Angry: Hi, wo bist du?
Ich bin im Moment in der Nähe von Hannover. Ich war gestern Abend bei eurem Konzert. War mal wieder schön. Ich glaube, es war das längste Konzert von euch, das ich bisher gesehen habe.
Yeah! Wir haben so viele neue Songs, die wir auch live spielen wollen. Wir wollen die alten Stücke nicht vernachlässigen, aber auch genügend von den neuen Nummern spielen, also dauert es jetzt etwas länger. (lacht)
Dann scheint ihr ja alle ganz gut in Form zu sein.
So sieht’s aus. (lacht)
Nur Paul (deMarco, Drums) sah gestern irgendwie ein bisschen verwirrt aus.
(lacht) Ja, so sieht er oft aus.
Aber mit ihm ist alles in Ordung?
Ja, bei ihm ist alles klar. Er hat nur etwas Heimweh… genau wie ich.
Du wärst also im Moment lieber in Australien?
Ach weißt du, vier Wochen auf Tour zu sein macht Spaß, ab sechs Wochen wird es mir schon etwas zu lang, und dieses Mal werden es neun Wochen sein, bis wir wieder nach Hause kommen.
Das ist natürlich eine lange Zeit ohne deine Familie, immerhin hast du ja auch zwei Kinder.
Ja, außerdem haben wir im Moment in Australien rund 30°C, das ist die beste Zeit des ganzen Jahres. Im Sommer ist es so heiß, dass du tagsüber eigentlich so gut wie nichts machen kannst und nachts ohne Klimaanlage kein Auge zu bekommst. Jetzt im Februar und März ist einfach die angenehmste Zeit. Aber wir kommen im Juli zurück und im August und September, dem australischen Frühling, haben wir auch wunderbares Wetter.
Lass uns mal zur Musik kommen. Das letzte Mal haben wir beide uns im Juni 2005 in Pratteln unterhalten. Da war dein Tenor, dass du mit der Band noch ein letztes Album einspielen würdest, vielleicht noch ein Mal auf Tour gehen, und dann das Kapitel ROSE TATTOO für immer beenden. Jetzt, zwei Jahre später, scheint die Band wieder auf Volldampf zu laufen. Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?
Also… als Pete und ich uns vor seinem Tod darüber unterhalten haben, wie es mit der Band weitergehen soll, sagte er, ich solle nur so lange weiter machen, wie unsere Musik noch den Geist von ROSE TATTOO verkörpert… er sagte, ich soll nicht zulassen, dass wir zu einer Parodie von uns selbst werden. Er meinte, wir dürfen uns nicht von anderen einreden lassen, einfach nur immer weiter zu machen…
Weißt du, es gibt einige Bands, von denen wir dachten, sie müssten sich entweder musikalisch... sehr stark verändern... oder vielleicht am besten aufhören. Er wollte einfach nicht, dass wir immer nur die gleichen Songs rauf und runter spielen. Er meinte, so lange wir gute Songs schreiben... so lange das Feuer noch brennt, sollten wir weiter machen.
Wir haben auch bereits angefangen, Songs für ein weiteres Album zu schreiben, das wir dann vermutlich nächstes Jahr aufnehmen. Es gibt keine Garantie, dass es dieses Album geben wird, aber ich denke, wir werden Anfang des nächsten Jahres die Arbeit daran aufnehmen. Vielleicht wird das dann unser letztes Album, ich weiß es nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es dieses nächste Album geben wird, ob danach noch ein weiteres kommt, weiß ich nicht. Nach 30 Jahren denke ich, wir haben das Beste gegeben, was wir zu geben hatten, und ich weiß nicht, was danach noch kommt. Wir sagen das nicht, um das Interesse an dem neuen Album zu steigern, weil es das letzte sein könnte, aber nach 30 Jahren…(er sucht einen Moment nach den richtigen Worten)…
Weißt du, nächstes Jahr werde ich 60 und wer weiß, vielleicht werde ich dann zu mir selbst sagen, dass es Zeit wäre, zuhause zu bleiben, bei meiner Familie den Hunden… an den Strand zu gehen und Zigarren zu rauchen… (lacht)
Ich kann mir dich irgendwie nicht so wirklich als Rentner-Rocker vorstellen.
(lacht) Das kann ich mir im Moment auch noch nicht so recht, aber ich denke, es wird nicht mehr all zu lange dauern. Ich habe eine Lebensgefährtin, und wir haben mal darüber geredet, uns 10 Hektar Land zu kaufen und eine kleine Farm zu betreiben. Da könnten wir unser eigenes Gemüse anbauen, ein paar Kühe und Ziegen halten und vielleicht einfach so für die nächsten zehn oder fünfzehn unseren Lebensunterhalt bestreiten, bevor wir zu alt dafür sind.
Das klingt für mich irgendwie nach einem Filmstar im Ruhestand, aber es ist wirklich nicht sehr Rock’N’Roll, Angry. (lacht)
(lacht) Ja, aber so könnte es aussehen, in ein paar Jahren. Im Moment läuft es gut. Wir sind kreativ. Als wir angefangen haben, wieder Songs zu schreiben, haben wir schnell gemerkt, dass es sehr flüssig von der Hand ging. Solange das fließt und die Songs gut sind… wir sind einfach alle sehr glücklich mit den Songs und dem Album und haben wirklich viel Spaß mit der Band. Also sieht es für uns danach aus, dass wir nächstes Jahr ein weiteres Album aufnehmen und wieder auf Tour gehen, aber was danach kommt…
Wenn du ein gewisses Alter erreicht hast… und wir sind mittlerweile alle über 50… beginnen sich die Dinge einfach sehr schnell zu verändern. Es ist nicht so, dass wir uns körperlich nicht mehr fit fühlen. Wir sind in Form, weil wir körperlich hart arbeiten oder im Fitnessstudio trainieren. Ich zum Beispiel wohne nah am Strand und paddele da mit meinem Surfbrett oder laufe mit den Hunden am Strand… aber ich werde wohl auch so oder so in den nächsten Jahren auch wieder mehrere Soloalben machen.
Hast du denn schon eine neue Solo-Band oder ist das eher etwas für die Zeit, wenn es mit ROSE TATTOO endgültig vorbei ist?
Wenn wir zuhause sind, spielen einige aus der Band in anderen Zusammensetzungen, hauptsächlich am Wochenende. Wir spielen dann viele Coversongs. Paul und ich spielen ab und zu zusammen. Dai, der neue Gitarrist, hat eine Band, in der ich hin und wieder singe mit Lucy Desoto, sie ist eine sehr enge Freundin von mir und es wäre sicher schön, mit ihr zusammen in einer Bluesband zu spielen… mit ihr und Paul und vielleicht auch Mick (Cocks, Rhythmusgitarrist bei ROSE TATTOO). Insgesamt spielen wir vermutlich so etwa in 20 verschiedenen Bands, die nur an den Wochenenden zusammen kommen.
Lass uns von der Zukunft noch einmal in die Vergangenheit gehen. Bevor das neue Album herauskam, hat Rob Riley die Band verlassen. (Riley war einer der Haupt-Riff-Lieferanten auf „Scarred For Life“ und dem Comebackalbum „Pain“ und hatte seit Beginn der Reunion die Rhythmusgitarre, nach Petes Ausfall auch die Slidegitarre gespielt). Wie kam es dazu?
Also… ich habe Mick zurückgeholt, denn bevor Pete starb, dachten wir, wir würden mit ihm noch ein weiteres Album machen und ich wollte Mick als Gitarristen und als Songschreiber dabei haben. Mick und ich haben zusammen die stärkeren Nummern geschrieben. Wir beide haben die Stücke der ersten beiden Alben geschrieben. Rob dagegen hat Songs für „Scarred For Life“ und „Pain“ geschrieben. Also dachten wir, wenn Pete dazu kommt, haben wir eben drei Gitarren, das sollte funktionieren.
Aber Peter wollte, dass die Songs auf dem Blues basieren und Mick und ich fanden, dass das sehr gut passte. Rob dagegen wollte einen vollkommen anderen Stil spielen, also die traditionellen ROSE TATTOO. Wir haben ja vor zwei Jahren eine Tour mit Rob und Mick gemacht, mussten aber feststellen, dass sich die musikalischen Differenzen von Jahr zu Jahr vergrößerten. Wenn du dir das „Pain“ Album anhörst, wirst du die Unterschiede hören. Dazu kommt, dass Rob an Diabetes leidet und es deshalb sehr schwer für ihn ist, auf Tour zu gehen.
Ersetzt wurde er jetzt durch Dai Pritchard. Kannst du mir etwas über ihn erzählen?
Wir kennen Dai schon eine Weile. Er war auch schon mit uns auf Tour, nachdem Peter nicht mehr mitkommen konnte.
War er nicht auch 2002 in Wacken dabei?
Ja, ich glaube schon. Außerdem hat er die Tour 2004 mitgemacht. Aber wir kannten Dai schon sehr viel länger. Paul spielt in einer seiner Bands zusammen mit ihm. Er war schon seit langem ein Freund der Band. Peter wollte, dass Dai in die Band kommt, weil er fand, dass wir niemanden suchen sollten, der versucht sein Spiel nachzuahmen. Er sagte, wenn wir einen neuen Slide-Gitarristen suchen, sollten wir niemanden holen, der versucht, ihn zu kopieren. Ich denke auch, das wäre unsinnig gewesen, denn niemand kann spielen wie Pete.
Wenn du dir das neue Album anhörst wirst du schnell merken, dass er nicht wie Pete spielt, sondern seinen eigenen Stil innerhalb der Band findet. Das ist ein wichtiger Faktor, damit die Musik interessant bleibt.
Konnte Pete noch an den Aufnahmen teilnehmen oder war er am Songwriting beteiligt?
Nein… nein, wir wollten mit neuen Stücken einen neuen Anfang machen. Wir haben zwei Ideen genutzt, die Mick und ich vor Jahren hatten und für die wir Demos mit Pete aufgenommen haben. Wir haben aber nur diese Ideen benutzt, haben uns aber dagegen entschieden, die Aufnahmen mit ihm einzubauen…es ist einfach alles noch zu frisch.
Welche beiden Songs sind das?
Das sind "Creeper" und "Sweat Meat".
Bei unserem letzten Interview hast du gesagt, dass es einige Songs auf dem „Pain“ Album gab, mit denen du nicht zufrieden warst und dass es dafür andere gab, die es nicht auf das Album geschafft haben, die deiner Meinung nach auf das Album gehört hätten. Gehören diese beiden Songs dazu?
Nein nein, diese Stücke sind viel älter. Sie sind aus den frühen Tagen der Band. Wir haben damals eine Reihe von Blues-Songs gespielt, die es aber nie wirklich über den Status einer Idee hinaus geschafft haben, weil Alberts (die Plattenfirma) immer wollte, dass wir eher harte Heavy Songs aufnehmen. Petes wichtigster Einfluss war aber immer der Blues, er sah ROSE TATTOO immer als Bluesband.
Mit dem „Pain“ Album warst du im Nachhinein nicht wirklich glücklich. Bist du mit „Blood Brothers“ zufrieden?
Ja… ja, es ist so gut geworden, wie es überhaupt nur werden konnte. Wir haben drei Songs aufgenommen aber nicht auf das Album genommen, weil sie nicht zum Rest gepasst haben. Diese Songs werden auf das nächste Album kommen und sind sogar noch bluesiger. Die neuen Songs, die Mick und ich schreiben sind eher… weißt du, Pete meinte irgendwann zu Beginn von ROSE TATTOO, in 30 Jahren wären wir vermutlich eine Bluesband, die auf Hockern sitzt, Whiskey trinkt, Zigarren raucht und Blues spielt. Damals dachte ich, wenn ich 60 bin, ist das vermutlich das Beste, was ich tun kann und irgendwie scheint sich alles darauf zu zu bewegen… vielleicht nicht mit 60, aber es wird passieren. Diese Songs, die wir aufgenommen aber nicht auf das Album gepackt haben, sind wirklich vom ganz klassischen, alten Blues beeinflusst.
Bleiben wir noch einen Moment bei „Blood Brothers“. Welchen Song magst du auf dem neuen Album am liebsten?
Das ist immer schwer, sich da für einen Song zu entscheiden. Es gibt eine Reihe Stücke, die ich sehr gern mag… ich denke, einer meiner Lieblinge ist der "City Blues".
Das ist auch mein Lieblingssong auf dem Album. Leider habt ihr ihn gestern nicht gespielt.
(lacht) Wirklich? Ja, den werden wir auch nicht live spielen. Die Art, wie der Gesang zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnt, macht es ziemlich schwierig, ihn live zu spielen. Aber vielleicht in ein paar Jahren… weißt du, wir haben das Stück im Studio geschrieben. Ich hatte vorher schon eine Idee für den Text, und Mick und ich haben dann mit einer Akustikgitarre etwas im Studio herumprobiert und das Riff und den Gesang aufgenommen. Die Nummer ist also im Gegensatz zu den meisten anderen Stücken nicht im Proberaum sondern komplett im Studio entstanden. Es war einfach eine gute Idee, die wir umgesetzt haben, nur liegt der Gesang nicht immer an der selben Stelle des Riffs, sondern bewegt sich durch das Riff. Das macht er sehr schwer, das Stück live sauber zu bringen.
Lass und noch über den Song "1854" sprechen. In dem Song geht es um einen Aufstand von Minenarbeiter, der in Deutschland weitgehend unbekannt ist, für Australier aber einen wichtigen Teil ihres Nationalbewusstseins ausmacht.
Das ist es allerdings. Die Minenarbeiter in Victoria planten 1854 einen Aufstand, um die englische Herrschaft zu beenden, weil die englische Art der Herrschaft ungerecht war. Es gab Truppen von Freiwilligen, die die Minenarbeiter unterstützt haben, die Menschen kamen aus Amerika, Irland und aus ganz Europa. Sie kämpfen für demokratische Reformen und wollten eine australische Republik. Die britische Armee schickte Truppen, um die Minenarbeiter zu verhaften, noch bevor sie den Aufstand beginnen konnten. Die Minenarbeiter errichteten eine Art Fort in einem Ort namens Eureka , doch es gelang den Briten, den Aufstand niederzuschlagen.
So weit ich gelesen habe, wurde von den Aufständischen auch eine Fahne benutzt, deren Symbolik sich auch in der aktuellen Flagge Australiens findet.
Ja… also die Fahne, die die Aufständischen benutzen, zeigt das Kreuz des Südens, also die Sternenkonstellation über Australien (die fünf Sterne der rechten Seite der aktuellen australischen Fahne nehmen diese Symbolik auf, allerdings enthält die Fahne außerdem den Union Jack und einen siebenstrahligen Stern, der das britische Commonwealth symbolisiert - tb). Viele Australier und auch wir in der Band denken, dass das unsere Nationalflagge sein sollte. Ich denke, wenn Australien eines Tages eine Republik geworden ist, wird das unsere Fahne werden.
Lass uns kurz noch einmal auf die Zukunft der Band zu sprechen kommen. 2005 hast du gesagt, dass es zum 30 Jubiläum von ROSE TATTOO im Jahr 2006 eine DVD geben sollte, die sämtliche Vidoeclips, Liveaufnahmen und eine Dokumentation über die Band enthalten sollte.
Wir sind so gut wie fertig damit.
Wann können wir damit rechnen?
Ich hoffe zu Weihnachten. Vielleicht auch schon im Herbst. Wir kommen ja im Juli oder August nach Hause.
Da fällt mir ein, dass du in dem selben Interview auch angekündigt hast, dass dein Buch bald auch auf Deutsch erscheinen sollte.
Auch daran arbeite ich.
Du hattest auch angekündigt, ein zweites Buch zu schreiben, das sich mit den Jahren nach dem Erscheinen des ersten beschäftigen sollte.
Also… ich denke, alle wichtigen Dinge… also, das erste Buch ist ja nun mal schon geschrieben und muss nur noch übersetzt werden. Ich werde es wohl etwas ergänzen und unter anderem die Texte meiner Songs und einige Gedichte hinzufügen. Sobald wir alle Rechte zusammen haben, werden wir es veröffentlichen, so etwa im Juli oder August. Dann…vielleicht in einem oder zwei Jahren… werde ich das zweite schreiben. So viele für mich wichtige Dinge passieren jetzt, und in den nächsten paar Jahren wird sich so viel in meinem Leben ändern und ich denke, dass diese Dinge enthalten sein sollten. Ein wichtiger Teil des Buches wird die Dinge betreffen, die ich im Leben gelernt habe, und von denen ich es wichtig finde, es zum Beispiel an meine Kinder weiter zu geben oder die ich an andere Menschen weitergeben möchte. Es geht darum, einige gute Ratschläge zu geben oder von den guten Dingen im Leben zu sprechen, die ich für mich gefunden habe. Es wird also ein sehr philosophisches Buch werden.
Ich bin gespannt.
Ich hoffe, es wird sich gut lesen lassen. (lacht)
Ich fürchte, unsere Zeit ist schon lange abgelaufen. Vielen Dank für deine Zeit und dieses Gespräch.
Oh ja, du hast Recht. Also pass auf dich auf, Kumpel.
Vielleicht sitzen wir uns ja das nächste Mal wieder persönlich gegenüber. Mach es gut.
Das würde mich freuen, bye.
Rose Tattoo - Interview mit Sänger Angry Anderson zu "Blood Brothers"
Zwei Jahre sind vergangen, seit sich ROSE TATTOO Frontmann Angry Anderson zum letzten Mal den Fragen der BurnYourEars Redaktion gestellt hat, und seit dem ist viel passiert. Slide-Gitarrist und Bandgründer Pete Wells erlag im Frühjahr 2006 seinem Krebsleiden, und auch in den Reihen der Ehemaligen gibt es mit Ian Riley einen weiteren Todesfall zu beklagen. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Mit „Blood Brothers“ haben sich ROSE TATTOO mit einem starken Album zurück gemeldet, und so habe ich einen Tag nach dem Konzert in Hannover die Gelegenheit, mit einem gut gelaunten Angry, mittlerweile in Berlin angekommen, zu sprechen. Ohne auf die Vorgaben zur Interviewzeit zu achten, plaudert der Australier über die Band, das Album und seine Zukunft.