Geschrieben von Deniz Sonntag, 07 Dezember 2003 22:52
Sepultura - Interview mit Sänger Derrick Green zu 'Roorback'
"Ich sehe keine Revolution"
Sepultura waren in den 90ern eine der beliebtesten und erfolgreichsten Metalbands weltweit. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sie mit „Beneath The Remains", „Arise", „Chaos A.D." und „Roots" Alben rausgehauen haben, die allesamt Klassikerstatus besitzen. Seit dem tragischen Abgang von Frontröhre und Bandgründer Max Cavalera im Jahre 96 scheinen jedoch Charme und Klassikerqualitäten verloren gegangen zu sein, obwohl der neue Sänger Derrick Green seinen schweren Job in Maxes Fußstapfen mehr als bravourös bewältigt. Die Jack Daniels Tour mit drei Bands, die nicht unbedingt zusammen passen, war eine gute Gelegenheit, um zu zeigen was noch echte Thrashmetal-Bomben sind. Für mich die Gelegenheit, mich mit dem furchteinflössenden Giganten am Mikro, Derrick Green, zu unterhalten. Was er über die neue Scheibe „Roorback", Revolutionen und deutsche Metalfans denkt, lest ihr hier...
Seit „Chaos A.D." waren eure Alben stets sehr experimentierfreudig. Was hat euch dazu gebracht, dass eure neue Scheibe „Roorback" so straight und catchy geworden ist?
Wir wollten uns einfach nicht wiederholen und einen etwas anderen Weg einschlagen, um die Dinge möglichst simpel zu halten. Wir hatten diesmal keine Gäste auf dem Album, was eigentlich seit „Roots" schon üblich geworden ist. Also haben wir das experimentieren mit vielen Gastmusikern sein gelassen und uns auf die wesentlichen Dinge konzentriert, was in diesem Fall bedeutete, dass wir Songs schrieben, die auf den Punkt kommen und sehr straight in die Fresse hauen. So haben wir nämlich echt schon lange nicht mehr gearbeitet. Diese Einstellung entwickelte sich einfach beim Songschreiben, und daran haben wir dann bis zum Ende festgehalten, natürlich ohne dabei zu vergessen, die Stücke, als das, was sie sind, trotzdem noch interessant genug zu gestalten.
Gerade die Kooperationen in Richtung World Music mit sehr speziellen Gruppen aus verschiedensten Bereichen haben doch die letzten Alben mitgeprägt. Gibt es für euch überhaupt noch interessante Rock-fremde Formationen, mit denen ihr gerne zusammenarbeiten würdet oder habt ihr darauf gar keinen Bock mehr?
Nee, so ist es nicht. Für uns ist es immer eine Herausforderung und Spaß bringende Angelegenheit mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten. Wer weiß, was da noch so kommt. Es gibt viele Bands, die wir mögen und einige coole Leute, mit denen wir gerne mal was Spezielles aushecken würden. Das ist aber nichts, was wir von vornherein planen, so was passiert eher spontan. Außerdem haben wir uns zwischenzeitlich auch noch ein paar anderen Projekten außerhalb Sepultura gewidmet, wie z.B. Filme machen oder Songs für Soundtracks schreiben, aber wir haben auch musikalisch was mit anderen Leuten auf die Beine gestellt. Wir mögen es also auf jeden Fall noch, neue Sachen auszuprobieren.
Du wirst wahrscheinlich schon von der Reunion zwischen Rob Halford und Judas Priest gehört haben. Definitiv das Highlight des „Back to the roots"-Wahns. Was denkst du darüber? Ärgert es dich, dass gerade Metalfans so konservativ sind und an alten Zeiten hängen oder können wir gar von Sepultura ein zweites „Arise" erwarten?
Ich bin nicht wirklich davon überrascht, dass Metalfans eher konservativ sind. Nichts gegen Metal, ich mag alle möglichen Musikarten und ich steh definitiv auch auf Metal. Es kommt halt ganz auf den Fan drauf an, was für Ideale er hat. Viele wollen nur das sehen, was sie auch vor Jahren schon gesehen haben und das Bild, dass sie seitdem im Kopf tragen, für immer behalten und am liebsten nichts anderes mehr dulden. Das ist OK, aber es gibt auch viele Metal-Fans mit einer anderen Sichtweise - die, die was anderes sehen wollen, die eine offene Einstellung haben, aufgeschlossen und bereit für Veränderungen sind. Dem Metal sollte es erlaubt sein, sich zu verändern anstatt stehen zu bleiben. Diese offene Einstellung für Veränderung ist wichtig. Menschen und natürlich auch die Bands, in denen sie spielen, verändern sich nun mal, dagegen kann man nicht ankämpfen. Am besten ist, mit der Veränderung mitzugehen. Und wenn man solche Veränderungen nachvollziehen kann, ist das doch großartig, oder? Was Ripper Owens angeht, hab ich gelesen, dass er eigentlich recht glücklich darüber war, Judas Priest verlassen zu müssen und sich sehr gefreut hat, bei Iced Earth einzusteigen. Das ist doch cool. Ich weiß aber nicht genau, was sie untereinander für ein Verhältnis hatten, um darüber jetzt urteilen zu können. Ich hab auch mal Judas Priest geliebt, aber ihre Reunion ist jetzt nichts, wo ich unbedingt vor Freude in die Luft springe und „hey, Judas Priest sind back!" rufe. Ihre Heldentaten liegen nun schon weit zurück und es gibt heute viele andere interessante Bands.
Wer weiß, ob das nicht vielleicht auch eine kommerziell kalkulierte Nummer ist?
Das könnte natürlich sein. Viele Leute wollen viel Geld einsacken und die Reunion ist sicherlich ein Mittel dazu.
Die Veränderungen, die du angesprochen hast, finden auch gerade in der US-Metalszene statt, in der sich immer mehr Bands unter dem Banner „New Wave OF American Heavy Metal" den thrashigeren Tönen widmen (Killswitch Engage, Chimaira, Lamb Of God usw.). Ist das nicht teilweise auch euer Verdienst, dadurch, dass ihre so viele Thrash Metal Klassiker rausgebracht habt?
Wir haben auf jeden Fall viele dieser Bands beeinflusst. Einige von ihnen kennen wir auch persönlich und wissen von ihnen, dass sie von uns stark inspiriert wurden. Es gibt aus dieser Ecke viele coole Bands, die es draufhaben und ihr Handwerk allemal verstehen. Von den meisten konnte ich mich auch schon live überzeugen lassen. Mir gefällt, dass sie aus dem Alten, den Basics sozusagen, etwas Neues kreieren.
Hast du irgendwelche Favoriten aus dieser Richtung?
Ich mag Killswitch Engage, aber auch Bands wie Converge, Carry On, Every Time I Die oder Hope Conspiracy. Ich steh auch sehr auf Hardcore und Punk-Stuff wie Noire Machine, deren coole Lyrics und Artworks mich begeistern . Diese Bands erzeugen eine sehr abgefahrene Energie, vor allem live blasen die einen regelrecht an die Wand.
Glaubst du, dass im Zuge des Thrash-Trends Sepultura in den Staaten wieder etwas bewegen können?
Ja, vielleicht. Ich glaube, wenn wir wieder anfangen, dort auch etwas mehr durch Touren präsent zu sein, können wir sicherlich auch wieder die Aufmerksamkeit der Leute auf uns lenken. Das war nämlich das Problem, das wir in den letzten Jahren hatten, nämlich, dass wir in den Staaten nicht so ausgiebig auf Tour gehen konnten, wie wir eigentlich wollten. Wenn wir den Kids aber wieder mit Liveshows zeigen können, wer wir sind, dann sollte sich die Beachtung für Sepultura auch wieder einstellen. Wichtig ist auch, mit wem wir dann rausgehen. Es sollte schon eine gute Band sein, was jetzt aber nicht heißt, dass wir so was streng kalkulieren, nein, wir wollen einfach das Beste geben und ne harte, geile Show liefern. Nebenbei planen wir, für nächstes Jahr eine umfangreiche DVD zu veröffentlichen. Die sollte dann auch etwas helfen, dass Ruder in den USA rumzureißen.
Hat die DVD etwas mit eurem 20 jährigem Jubiläum zu tun, das ihr nächstes Jahr feiern werdet?
So sieht's aus, das ist genau die Idee, die dahinter steckt. Aber das ist nur eine Sache von vielen, die wir dafür planen. Die DVD ist nur das Konkreteste bis jetzt.
Vor „Roorback" habt ihr eine EP namens „Revolusongs" auf den Markt gebracht, auf dem ihr mit sieben Songs Bands unterschiedlichster Stilrichtungen gecovert habt. Von welcher Band würdest du dir wünschen, dass sie eine Coverversion eines Sepultura-Stücks macht?
(Nach langem überlegen) Mmh, das ist eine gute Frage. Uh, ehrlich gesagt, ich hab keine Ahnung. Da fällt mir spontan niemand ein. Vielleicht Abba? Oder Rick James? Entweder Abba oder Rick James, obwohl ich nicht wissen will, wie sie das anstellen würden, haha!
Habt ihr eigentlich irgendein Feedback von den Originalinterpreten bekommen?
(Wieder nach langem überlegen) Nein, haha. Lass mich mal überlegen... Nein.
Weißt du, ob sie eure Versionen überhaupt schon mal gehört haben?
Ich hab mal ein Gerücht von unserem brasilianischen Fan Club gehört, dass Bono von U2 mal den Song gehört hat („Bullet The Blue Sky", d. Verf.) und ihn auch sehr cool fand. Aber das ist auch nur ein Gerücht. Von wem ich aber sicher weiß, dass sie unsere Version kennen, ist Hellhammer. Sonst weiß ich nichts.
Bist du denn gar nicht interessiert?
Doch, doch, schon, ich bin interessiert, so ist es ja nicht. Public Enemy waren vor kurzem in Brasilien auf Tour. Ich war zwar nicht bei der Show, aber ich weiß, dass sie die CD bekommen haben. Es wäre schon cool, zu hören, was Chuck D. von unserer Version („Black Steel In The Hour Of Chaos", d. Verf.) hält. Ehrlich, das interessiert mich schon.
Könntest du dir vorstellen, mit U2 auf Tour zu gehen, da sie doch bekannt dafür sind unkonventionelle Bands mitzunehmen?
Nein, höchstens wenn U2 im Vorprogramm spielen, haha. Klar, das wäre schon eine großartige Erfahrung und die Konzerte wären bestimmt riesengroß, aber ich weiß nicht, ob das die Jungs von U2 durchziehen könnten. Aber warum eigentlich nicht?
Was euch verbindet, ist das politische Engagement. Nur scheinen sich heutzutage die jungen Leute für politische Aussagen in der Musik immer weniger zu interessieren. Glaubst du auch noch im 21. Jahrhundert an die Wirkung deiner politischen Texte?
Ja, auf jeden Fall. Wenn allein schon ein oder zwei Personen, etwas aus den Lyrics mitnehmen können und sich Gedanken machen, ist das schon ein Erfolg. Ich denke, es ist wichtig, dass der Hörer fühlen kann, was ich mit den Texten ausdrücken will. Die Glaubwürdigkeit muss da sein, egal, ob ich über Kämpfe oder sonst was singe. Wenn ich nur irgendeinen Bullshit schreibe, kann das auch niemand wirklich nachvollziehen. Wir wollen in unseren Texten einfach die Realität widerspiegeln, die uns und andere angeht und beeinflusst. Dabei ist es wurscht, ob es nun angesagt ist oder nicht. Hauptsache ist, wir können unsere Gefühle und Ansichten ausdrücken. Ich schätze, gerade das respektieren auch die Leute auf lange Sicht.
Bei euren Texten schimmert immer wieder der Revolutionsgedanke durch. Wird es die große Revolution noch geben, oder haben Idioten wie George W. Bush schon gewonnen?
Sie haben eigentlich fast schon gewonnen. Ich sehe jedenfalls keine Revolution, denn die Menschen sind von vielen Dingen stark gehemmt im Kopf und haben nicht die Informationen, die man haben sollte, von denen sie scheinbar aber auch leider nichts wissen wollen. In so einem „Zombie-Staat" ist eine Revolution sehr unwahrscheinlich. Meiner Meinung nach, passiert so etwas, wenn die Menschen vom System angepisst und müde sind und nicht wollen, dass es weitergeht, wie es weitergeht. Gerade in Amerika werden die Menschen von allem Möglichen Scheiß bombardiert: Tonnen von Werbungen, die nichts mehr mit der Realität zu tun haben, oder dämliche Popshows, American Idol und all dieser Mist, die wirklich nur dumme, fette Leute sehen wollen. Der ganze Dreck soll sie vom eigentlichen Zustand der Gesellschaft ablenken. Solange es so weitergeht, sehe ich keine Revolution...außer vielleicht einer Bier- oder Party-Revolution, haha!
In Deutschland ist das nicht viel anders...
Ja, ich weiß, diese ganze Verarsche verbreitet sich mittlerweile fast überall aus...
Zurück zu euch. Ihr seid nun keine 20 mehr. Woher nehmt ihr die Motivation immer noch auf der Bühne so aggressiv und energiegeladen zu sein?
Jack Daniels, haha! Nein, im Ernst, ich glaube, das hat viel mit Leidenschaft zu tun. Wir werden nun mal älter, aber ich hoffe auch besser durch die Erfahrungen, die wir sammeln. Ich sehe das Ganze sehr positiv. Ich betrachte es immer als eine Evolution, in der ich sehen kann, wie sich die Band weiterentwickelt und das gefällt mir. Der Hauptgrund ist aber eindeutig die Leidenschaft, die du hast, wenn du auf der Bühne stehst und die Kids abgehen siehst. Ich glaub, das ist das, was mich am meisten anspornt und nicht der Alkohol, haha!
Wo siehst du Sepultura in zehn Jahren? Immer noch Matte-kreisend auf der Bühne?
Oh Mann, keine Ahnung. Soweit möchte ich noch nicht denken. Abwarten.
Also bist du zufrieden mit der momentanen Situation?
Nein, das mein ich nicht. Ich bin nie absolut zufrieden. Man will ja immer, dass die Dinge stets besser werden. Ich bin natürlich schon zufrieden, dass wir tun können, was wir tun wollen. Es ist auf jeden Fall aufregend Mitglied dieser Band zu sein, aber es gibt auch immer etwas zu tun.
Ihr wart kürzlich zum ersten Mal in Südafrika. Irgendwelche neuen Erfahrungen gemacht?
Definitiv! Die ganze Tour hat mich weggeblasen! Wir waren vorher überhaupt noch gar nicht auf diesem Kontinent. Wir müssen unbedingt noch mal dahin. Diese Tour hat mich von vorne bis hinten umgehauen. Ich kann's kaum abwarten, da ein zweites Mal zu spielen. Das Publikum war so unglaublich enthusiastisch, dass endlich mal eine harte Band bei ihnen auftritt, denn sonst ist da, was Konzerte von Heavy-Bands angeht, sehr selten was los. Es war schon sehr beeindruckend, gerade der Mix aus verschieden Kulturen und Menschen. Zum Glück hatten wir die Zeit, mehrere Wochen dort zu verbringen. Somit hatten wir die Gelegenheit, das Land ausgiebig zu erkunden. Wir haben Safaris unternommen, traditionelle Dörfer besucht, Kapstadt, Johannesburg und andere Städte durchforstet und, und, und. Der Trip war der Hammer und ich bin mir sicher, die Leute waren auch sehr froh darüber, dass wir in ihrem Land mal aufgetreten sind. Es war sehr wichtig für uns, diese Tour gemacht zu haben, denn es hat komplett unsere Vorstellung von Afrika umgeworfen. Ich hatte sicherlich auch Vorurteile, die ich dort aber ablegen konnte. Ich glaube, das wollen die Leute da auch. Südafrika ist nämlich nicht das, was viele darüber denken. Wer dieses Land besucht, wird sehen, was ich meine. Dieses Land wächst und entwickelt sich immens.
In welchem unentdecktem Land würdest noch gerne mit Sepultura mal auftreten?
Hong Kong oder auch Indien wäre wohl sehr cool. Ich würde auch gerne mal in einem Land im Nahen Osten spielen.
Dann kann ich dir nur die Türkei wärmstens empfehlen, da ist Metal sehr beliebt und die Fans sind super frenetisch.
Oh ja, da waren wir auch schon mal. Ja genau, wir haben in Istanbul gespielt. Es war einfach nur kick-ass, ehrlich! Es war auch das erste Mal, dass ich ein islamisches Land besucht habe. Aber ich würde gerne mal ein richtig islamisches Land sehen, die Türkei ist ja sehr liberal und europäisch.
Was hältst du so von Bands wie P.O.D. und Ill Nino, die mit ihren Tribal-Elementen extrem erfolgreich sind, die eigentlich aber Sepultura als erstes in den Metalsound eingebracht hat?
Ich gönne es ihnen. Aber im Unterschied zu solchen Bands war das bei Sepultura eine sehr natürliche Sache, etwas, was es vorher nicht gab, was damals wirklich innovativ war. Aber es ist schön für die, dass sie damit ihren Sound aufpeppen können, das machen sie schon ganz gut.
Was kann man von der Show heute Abend erwarten?
Studenten, haha! Viele junge Studenten. Hoffentlich auch echte deutsche Metalheads mit Aufnähern, langen Haaren - vorne kurz, hinten lang, haha! Ach ich hoffe einfach, dass es eine verrückte Mischung im Publikum, wie auch musikalisch sein wird. So war es schon die ganze Tour und so hat es bis jetzt auch gut geklappt. Wir werden definitiv unseren Job tun und gehörig arschtreten!
Dann viel Spaß dabei und Danke für das Interview!
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