Geschrieben von dirk-bengt Montag, 24 August 2009 20:58
Griftegård - Interview mit Gitarrist und Bandgründer Ola Blomkvist
Vor einigen Monaten wurde durch Ván Records das "Psalm Bok" (auf CD wieder-) veröffentlicht, die Debüt-EP der Schweden GRIFTEGÅRD: 2 Tracks / 18 Minuten "solemn, sacred, severe": Schlicht perfekter Doom... Aus den tiefsten Tiefen... nein, nicht der Hölle, sondern dem Herzen von Mastermind Ola Blomkvist. Nach der Pre-Listening Session zum Full-Length Album "Solemn. Sacred. Severe." am 18. Juli sprachen wir mit ihm im Ballroom, Hamburg. Nach dem Slot waren er und wir uns allerdings sicher, dass wir noch nicht fertig miteinander seien. Wir entschieden gemeinsam, per E-Mail die Lücken zu füllen und das Interview zeitnah zum Album zu veröffentlichen... Here we go...
Als erstes muss ich mich mal bedanken, dass Du bei Deinem eigenen Label „I Hate Records" hingeschmissen hast... (Ola guckt ziemlich irritiert) ... Sami Hynninen (ex-REVEREND BIZARRE, THE PURITAN) hat mir erzählt, dass er die „Lithium Gates" nie auf CD veröffentlicht hätte, wenn Du nicht die Brocken hingeschmissen hättest. So aber war seine Vertrauensperson weg... Also nochmals "Danke", aber warum hast Du „I Hate" verlassen?
Nun, das hatte vor allem mit meiner familiären Situation zu tun. Es war einfach nicht mehr möglich, weiter zu machen. Die Probleme waren sehr tiefgreifend und ich konnte mich einfach nicht mehr so um „I Hate" kümmern, wie ich es mit Blick auf die Bands hätte tun müssen. Sie waren diejenigen, die darunter zu leiden hatten. Ich konnte beides nicht mehr zusammenbringen... Außerdem habe ich ja einen Vollzeit-Job, denn mit „I Hate" habe ich keine müde Mark verdient.
War es dieselbe Zeit, als ihr THE DOOMSDAY CULT aufgelöst habt?
Nein nein, bei „I Hate" habe ich im Juli vergangenen Jahres aufgehört, aber THE DOOMSDAY CULT hatten wir schon im vorletzten Jahr aufgelöst. Erst danach gab ich mit „I Hate" richtig Gas ...
Warum habt ihr THE DOOMSDAY CULT überhaupt beerdigt - immerhin sind drei Mitglieder von TDC auch bei GRIFTEGÅRD?
Nein, es sind nur zwei übrig: Per (Broddesson, git, auch ex-WOLVERINE) und ich. Der TDC-Basser war ursprünglich noch dabei, aber er hat GRIFTEGÅRD letztes Jahr verlassen.
Oh, sorry, dass ich so schlecht informiert bin...
Hast Du das von unserer Myspace-Seite?
Ja, genau...
Die war zu dem Zeitpunkt nicht up to date, fürchte ich...
Lass uns mal nicht so sehr über Eure Musik sprechen; die spricht für sich, meine ich. Es ist schlicht perfekter Doom Metal... ich würde gerne etwas über Deine Texte hören... Charles Taze Russel is der Begründer der Bibelforscherbewegung...
Ja, seinetwegen gibt es Die Zeugen Jehovas...
Deine Eltern waren Zeugen Jehovas...
Ja, ich bin in eine Familie von Zeugen Jehovas hineingeboren...
Würdest Du uns ein paar Eindrücke geben, um zu illustrieren, was der Unterschied zwischen einer Jugend in einer Gemeinschaft von Zeugen Jehovas und einer „normalen" Jugend ist?
Der offensichtlichste Unterschied ist die Tatsache, dass wir keine Feiertage gefeiert haben; kein Weihnachten, kein Geburtstag. Nichts. Das und eine sehr strenge Erziehung. Es war dir z.B. strikt untersagt, zu lügen... Okay, niemand sollte lügen, aber von ihrem Standpunkt aus ist die Lüge der Todesstrafe würdig... Die ganze Atmosphäre war absolut paranoid, verstehst Du? Zeugen Jehovas rechnen jede Sekunde damit, dass sich die Hölle auftut. Das Armageddon steht ständig vor der Tür: in einer Atmosphäre permanenter Angst.
Vielleicht liege ich falsch, aber ich dachte, Russel hätte verneint, dass Gott seine Geschöpfe bestrafen würde?
Der Punkt ist: Russel hat zwar in gewissem Sinn Die Zeugen Jehovas ins Leben gerufen, aber er starb bereits zwei Jahre später. Andere Leute übernahmen das Ruder... Deshalb ist er für nichts anzuklagen, von dem, wofür Die Zeugen Jehovas stehen...
Also interessierte Dich nicht die „Wahrheit" dieser historischen Figur?
Nein, ich bin überhaupt nicht an der Person Charles Taze Russell interessiert. Man könnte sagen, der Text versucht das Gefühl der Paranoia zu beschreiben, das in der Sekte herrscht. Jederzeit, überall könnte Gott hereinbrechen: "durch das Fenster, durch das Dach" (Zitat aus „Charles Taze Russel", der Verf.) ... Du bist niemals sicher. Es ist wie ein Kriegstrauma, verstehst Du?
In Schweden gibt es eine Menge Immigranten, viele von ihnen sind Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Und obwohl Schweden eines der friedlichsten Länder der Erde ist, geraten sie in Panik, wenn's draußen donnert. Dieses Kriegstrauma ist zu vergleichen mit der paranoiden Atmosphäre, die ich versucht habe, zu beschreiben.
Warst nur Du das, der sich von der Sekte getrennt hat, oder auch Deine Eltern? Und wie alt warst Du damals?
Tatsächlich sind meine Eltern als erste ausgestiegen. Da war ich dreizehn Jahre alt. Sie hatten angefangen, die Gemeinschaft zu durchschauen und deren sehr offensichtliche Scheinheiligkeit. Ich blieb noch ungefähr ein Jahr dabei; ich war ziemlich brain washed, und während der Zeit kamen Zeugen zu uns, um mit uns Kindern Bibelstunden abzuhalten - mit mir und meiner kleinen Schwester, die noch ein weiteres Jahr weitermachte, nachdem ich ausgestiegen war. Außerdem war unsere Großmutter noch Zeugin und nahm uns zu wöchentlichen Treffen mit.
Und wann und wie gerietest Du in den "Metal-Sumpf"? Oder hast Du das sogar schon als Zeuge gehört?
Ich erinnere mich, dass mir mein Cousin „Back in Black" von AC/DC vorgespielt hat, als ich neun oder zehn war. Ich fand es erschreckend, aber dennoch sprach es mich auf irgendeine Weise an. Wie auch immer, ich wagte nicht, der Sache nachzugehen. Als ich aber dreizehn wurde und mein Glaube anfing, Risse zu bekommen, bekam ich von meinem Cousin Tapes mit IRON MAIDEN, MÖTLEY CRUE und HELLOWEEN. Von da an begann Metal in mein Leben einzusickern. Und das nahm im gleichen Maße zu, wie ich immer weiter meinen Glauben hinterfragte. Das Ringen zwischen Gott und mir war ziemlich zäh, als ich anfing Metal zu hören, und ich wusste... ich wusste es wirklich ganz sicher... dass ich nun tot war für Gott und Christus und ausgeschlossen vom ewigen Leben im Paradies auf Erden (was, in aller Kürze, die Idee der Zeugen Jehovas vom Himmel ist).
Das klingt für den Außenstehenden wahrscheinlich lächerlich, aber für mich war es eine weichenstellende Erfahrung. Metal war für mich damals eine Frage von Leben und Tod. Als ich dann MANOWAR, DIO und später CANDLEMASS hörte, wusste ich, dass ich da war, wo ich sein wollte. Und seitdem bin ich nicht mehr umgekehrt.
Wie haben Deine Eltern reagiert, als sie mitbekamen, dass ihr Sohn dem "Satan Rock 'n' Roll" huldigt?
Das gefiel ihnen nicht besonders, und meine Großmutter war natürlich ernsthaft beunruhigt, aber damals lebte ich in meinem eigenen Haus (wir hatten zwei Häuser auf unserem Grundstück), und da sie bei den Zeugen raus waren, unternahmen sie gar nichts dagegen.
Letzte Frage zu "Charles Taze Russel": Warum habt ihr das neu aufgenommen, aber nicht "Paul Gustave Doré"?
Nun, einerseits hätten wir gerne beide mit auf das Album genommen; anderseits (obwohl ich eigentlich nicht so an materiellen Fragen interessiert bin), sollte das „Psalm Bok" etwas Besonderes sein, etwas Einzigartiges, ein Relikt... Wir entschieden, dass der zweite Track niemals (...ääh, sag niemals nie!...) irgendwo anders erscheinen wird.
Was habt ihr aufnahmetechnisch verändert? Ich meine: vielleicht liegt das ja nur am Equipment hier (das war der Grund, nun da ich die Files habe, kann ich sagen, dass der Sound perfekt auf die Musik zugeschnitten ist, d. Verf.), aber mir schienen die Höhen ziemlich gekappt zu sein?
Ich bin ein technischer Idiot, also frage da mal lieber die anderen aus der Band; aber was ich Dir sagen kann, ist das: Die Produktion ist nicht wirklich Metal-typisch, nicht sehr vordergründig. Deshalb könnte das eben ein bisschen indirekt rausgekommen sein. Ich verstehe, was Du meinst... aber wir wollten einen sehr räumlichen, organischen Klang, nicht so flach. Weißt Du, in dem Universum, das wir versucht haben zu erschaffen, ist eine Menge zu entdecken - Cliché, Cliché - deshalb brauchten wir eine wirkliche tiefe und atmende Produktion.
Was macht Paul Gustave Dorè so faszinierend für Dich? Ihr habt da diesen polnischen Künstler an der Hand... ääh...
Andrzej Masianis...
Die Arbeiten der beiden sind sich recht ähnlich...
Ja... obwohl die beiden auch recht individuell sind... aber ja, stimmt, da sind so einige Ähnlichkeiten.
Was macht sie so besonders für Dich?
Die Vibes sind absolut wundervoll...
"Grey at day, grey at night"? (ein Zitat aus "Paul Gustave Doré", d. Verf.)
Ja... ja genau, grey at day, grey at night... (In dem Moment hat einer der schwedischen Jungs einen lustigen „Auftritt", und Ola ist eine Weile nicht mehr zu verstehen) Doré war überlastet, aber so produktiv. Ich stelle ihn mir gern als jemanden vor, der wirklich in dem Universum seiner Bilder gelebt hat, aber vermutlich war er ein ganz lustiger Kerl.
Wie Ola Blomkvist...? „Solemn, sacred, severe" in seinem musikalischen Kosmos... nachdenklich, aber nichtsdestoweniger ein lustiger Kerl im so genannten realen Leben?
Ich bin definitiv ein nachdenklicher Charakter, und ich glaube, Du hättest eine harte Zeit, wolltest Du in meinem Freundeskreis jemanden finden, der mich für einen lustigen Kerl hält. Aber letztlich hat kein Mensch nur einen einzigen Charakter; wir Menschen sind berüchtigt pluralistisch, und bei Gelegenheit kann ich schon einen Witz oder Faxen machen, wie dieser Fluch, den man Facebook nennt, ärgerlicherweise belegt. Aber die meiste Zeit, bei der Arbeit, zu Hause oder unter Menschen, bin ich mit meinen Gedanken woanders. Und meine Gedanken sind nicht hübsch.
Ihr hättet für's Cover "einen Doré" nehmen können, die sind auch noch copyright-free...
Ja, nach 75 Jahren... ja, hätten wir tun können, aber das hat schon jeder gemacht: CANDLEMASS und all die anderen... Der Grund, warum ich auf Masianis kam, ist Björn von Nachtgnosis (Plattenfirma, die das Psalm Bok zuerst / auf Vinyl herausbrachte; d. Verf.) geschuldet. Ich sah eines der Bilder, die Masianis für NIHIL NOCTURNE gemacht hatte. Also habe ich mir Masianis näher angesehen ... es hat mich umgehauen. Das Cover-Motiv heißt „The Chamber". Da ist eine Gestalt im Zentrum, die ein Zeichen mit ihrer Hand macht - das göttliche Zeichen, stelle ich mir vor.
Für mich ist die Kammer der Ort, an dem alle Träume und Gedanken entworfen werden. Der Träumende ist mittendrin im Bild, in dieser Kammer, und die Kammer ist voll mit dem Schrecken seiner eigenen Gedanken. Und er ist in diesem Universum seiner Gedanken und seines Geistes eingeschlossen. Dieses Bild hat mich angesprochen, denn ich sitze gleichfalls zu Hause mit Texten und Bildern in meinem Kopf... und ich kanalisiere sie mit Musik. Insofern bin ich das in gewisser Weise in dem Bild, aber auch jeder andere kann sich genauso darin erkennen. Ich glaube deshalb mag ich das Bild so sehr.
Das „Ich", thronend in seinem privaten Universum wie ein einsamer Gott? Dann ist es interessant, dass die Gestalt nicht identifizierbar ist. Nicht einmal in der riesigen Auflösung, die mir vorliegt. Keinerlei erkennbares Gesicht, und die Geste kann auch auf vielerlei Weise interpretiert werden... Abseits von Deiner weitergehenden Interpretation: Es könnte ein Gott in seinem Himmel oder Satan sein... Die Wand der Kammer könnte eine Feuerwand sein. Was meinst Du, ist das isolierte „Ich" eher ein von Gott gesegneter Gott oder ein von Satan verfluchter Satan?
Ja, das ist auch eins von diesen Dingen, die ich an dem Bild so mag: die Düsterkeit und Unklarheit öffnet es für die Interpretationen des Betrachters. Es liegt Kraft darin, auf sublime Weise die Wahrnehmung der Leute in eine bestimmte Richtung zu führen und nur kleinste Gesten / Bedeutungen zu verwenden. Aus dem Grund sind AC/DC und DARKTHRONE solchen Bands wie NIGHTWISH (Igitt!) und DIMMU BORGIR haushoch überlegen.
Und aus dem gleichen Grund, was zugegebenermaßen ein sehr gelegen kommender Vergleich ist, werde ich Deiner Frage ausweichen, um Deinem „Ich" auch was zum Interpretieren zu hinterlassen, mein lieber Dirk...
Da mach Dir mal keine Sorgen, mein lieber Ola, da gibt's bei Euch genug. Deine Texte sind gemeinhin sehr persönlich?
Ja. Aber "Punishment and Ordeal" handelt von der Situation von Jens' (Gustafsson, Drums, d. Verf.) Vater. Er liegt im Koma. Er ist zwar bei Bewusstsein aber paralysiert. Er liegt herum wie ein Gemüse. Von seinem Schicksal handelt der Text. Aber man kann den Text auch so lesen, dass er vom allgemeinen Leiden der Menschheit handelt.
In dem allgemeinen Sinn hatte ich ihn verstanden... Tut mir sehr Leid, die Geschichte dahinter zu hören. Ist der Zustand von Jens' Vater reversibel?
Leider ist sein Zustand endgültig. Es ist nur eine Frage der Zeit... Schrecklich, nur daran zu denken und eine Qual für ihn und die Familie.
Abgesehen von „Punishment and Ordeal"... Tragen die anderen Jungs immer Deine Ideen mit? Ich meine, sie haben schließlich nicht Deine Biographie...
Nein, das nicht, aber sie verstehen, weil wir die Texte immer diskutieren.
Ein Word zu Thomas (Eriksson, voc): Du musst Dich glücklich schätzen, dass er ein Teil von GRIFTEGÅRD ist. Seine Stimme ist sehr intensiv und einfach phantastisch. Aber am beeindruckendsten ist vielleicht, dass er Deine Gefühle und Gedanken so kongenial transportiert, als wären es seine eigenen...
Nun, der Punkt ist, dass auch er mit einer Menge Dämonen zu kämpfen hat. Darum versteht er wirklich, wovon ich rede. Lustigerweise sind wir am selben Tag geboren, hehe!
Aber Du glaubst nicht ernsthaft an Astrologie?
Ich bin offen für alles... wirklich. Ich sag nicht: dies oder das ist wahr und dieses oder jenes nicht. Ich beobachte.
Als wir vorhin draußen ein bisschen mit Selim (Lemouchi, Kopf von THE DEVIL'S BLOOD, d. Verf.) gequatscht haben, sagtest Du: „Tief in seinem Innern kennt jeder Mensch die Wahrheit" ...
Ja. Aber sie ist von all den Ablenkungen und Illusionen blockiert. Ein Teil von mir ist derart paranoid, dass ich denke, jemand sorgt dafür, dass es so ist. Falls man eher an die spirituelle Seite glaubt, kann man Dämonen die Schuld geben; bist du eher weltlich orientiert, kannst du im Kommerz und bei den Politikern die Schuldigen sehen, die uns „Brot und Spiele" geben. Sozusagen.
Ach, es gibt einen Unterschied zwischen Dämonen und Politikern? Ich dachte immer, das wäre nur eine Frage des Dresscodes? Als ich mit Sami Hynninen sprach...
Ein Freund von mir...
Keine große Überraschung... als ich mit Sami sprach, fiel meinerseits ein Marx-Zitat: Religion ist Opium fürs Volk... Er meinte: "Nein, Konsum ist das Opium..."
Ja, sicher. Konsum ist die neue Religion.
Als ich vorhin „The Mire" hörte, dachte ich, darum geht es hier... eine Kritik am „Tanz um das goldene Kalb".
Genau. Das ist eine Weise den Song zu interpretieren. Es geht um die Blindheit des modernen Menschen. Wir fesseln uns selbst mit unseren Wünschen und unserer Gier, die uns verschleißen. Wir haben so viele Möglichkeiten und Optionen heutzutage; wir werden gefüttert mit all diesen Tu-dies und Lass-das, Kauf-dies und Kauf-das. Und alle wollen alles, und so versklaven wir uns selbst. Und an dieser Stelle setzt die Peitsche ein...
Mal zurück zum spirituellen Teil... Ich schätze mal, du hast keine Religion...
Nein. Aber ich suche. Da ist ein Loch, das es auszufüllen gilt. Und ich glaube, jeder hat dieses Loch in sich; ob das nun realisiert wird oder nicht. Und es muss gefüllt werden. Die einen stopfen sich da all die Scheiße rein, die es so zu kaufen gibt, oder sie versuchen das Loch mit Bekanntschaften auszufüllen, mit Sex, mit Drogen, was auch immer...
(In dem Moment gibt Wolf, der veranstaltende Promoter, die "five minutes warning" für das Ende des Slots und wir entscheiden uns, den Rest auf ein Mailing zu vertagen.)
Du sagtest vorher, dass jeder in sich „die Wahrheit" trüge. Nur halt abgeblockt und nicht verfügbar, so dass es sich anfühlt, als wäre da ein Loch. Aber wir „besitzen" sie (immer) schon... Also muss sie von Anfang an in uns gewesen sein. Wer oder was hat uns „die Wahrheit" gegeben? Und lass mich hinzufügen: wenn ich Dich so beobachte, Dir so zuhöre (insbesondere auch das wir abseits des Interviews so besprochen haben), dann machst Du weniger den Eindruck eines Suchenden, als vielmehr den, dass Du schon fündig geworden wärest. Könnte es sein, dass Du nur noch nach einer bewährten Theorie suchst, die Deinen Grübeleien standhält?
Ja, ich denke, dass die Wahrheit nicht von Außen herangetragen werden kann. Sie muss im Innern heranwachsen. An diesem Punkt verlieren sich die meisten der Suchenden in spirituellen und emotionalen Sackgassen, in dogmatischen Religionen oder in Einkaufszentren...
Wie kommt die Wahrheit in uns hinein, wer gab sie uns? Hmm, sehr gute Frage... dennoch halte ich es für interessanter, darüber nachzudenken, wer sie uns weggenommen hat... und wer uns weiter und weiter von ihr entfernt. Und hier betritt man dann kulturelles / physikalisches oder aber metaphysisches Territorium. Auch wenn ich mich nicht mehr zum Christentum oder irgendeiner Religion bekennen kann, werde ich den Gedanken nicht los, dass wir es mit einer Art riesigen Verschwörung gegen unsere Seelen zu tun haben, an der Elemente aus beiden Territorien beteiligt sind. Vielleicht ist das ein Ergebnis meiner Zeit bei den Zeugen Jehovas. Die Paranoia steckt mir in den Knochen. Und ich weiß, damit bin ich nicht allein...
Andererseits... paranoid zu sein, heißt ja nicht zwangsläufig, dass du nicht verfolgt wirst, oder? Ich finde, das ist ein schönes Beispiel dafür, wie ich es immer wieder schaffe, nicht zu definitiven Ansichten zu gelangen. Ich bin mit Zweifeln angefüllt, die dem Riss zwischen meinem rationalen, weltlichen Ich und meinem irrationalen, unirdischem Selbst entspringen. Noch suche ich...
Natürlich bin ich bei meiner Suche auf, wie Du es nanntest, „bewährte Theorien" gestoßen, die mir auch bis zu einem gewissen Grad passend erschienen sind. Aber noch keine, die mir eine allumfassende Antwort gegeben hätte. Vielleicht erscheine ich Dir deshalb so, als hätte ich schon Antworten gefunden. Tatsächlich bin ich aber genau so verloren wie jeder andere. Mit dem Unterschied vielleicht, dass ich erkannt habe, dass ich verloren bin. Und etwas dagegen zu tun versuche.
Ist eine der bewährten Theorien die von Camus? Neben Russel & Doré ist er der dritte auf Myspace namentlich genannte Einfluss. Fast hätte ich eine Nummer über „Die Pest" oder „Der Mythos von Sisyphos" auf S.S.S. erwartet...
Als ich ihn als Inspirationsquelle angab, dachte ich an "Der Fall". In das Buch können wir wie in einen Spiegel sehen. Es zeichnet ein Bild unserer menschlichen Natur und wie sie sich in unserer Realität und Gesellschaft manifestiert. Jeder sollte es lesen...
Wir hatten das vorher schon, aber führe es mal bitte etwas aus... Wer ist Schuld an den Dingen, die Dich paranoid machen, Löcher in unsere Herzen reißen und unsere Köpfe blockieren?
Die nahe liegende Antwort lautet: die Politiker, der Markt, die Medien, das heißt die Machthaber.
Wenn jemand auch nur die leiseste Ahnung davon hat, wie Kontrollmechanismen funktionieren, ist es leicht zu sehen, wie wir mit Zerstreuungen und Ablenkungen von den verschiedenen Medien bombardiert werden, um uns ruhig zu stellen. Ich glaube, es ist keine große Enthüllung, wenn ich sage, dass der Film „Matrix" uns hierfür die perfekte Allegorie liefert.
Aber ich möchte dem noch eine andere Dimension hinzufügen. Und das ist schon von anderen, versierteren Leuten auf diesem Gebiet als ich es bin, bedacht worden... (Leute, die von wilden und obskuren Theorien abgestoßen sind, sollten den Teil überspringen!)
Ich meine: Dämonen. Was, wenn hier unirdische Kräfte am Werk sind? Ich weiß, dass das naiv klingt; der Mensch selbst begeht Grausamkeiten, die alles in den Schatten stellen, was die Bibel den üblen Mächten zuschreibt. Aber als derjenige, der ich bin, der ich meinen Geist offen halte, ich möchten Dir sagen, dass es eine simple Tatsache ist, dass die Elite eben dies ist: die Elite. Die stets nach allen erdenklichen Möglichkeiten gesucht hat, eine Stufe über der Herde zu stehen, die keinen Stein umgedreht ließ. Andernfalls stünden sie nicht als Elite an erster Stelle!
Also, falls Dämonen existieren, dann stehen die Eliten sicher seit ewigen Zeiten mit ihnen in Kontakt. Was haben die Dämonen davon? Eine berechtigte und offensichtliche Frage, und die Antwort ist: Lebenskraft, Energie, Nahrung... Sie werden gefüttert mit unserem Zorn, Hass, unseren Ängsten und Frustrationen, unserer sexuellen Gier... Und die Elite ist glücklich, das zu unterstützen, die Ängste und das Chaos zu schüren. Im Gegenzug bekommen sie Kontrolle, Reichtum, Macht und möglicherweise die Fähigkeit, Ereignisse vorauszusehen...
Ich könnte hier jetzt weitermachen und über John Dee sprechen und die Verbindung der „Enochian Keys"* mit dem Zeitalter der Industrialisierung und welche Auswirkungen das hatte, aber das erspar ich uns, da die Leute mich eh schon für irre halten... Dabei will ich gar nicht behaupten, dass ich das für wahr halte, sondern nur, dass ich mich für alles offen halte.
Letzteres beruhigt mich... Kommen wir wenigstens einmal auf die Musik selbst zu sprechen. „Noah's Hands" ist absolut „doomy"; und es ist vielleicht sogar das Stück, das, falls möglich, noch mehr als die anderen die Trias: „solemn, sacred, severe" bedient: Ein Kirchenlied. Keinerlei Metal, nur Chor und Orgel und sporadische, sehr dunkle Trommelschläge (?) ... es mutet sehr - im doppelten Wortsinn - puritanisch an... Hörst Du oft solche Sachen wie William Byrd und Thomas Tallis? (Komponisten d. engl. Reformation / d. 16. Jahrh., d. Verf.)
Ja, ich weiß, wie die Theorie von den Eliten und den Dämonen, die die Welt beherrschen, klingen muss. Es ist schwer zu schlucken für die meisten. Aber ich finde den Gedanken faszinierend.
Freut mich sehr zu hören, dass Du denkst, dass „Noah's Hands" die Kriterien erfüllt, ein echter GRIFTEGÅRD-Song zu sein; und ich stimme Dir absolut zu: es ist der Song auf S.S.S. der am direktesten eine heilige Atmosphäre verströmt. Wir wollten das Gefühl transportieren, das man in einer Kirche bekommen kann, wenn die Gemeinde einen Psalm singt. Da war kein Platz für weitere Instrumente außer diesem dumpfen Trommelschlag. Wir wissen es sehr zu schätzen, dass Peter von RAISON D'ÊTRE (Peter Andersson, schwed. Filmkomponist; d. Verf.) das für uns gemacht hat.
Was die Komponisten angeht, die Du genannt hast... Offen gestanden, von denen habe ich noch nie etwas gehört. Aber ich werde die sofort mal anchecken...
Solemn. Sacred. Severe. Weder „true" Doom Metal noch GRIFTEGÅRD könnte treffender umrissen werden. Deshalb nannte ich eure Scheiben „perfekt". Zu dick aufgetragen? Oder stimmst Du mir einfach zu? Und falls nicht, was wären Deiner Ansicht nach die perfekten „true" Doom Alben?
Jeder hat seine eigene Wahrheit, aber für uns sollte ein wahres Doom Metal Album eine feierliche, heilige und ernste Atmosphäre erzeugen. „Atmosphäre" ist der entscheidende Begriff, um das Wesen von Doom Metal zu verstehen. Es liegt nicht bei uns, zu sagen, ob wir das perfekte Doom Album kreiert haben oder nicht. Aber, unnötig das zu sagen, es macht uns stolz und ehrt uns, dass Du unser Debüt so sehr schätzt. Aber falls es perfekt sein sollte, dann hätten wir keinen Grund weiter zu machen, oder? Schließlich hätten wir dann alles rübergebracht, was wir rüberbringen wollten und all unsere Arbeit würde sich nur noch darauf erstrecken, unser erstes Statement zu bestätigen...
Okay, es ist unvollkommen. Weil viel zu kurz...
Die Doom Alben, die ich persönlich für am dichtesten an der Perfektion halte, sind:
WARNING - Watching From a Distance
WHILE HEAVEN WEPT - Sorrow of the Angels
CANDLEMASS - Ancient Dreams / Epicus Doomicus Metallicus
PAGAN ALTAR - Volume 1
BLACK SABBATH - Black Sabbath
Stichwort „Pagan Altar": Eure Würdigung der alten Helden (Pagan Altar Cometh; nur auf der "Knock 'em down to Size"-Compilation, d. Verf.), unterscheidet sich sehr von allen Nummern, die auf beiden GRIFTEGÅRD Platten erschienen sind. Ein Experiment oder ein „Ausrutscher"?
Es klingt definitiv anders als unsere sonstigen Sachen, ja. Und mit Blick auf unsere SSS-Kriterien ist es ist sicher kein echter GRIFTEGÅRD-Song. Die Nummer ist nicht feierlich, heilig, ernst... weder thematisch noch musikalisch. Dennoch würde ich ihn nicht als Ausrutscher bezeichnen. „Ein einmaliger Tribut" beschreibt es besser, meine ich, auch wenn der Zeitpunkt der Veröffentlichung hätte besser gewählt sein können, als ihn zum ersten offiziellen Lebenszeichen zu machen. Er gibt sicher einen falschen Eindruck davon, wer wir sind, was wir machen. Dennoch kann ich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass wir zukünftig auch mal Up-Tempo Kompositionen haben werden. Wenn das Thema es verlangt, dann wird das passieren...
Kannst Du Dir eine ganz andere Form von "Heavy Metal" vorstellen, die in der Lage wäre, Deine kritische Spiritualität zu transportieren?
Ja, Black Metal. Aber nur den musikalischen, atmosphärischen Part. Nicht die Botschaft. Ich glaube nicht an die Ideologie, die hinter dem größten Teil des Black Metal steckt.
Wäre BURZUM ein gutes Beispiel für die Atmosphäre, die Dir vorschwebt?
Die musikalische Atmosphäre von BURZUM ist sehr, sehr meditativ und Gedanken anregend, besonders „Filosofem". Auch hier wird alles auf seine minimalistische Form herunter gebrochen. Man kann sich auf den Kern der Dinge konzentrieren. Ich denke, dass minimalistische Kunst, in welcher Form auch immer, einfarbig ist. Und so ist die Ästhetik des Black Metal. Er nimmt seinen Platz in deinem Kopf ein, aber es liegt an dir, mit deiner Seele, deinem Selbst dahin zu folgen. Man muss sich das Bild letztlich selbst malen. Und deshalb würde ich Black Metal spielen, wenn nicht Doom.
In Norrköping bist Du doch auch noch in einer Black Metal Band, oder nicht mehr?
Doch doch, ich singe noch für SPETÄLSK, aber die Arbeiten gehen nur sehr schleppend voran. Der Kopf der Truppe ist von anderen Sachen in Beschlag genommen; von daher passiert da nicht viel.
Da fällt mir gerade ein: auf eurem, d.h. meinem T-Shirt von GRIFTEGÅRD steht auf einem Ärmel, relativ klein: „En gång dö och sedan domen", Hebr. 9,27. Luthers Übersetzung: Und wie den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, darnach aber das Gericht. Ist damit nur die Grundstimmung oder die Grundbotschaft Eures „Domen Metal" umrissen, oder hattest Du noch weitere oder ganz andere Intentionen?
Dein Tipp war schon genau richtig. Es ist ein Passus, der in jeder Hinsicht so schwer und niederschmetternd ist, dass ich bezweifle, dass wir jemals eine passendere Beschreibung für die Atmosphäre und Stimmung finden werden, die wir erlangen wollen. Ich meine: Nicht einmal nach dem Tod entkommt man dem Gericht. Kann ein Satz mehr Schwere enthalten, mehr von der Angst des Memento Mori erfüllt sein?
Das ist doch ein exzellenter Schluss für unser Interview , aber natürlich muss ich Dich noch nach anstehenden Live Aktivitäten fragen.
Unser nächster Gig ist in unserer Heimatstadt Norrköping am 12. September, und zwischen dem 19. und 22. spielen wir zusammen mit URFAUST und THE DEVIL'S BLOOD in Deutschland. Checkt unsere Myspace Seite wegen Updates bezügl. der Orte und Läden. Es wird großartig, mit unseren Kameraden von unserem Ván Label auf der Strasse zu sein!
Ola, ich danke Dir sehr für Deine Zeit und die Mühe. Du hast das letzte Wort.
Ich habe Dir für das sehr interessante Interview zu danken, Dirk. Es war wirklich ein Vergnügen, mit Dir zu reden. Mir haben die Fragen sehr gefallen und ich muss sagen, dass es sehr stimulierend und eine richtige Belohnung ist, jemanden zu treffen, der ein leidenschaftliches und echtes Interesse daran hat, unsere Band wirklich kennen zu lernen. Respekt von meiner Seite...
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* Anmerkung des Verfassers: Wer sich für Magie und Verschwörungstheorien interessiert: Die Enochian keys (oder calls) dienen zu Anrufung von Geistern. Sie wurden Dr. John Dee (Mathematiker und Hofastronom von Elisabeth I.) über sein Medium Kohn Kelley angeblich direkt von den Engeln überbracht... Hier sind mal ein paar Links zum Thema:
http://www.johndee.org/
http://www.enoch.sofiatopia.org/enoch.htm
http://www.geocities.com/peripsol/Enoch/5EnochianCalls.htm
http://web.archive.org/web/20071029025417/members.aol.com/AJRoberti/enochmnu.htm
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