Geschrieben von Donnerstag, 22 Mai 2008 23:33

Helangår - Interview mit den Masterminds Johannes & Florian



Zu den anspruchsvollsten Metal-Bands – nicht nur in Deutschland – gehören sicher HELANGÅR, die sich scheinbar mit jedem Album neu erfinden. Dass das kein Marktnischen-Hopping ist, dürfte jedem klar sein, der sich auch nur ein bisschen mir der Musik der Gebrüder Fuß beschäftigt. Denn der angetäuschte Viking-Metal des Debüts, der irritierend irritierte Gothic / Death-Doom des Zweitlings sind die Trittsteine hin zum Avantgardismus des aktuellen Kunstwerks. Von Anfang an war das musikalische Experiment gegenwärtig; aber nie als Selbstzweck, sondern stets als Ausdrucksmittel für eine gar nicht so frohe Botschaft…

Gott zum Gruße euch beide… weil HELANGÅR sicher nicht jeder kennen dürfte, müssen wir den biographischen Kram hinter uns bringen, frei nach Torfrock: Name, wann und weswegen geboren, zack, zack…

Florian: In aller Kürze: Gegründet haben wir uns 2002. In diesen 6 Jahren haben wir trotz zahlloser Besetzungswechsel knapp 30 (teils richtig große) Konzerte gespielt und drei Alben in kompletter Eigenregie herausgebracht. Derzeit sind wir auf den Kern der Band zusammengeschrumpft und jetzt - nach Veröffentlichung unseres dritten Albums [kwIn’tes sens] - auf der Suche nach neuen Mitmusikern (besonders einem Schlagzeuger) aus der Gegend von Mannheim/Heidelberg.

Hannes, du steckst mitten in der Arbeit zur Promotion in Psychiatrie, genauer: am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim; hast du eine Doktorandenstelle oder wovon lebst du? – Und Florian, du?

Johannes: Momentan lebe ich recht gut vom Geld meiner Eltern (fürs Studium), einem Stipendium (für die Promotion) und zukünftig auch noch einem kleinen Zubrot aus der kontrollierten Methadonausgabe am Wochenende. Neben meiner Promotion muss ich auch noch ein paar Semester studieren.

Florian: Ich studiere Mathematik und BWL in Mannheim und hatte gerade für drei Semester ausgesetzt, um im Wirtschaftsministerium zu arbeiten. Seit Anfang des Jahres studiere ich aber wieder, und das auch nicht mehr allzu lang.

Ich würde gerne mit einem Zitat von Flo aus unserem Mail-Austausch anfangen: Die gute alte "Evening in Valhalla" hör ich auch noch ganz gern... starker Wandel seit damals, ob die Schritte allerdings als so krass empfunden worden wären, wenn wir die "Schlafes Bruder" auch noch mit Tom raus gebracht hätten, wage ich zu bezweifeln, musikalisch ist m.E. diese Entwicklung doch recht gradlinig! Zitat Ende… Ich hüstel mal (Hüstel!)… Einspruch!

Florian: Um diese Aussage richtig nachvollziehen zu können, fehlt dir eine Platte aus unserer Diskographie. Wenn du dir „Schlafes Bruder“ mit deutlich härterem, männlichen Gesang vorstellst (noch variabler als auf EiV und mit mehr Growl Parts), was vermutlich nicht leicht fällt, sind die Übergänge zwischen den Alben zwar immer noch krass, aber leichter nachzuvollziehen, geradlinig war vielleicht wirklich etwas übertrieben.

Tatsache ist zwar, dass sich weder „EiV“ widerstandslos in der paganen / Viking- Schublade verstauen lässt, noch „Schlafes Bruder“ in der des Goth- / Death-Doom. Tatsache ist aber auch, dass ihr eine Entwicklung genommen habt, die ihres Gleichen sucht. In den Details erkennt man euch immer wieder – wenn man denn gut aufpasst; aber man könnte auch leicht annehmen, dass man es mit drei verschieden Bands zu tun hat. Versucht doch mal bitte, mir diese Quantensprünge, namentlich den zweiten, radikaleren zu erklären…

Johannes: Wie du sagst, haben wir von Anfang an nicht so recht in eine Schublade gepasst, und von diesem Standpunkt aus haben wir uns aufgemacht, weitere Grenzen zu überwinden – uns weiterzuentwickeln. Mit knapp 20 und einem ersten Album war so etwas wie [kwIn’tes sens] nicht möglich, wir mussten uns anderer Motive und Harmonien bedienen. Es waren einfach beide Vorgängeralben nötig, um zu diesem Punkt zu kommen, den wir vielleicht schon früher erreichen wollten.

CDs sind bei uns Meilensteine einer kontinuierlichen Entwicklung. Da man nur diese Eckpunkte sieht und nicht die Entwicklung zwischen ihnen, mag es schwierig sein, die Kontinuität dahinter zu sehen.

Florian: Beim Schritt zu „Schlafes Bruder“ sind wir auch schon ne ordentliche Ecke progressiver und orchestraler (30 Mann Chor, div. klassische Instrumente) geworden. Wenn du jetzt wieder das gleiche Maß an Progressivität drauf packst und dafür das Orchestrierungspendel ganz zurück schwingst, bist du bei [kwIn’tes sens]. Dass sich dann auch noch der Gesang derart unterscheidet, macht das Nachvollziehen auf den ersten Blick wirklich etwas schwer.

Okay, aber nochmal zurück: In gewissem Sinne versteh’ ich Florian natürlich; es gibt einen musikalischen Reifeprozess und einen roten Faden in der Thematik, dann den durchgängigen, sich aber verstärkenden Hang zum musikalischen Experiment, den Ausbruch aus den klassischen Schemata… Irgendwie scheint ihr euch aber erst jetzt „gefunden“ zu haben…?

Florian: Dieses Gefühl hatten wir eigentlich bei jeder Veröffentlichung, daraus abzuleiten, dass wir uns ab jetzt nicht erneut neu erfinden werden, wage ich vorerst nicht. Richtig ist aber, dass wir uns diesmal überhaupt nicht mehr von äußeren Einflüssen haben lenken lassen – sind also vielleicht wirklich bei unserer musikalischen Quintessenz angelangt.

Könntet ihr so kurz nach Erscheinen von [kwIn’ tes sens] denn schon spekulieren, was als nächstes kommt? - Oder steht vielleicht zu befürchten, dass gar nichts mehr kommt; denn ihr finanziert eure Sachen ja wohl immer selbst, und ihr irgendwann sagt: Shit, das bringt alles nichts… lass uns unseren Kram als Hausmusik machen und gut is’? - Dabei fällt mir gerade ein, bemüht ihr euch überhaupt um einen Deal?

Johannes: Wir sammeln schon wieder Songideen, aber es ist viel zu früh, um irgendwas über den nächsten Release sagen zu können.

Zum zweiten Teil der Frage: Es wird noch viel von uns kommen. Gerade weil wir jede CD selbst finanzieren, schafft das eine angenehme Unabhängigkeit von Verkaufszahlen. Es ist dann nur unser eigenes Geld, das wir in den Wind schießen. Zu [kwIn’tes sens] hatten wir Labelkontakt, zweimal kam es fast zum Deal, einmal wollten wir nicht, da uns das Label politisch nicht zusagte, einmal war es dem Label dann doch ein zu großes Risiko.

Interessant fand ich, dass Flo „die gute alte `Evening in Valhalla´“ nicht als Jugendsünde verleugnet… wie man es selbst bei weniger drastischen Entwicklungen so oft zu hören bekommt… Könntet ihr euch ein „back to the roots“ vorstellen?

Hannes: Nein, das sicher nicht. Dazu haben wir einfach noch zu viele gute Ideen. Dennoch stehen wir zu der Platte, die ja mittlerweile leider auch ausverkauft ist, und mit der wir viele schöne Erinnerungen verbinden.

Ihr habt sogar den Raben des Artworks von EiV für [kwIn’ tes sens] wieder aufgenommen… und manch anderes Detail verweist auf die nordischen Anfänge. Ein Bekenntnis? Oder haben wir nicht etwa nur drei separate Konzeptalben, sondern ein albumübergreifendes Gesamtkonzept „HELANGÅR“ vor uns?

Florian: Wir sehen die Alben natürlich in einem Zusammenhang - auch bei „Schlafes Bruder“ findest du optische Adaptionen von „EiV“. Zum Konzept möchte ich uns nicht selbst interpretieren, kann aber den Arno, einen langjährigen Freund unserer Musik zitieren, der eine - wie ich finde - interessante Einschätzung geliefert hat:

„Des Künstlers Seele verließ Valhalla, weil sie dem Wahnsinn der Götter und ihrer Gehilfen nicht länger ohnmächtig zusehen wollte. Lange irrte sie durch die Zeit, bis eine einsame Natur inmitten eines vergessenen Bergdorfes sich ihrer erbarmte und sie aufnahm. Armer Hörender! Welch großartige Melodien musst Du gehört haben, und wie armselig erschienst Du Deinen gefühllosen Mitmenschen!

Und als dem Einsamen auch die Liebe verwehrt blieb, da war es Zeit für die Seele, den Dahinscheidenden zu verlassen. Abermals begann eine bittere Pilgerzeit, eine Zeit, in der befreundete Seelen ihren Abschied nahmen, um andere Räume des Seins zu erkunden, in denen sie das zu finden hofften, was alle Ruhelosen suchen - Glück und Erfüllung.

Wie sie aber in diese Endzeit geschleudert wurde, in der alles einem sinnlos dahereilenden Ameisenhaufen glich, ohne Ziel und Richtung, das kann sie sich nicht erklären. Ja, es fällt ihr schwer, eine Form zu finden, für das, was sie sagen möchte... Und war sie vorher nur erbittert oder enttäuscht gewesen, litt sie nun alle Qualen der Verdammnis.

Wer aber wird sie erhören? Wie klingt eine Kunst, für die Himmel und Hölle keine Gegensätze mehr sind, sondern sich ständig verwandeln, bis sie nicht mehr zu unterscheiden sind? Wird des Künstlers Seele darauf eine Antwort finden?“


Ein freundlich Gruß dem Barden und Chronisten. Hätte dennoch ein Namenswechsel nicht gut getan, wo ihr doch mit Hörner-Metal, was der Bandname ja suggeriert, schon auf Schlafes Bruder nix (mehr) am Helm habt…? Außerdem seid ihr zwei mittlerweile die letzten der HELANGÅR-Mohikaner… Wieso eigentlich?

Johannes: Der Name ist zwar schwedisch, hat aber mit der Viking oder Pagan Schiene nichts zu tun - es ist ursprünglich der Name eines Trinkliedes. Abgesehen davon ist er uns mittlerweile sehr ans Herz gewachsen!

Dass wir derzeit alleine sind, ist recht unspektakulär und schnell erzählt: Nico (dr) - mit dem Flori schon vor 10 Jahren in einer Supportband für die Hardcorelegende Ryker’s gespielt hat – hat nach einigen Versuchen die Aufnahmeprüfung an einer Schauspielschule geschafft, und diese nimmt ihn zeitlich derart in Anspruch, dass ein weiteres Zusammenspielen auch wegen der räumlichen Distanz leider nicht mehr möglich war. Das gleiche bei Jodel (git), der erst 1½ Jahre karitativ in Afrika unterwegs war und jetzt in Hamburg Kunst studiert. Judith (key) ging ja schon früher, warum, ist uns zumindest bis heute nicht richtig klar... und Lisa (voc) verschlug es studienbedingt an die Ostsee.

Wir sind nach wie vor gut befreundet, es war eine wunderbare Zeit und wir sind uns eigentlich alle auch ganz ähnlich in unserem erlesenen Geschmack ;) .

Lasst uns kurz zum Artwork zurückkehren: Auf den ersten Blick sind alle drei Motive in der Umsetzung ääh…, sagen wir höflich: steigerungsfähig. Auf den zweiten und in Verbindung mit der Musik könnte der Verdacht aufkommen, dass gewisse Störfaktoren gewollt sind: bei „Valhalla“ z.B. die groteske Künstlichkeit, bei [kwIn’ tes sens] die Schlichtheit des schwarz-weiß Kontrastes. Präziser kann man die musikalischen Kontraste nicht ankündigen. Richtig geraten…? Oder doch nur der Versuch der optischen Mitteilung: Wir sind Avantgarde!

Florian: Uns ist immer sehr wichtig gewesen, nicht nur gute Musik zu machen, sondern auch das Drumherum möglichst professionell anzugehen, will sagen, den Leuten für ihr sauer Erspartes etwas in die Hand zu geben, das einen Wert hat, bzw. ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, angefangen bei der Musik, über die Texte, bis hin zum Artwork. Genau deshalb liefert natürlich auch die grafische Umsetzung einen Teil der Interpretationsmöglichkeiten des Gesamten.

In eurem Promo-Sheet stellt ihr den Grundgedanken hinter [kwIn’ tes sens] dar: Die empirischen Wissenschaften demontieren das menschliche Individuum zu einem solitären Objekt, das auf sein materiales Substrat reduziert wird. Seine Existenz als sinnlos begreifend, fragt dieses in Massen auftretende und doch völlig isolierte Objekt als Pseudo-Subjekt verzweifelt nach dem Sinn von (seinem) Sein und nach dem Wesen von allem, nach der Quintessenz…

Eine Antwort auf jene fundamentalen Fragen kann und soll [kwIn’ tes sens] nicht geben…?

Hannes: Nein, Antworten sucht man hier sicherlich vergebens. Es geht mehr um die richtigen Fragen, die dann vielleicht auch Antworten liefern können.

Dann wiederhole ich mal eine Frage aus unserem Mailverkehr… Wozu noch ein Text, der das Leiden am Leben in seiner modernen Form als wissenschaftsgeschichtliches Resultat thematisiert… wo doch von der deutschen Frühromantik bis hin zur Kritischen Theorie Adornos ungefähr eine Million Veröffentlichungen zu diesem Themenkomplex erschienen sind… und doch am Faktum selbst nichts ändern konnten; auf die Masse der „atomisierten Individuen“ hin gesehen.


Johannes: Allein deine geschätzte Zahl an Denkanstößen dazu zeigt doch die Dringlichkeit dieser Themen. Uns geht es ja auch nicht um das Wiederkäuen gleicher Fragen, wenn wir uns an verschiedener Stelle auf Philosophiegeschichte beziehen, sondern um die Frage, wie Menschen mit diesen Themen und ihren Erkenntnissen umgehen. Was Menschen fühlen, wenn sie sich existentiellen Grenzgängen hingeben. Das reicht von völliger Verzweiflung bis zur Ironie. Wir versuchen eine künstlerische Aufarbeitung dieser Gefühlswand, dieser Ohnmacht zu geben. Und vielleicht eröffnen wir manchen Menschen über die Musik einen Zugang zu diesen Themen oder Brechen schmerzlich die ein oder andere Tabuisierung des Einzelnen auf.

Unsere Musik ist wie ein Mensch, der sich aus der Maschine des Alltags herausreißt, ins Leere starrt und plötzlich erwacht, erschrickt und sich nach dem Sinn fragt! Um dem zu entgehen, sucht sich die säkulare Welt neben der Verehrung leerer Produkte doch immer wieder neue Transzendenzen. Aber auch die, die keine Antworten geben, suchen weiter und werden auch die nächsten Jahrhunderte genau diese Fragen breittreten und keine Antworten finden. Das ist der Schmerz des alten Europas, die Bürde von uns Menschen.

Glaubt ihr, mit eurer hochkomplexen und schwierigen Musik „die atomisierten Massen“ erreichen zu können…? Und wenn ja, habt ihr über die Frage hinaus, die ja eh vermeintlich jeder für sich stellt, wenn schon keine Antwort, dann doch wenigstens eine Art Botschaft für uns?

Florian: Falls sich die atomisierten Massen aus Individuen zusammensetzen, die sich atomisiert fühlen, sollten wir diese mit unserem Konzept erreichen. Setzt man die atomisierten Massen aber mit dem Plebs gleich, dann wohl eher nicht.

Ein Hoffnungsschimmer der CD, der sich vielleicht auch im Folderbild mit der Brücke grafisch ausdrückt, ist an eine Idee Kants angelehnt. Dasselbe Vermögen, das es unsrer Vernunft erlaubt, die Unbeantwortbarkeit metaphysischer Fragen, wie Tod, Sein etc. zu erkennen, nötigt sie zugleich, sie zu stellen. Das Vermögen besteht darin, dass die Vernunft auf ihre eigene Grenze reflektieren kann. Wenn man aber Grenzen erkennt, ist man bereits über sie hinaus. Nicht in dem Sinne, dass man nun positives Wissen von jenseits der Grenze besitzt, aber man weiß, dass es ein Jenseits der Grenze, eine Welt „an sich“ gibt.

Das Füllen dieser erschreckenden Leere jenseits der Grenze mit Spekulationen und Glauben, wie es Religionen und manchmal Wissenschaftler tun, ist unserer Meinung nach falsch und führt zur Entmündigung der Menschen.

Ein suchendes Leben im Angesicht des Nichtwissens und im Wissen um das Scheitern ist schwer, doch vielleicht am ehrlichsten.

Die anklagenden Fragen, die Elias an seinen einen Gott und die Nordmänner an ihre Götter richten, und die auch das Grundmotiv für [kwIn’ tes sens] stellen, treibt euch sehr um…

Johannes: Diese Fragen müssten doch jeden umtreiben. Ich find das immer ganz unspektakulär, um was sich unsere CDs drehen – es sind die Grenzsituationen des Lebens, denen sich jeder irgendwann aussetzen muss. Wenn wir dies ein Leben lang verdrängen, holt es uns am Ende ein, und dann bleibt vielleicht keine Zeit.

Ein Punkt, der mich in meinem Studium sehr gestört hat, ist die Art, wie uns beigebracht wurde, Patientengespräch zu führen, wenn der Tod des Patienten in naher Zukunft (Monaten) bevorsteht. Es ist eine beschönigende, leicht andeutende Blumensprache, die die kalte Erkenntnis beinhaltet, dass das Leben bald vorbei ist. Fragt der Patient aber nicht adäquat nach und beharrt darauf, erfährt er nicht, wie es um ihn steht. Lediglich Angehörige werden härter aufgeklärt – ein weiterer Schritt also zur Entmündigung. Auch hier, am Ende, glauben unsere Gesellschaft und die medizinischen Fakultäten als Teil davon, dass der Mensch vor der Erkenntnis seines Todes bewahrt werden sollte, um nicht zu leiden. Dieses Leiden aber ist die Realität!

Naja, letztlich ist das doch die gängige Praxis, nicht nur in der von dir beschriebenen Extremsituation: Verdrängung. Ich wette, wenn es kein Arzthaftungsrecht gäbe, würde man auch die Angehörigen schonen / belügen. Aber wenn wir den Tod tabuisieren oder mit Ballerspielen und Slayertexten banalisieren… ist das nicht das resignative und begreifende Eingeständnis in die Sinnlosigkeit des Lebens?

Johannes: Ich würde es als Leben bezeichnen, das nicht begreift, dass es lebt und so vielleicht sinnentleert ist. Diese Sinnlosigkeit kommt aber nicht von außen, sondern sie entsteht erst im Menschen selbst, indem er die existentiellen Fakten ignoriert und so nicht bewusst lebt.

Entsteht die Sinnlosigkeit in uns, dann doch wohl auch der Sinn?! Wie ernst ist ein in „Heimarbeit“ konstruierter Sinn zu nehmen? Und forciert das nicht die Egozentrierung? Und nach der Hybris die Orientierungslosigkeit?

Johannes: Dieses Sinnlosigkeitsgefühl, das durch oben erwähnte Verhaltensweisen ausgelebt wird, ist ja kein reflektierendes Gefühl der Sinnlosigkeit, sondern Verdrängung dieser Fragen. Entschließt man sich hingegen zum Nihilismus und verdrängt nicht, so konstruiert man in sich keinen Sinn, sondern quasi einen Gegensinn – eine Sinnlosigkeit. Dieser Gegensinn ist aber auch „Heimarbeit“ und damit das gleiche, sehr weiche Argument wie ein „Sinn“.

Die Frage, ob also alles einen Sinn gibt oder nicht, lässt sich vermutlich nie beantworten. Der Maßstab „Sinn“ oder „kein Sinn“ ist wahrscheinlich wenig gelungen, vielleicht ist die Beantwortung dieser Frage auch reine individuelle Gefühlssache und hängt mit einer Art Urvertrauen zusammen. Dass Orientierungslosigkeit auf die Hybris der Selbstüberhebung, den Weg des Fragens folgt, ist nun mal so. Manche werden ja aber auch weise und glücklich. ;)

Lasst uns noch mal auf „Valhalla“ zurückkommen. Die meisten der Viking-Bands machen aus Asgard ein Entenhausen der Superhelden. Ihr aber setzt das tragische Element der Ragnarök in den Vordergrund, und so schwingt schon hier die Frage nach dem Sinn von Sein mit: Wozu die Weltschöpfung, wenn letztlich alles (wie der Hamburger sagt:) in’n Dutt geht…

Florian: Richtig, für uns war das Ganze mehr als eine Geschichte über Götter, Schlachten und Helden. Wir haben uns auch nie als Teil der Vikingbewegung gesehen, schon musikalisch haben wir da ja auch nicht richtig rein gepasst. Geschweige denn politisch. Sicher wäre es ein Leichtes gewesen, auf den Erfolgszug der damals entstehenden Bewegung aufzuspringen, wir waren ja eine der Bands der ersten Stunde und haben mit EQUILIBRIUM Konzerte gespielt, als die auch noch niemand kannte.

Mit „Schlafes Bruder“ haben wir uns aber bewusst dagegen entschieden, weil uns einfach andere Dinge umtreiben und wir uns ehrlich gesagt mit der Zeit auch etwas doof vorgekommen sind, auf der Bühne zu stehen und über Schwerter und Götter zu singen und die eigentliche kritische Botschaft nicht übermittelt zu kriegen.

Wenn schon die Nordmänner am Sinn von Sein zweifelten, dann geht die Kritik an der reduktionistischen Wissenschaft nicht so glatt auf…?!

Johannes: Gut beobachtet. Doch unsere Wissenschaftskritik soll nicht global sein – im Gegenteil, Wissenschaft ist neben der Spiritualität das einzige Werkzeug mit Fragen umzugehen – ob sie nun naturwissenschaftlich, philosophisch oder psychologisch ist.

Unsere Kritik setzt erst dort an, wo Wissenschaft versucht, verbindliche Antworten zu philosophischen Fragen abzuleiten und somit zu Spiritualität verkommt. Nicht nur aus Sicht der heutigen Wissenschaften ist ein Zweifeln am Sinn des Seins nachvollziehbar, auch die Weisen der Nordmänner hatten keine sicheren Antworten, und hier kritisierten wir deren devote Gläubigkeit an ein Götteruniversum, das am Ende doch alles einem nutzlosen Kampf opfert. Und ihre Unterwerfung unter dieses vermeintliche Schicksal.

Also eine Art Wiederholung der Geschichte zu verschiedenen Zeiten, die an ähnlichen Grundübeln krankte.

Den letzten Satz verstehe ich. Und auch den ersten. Aber nicht den Zwischenschritt: Was ist naiv daran, eine literarische Metapher für die Tatsache zu kreieren, dass die Welt geschaffen ist und einer (eventuell göttlichen) Ordnung (Naturgesetzen) unterworfen zu sein scheint, und im Verfall / der Unordnung kulminiert und daraus eine Sinnkrise zu formulieren?

Johannes: Es ist naiv zu glauben, unsere derzeitigen Erkenntnisse wären die letzten und wahren. Dieser Fehlschluss wurde doch in der (Wissenschafts-)Geschichte schon unzählige Male gemacht. Ende des 19. Jahrhunderts glaubte man die Physik und die Welt komplett erklärt zu haben, lediglich einige Experimente konnten nicht mit dieser Physik verstanden werden. Aber genau diese Experimente haben sie zum Einsturz gebracht. Und heute hörst du Steven Hawking wie in einer Wiederholung Heisenbergs davon reden, dass auch er bald eine Weltformel finden würde, die endlich alles vereinen würde und die Welt erklärte.

Wir sollten uns nach 3000 Jahren Wissenschaftsgeschichte endlich eingestehen, dass wir nach wie vor stochernd und taumelnd im Nebel stehen, was unsere Situation angeht.

Natürlich entstehen aus unmittelbaren Entdeckungen Sinnkrisen, wie wir im Begleittext mit den Demütigungen der Menschheit andeuteten – die Krisen-auslösenden-Wissenschaften bereichern die Philosophie, bieten neue Möglichkeiten an, lösen aber wahrscheinlich nie das Grunddilemma. Dann nähern wir uns der letzten Erkenntnis auf einer Asymptote.

Ihr scheint nicht nur dahingehend einig mit Adorno, dass ihr die Atomisierung des Einzelnen kritisiert, sondern auch darin, dass wir nicht aus der Geschichte gelernt haben: die Leichtgläubigkeit gegenüber den mythischen Erzählungen hat nur Platz gemacht für jene gegenüber dem „Mythos dessen, was der Fall ist“… die „Erzählungen“ der Naturwissenschaften. ---Aber behauptet die Wissenschaft nicht immer, nur Arbeitshypothesen zu liefern und ist das Problem nicht vielmehr, dass ihre Antworten in Sachen Sinn etc. nur negativ ausfallen? Dass es eben keine verbindlichen Antworten mehr gibt und Religionen völlig diskreditiert sind?

Johannes: Als Wissenschaftler sollte man sich genau darauf beziehen – man sammelt empirische Erkenntnisse und versucht diese in ihren Beziehungen zu erklären. Durch diese Vorgehensweise wurden wir säkularisiert.

Im August 2007 wurde der Philosoph Metzinger in der ZEIT zu den jüngsten Ergebnissen der Neuroforschung befragt und sagte: „Es gibt nicht nur keine Seele, es gibt überhaupt kein substantielles Selbst.“ Einige Sätze später gab er allerdings zu, dass momentan eine übergreifende Theorie zum Gehirn völlig fehlt. Wir wissen also jenseits eines detaillierten Faktenwissens fast nichts über das objektive Selbst und noch weniger über das Subjektive, dennoch gibt es an jeder Ecke Wanderprediger, die einem genau das erzählen wollen. In Sachen Sinn kann die Wissenschaft also keine Aussagen machen, deshalb sollte man zwar offen für deren Erkenntnisse sein, aber dezidiert nichts glauben.

Du hast leider den zweiten Teil der Frage nicht beantwortet. Ich präzisiere meine Kritik: Ihr kritisiert die Wissenschaften, die uns mit der sog. Aufklärung den verbindlichen Sinn (z.B. ein gottgefälliges Leben zu führen) wegrationalisiert haben. Das können wir als Säkularisierung bedauern oder als Aufklärung feiern. Aber ist das Individuum überhaupt „Herr im eigenen Haus“ der Bedingungen, die eine oder andere Möglichkeit zu favorisieren? Und wenn nicht, kann es diese Autonomie wiedererlangen?

Johannes: Heutzutage kann zumindest bei uns jeder auf einen gewaltigen Wissenskanon zugreifen, in dem über alles Mögliche nachgedacht wurde. In dem wir unsere Meinung an anderen Meinungen reiben, können wir um so etwas wie geistige Autonomie, eine Reflexion von uns Selbst ringen. Dabei werden wir uns vielleicht auch bewusst, warum wir bestimmte Meinungen vertreten, warum wir glauben oder eben nicht glauben.

Aber diesen Weg zu gehen, verlangt gewisse Vorbedingungen, die viele Menschen aufgrund sozialer und biografischer Benachteiligung nicht mitbringen. Die Autonomie gibt es also gar nicht, aber es gibt Schritte auf dem Weg zur Autonomie.

Hannes, du studierst am psychiatrischen Institut. D.h. demnach wärest du Mediziner, kein Psychologe. Wenn mich mein Halbwissen nicht trügt, solltest du seelische Erkrankungen als organisches Übel betrachten, nicht wie die Psychologie als intersubjektiv verursacht oder gar philosophisch als existentielles Problem… Demnach wärest du aktiver Teil des reduktionistischen Systems, das du als Texter von HELANGÅR kritisierst…

Johannes: Da muss man sicherlich verschiedene Krankheiten unterscheiden. Natürlich gibt es rein organische Erkrankungen, die sich mit Medikamenten oder Operationen sehr gut heilen lassen. Bei vielen psychischen Erkrankungen ist das aber nicht der Fall. Oft greift man hier auf eine Mischung aus psychotherapeutischer und pharmazeutischer Hilfe zurück. Alle psychischen Krankheiten nur durch biologische Vorgänge erklären zu wollen, wäre biologistisch und würde der Komplexität sicherlich nicht gerecht. Die Lücke zwischen neurobiologischer Grundlagenforschung und der Behandlung von Menschen ist immer noch sehr groß, auch wenn einem manchmal anderes erzählt wird.

Nur weil man langfristig auf organischem Wege genauer in die Psyche eingreifen wird, sollte man nicht in den Irrglauben verfallen, damit das Selbst verstanden zu haben. Die objektive, naturwissenschaftliche Ansicht des Gehirns wird immer eine andere sein, als die subjektive aus dem Gehirn nach draußen. Wittgenstein sprach vom Subjekt als „der Grenze der Welt“.

Da hast du natürlich recht: Der Gedanke ist nicht dasselbe wie der gemessene elektrochemische Impuls. Aber bleiben wir kurz bei Wittgenstein: Einer seiner wichtigsten Gedanken ist der des Sprachspiels: die einen spielen es mit Vokabeln wie Schöpfung und Gott, die anderen mit nicht weniger mythischen Begriffen wie Urknall (wodurch?) und Materie. Mit welchen Vokabeln spielt ihr das Spiel?

Johannes: Wir bemühen uns eigentlich gerade nicht in solche Schubladen zu greifen, bzw. pervertieren diese Begriffe und bedienen uns bei einem biologisch als völlig sinnlos zu erachtenden Spielzeug: der Musik.

Zurück also zur Botschaft der Musik: [kwIn’ tes sens] formuliert eine Frage, d.h. ein Problem: Was bleibt? Von der Welt. Vom Einzelnen. Eine mögliche Antwort könnte lauten: Nichts. Es ist die nahe liegende. Wenn man der Reihenfolge der Stücke eures Album trauen soll. Aber das ist nicht eure Auffassung, oder?

Johannes: Nein. Denn es ist ein Unterschied, nichts zu glauben oder ans Nichts zu glauben.

So oder so, welche Ethik / Handlungsdirektive kann daraus für die „atomisierten Massen“ abgeleitet werden? Oder anders gefragt: Wenn ihr letztlich die Sinnlosigkeit als Tatsache propagiert, wozu dann die Kritik an den Tatsachenwissenschaften? Sie formulieren doch nur, was scheinbar jeder weiß, der sich nicht in Religionen oder deren Substitute retten kann…

Johannes: Wenn Wissenschaft zur Erkenntnis führt, dass die Sinnlosigkeit der vorherrschende Charakter unserer Welt ist, so widerspricht das vielleicht den Erfahrungen einzelner Menschen. Und diese sollten sich fragen, ob sie solch einer Wissenschaft wirklich alles glauben. Dies sollte Skeptizismus lehren.

Nun geriert sich aber gerade die Wissenschaft ja selbst als skeptisch z.B. gegenüber dem bloßen Meinen oder Glauben. Wat nu? Die Skepsis gegenüber der Skepsis? Und welche Skepsis hat Recht? Und schlussendlich: befinden wir uns im Jahr 2008 dann nicht wieder in der Voraufklärung: Genauer im Jahr 1637 und dem Ausgangspunkt Descartes: Ich kann an allem zweifeln, nur nicht daran, dass ich zweifle?

Johannes: Ja, vielleicht. Aber wer weiß, ob wir uns beim Zweifeln so sicher sein können... ;)

Nur mal ein ganz banales Beispiel: Die Halbwertszeit medizinischen Wissens beträgt momentan 5 Jahre. Nach 5 Jahren ist also vom kompletten Wissen über die Medizin, das heute als wahr und richtig angesehen wird, 50% als falsch und überholt anzusehen. Da muss man doch skeptisch werden.

Du meinst, ich habe umsonst meinen Blinddarm gespendet??? Aber zurück zum Thema; [kwIn’ tes sens] ist eines der schwierigsten, weil anspruchsvollsten Metal-Alben aller Zeiten …?! Die zwischenzeitlich erschienenen, fast durchweg positiven Kritiken haben mich, ehrlich gesagt, überrascht… Und euch?

Florian: Vielen Dank für die Blumen und nein, wir sind nicht überrascht. Du hast vielleicht die kritischen Besprechungen nicht gesehen, die Rückmeldungen sind sehr gespalten, so wie wir es erwartet haben. Das Album polarisiert! Du schreibst selbst, es ist ein „intellektuelles Vergnügen“, und das ist nun mal nicht jedermanns Sache, sodass wir mit Unverständnis und der daraus abgeleiteten Ablehnung gut leben können.

Jedenfalls mutet ihr mit der musikalischen Formulierung der Frage nach der Quintessenz dem Hörer mächtig was zu. Wie wichtig ist es euch, tatsächlich Menschen zu erreichen und nicht nur euch selbst auszudrücken?


Florian: Eine schwer zu beantwortende Frage. Wenn es uns nur um viele Menschen ging, müssten wir andere Musik machen, das machen aber schon genug andere Musiker, und wir haben schlicht keine Lust darauf. Ich habe mich vor einigen Jahren bewusst gegen ein Musikstudium entschieden, um nicht von einer Vermarktung oder dem Geschmack der Massen finanziell abhängig zu sein. Wenn es uns andererseits nur um uns ginge, warum geben wir viel Geld für CDs und Werbung aus? Vielleicht trifft es die Situation am besten, wenn ich sage, dass wir mit unserer Musik Menschen erreichen wollen, wobei uns nicht die Masse sondern der Grad der Auseinandersetzung mit der Musik wichtig sind! Wenn wir es schaffen, dass sich die Massen mit der Musik und der Thematik auseinandersetzen, dann haben wir erreicht, was wir wollen.

Apropos Ausdruck. Meine Kritik an [kwin 'tes sens] betraf die sprachliche Ausdrucksform und das m. E. punktuell schwülstige Pathos des Klargesangs. Wenn ich hinzufüge: Schlafes Bruder ist im Ausdruck noch viel, viel pathetischer … aber da gehört das auch hin… Könnt ihr meine Kritik dann eher nachvollziehen?

Johannes: Ja, aber wir lieben das Pathos. Und ein bisschen Pathos ist doch nicht so schlimm… ;)

Nee, schlimm nicht; aber anders als bei "Schlafes Bruder" scheint es mir hier und in dieser Form deplaciert. Das legt eine Frage an die Ästhetiker Fuß nahe: Haltet ihr Geschmack für eine reine Geschmackssache oder gibt es objektive Werte die z.B. gute von schlechter Musik unterscheiden? Oder ist z.B. der Begriff der Kompositionslogik, sofern er über Konventionen hinausgeht, eine Chimäre?

Johannes: Natürlich gibt es ein konstruiertes, mathematisches Skelett der Musik, damit aber auf die Schönheit einer Melodie rückschließen zu können halte ich für gewagt. Dass manche Melodien von vielen Menschen gemocht werden, hat außerdem auch viel damit zu tun, was der Mensch davor gehört hat – ist also gesellschaftliche Prägung.

Gibt es also nicht so etwas wie den Goldenen Schnitt der bildenden Kunst auch in der Musik?

Johannes: Wie beim Selbst also die Frage: kann man das Metaphysische der Musik in Zahlen beschreiben? Ich glaube nein.

Dazu eine Anekdote: Als ich vor vier Jahren ein klassisches Konzert in Shanghai spielte, unterhielt ich mich danach mit einigen einheimischen Studenten. Das Programm des Abends war aus sehr moderner klassischer Musik mit vielen Takt- und Tonartwechseln und einigen Stücken fürs Herz, z.B. einem Konzert von Mozart, zusammengesetzt gewesen. Als ich die Studenten jetzt nach ihrer Meinung fragte, sagten sie mir, dass der Mozart ja wirklich sehr gewöhnungsbedürftig für sie gewesen wäre. Demgegenüber wurde die moderne Musik als solche erkannt und als interessant bewertet, so wie das auch ein europäisches Publikum gemacht hätte.

Die Frage nach der Ästhetik, die bei uns in Mozart sicherlich ihren Höhepunkt erreicht (mal abgesehen davon, wer mag schon soviel Ästhetik :) ), wird in anderen Teilen der Erde also völlig anders beantwortet. Soweit der Vergleich mit einem Volk, das eine ähnliche Kompositionslogik benutzt.

Bei den indonesischen Gamelan-Orchestern hingegen entstand eine völlig andere Logik, da ihre Instrumente vor allem aus Metallplatten aufgebaut sind. Diese schwingen ganz anders. Während bei uns zu dem gespielten Ton mit der Frequenz f, die jeweiligen Teiltöne 2f, 3f, 4f, 5f etc. als Obertöne mitschwingen, entstehen bei Metallplatten die Teiltöne 1,7f, 2,29f, 3,99f, 6,79 f etc.. Um mit diesen Obertönen aber eine harmonische Musik zu machen, muss man andere Tonleitern erfinden. Da die Instrumente auch noch von Hand hergestellt wurden, müssen sogar unterschiedliche Orchester unterschiedliche Tonleitern benutzen.

Diese Probleme haben wir Europäer umgangen, indem wir fast nur eindimensionale Körper (nämlich Saiten und Luftsäulen) zur Erzeugung von Musik nutzen. Damit sind wir, die wir hier aufgewachsen sind, aber leider auch unempfänglich für die Klänge und Schönheit der Gamelan-Orchester.

Also auch keine Trennung von U- und E-Musik; sei es in der Klassik oder Metal?

Johannes: Nein, das halte ich für Unsinn. Unterhaltungsmusik ist letztlich alles, weil auch die komplexeste Sache zur Gewohnheit wird und der reinen Unterhaltung dienen kann.

So macht ihr also Unterhaltungsmusik mit ernstem Anspruch, okay. Dabei legt ihr stets Konzeptalben vor: Klar, es ist eine größere Herausforderung. Musikalisch. Textuell aber ist es doch recht bequem, sich an Adaptionen von Literatur zu versuchen?!

Johannes: Vielleicht hast du Recht, wenn du uns Bequemlichkeit vorwirfst, (das war kein Vorwurf, nur ein Gedanke…der Verf.) da wir uns mit dem beschäftigen, was andere aufgeschrieben haben. Als Kunstschaffender steht man aber immer auf den Schultern Größerer, ob nun direkt (durch direkten Bezug) oder indirekt, indem man sich nur den kompletten Kunstkanon zu Hilfe nimmt um etwas Neues zu machen.

Warum ‚Schlafes Bruder’? Außer dem Thema der Vergeblichkeit; ein starkes Identifikationspotential?

Johannes: Naja, trotz der Tatsache, dass Flori in Berlin geboren ist, sind wir ja eigentlich auf dem Land aufgewachsen... ;)

Elegant ausgewichen! Bei [kwIn’ tes sens] steht kein einzelnes literarisches Werk im Vordergrund. Sondern ein historischer Prozess und dessen desaströses Resultat... Wenn man soviel Engagement in eine Sache hineinsteckt wie ihr in [kwIn’ tes sens], wäre es dann frustrierend, wenn die simpleren und vielleicht nicht ganz so persönlichen Vorgänger beim Publikum besser abschnitten?

Florian: Ja.

Ich habe zwar noch Diskussionsbedarf. Aber irgendwann muss Schluss sein. Nur noch zwei obligatorische Fragen: Was hätte ich noch unbedingt fragen sollen?

Wie wäre es mit: Was wollt ihr sonst noch loswerden?

Was wollt ihr sonst noch loswerden?

Eigentlich nichts.

Ich danke für eure Zeit.


http://www.deepbeyond.net/helangar