Geschrieben von Montag, 16 Juni 2008 00:20

Tribe After Tribe - Interview mit Mastermind Robbi Robb



Bei vielen Kritikern und leider viel zu wenigen „Nur-Hörern“ gehör(t)en TRIBE AFTER TRIBE seit Anfang der 90er zum Besten, was der schwere Rock zu bieten hat. Mit ihrer mal gefühlvollen, mal amtlich groovenden Mischung aus fettem Gitarren-Rock und Einflüssen aus diversen ethnisch, vor allem aber afrikanisch inspirierten, percussion-verliebten Klängen steht der „Tribe“ allein auf weiter Flur. - Nach dem letzten Lebenszeichen „Entchanted Entrance“ war es mal wieder für sechs viel zu lange Jahre still um Mastermind Robbi Robb und seinen „Tribe“ geworden. Und plötzlich kommt er mit dem nächsten, einem hammerhaften Konzeptalbum aus dem Knick.

Am 04.04.08 stieg die Releaseparty für das am selben Tag erscheinende M.O.A.B. im Hamburger Kultclub LOGO. Logo, dass ich mich vor dem Gig mit Robbi treffen wollte. Leider machte das Aufnahmegerät gleich zu Anfang unbemerkt schlapp. Nett, wie der gute Mann einmal ist, opferte er mir auf der zwei Monate später stattfindenden Tour nochmals eine halbe Stunde… Die ersten paar Fragen entstammen unserem ersten Treffen; der Rest ist einfach drangehängt...


Und Robbi startet das Gespräch mit zwei kleinen Überraschungen:

Hi Mann, schön dich zu sehen, … was hast du da an? (Macht das Kapuzenteil, das ich an habe, weiter auf) Newcastle United, oder was?

Hi, äh, ne, Notts County, 4. englische Liga. Aber „the Toon Army“ ist tatsächlich „mein“ Team.

Echt? Meins auch! (Er fordert High Five… Häh? Ein Südafrikaner, lebt in L.A. … Was weiß der von englischem Fußball… Er deutet meinen irritierten Blick, erklärt:) - Meine Frau ist aus Newcastle.

Aaahhja… (Das ist die, die nicht nur auf den latent unenglischen Namen Amritakripa hört, sondern beim „Tribe“ erstens für die Keys zuständig ist und zudem auf M.O.A.B. in feinstem Oxf’d-Inglish aus dem Deuteronomium zitiert.) Sie ist ein G-e-o-r-d-i-e? Mit `ner “stiff upper lip?“--- (Er lacht.)

Ja, aber sie hat den Akzent schon als Kind gehasst…

Okay, „Toony“, wollen wir? Erst mal meinen Glückwunsch zu diesem wunderbaren Album, trotzdem muss ich alter Nostalgiker gleich mal nach „Love under Will“ fragen: Kriegen wir heute „Ice Below“ oder „Congo Skies“ zu hören?

Nein, ich mag „Ice Below“ noch immer, aber wir veröffentlichen heute MOAB, deshalb werden wir uns darauf konzentrieren.
(Tatsächlich gab es „Ice Below“ im Zugabenteil mit Hinweis auf eine entsprechende Anfrage. Dafür meinen Dank. Und wohl auch den des restlichen Publikums, denn da gingen alle richtig steil und sangen sich die Seele aus dem Leib.)

Lass uns mal mit dem Anfang anfangen: Erzähl doch mal bitte aus den Tagen von Asylum Kids. (Punk-Band, in der Robbi damals Anfang der 80 spielte.) Warum genau bist Du damals emigriert? Und warum in die Staaten?

Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich nach Europa gegangen. Ich stand damals auf THE CLASH, Peter Gabriel und solch Zeugs. Und ASYLUM KIDS machten eben auch Punk. Wir waren sogar ziemlich populär. Wir spielten viele Konzerte, auch mit schwarzen Musikern. Eines Tages ging eine Streikwelle der schwarzen Arbeiter los. Und wir gründeten eine Organisation „Rock against Mangement“ die bei verschiedenen Aktionen Geld sammelte, um die Streikenden zu unterstützen. Als es bei Protestkundgebungen zu Unruhen kam, feuerten die Cops scharf in die Menge. Und kassierten die Verwundeten anschließend in den Krankenhäusern ein oder verfrachten sie in die Townships. Aufgrund der Texte wurden wir in den Medien ignoriert, die Konzerte von den Bullen gestürmt und wir zusammengeschlagen. So was eben. Und dann wurde es für uns richtig gefährlich, der erste Weiße, der in der U-Haft umgebracht wurde, war ein Freund von mir…

Wie kam er ums Leben
?

Sie haben ihn aufgehängt.

Selbstmord ausgeschlossen?

Absolut. Er hatte noch kurz vorher über seine Pläne gesprochen, war voller Enthusiasmus… er war in einer psychischen Verfassung, in der sich niemand umbringen würde… wir waren total paralysiert. Und dann ging erst Dino in die USA und dann ich… Wir gingen nach Los Angeles, Hollywood und mussten erst mal tief Luft holen…

Weil ihr vom Regen in die Traufe gekommen ward, in eine Stadt, in der rassistische Übergriffe der Polizei Unruhen auslösten? Ich denke an Rodney King und die Toten von South Central.

Du hast schon Recht, das hat auch eine Menge von Apartheid, aber das meinte ich nicht. Obwohl der Song "Exodus 2000" auch von dieser persönlichen Erfahrung handelt: Du läufst hiervor weg und davor weg und landest direkt in den Armen von Amerika…Dennoch war ich natürlich froh. Wir hatten sofort einen Plattendeal und Vertriebsdeal und all das Zeug. Zugleich war es ein Kulturschock zu sehen, was das Geld aus manchen Leuten macht und was sie mit ihrem Geld machen…

Wie ging es damals weiter?

Wir waren beim Megaforce Label von Johnny Zazula (Entdecker von Metallica, Anthrax, Ministry etc. und Produzent u.a. von „Kill`em All“) gelandet und genau an dem Tag, als „Tribe After Tribe“, veröffentlicht wurde, gerieten Label und Vertrieb aneinander. Und wir drohten zwischen den „feindlichen Linien“ aufgerieben zu werden… Als Johnny einen neuen Deal abschloss, bekamen wir eine weitere Chance, veröffentlichten „Love under Will“… Und prompt wurde der neue Vertrieb an einen anderen Konzern verhökert, und weil Megaforce nicht schnell genug aus dem Deal rauskamen, waren wir wieder gekniffen.

PEARL JAM waren so begeistert von euch, dass sie euch als Support mit auf US-Tour nahmen, obwohl ihr kein Label im Rücken hattet…

Ja, das war schon toll, dummerweise hatten wir nicht nur kein Label im Rücken, sondern auch keine Platten in den Läden. Es ist unglaublich, aber wahr: jedes Mal, wenn wir eine Platte aufgenommen hatten, ging der Vertrieb oder das Label in die Binsen oder es passierte sonst irgendeine Scheiße. Fünf Mal!

Aber mit PEARL JAM-Basser Jeff Ament verbindet dich seitdem nicht nur eine echte Freundschaft, ihr macht auch Musik zusammen…

Ja, er war auf „Pearls before Swine“ einer der drei Bassisten.

Und zusammen mit Richard (Stuverud, Drummer von T.A.T.) seid ihr „Three Fish“. Die Wertschätzung, die „der Stamm“ bei Musikern genießt, kann man auch an den Leuten sehen, die mit dir im Studio waren. War es nicht frustrierend zu sehen, wie Bands, die vielleicht nicht halb so gut waren wie ihr, direkt durch die Decke gingen, während ihr immer Underground bliebt?

Hmm, einerseits: klar. Andererseits - wie gesagt - es war übel und interessant zu sehen, was Geld und das Business aus manchen Leuten macht oder was sie mit ihrem Geld machen… Jeder weiß, wie beschissen es z.B. Eddie Vedder zeitweise ging. Und nicht nur ihm. Es ist absolut nicht gesund, was das Business mit einem macht. Wie wenig er damit klar kam, eine Platte aufzunehmen, die ratzfatz Platinstatus hatte, ist ja bekannt. Plötzlich hat man jede Menge neuer „Freunde“ und trifft jede Menge falscher Entscheidungen. Ich habe viel mit ihm gesprochen damals, und hoffe, ich bin ihm eine kleine Hilfe gewesen. Mir hätte damals sicher auch die innere Stärke gefehlt, derart viel Geld auf diesem Weg zu verdienen. Und ich hätte auch gar nicht gewusst, was ich mit der Kohle anfangen soll. Insofern bin ich nicht so unzufrieden, dass es damals mit dem dicken Geld nicht so geklappt hat.

Das wäre heute anders…

Ja. Zum einen hätte ich heute diese Kraft, mich von Erfolg und Geld nicht verändern zu lassen; zum anderen wüsste ich heute mit dem Geld etwas Sinnvolles anzufangen. Heute bin ich wirklich inspiriert, Geld zu machen. Hast du von Amma gehört, „the hugging saint“? Sie stammt aus ärmsten Verhältnissen und hatte irgendwann eine spirituelle Erfahrung. Seitdem umarmt sie Leute und sammelt Geld. Sie hat schon ca. 55 Millionen Dollar aufgetrieben, die sie in diverse karitative Projekte steckt. Sie lässt Schulen, Krankenhäuser bauen usw. Sie hat mehr Häuser für Obdachlose nach dem Tsunami bauen lassen, als die amerikanische Nation für die Opfer der Wirbelsturms Katrina. Geld ist ja nicht per se schlecht. Es hängt allein davon ab, was du damit machst. Und was du zulässt, was es mit dir macht. PINK FLOYD haben auch 55 Millionen Doller gemacht… Und?

Das klingt recht sarkastisch und realistisch und steht dem verträumten Hippie-Image, das dir anhaftet, etwas entgegen.

Es geht ja auch nicht um irgendwelche Utopien oder so. Es geht schlicht darum, Herz und Hirn einzuschalten und in dem kleinen Kreis eigener Möglichkeiten das Richtige zu tun.

Themenwechsel: Bei den ersten drei Alben zählte „der Stamm“ 3 -5 Mitglieder, ab „Pearls“ wurden es immer mehr… Von der Band zum Projekt?

Ja, ich glaube, das kann man so sagen. Es hat Vorteile, wenn sich Leute nur hin und wieder zu Aufnahmen treffen…

Da frag ich doch mal gezielt nach Joey Vera?

Er ist ein wundervoller Typ, und wann immer wir die Gelegenheit haben etwas zusammen zu machen, werden wir es tun. Ich mag auch die Sachen, die er sonst so macht, bei AMORED SAINT und FATES WARNING. Wobei ich „The Saints“ aber lieber mag.

Huch, das hätte ich jetzt anders erwartet…

Tatsächlich? Vielleicht sollte ich FATES WARNING mehr Zeit geben… Ich habe sie vielleicht auch einfach nur zum falschen Zeitpunkt gehört. Es ist ja doch häufig bloß eine Frage der Stimmung, in der man eine Sache das erste Mal hört. Und wenn es dich auf dem falschen Fuß erwischt, legst du das Zeug zu den Akten und verpasst richtig was.

Zwischen „Pearls Before Swine“ und „Entchanted Entrance“ lagen fünf Jahre. Du hattest einen deftigen Surf-Unfall?!

Ja, das war ziemlich übel. Und erschreckend. Ich bin mächtig aufgeschlagen. Erschreckend war, dass ich mir ebenso gut das Genick hätte brechen können.

Du konntest aber ewig nicht spielen. Hattest Du keinen Schiss, dass es bedeutet: Schluss mit Lustig, sprich keine Musik mehr machen zu können?

Nein, es findet sich immer eine Möglichkeit, kreativ zu sein. Als ich wieder anfing, habe ich einen Malerpinsel als Plektrum benutzt. Auch das war eine Erfahrung, Musik neu und anders zu erleben.

Zwischen „Entchanted Entrance“ und „M.O.A.B" lagen sogar sechs Jahre. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Ich bin in die Wüste gezogen und habe beim Bau einiger Häuser geholfen, beim Aufstellen von Sonnenkollektoren und solchen Sachen, ich versuchte einfach mit der Natur in Harmonie zu leben und eine gute Zeit zu haben. Ich bin da ziemlich in eine Gemeinschaft integriert. Die meisten da sind aus L.A. und irgendwie künstlerisch tätig: Photographen, Maler, Musiker… ich habe da auch eine Jam Band, die BUTTER THIEF JAM BAND.

Nun ist es ja endlich draußen: "M.O.A.B." interpretiere ich als Kritik am imperialistischen Monotheismus…

Hmm, ich hatte prinzipiell eine etwas andere Intention: Wenn du etwas glaubst, wird es Teil deiner selbst. Richard, unser dänischer Drummer, hat so eine Redensart: "What you’d soaked, so you spoke…" Als 9/11 passierte, und alle nach Vergeltung schrien, dachte ich irgendwann, wart’ mal: Was ist eigentlich deine Geschichte. Was ist die Hintergrundgeschichte meines eigenen Lebens? Als Kind bekam ich folgende Geschichte zu hören: Schwarze hätten Weiße zu einer Party eingeladen und umgebracht. Mit dieser Geschichte bin ich aufgewachsen. Kein Wunder, dass ich Schwarzen nicht trauen konnte, oder? Ich habe es geglaubt, und es wurde ein Teil von mir.

Schwer abzuschütteln.

Genau. Und jetzt guck dir mal das Alte Testament an: Moses auf dem Berg Sinai, Moses, dies, Moses das, Moses isst, trinkt, was weiß ich. Aber guck mal genauer hin. Es geht da um einen verdammten Völkermord. Warum spricht man nicht darüber? Warum spricht niemand darüber, eh? Moses war ein verdammter Massenmörder. Oder nimm mal den Auszug aus Ägypten, 600.000 brechen über Nacht aus Ägypten auf, und keine einzige Notiz aus Ägypten hält es für nötig, darüber zu sprechen…? Es ist schlicht eine Lüge. Bullshit! Versuch mal, Hamburg über Nacht zu evakuieren. Aber was sagen die Leute… Es muss wahr sein. So steht es schließlich geschrieben… Aber es wird völlig ignoriert, dass sie Tausende von Leuten umgebracht haben: Männer, Frauen und Kinder - was zur Hölle haben ihnen die Kinder getan? Eigentlich sollte dieser Genozid-Teil irritieren…

Dazu muss ich unbedingt mal ein Kompliment loswerden… Wie deine Frau diese Bibelpassagen rezitiert, in denen vom Völkermord die Rede ist… Phantastisch, wundervoll … diese lakonische Art entblößt die Brutalität weit mehr als jedes „Fuck! Kill! Destroy!“-Death Metal Gegrunze. Ich krieg jedes Mal `ne Gänsehaut.

(Lacht) Das habe ich ihr auch gesagt. Und weißt du, was sie vorher zu mir meinte: „ich kann das nicht vortragen. Du solltest das überhaupt nicht aufnehmen!“

Lass uns zu deinen eigenen Texten kommen. Die Doppeldeutigkeiten sind großartig: Moab, das Land der Moabiter, an denen der Genozid begangen wurde und M.O.A.B., Mother of all Battles; der „Burning Bush“ … indem Gott angeblich Moses erschien und als Metapher für George W., den Kriegstreiber. Hast du eigentlich auch an seine göttliche Visionen dabei gedacht, die er wie Moses gehabt haben will? Er glaubt sich wohl ernsthaft auf einer Mission, dieser verrückte Bastard…. Genau wie Bin Laden.

Genau. Genau. Genau. (Lacht sich halb tot!) Wusstest Du das: Jeden Montag hat Bush einen Termin mit Leuten aus seiner Kirche, die sind… jetzt kommt’s … Spezialisten in Sachen Apokalypse. (Nun lachen wir beide. Robbi verstellt seine Stimme:) Every fuckin’ Monday morning he needs to see these specialists in apocalypse. Und weißt du, worauf diese Spezialisten, diese Verrückten ihren Fokus haben? Eine einzige Sache: Darauf, dass wenn Jesus wieder auf die Erde kommt, sein Tempel in Israel vorbereitet ist.

Klingt nach einem Kreuzzug. Was ist los mit den Amerikanern, dass sie dem kranken Kerl eine zweite Amtszeit gegönnt haben?

Alles eine Frage der Medien. Sie haben die Medien gekauft. Mehr gibt’s nicht zu sagen. Hollywood hat zu Zeiten des kalten Krieges erzählt, die ganze Welt sei von Kommunisten bedroht. Propaganda. Die Leute haben’s geglaubt, den Kram gierig aufgesogen und entsprechend gewählt. Diesmal war es zwar nicht der Kommunismus… aber bei Bush war es dennoch dasselbe.

Eigentlich sollte dir die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit gefallen. Ich meine die Globalisierung…

Oh ja, richtig…

Aber wieder ist das ein Schritt in die falsche Richtung: globaler Kapitalismus, weltweiter Terror…

Wieder richtig. Es könnte eine große Party sein, wird aber wieder nur zum globalen Alptraum. (Lacht) Du kennst diesen holländischen Politiker. Er nahm den Koran und zeigt den Terror… Wir haben eigentlich auch so etwas gemacht: Wir nahmen das Alte Testament und zeigen den Terror. Und über das Christentum brauchen wir gar nicht erst zu reden.

Ja, aber deswegen dachte ich ja an eine Kritik des Monotheismus. Wo ein Gott ist, ist für einen zweiten kein Platz mehr. Intoleranz wird da fast schon zum Gebot.

Das stimmt schon. Aber es ist nicht meine Aufgabe, die Geschichte von anderen zu kritisieren. Ich habe allein das Recht, meine eigene Geschichte zu kritisieren. Und nimm mal, was „Islam“ bedeutet: Hingabe. Hingabe an Gott. Mohammed fordert von den Gläubigen fünf Gebete täglich in Richtung Allerheiligstes. Aber wovon zum Teufel redet Bin Laden? Wer ist hier der verdammte Ungläubige? Aber wie gesagt, es steht mir nicht zu, die Geschichte anderer zu kristisieren. Nur meine eigene. Es wäre also die Aufgabe von Juden, die jüdische Geschichte zu kritisieren, von Moslems die islamische Geschichte usw.

Womit wir bei "Holy City Warrior" wären…

"Holy City Warrior" behandelt den Stolz des Selbstmordattentäters. Ein Stolz, der aus seiner persönlichen Geschichte herrührt. Seine Geschichte ist geprägt von einer Art islamischem Drehbuch. Ihm werden Versprechungen vom Paradies gemacht und wie er die Einlösung der Versprechen erwirkt. Voller Stolz singt er von seiner Bestimmung. (Robbi singt den Refrain) Und danach hörst du den Klagegesang… Und die Klage fragt nach dem Heiler: wo ist der Heiler, der diese Welt des Terrors heilt…

Ich weiß zwar, dass das Stück „Lament“ heißt, dennoch klang es für mich im Kontext eher wie der Ruf des Muezzins zum Jihad als eine Klage …

Okay, aber was ist der Jihad? Der wahre Jihad, und das ist der, von dem der Koran spricht, ist der innere Kampf… all die scheinbar eigenen, tatsächlich fremdbestimmten Gedanken, die einen abhalten, sich geistig zu entwickeln. Der zweite Aspekt dieses Kampfes ist es, die Leidenschaften zu besiegen. Erst der dritte Aspekt ist die „Erlaubnis“, jemanden zu töten. Nämlich dann, wenn er dich davon abzuhalten versucht, den richtigen Weg zu finden.

Das klingt fast wie eine Rechtfertigung.

Das soll es nicht sein. Mohammed sagt zwar: Wenn dich jemand daran zu hindern versucht, dass du deinen Weg zu Gott findest, darfst du ihn töten; aber wenn er Frieden will, dann hast du das zu akzeptieren.

Na schön, aber Bin Laden ist eine Art Visionär: Er sieht wie „the American way of life“ die islamische Kultur zersetzt und ruft zur Gegenwehr auf. Man muss sich ja gar nicht auf all die militärischen Interventionen berufen, um den Amerikanern aggressiven Imperialismus vorzuwerfen… einen Coca-Cola Imperialismus, wenn man so will…

Ja, richtig. Aber Unverständnis und Arroganz ist auf beiden Seiten. Und beide Seiten verfehlen die Bestimmung des Menschen. Wie schon zu Zeiten von Moses. Auch Moses legitimiert den Völkermord mit einem göttlichen Auftrag. „Lasst uns die und die umbringen, weil sie nicht so leben, wie wir meinen, dass sie es tun sollten.“ Und das ist der entscheidende Punkt dieses Albums: Wir müssen aufhören, an unsere kleinen, selbstgemachten Geschichten zu glauben, die uns zum Nabel der Welt erheben. Stattdessen muss unser höchstes Ziel sein, der eigentlichen und natürlichen Bestimmung des Menschen zu folgen: den menschlichen Geist zu befreien. Dazu gehört auch der Mut, Leuten das Trinken von Coca-Cola zu erlauben oder anzubeten, wen sie anbeten wollen, zu leben wie sie leben wollen, anstatt dass immer mit dem Finger auf einander gezeigt wird…
Auf einem Level geht es in „Holy City Warrior“ um diesen Stolz. Aber wie in der Bibel gibt es immer mehrere Ebenen: Auf einer anderen, einer persönlichen Ebene heißt es: „I’m a Holy City warrior, I’m not looking for direction…“. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass ich mich nicht in eine bestimmte Richtung orientiere… „I’m coming for your mother“, das ist Mutter Natur, und das wiederum meint vor allem eine Reise ins Innere. Und darum gehe ich nirgendwo hin. Oder überall. Ich bin wie eine Fliege. Ich habe auf jedem Haufen Scheiße gesessen.

Bist du heimatlos?

Ja. (Pause) Ich gehöre nirgendwo hin. Aber das ist kein Aufruf zum Mitleid. Der Heimatlose kann ein König sein. Ich bin es, der vom Mitgefühl motiviert ist. Ich meine nicht Mitleid. Mitleid ist eine gefährliche Sache…

Vordergründig geht es in "Exodus 2000" um die Situation von Flüchtlingen – zur Zeit Moses wie heute. Ist es zugleich auch der persönlichste Song?

Irgendwo schon. Schließlich bin ich ja damals vor der Apartheid geflohen.

Wie beurteilst Du die gegenwärtige Situation in Südafrika?

Es ist das Ergebnis jahrelanger Unterdrückung. Wie in einer Atombombe. Man hält die Energien unter Druck und setzt sie mit einem Schlag frei. Wir haben ein Heer von Schwarzen, die in die Städte ziehen. Ohne vernünftige Ausbildung. Jeder will einen Mercedes-Benz, aber keiner hat eine vernünftige berufliche Qualifikation. Folglich gibt’s eine Menge Kriminalität. Als Mandala an die Macht kam, dachte jeder, dass er jetzt einen Swimming-Pool und einen Mercedes-Benz bekommt… eine Anekdote: es gab da diese Tee-Werbung im Fernsehen… Als die Teelöffel spitzkriegen, dass sie gleich in diesen Tee tauchen würden, sprangen sie vor Freude herum, tanzten auf dem Tisch usw. Kein Schwarzer hat damals diesen Tee gekauft… Schwarze Magie, verstehst du? Also, was erwarten wir? Und bei allem Terror, der noch immer in Südafrika passiert, siehst du auf vielen Gesichter der Armen ein Lächeln...

Wie kann ein solches Land die nächste Fußball-WM ausrichten? Hat Südafrika nicht schon genug Probleme?

(Robbi nickt:) Mmhh ja, aber nimm Amerika. Wo ist der Unterschied? Die schicken Raumschiffe zum Mars, verpulvern Milliarden fürs Militär, für ihre Kriege, während sie unzählige obdachlose Kinder haben. Dabei ist eine einzige Person, die in Armut leben muss, eine Schande für ein solches Land. Weißt du, wie viele Menschen in den USA auf der Straße leben? Ohne jede medizinische Versorgung? Nicht einmal die Soldaten, die in ihren Kriegen verstümmelt werden, erhalten angemessene Unterstützung.

Die Schlechtigkeit der Welt. An dem Abend, als PEARL JAM für den Grammy nominiert waren, hingst du mit ihnen rum… Du meintest, sie würden ihn gewinnen. Was sie auch taten. Sie hatten für den Fall keine Rede vorbereitet. Auf ihre Frage hast du ihnen geraten, sich einfach bei jenen zu bedanken, auf deren Schultern sie stünden… Und was taten sie: spielten den Coolen, kassierten den Grammy und meinten nur mit Blick auf die Statue: „What the Fuck is that?" Sehr enttäuschend?

Ja, sie haben eine Chance verpasst. Sie haben die Chance verpasst, etwas Wichtiges zu sagen. Etwas „Medizinisches“, etwas Heilendes, etwas Sinnvolles...

Zeigt einmal mehr, welchen einsamen Kampf du kämpfst, wenn nicht einmal sie deinen nahe liegenden Gedanken nachvollziehen mochten… so wahr er auch sein mag. Wo wir schon mal bei der Wahrheit sind: „Truth and Reconciliation“ ist einer der sarkastischsten Songs, den ich je gehört habe.

One of the most sarcastic songs? (Lacht). That’s great… Ja, stimmt. Er ist sehr sarkastatisch. Und jeder Vers ist wahr. Tatsächliche Erfahrung. Die Polizei schoss auf diese Kids, und alles hatte damit angefangen, dass ich diesem Typen, diesem Anführer der Südafrikanischen Nazipartei ein Ei an den Kopf geworfen habe. Und alles, was sich in Südafrika zugetragen hat, habe ich irgendwie noch mal in den USA erlebt.

Einer meiner Lieblingssongs auf dem Album ist „Understanding the Water“. Erzähl’ mal bitte etwas dazu…

Wasser hat keine Feinde. In der Sprache der Mystik repräsentiert Wasser die Einheit und die Liebe. Und Moses ging in die Wüste, um den Kult um die alte Göttin zu zerstörten, deren Anhänger glaubten, dass alles, was existiert, heilig sei, weil alles ein Teil der Göttin ist. Das Wasser zu verstehen bedeutet zu verstehen, dass die Welt, die Natur eine Einheit darstellt.

Womit sich der Kreis schließt: ein deutscher Philosoph, Nikolaus von Kues, nannte Wasser das "heilige Element", weil es immer nach unten fließt.

Der Aspekt der Hingabe...

Genau. Und das Motto des Islam. Gegen den Stolz. Ist Stolz unser schlimmster Feind?

Ja. ... Ja. (längere Pause). Nein, nicht der Stolz, die Angst.

Welche Ängste kultivierst du?

Als meine Mutter mich ins Waisenhaus verfrachtete, sagte sie: ich liebe dich, ich komme bald wieder. Tat sie nicht. Meine größte Angst ist es, von etwas getrennt zu werden, das ich für einen Teil, einen Aspekt meinerselbst halte. Das gilt aber wohl für alle. Es ist eine Urangst aus der Zeit, als wilde Tiere den Menschen angriffen und uns von einander trennten. Die erste Angst überhaupt. Und diese Angst wird reaktiviert, wenn solche Sachen passieren, wie die Mutter zu früh zu verlieren…

Du benutzt eine sehr biologistische Erklärung, die so gar nicht so recht zu dem schon angesprochen Hippie Image passt, das dir ewig anhaftet. Auch wenn du in dieser Künstlerkolonie in Joshua Tree lebst, hast du mit den Hippies tatsächlich nicht viel am Hut…

Naja, das Hippie-Label greift natürlich zu kurz. Das fängt mal mit der Musik an. Das meiste, was ich gemacht, habe ist heavier als alles, was Hippies normalerweise hören. Na gut, einen psychedelischen Einschlag hat meine Musik auch. Aber die Hippie-Generation hat einen mächtigen Fehler gemacht.... Mann, wie ging das noch, was Timothy Leary gesagt hat… Drop it, Drop in, Drop out oder so… [Timothy Leary, Psychologe und Autor, Propagandist der bewusstseinserweiternden Drogen. Sein Slogan wörtlich: Turn on, Tune in, Drop out! Sinngemäß: Turn on -- Schalte dich ein: … Finde das Heilige, das dich zu Gott bringt und zu dir selbst / Tune in --Bleibe auf Sendung und drücke es aus / Drop out -- verabschiede dich vom Kaspertheater um dich herum... der Verf.]
Es geht um den Drop out-Part… Ich kenne zwar auch Communities, die sehr aktiv sind, sehr funktional, die Schulen bauen, eigene Land- und Forstwirtschaft betreiben etc. Aber im Allgemeinen haben die Hippies den Fehler gemacht, dass sie alles für lau haben wollten; sie haben einen ganz wichtigen Aspekt der Arbeit übersehen. Arbeit ist wie ein Gebet; ein Gebet ist es nicht nur dann, wenn man Gott oder sonstwen ständig um irgendwelches Zeugs anbettelt. Arbeit ist sogar die höchste Form des Gebets, zu der menschliche Wesen fähig sind. In einer echten Gemeinschaft. Ich bau die Kartoffeln an, du die Tomaten, und dann teilen wir den Scheiß. Das war in antiken Kulturen üblich. Du kommst zu mir nach Haus, gibst mir ein paar Kühe und wir feiern ein Fest. Nächstes Mal komm ich zu dir und bringe ein paar Schweine mit. Und wieder feiern wir ein Fest. Zusammen. Das ist wahre Gemeinschaft, und passiert das im Einklang mit der Natur,dann ist das wie ein Gebet.

Das könnte ein Schlusswort sein und ist es leider auch geworden, denn dieses Mal war Robbi zu spät dran und musste an dieser Stelle zum Soundcheck. Und so bleibt mir nur der gut gemeinte Hinweis, sich mit einer phantastischen Band und deren interessanten Aussagen intensiv zu beschäftigen.


Mein Dank nochmals an einen charismatischen und einnehmenden Gesprächspartner und an Birgit von Rodeostar, die nicht nur eine der spannendsten Bands des Business die verdiente Plattform bietet, sondern sich auch rührend um dilettantische Interviewer kümmert.

Link: http://www.robbirobb.com