, merkt schnell, wie schlecht CDs und vor allem mp3s klingen. Vinyl klingt einfach voller und wärmer. Hinzu kommt auch der optische Aspekt; seit ich unsere Platte dann auch als Vinyl gesehen habe, war es Liebe auf den ersten Blick. Das Artwork und die Lyrics sind schön groß, und, obwohl ich keinen Plattenspieler habe, um sie zu hören, halte ich sie oft in der Hand ;-). Soup will Vinyl einfach weiter am Leben erhalten und der Deal ist, dass bei uns die LP weniger kostet als die CD, gleichzeitig aber hinten drauf ein Link + Downloadcode zum legalen Runterladen der Platte in bestmöglicher mp3-Qualität ist. Insofern kann ich nur jedem raten, sich das Album auf Vinyl zu kaufen, denn man kann eigentlich nur gewinnen.
Euer Sound klingt absolut nicht nach einem Trio. Kriegt ihr das auch live so hin?
Nö, aber wir sind meiner Meinung nach sehr nah dran. Live sind die Gitarren auch nicht gedoppelt, haben wir keine Takes zum Wiederholen, falls wir uns verspielen sollten, und Anlage und Mischer erlauben es oft nicht, den gleichen Sound zu fahren wie auf CD. Aber wer will das schon ;-). Ich selbst vermisse weder im Proberaum, noch auf der Bühne eine zweite Gitarre. Ich denke auch, dass wir ganz gut zusammenspielen, und vor allem geht's live einfach darum, den Leuten unsere Musik einfach nur um die Ohren zu hauen und zu hoffen, dass es ne fette Party gibt. Um es kurz zu beantworten: Bisher hat sich noch kein Zuschauer beschwert. :-)
Was habt ihr euch noch für dieses Jahr vorgenommen?
Wir schreiben gerade weiter neue Songs und wollen die Platte Ende 2009 fertig geschrieben haben, so dass wir nur noch aufnehmen müssen. Ansonsten versuchen wir, einfach soviel es geht auf der Bühne zu stehen und unsere Musik an den Mann zu bringen, denn das macht mir einfach am meisten Spaß. Die Brasilientour steht auch ganz oben auf der „Worauf freu ich mich 2009"-Liste, und vorher werden wir mit Distance noch ein/zwei Wochen lang den deutschsprachigen Raum unsicher machen. Am besten immer unter MySpace gucken, was abgeht.
Wie viel Zeit beansprucht die Band bei euch im Privatleben?
In Stunden kaum zu messen, denn z.B.mache ich mich gerade fertig, um auf eine Party zu gehen, schreibe aber noch flott das Interview, weil ich es wichtig finde, es euch so schnell wie möglich zurückzuschicken, denn ihr habt es verdient, nicht auf so was warten zu müssen. Und mit so einer Einstellung gehen die anderen auch ans Werk. Zwischen Arbeit, Einkaufen, Wäsche waschen, Freunde treffen sucht sich jeder die Zeit zum Booking, Päckchen verschicken, Rumtelefonieren, Sachen absprechen etc. Ach ja, und dann muss man ja noch irgendwie fit am Instrument bleiben und zusammen proben. Also eigentlich dreht sich bei uns alles um die Musik, denn sonst wäre das so, wie wir es momentan machen, nicht möglich.
Famous Last Words?
Oh, die schwierigste Frage zum Schluss. Bedanken möchte ich mich bei dir für das Interesse an unserer Musik; auch danke an den Leser, der bis hierhin gelesen hat und vielleicht noch ein paar Sekunden übrig hat, auf folgenden Link zu klicken: myspace.com/longingfortomorrow
Und ansonsten bleibt nur zu sagen, dass wir alle mehr Shows besuchen sollten, damit diese Basis nicht eines Tages wegbricht, wie es in einigen Städten/Läden/Clubs leider schon passiert ist!
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