Geschrieben von Dienstag, 18 April 2006 22:09

Sepultura - Interview mit Bassist Paulo Jr. zu 'Dante XXI'

Sepultura Band

Sepultura haben auf dem Weg zu ihrer eigenen Beerdigung noch mal die Kurve gekratzt. Nachdem das Quartett die letzten Jahre viel Prügel einstecken musste, erhält das neue Album „Dante XXI", das vierte mit Sänger Derrick, plötzlich Lob und Huldigung von Presse als auch von Fanseiten. Zu Recht? Oder fühlen sich viele einfach nur ihren alten Helden gegenüber schuldig? Oder sind die Reaktionen vielleicht sogar eine Vorfreude auf eine immer wahrscheinlicher werdende Reunion mit Sepultura-Übervater Max Cavalera? Bassist und Langzeitmitglied Paulo Jr. ist anscheindend selber überfragt.

Euer neues Album ist ein Konozeptalbum und heißt „Dante XXI". Erklär doch bitte unseren Lesern, was genau dahinter steckt.

Die Platte ist inspiriert von Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie". Wir haben uns mit diesem Album große Mühe gegeben und lange nach einem passenden Thema gesucht. Wir kamen auf die Idee, „Die Göttliche Komödie" als Grundlage zu verwenden, auch wenn dieses literarische Werk schon so alt ist. Aber vieles von dem lässt sich auf unsere heutige Zeit übertragen, „Die Göttliche Komödie" ist sogar sehr aktuell geworden. Auch die Aufteilung in Fegefeuer, Hölle und Paradies haben wir so übernommen: fünf Songs für das Fegefeuer, fünf für die Hölle und einen Song für das Paradies. Ist ja gerade nicht so paradiesisch auf der Welt (lacht).

Also ist „Dante XXI" doch wieder ein politisches Album geworden?

Ja, man sieht so viele Parallelen zu diesem Werk, man braucht nur mal in die Zeitungen zu gucken. Ich lese gerade das Werk bereits zum dritten Mal, weil es so kompliziert ist. Die Lyrics auf unserem Album sind trotzdem relativ offen gehalten, so dass sich jeder sein eigene Meinung bilden, auf was er die Textpassagen beziehen möchte.

Welches Konzeptalbum einer anderen Band magst du denn am meisten?

Definitiv „Operation: Mindcrime" von Queensryche. Die Platte habe ich gestern noch gehört. Eine wirklich tolle Geschichte. Und vor kurzem hab ich auch noch in einem Magazin gelesen, dass jetzt der zweite Teil erscheinen soll. Da bin ich sehr gespannt.

Kommen wir zur Musik. Sepultura haben sich fast 20 Jahre lang nie wiederholt, jedes Album klingt auf seine eigene Art und Weise besonders - sei es die Produktion, der Vibe, die experimentellen Ideen oder einfach die Songs selber. Bei „Dante" sehe ich persönlich zum ersten Mal in der Geschichte von Sepultura keinen Fortschritt. Für mich klingt das neue Album rein musikalisch wie eine sperrige Fortsetzung von „Roorback".

Du bist der erste, der das sagt!

Klar, die orchestralen Elemente sind ganz nett, aber ansonsten kann ich nichts Spannendes am neuen Album ausmachen.

Ich finde schon, dass es anders klingt. Wir haben nun mal dasselbe Equipment und dieselben Instrumente wie auf „Roorback" benutzt, daher klingt der Sound vielleicht ähnlich. Aber wir haben extra unseren Live-Mischer angeheuert, die neue Platte zu mixen, um unser Live-Feeling besser einzufangen. Die größten Unterschiede sind für mich die klassischen Instrumente, das Konzept und die Lyrics.

Aber die Lyrics, das Konzept oder das Artwork machen die Musik ja nicht besser. Eure Arbeit scheint seit Derricks Einstieg, mit dem ihr nun auch schon vier Alben aufgenommen habt, generell nicht so gut anzukommen. In den Metalclubs hört man keinen einzigen Song aus der Derrick-Ära, alte Klassiker wie „Refuse/Resist", „Roots Bloody Roots" oder „Ratamahatta" hingegen gehören zum Standardprogramm. Ist das traurig, weil es zeigt, dass ihr nicht mehr fähig seid, coole Hits zu schreiben, oder seid ihr stolz drauf, nicht wie die heutigen trendigen Bands zu klingen?

Ich weiß nicht, woran das liegt! Mit Derrick haben wir mehr Shows gespielt als auf irgendeiner Tour mit Max. Wir spielen immer noch in großen Konzerthallen, und die Hallen sind voll. Speziell in Süd- und Mittelamerika sind wir sehr erfolgreich. Aber um auf deine Frage zurückzukommen, vielleicht sind sie an unseren neuen Sachen nicht interessiert oder kennen sie einfach gar nicht. Ich weiß es nicht, ich geh nicht in die Disco.

Die Live-Shows sind wahrscheinlich das einzige, was euch noch dazu motiviert, weiterzumachen, oder? Die Verkäufe gehen schließlich seit Max' Ausstieg stetig zurück.

Ich sehe nur die Konzerte und die sind super besucht. In Brasilien spielen wir vor 15.000 Menschen. Wir machen unsere Alben, gehen auf Tour, das macht uns immer noch Spaß. Ich glaube, der Grund für die rückläufigen Verkaufszahlen ist das Internet. „Dante XXI" zum Beispiel war schon zwei Monate vor Release im Netz zu finden. Die Leute brauchen sich heutzutage ja nicht mehr die CDs zu kaufen, wenn sie die Songs vorher schon auf ihrem Rechner haben. Das ist eine traurige Entwicklung.

Ich mag eure letzten Alben „Against", „Nation" und „Roorback". Würdest du trotzdem aus heutiger Sicht etwas an diesen Platten ändern?

Nein, nichts. Weil diese Alben uns zu dieser Zeit widerspiegeln. Man soll auch sowieso nicht immer zurückschauen. Mir gefallen diese Alben auch heute noch. Vielleicht würde ich den einen oder anderen Song ein wenig ändern, aber das können wir ja live machen.

Obwohl ihr immer noch behauptet, dass ihr zu Derrick steht, gehen schon seit längerem Gerüchte über eine mögliche Reunion mit Max durch die Metalwelt rum. Ich frage direkt: Wie weit sind die Verhandlungen?

Das sind Gerüchte, aber ich kann nichts offiziell bestätigen.

Was heißt offiziell?

Ich weiß nichts. Wir wollen uns erstmal um unsere neue Platte kümmern und viele Konzerte spielen bevor wir überhaupt anfangen, an eine Reunion zu denken.

Aha. Wie würdest du denn reagieren, wenn dich Max persönlich anrufen würde, um dir eine Reunion anzubieten?

Erstmal müsste er persönlich zu mir kommen und mit mir von Angesicht zu Angesicht reden. Er ist derjenige, der uns verlassen hat.

Ist also eine Reunion möglich?

(sofort) Ich weiß es nicht. In diesem Moment ist meine Antwort „nein".  

Aber nichtsdestotrotz spitzen sich die Gerüchte zu, auch wenn ihr sie nicht losgetreten habt. Fühlt sich Derrick überhaupt noch auf einem sicheren Stuhl in der Band?

Natürlich, er ist ein Teil der Band Sepultura.

Alles klar. Ihr seid zur Zeit auf Tour mit In Flames, die momentan wohl so populär sind, wie es Sepultura einst in den 90ern waren. Was hältst du denn persönlich von ihrer Musik?

Ich kenne die gar nicht richtig. Ich hab mal den Namen gehört und weiß, dass wir mit ihnen auf Tour sind, mehr aber auch nicht.

Echt nicht? Die sind doch momentan nach Maiden und Metallica die wohl heißeste Metalband.

Aber nicht in Brasilien.

Aber in Europa, Japan und auch immer mehr in Amerika.

Ich hab sie jetzt einmal auf dieser Tour live gesehen. Die Jungs sind auf der Bühne richtig gut. Die Mischung aus alten und neuen Metal-Stilen gefällt mir.

Interessiert dich überhaupt noch die aktuelle Metalszene und Newcomer-Bands?

Ich höre schon ab und zu noch Metal, aber die neuen Sachen sind einfach scheiße. Von 1000 Bands sind vielleicht drei oder vier wirklich interessant. Vieles, was die heutigen Bands spielen, habe ich schon vor 15 Jahren gehört. Die sind im Kopieren gut aber nicht besonders kreativ. Deshalb höre ich lieber die Originale aus den 80ern und 70ern, Rush und Deep Purple zum Beispiel. Mit der heutigen Metalszene kann ich nicht viel anfangen.

Wo siehst du denn Sepultura in fünf Jahren?

(sofort) Ich weiß es nicht. Vielleicht gibt es uns dann noch.

Nur vielleicht?

Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer weiß? Das hängt davon ab, wie es mit uns weiter läuft. Sepultura gibt es jetzt schon seit 22 Jahren. Wir müssen sehen, ob wir in fünf Jahren noch so motiviert sind wie heute. Wenn wir nicht mehr weiter machen, tja, dann muss ich mich mit etwas anderem beschäftigen. 


www.sepultura.com.br